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von Heinz Amelung
Trinkt, o Augen, was die Wimper hält,
Von dem goldnen Überfluß der Welt!
Jeder kann und soll dieser Mahnung Gottfried Kellers in seinem »Abendlied« folgen; wer aber ist in der Lage, sie nicht nur als weise Lehre zu beherzigen, sondern einfach als Lebensaufgabe, als Beruf zu betrachten und doch und gerade dadurch dem großen Ganzen zu dienen? Der Weltwanderer Kurt Faber verstand sich auf diese höchst seltene Kunst, ja er war Meister in ihr. Er liebte die Ferne nicht um der Ferne willen; er jagte auch – trotz des Titels seines farbigen Südamerikabuches – nicht dem Glücke nach durch die Welt; ihm lag nichts am Wohlleben, an einem Genießer- oder Faulenzerdasein, denn er war unausgesetzt fleißig; er war nicht ruhelos, weil ihn irgendetwas forttrieb aus der Heimat, die er glühend, mit allen Fasern seines Herzens liebte; er reiste auch nicht, weil ihm das Reisen an sich eine Freude oder ein Bedürfnis war . . . Kurt Faber war der geborene Wandersmann, ich bin glücklich, daß ich ihn in diesem völlig gemäßen Beruf unterstützen und fördern durfte.
Im bittern Kriegsjahr 1916 erschien in der »Täglichen Rundschau« eine Geschichte, die spannender und lebendiger war als der fesselndste Roman. Da erzählte ein Grünhorn von seinen Fahrten und Abenteuern auf dem Walfischfänger »Bowhead« in einer so erregenden, gänzlich unliterarischen Weise, daß es jeden Tag in unserer Familie einen Kampf gab, wer die Fortsetzung zuerst lesen sollte. Es besagte nichts und sagte auch uns nichts, daß der Verfasser Kurt Faber hieß; denn der trat zum erstenmal vor die Öffentlichkeit mit dieser Erzählung seiner Leiden und Abenteuer, seiner trostlosen Fahrt ins nördliche Eismeer und der nicht minder trost- und endlosen Wanderung aus der Nordpolgegend durchs Land der Eskimos und quer durch Kanada. All' das Grauen und Elend, durch das er reinen Herzens, wie auch später durch alle Fährnisse Leibes und der Seele, hindurchgegangen, mußte er, um auch im Geiste aus jener Hölle erlöst zu werden, sich von der Seele schreiben, nachdem die Mutter ihn auf diesen Ausweg gewiesen hatte. Sie war die stets treu Sorgende und seine Wesens- und Eigenart klug Verstehende.
Diesem jungen Burschen, von dem man nichts wußte, hatte fürwahr ein Gott gegeben, zu sagen, was er erlebt und erlitten. Alle, die damals in der Zeitung und später im Buch »Unter Eskimos und Walfischfängern« den so hart bestraften Ausreißer auf seiner Fahrt begleiteten, haben für ihn gezittert und ihn ins Herz geschlossen und ihn nicht vergessen. Denn dieser Kerl war genau so wie seine Bücher. Und in ihnen wird er auch als Mensch fortleben. Wie völlig er der gleiche war als Mensch und als Schriftsteller, fühlte ich sofort, als ich seine persönliche Bekanntschaft machte, und aus der gemeinsamen Arbeit erwuchs schnell ein enger, festgegründeter Freundschaftsbund.
Von der schweren Krankheit, die er sich in den Urwäldern Südamerikas geholt hatte, noch nicht völlig genesen – zur Zeit als die abgründige Inflation gesicherten Verhältnissen wich – ließ ihm der bohrende Trieb in die Weite schon wieder keine Ruhe. Mit brennenden Augen starrte er auf die Weltkarte.
Afrika – ja das wäre herrlich! – Die ungeheueren Umwege über Australien, die Südsee und Sibirien gaben ihm reichlich Stoff zu seinen Berichterstattungen für die Scherlblätter und trugen wie immer den Stempel seiner unheimlichen, unbestechlichen Beobachtungsgabe.
