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Zu Holten bei der Burg vor langen Jahren,
Erzählt uns Möser, gab es in der Schar
Der Bauern, die dem Gutsherrn pflichtig waren,
Ein schlichtes, frommes, altes Ehepaar,
Dess' Tochter Sylika ganz unbestritten
Die schönste aller Bauerndirnen war.
Sie ward vom jungen Burgherrn wohlgelitten,
Der einst im Feld, wo er allein sie fand,
Es wagte, sie um einen Kuß zu bitten.
Sie hätt's gethan wohl ohne Widerstand,
Jedoch die Mutter, die da außer Sicht
Im nächsten Garten hinterm Zaune stand,
Die Mutter rief ihr zu: thu's lieber nicht,
Thu's nicht, mein Kind, das will sich nicht gehören,
Draus möchte leicht erwachsen eine Pflicht.
Der Junker thät auf Ritter-Ehre schwören,
Er werde so geheim den Kuß ihr geben,
Daß keine Zeugen seien zu verhören;
Doch konnt' er nicht der Mutter Zweifel heben.
Sie sprach: das sei dem Manne vorbehalten,
Und wie der Alte meint, so sei es eben.
Und selb'gen Abends, als am Herd die Alten
Einmütig saßen, trug die Mutter vor
Ausführlich, wie die Sache sich verhalten.
Es kratzte sich der Alte hinterm Ohr,
Erwägend, wie man dies und jenes deute,
Bis er, ein kluger Mann, den Rat erkor:
Nicht mich betrifft's allein, nein, alle Leute,
Die zu der Burg gehören; küßt einmal
Der Junker unsrer Mädchen eine heute,
So hat er's morgen nach belieb'ger Wahl,
Und küßt, die er nur will; da muß ich fragen
Die andern pflicht'gen Bauern allzumal.
Und also that er; kaum begann's zu tagen,
Hat er den Hör'gen, ohn' es zu verschieben,
Die ganze Sache haarklein vorgetragen,
Und bei dem Ausspruch ist es dann geblieben:
»Das darf von eurem Mädchen nicht geschehen,
Und würd' auch selb'ger Kuß nicht angeschrieben.
Denn fehlen Zeugen, die die That gesehen,
So haben die Juristen noch den Eid
Erfunden, um damit zu Leib zu gehen.
Den Kuß, den sie empfangen, kann die Maid
Doch nicht abschwören, und so heißt es: gelt
Der Herr ist im Besitz, – das wird uns leid;
Besitz entscheidet alles in der Welt.« |