Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Sonne über Damaskus

Damaskus, im Mai

Als ich am späten Nachmittag nach Damaskus kam, da regnete es, und das ist kaum das richtige Wetter für Wege nach Damaskus. Denn die Sonne gehört zu südlichen Städten wie's tägliche Brot.

Was ist ein Nebel in Hamburg?

Eine Selbstverständlichkeit.

Bedeckter Himmel in Neapel?

Ein ärgerliches Erlebnis.

Regen in Damaskus?

Eine Katastrophe! –

In dieser Stadt verzeiht man den Göttern alles, aber den Regen nicht. Wo alles auf der Gasse zu Hause ist, ist es, als ob es jedermann in die gute Stube regnet. – Welcher Regen! Er trommelt auf dem Dach des Basars, er rieselt herunter an den Lehmmauern in die winkligen Gassen, er quillt über aus dem Fluß und fließt wie ein Wildbach durch die Kaffeehäuser, wo noch kurz vorher die rotbefesten Stammgäste ihr Tricktrack gespielt hatten. Fort die Taburette, fort die Wasserpfeifen, die Buden der Geldwechsler, fort auch das Kupferzeug, die Seidenwaren, die märchenhaft verlockenden Teppiche. Tauben sitzen mit eingezogenen Köpfen auf den Brunnen, die Esel stehen wie begossene Pudel, und alles, was die Sonne bisher verhüllt, verklärt und gnädig verschwiegen hatte, das wird auf einmal lebendig und zeigt ein häßliches Gesicht unter dem grauen Himmel.

Aber Allah ist mild und verzeihend und duldet nicht, daß alles offenbar werde; er wäre denn kein Gott des Morgenlandes! Gerade wenn man denkt, daß das nun so bald nicht wieder aufhören würde, kommt plötzlich wieder die Sonne, und plötzlich fängt das Leben dort wieder an, wo es eben aufgehört hatte. Man muß das gesehen haben, um zu verstehen, wie schnell so etwas vor sich geht. Es ist die alte Geschichte von Aladin und seiner Wunderlampe. Im Augenblick ist alles wieder strahlende Sonne. Nur da und dort fallen noch Tropfen von den Dächern, nur da und dort fegt einer das eingedrungene Wasser aus der Basarbude. Die Teppiche hängen wieder vor den Türen, die Tabourette stehen wieder auf der Gasse, die Wasserpfeifen gurgeln wieder, Bettler heischen wieder ihren Backschisch, und ringsum ist alles rot von den Fesen der Dominospieler. Ebenso schnell verlaufen sich die Wasser auf der Straße, die Esel schütteln sich und verkünden ihre Freude mit mißtönender Stimme, die Tauben fliegen davon im Sonnenglanze, die Katzen schnurren wieder vor den Barbierstuben, und alles ist wieder so, wie es sein muß, die Menschen, die Dinge und das Wasser.

Vor allem das Wasser. Wohl muß man sich fragen, wie wohl einem Beduinen der nahen Wüste zumute sein muß, wenn er aus Sand und Sonne seiner spröden Heimat plötzlich hineinversetzt wird in diese Stadt der springenden Brunnen, der sprudelnden Quellen und der laufenden Wasser, einem Ort, so nahe dem Paradies, das der Prophet ihm ausgemalt. Selbst der in solchen Dingen übersättigte Europäer kann über seinen ersten Eindrücken nicht umhin, dieser Stadt seine Reverenz zu erweisen. Ein arabisches Florenz, stellenweise fast ein Venedig.

Mitten in der Stadt kommt man vorbei an dem von zahlreichen Brücken überspannten Nahr-el-Barada, einem Arno im kleinen, dessen schnelles, vom Schlamm gelb gefärbtes Wasser im Frühjahr fast die Brückenbogen bricht. Auf weiter Strecke ist er in viele Kanäle geteilt und überbrückt von Basargassen, die er oft überflutet mit lustigen Wildbächen, was ihm niemand übelnimmt in diesem sonst so harten, dürren, wasserlosen Lande.