Immer waren seine Augen hungrig auf die Schönheiten, auf den goldnen Überfluß der Welt gerichtet, nicht genug konnte er von dem Licht in sich hineintrinken, ohne dabei die Schatten zu übersehen; aber mit gleicher Inbrunst trieb es ihn, andern zu schildern, und wie zu schildern, was er gesehen und erfahren. Er eroberte sich ja ein Volk, eine Landschaft, eine Kultur in ganz anderer Weise, in ganz anderem Ausmaß als Reisende gemeinhin. Ihn auch nur in Vergleich zu stellen mit Globetrottern, die in Luxuskabinen und Pulmanwagen von einem Hotel zu einem andern fahren, wäre einfach absurd. Ein Rucksack war eigentlich schon zuviel; wozu auch sich mit Dingen belasten, die man doch verliert? Er paßte sich überall den Gebräuchen des Landes an; und eben dadurch, daß er mit dem Volke lebte und mit seiner erstaunlichen Sprachenkenntnis und -gewandtheit sich überall verständigen konnte, erfuhr er, der geniale Beobachter, viel mehr als die meisten Berufsforschungsreisenden. Das alles wußte er mit einfachen Worten und ungekünsteltem Stil, in einer farbigen Anschaulichkeit, einer suggestiven Eindringlichkeit darzulegen, die ihm ganz natürlich und Ausdruck seiner seltsam anziehenden Persönlichkeit war, bei der einem das vernachlässigte Äußere garnicht zum Bewußtsein kam oder das man ihm, als ja auch zu seinem Wesen gehörig, gern gestattete und verzieh.
Wie er, der auf allen Gebieten Beschlagene, die Zusammenhänge zu überblicken und oft überraschende Schlüsse daraus zu ziehen verstand, das beweist in hervorragendem Maße auch dieser Nachlaßband, der, von verständnisvoller Bruderhand zusammengestellt, die auf den kleineren Reisen – Balkan 1925, Baltikum 1925, Palästina 1929 – ferner auf dem zweiten Teil der Weltreise von 1927 bis 1928 sowie auf der letzten Fahrt nach Kanada entstandenen Aufsätze enthält; hier sind eine unendliche Fülle von Eindrücken und Beobachtungen niedergelegt, die für die Länder- und Völkerkunde ebenso wichtig und noch längst nicht genügend ausgebeutet sind, wie sie uns auch für die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen Nutzen bringen könnten, wenn sie nach Gebühr beachtet würden.
Gerade in unserer Zeit sportlicher Betätigung wird man auch die rein physischen Leistungen Kurt Fabers in seinen rund dreißig Wanderjahren erst recht würdigen und bewundern. Man sehe sich an Hand seiner sieben Bücher und der Weltkarte die bewältigten Riesenentfernungen an und erwäge die damit verbundenen und nur von einem Willensmenschen, wie es Kurt Faber Zeit seines Lebens war, zu überwindenden Strapazen. Er wanderte – um nur einige Hochleistungen herauszugreifen – mit einer Eskimofamilie von der Herschelinsel nach Fort Mac Pherson an der Mackenziemündung, durchtippelte Nord- und Südamerika von Ost nach West, durchquerte mutterseelenallein die sturmgepeitschte Hochfläche Patagoniens, das Urwaldgebiet zwischen den bolivianischen Kordilleren und Brasilien, die unwirtlichen Gebirge und Wüsten Armeniens und Persiens, im Eingeborenenkanu das Quellgebiet des Sambesi, und legte schließlich auf der letzten Fahrt durch Nordkanada nahezu fünfhundert Kilometer im Paddelboot zurück! Das sind Leistungen, vor denen viele Rekorde, die nach langem Training errungen wurden, wesenlos verblassen, und die es wohl verdienten, auch in den Annalen des Sports rühmlich verzeichnet zu werden.
Auf seiner Wanderung nach der Flucht vom Walfischfängerschiff »Bowhead« hatte es ihm die ungeheure Weite der großartigen Landschaft Kanadas besonders angetan. Oft sprach er von den unabsehbaren Möglichkeiten, die in diesem Reich der Zukunft noch vorhanden seien. Sein lang gehegter Wunsch, noch einmal dahin zurückzukehren und alles gründlich zu studieren, fand im Sommer 1929 als Berichterstatter des »Berliner Lokalanzeigers« Erfüllung. Und gerade hier mußte ihn das Schicksal in tiefster Einsamkeit ereilen. Er starb im Dienste seines Berufs, und er hat wahrlich nicht umsonst gelebt; denn er säte Freude in die Herzen vieler Menschen und erntete Anerkennung und – was mehr ist – Liebe. Und wiederum passen auf ihn die Verse aus Kellers Abendlied:
Fallen einst die müden Lider zu,
Löscht ihr aus, dann hat die Seele Ruh;
Tastend streift sie ab die Wanderschuh',
Legt sich auch in ihre finstre Truh'.