Gemächlich in der Werkstatt saß
Zum Frühtrunk Meister Nikolas,
Die junge Hausfrau schenkt' ihm ein,
Es war im heitern Sonnenschein. –
Die Sonne bringt es an den Tag.
Die Sonne blinkt von der Schale Rand,
Malt zitternde Kringeln an die Wand,
Und wie den Schein er ins Auge faßt,
So spricht er für sich, indem er erblaßt :
»Du bringst es doch nicht an den Tag« –
»Wer nicht? was nicht?«. die Frau fragt gleich,
»Was stierst du so an? was wirst du so bleich?«
Und er darauf: »Sei still, nur still !
Ich's doch nicht sagen kann noch will.
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.«
Die Frau nur dringender forscht und fragt,
Mit Schmeicheln ihn und Hadern plagt,
Mit süßem und mit bitterm Wort;
Sie fragt und plagt ihn Ort und Ort :
»Was bringt die Sonne nicht an den Tag?«
»Nein nimmermehr!« – »Du sagst es mir noch.«
»Ich sag es nicht.« – »Du sagst es mir doch.«
Da ward zuletzt er müd und schwach
Und gab der Ungestümen nach. –
Die Sonne bringt es an den Tag.
»Auf der Wanderschaft, 's sind zwanzig Jahr,
Da traf es mich einst gar sonderbar.
Ich hatt nicht Geld, nicht Ranzen, noch Schuh,
War hungrig und durstig und zornig dazu. –
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.
Da kam mir just ein Jud in die Quer,
Ringsher war's still und menschenleer,
›Du hilfst mir, Hund, aus meiner Not!
Den Beutel her, sonst schlag ich dich tot!‹
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.
Und er: ›Vergieße nicht mein Blut,
Acht Pfennige sind mein ganzes Gut!‹
Ich glaubt ihm nicht und fiel ihn an ;
Er war ein alter, schwacher Mann –
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.
So rücklings lag er blutend da;
Sein brechendes Aug in die Sonne sah;
Noch hob er zuckend die Hand empor,
Noch schrie er röchelnd mir ins Ohr.
›Die Sonne bringt es an den Tag!‹
Ich macht ihn schnell noch vollends stumm
Und kehrt ihm die Taschen um und um:
Acht Pfenn'ge, das war das ganze Geld.
Ich scharrt ihn ein auf selbigem Feld –
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.
Dann zog ich weit und weiter hinaus,
Kam hier ins Land, bin jetzt zu Haus. –
Du weißt nun meine Heimlichkeit,
So halte den Mund und sei gescheit!
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.
Wann aber sie so flimmernd scheint,
Ich merk es wohl, was sie da meint,
Wie sie sich müht und sich erbost, –
Du, schau nicht hin und sei getrost :
Sie bringt es doch nicht an den Tag.«
So hatte die Sonn eine Zunge nun,
Der Frauen Zungen ja nimmer ruhn. –
»Gevatterin, um Jesus Christ!
Laßt Euch nicht merken, was Ihr nun wißt!« –
Nun bringt's die Sonne an den Tag.
Die Raben ziehen krächzend zumal
Nach dem Hochgericht, zu halten ihr Mahl.
Wen flechten sie aufs Rad zur Stund?
Was hat er getan? wie ward es kund?
Die Sonne bracht es an den Tag. |