Adelbert von Chamisso
Gedichte
Adelbert von Chamisso

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Die Blinde.

1.

           

Es hat die Zeit gegeben,
    Wo hinaus mein Auge mich trug,
Zu folgen im tiefen Lichtmeer
    Der flüchtigen Wolken Zug;

Zu streifen über die Ebne
    Nach jenem verschwindenden Saum,
Mich unbegrenzt zu verlieren
    Im lichten unendlichen Raum.

Die Zeit ist abgeflossen,
    Leb wohl! du heiterer Schein!
Es schließet die Nacht der Blindheit
    In engere Schranken mich ein.

O trauert nicht, ihr Schwestern,
    Daß ich dem Licht erstarb;
Ihr wißt nur, was ich verloren,
    Ihr wißt nicht, was ich erwarb.

Ich bin aus irren Fernen
    In mich zurücke gekehrt,
Die Welt in des Busens Tiefe
    Ist wohl die verlorene wert.

Was außen tönet, das steiget
    Herein in mein Heiligtum:
Und was die Brust mir beweget,
    Das ist mein Eigentum.

2.

       

Wie hat mir Einer Stimme Klang geklungen
    Im tiefsten Innern,
Und zaubermächtig alsobald verschlungen
    All mein Erinnern!

Wie Einer, den der Sonne Schild geblendet,
    Umschwebt von Farben,
Ihr Bild nur sieht, wohin das Aug' er wendet,
    Und Flammengarben;

So hört' ich diese Stimme übertönen
    Die lieben alle,
Und nun vernehm' ich heimlich nur ihr Dröhnen
    Im Widerhalle.

Mein Herz ist taub geworden! wehe, wehe!
    Mein Hort versunken!
Ich habe mich verloren und ich gehe
    Wie schlafestrunken.

3.

       

Jammernd sinn' ich und sinn' immer das Eine nur,
Wonneselig die Hand, welche beseelet, sanft
    Gleitend über sein Antlitz
        Dürft' ihm Form und Gestalt verleih'n!

Armes, armes Gehör, welches von ferne nur
Du zu schlürfen den Ton einzig vermagst, ins Herz
    Ihn nachhallend zu leiten,
        Ob nachhallend, doch wesenlos!

4.

       

Stolz, mein Stolz, wohin gekommen!
    Bin ein armes, armes Kind,
Deren Augen, ausgeglommen,
    Nur zu weinen tauglich sind.

Lesen kann ich in den seinen
    Nicht das heimlich tiefe Wort,
Meine schweigen, aber weinen,
    Weinen, weinen fort und fort.

Ja wir sind getrennt! In Scherzen
    Und in Freuden wandelst du,
Über mich und meine Schmerzen
    Schlägt die Nacht die Flügel zu.

5.

       

Wie trag' ich's doch zu leben
    Nur mir und meiner Pein?
Dem Liebsten sollt' ich dienen,
    Da wollt' ich selig sein!

Ich wollt ein treuer Page
    Um den Gebieter steh'n,
Bereit zu jeder Botschaft
    Und jeden Gang zu geh'n.

Ich kenne jede Windung
    Der Straßen, jedes Haus,
Und jeden Stein am Wege,
    Und weiche jedem aus.

Wie freudig zitternd trüg' ich
    Ihm nachts die Fackel vor,
Die freud'ge Lust ihm spendend,
    Die selber ich verlor!

O, traurig ist's im Dunkeln,
    Ich weiß es nur zu sehr!
Licht wollt' ich, Licht verbreiten
    Um seine Schritte her.

Ihn sollte stets erfreuen
    Das allerfreu'nde Licht.
Sein Anblick sollte Jeden
    Erfreuen, mich nur nicht,

Und sollte da mich treffen
    Der Menschen Spott und Hohn,
Ich seh' es nicht, und hört' ich's,
    Auch das ertrüg' ich schon.

6.

       

Du mein Schmerz und meine Wonne,
Meiner Blindheit andre Sonne,
    Holde Stimme, bist verhallt.
Meine Nacht hüllt sich in Schweigen,
Ach, so schaurig, ach, so eigen,
    Alles öd' und leer und kalt!

Leise welken, mich entfärben
Seht ihr Schwestern mich und sterben,
    Und ihr fragt und forscht und klagt;
Laßt das Forschen, laßt das Fragen,
Laßt das Klagen, seht mich tragen
    Selbst mein Schicksal unverzagt.

Hingeschwunden ist mein Wähnen,
Ohne Thränen, ohne Sehnen
    Welk' ich meinem Grabe zu;
Nichts dem Leben bin ich schuldig,
Stumm, geduldig, trag' ich, duld' ich,
    Schon im Herzen Todesruh'.

 


 


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