Aber der Stolz von Damaskus sind seine Gärten, die üppigen, vielbesungenen, nach denen gar manchem schon die Zunge lechzte, wenn er auf heißer Karawanenstraße gen Bagdad zog. Keine Gärten sind es in unserem Sinne, mit Blumen und sonstigem Zubehör, nur Felder, Lehmmauern und laufendes Wasser, und ringsum stehen die kahlen Berge, die rot glühen in der Sonne. So lagen sie schon hier zu Zeiten der großen Sultane, ja zu denen des Apostels Paulus und lange vorher. Älteste Geschichte träumt in diesen Gärten, und auch die neueste wurde hier beinahe gemacht. Noch im Jahre 1926, zur Zeit des großen syrischen Aufstandes gegen die französischen Mandatsinhaber, boten sie willkommene Schlupfwinkel für die Rebellen, die von hier aus ihren Angriff gegen die Stadt vortrieben, und zwar mit solchem Erfolg, daß dem damaligen Befehlshaber, General Sarrail, nichts anderes übrig blieb, als den Rückzug nach den umliegenden Bergen anzutreten, von wo aus er – natürlich im Namen der Zivilisation – einen großen Teil des Geschäftszentrums der alten Stadt mit Artillerie zusammenschießen ließ. Der Aufstand ist inzwischen unterdrückt. Tanks und Fliegerbomben haben die »Ruhe« wiederhergestellt, aber das Kriegsbeil ist noch immer ausgegraben zwischen der Stadt und ihren Gärten. Eine breite Bresche hat man geschlagen, die zu beiden Seiten, sowohl nach der Stadt wie nach den Gärten zu, kriegerisch aufgeputzt ist mit mächtigen, fortlaufenden Drahtverhauen und Blockhäusern, von deren Dächern die Maschinengewehre drohen.

Damaskus von heute: Wie mag es hier anders ausgesehen haben im Glück und im Sommer der Omaijadenkalifen. Wieviel Stolz hat man seither hier zu Grabe getragen, wieviel Größe, wieviel Glück und Leichtlebigkeit! Nun ist es hier so wie in anderen morgenländischen Städten, die alle so etwas von einem heruntergekommenen Grandseigneur an sich haben.

Da ging ich heute über die berühmte »Straße, die sich die Breite nennt«. Ihr Pflaster ist holprig und schmutzig, und breit ist sie auch nicht nach unseren Begriffen. Die anderen sind alle eng und winklig, überwölbt von Arkaden, überschattet von Balkonen, die einen aus braunen Lehmmauern fensterlos anstarren. Vor den Türen hängen die kunstvoll geschmiedeten Klöppel. Um jede Krümmung sieht man ein Minarett. Dann kommen wieder Stadtmauern von ungeheurem Ausmaß wie für die Ewigkeit gebaut, eiserne Tore mit seltsam verschnörkelten Inschriften: lebendiges Mittelalter!

Eine Gasse ist wie die andere. Man verirrt sich in dem Labyrinth. Aber schon ist man wieder auf der »Straße, die sich die Breite nennt«, im Gewimmel der Fese. Turbane leuchten in der Sonne. Packpferde schreiten daher wie wandelnde Warenballen. Reiter kommen auf stolzen, fabelhaft aufgeputzten Maskateseln, schnaubende Autobile und Kutschen, deren Pferde mit blauen Perlenkränzen geziert sind zum Schutze gegen den bösen Blick. Und nebenan hämmern die Schuhmacher an ihren Pantoffeln und die Sattler auf das Lederzeug, und überall in den Buden ist es rot von Schmiedefeuern und lebendig vom Takte der Arbeit.

Der eigentliche Basar ist freilich eine rechte Enttäuschung. Ich habe schon bessere gesehen in Täbris, Ispahan und anderen Plätzen. Billigster europäischer Schund ist es meist, der feilgeboten wird in diesen Buden, vor denen auf hohem Postamente der Besitzer mit gekreuzten Beinen sitzt und schläft wie der kleine Muck im Märchen und auf die Kundschaft wartet, die selten kommt. Und doch – auf einmal steht man vor Schätzen, die hier ausgebreitet liegen! – Das wahre Kunsthandwerk! – Die Erbweisheit der Handwerker, die sich auch bei uns einst fortpflanzte von Geschlecht zu Geschlecht, hat heute noch in Damaskus – zwar auch keinen goldenen Boden mehr, aber doch noch eine gesunde Lebensfähigkeit, die man anderwärts vergebens sucht. Wer nie in einer Basarbude zu Damaskus geschwelgt hat im Anschauen der Wunderdinge Damaszener Schmiedekunst, der wird sich nimmermehr einen rechten Begriff machen können von dem Zauber solcher Umwelt. Muffig, dumpf, märchenhaft halbdunkel ist es in der Bude. Nur vereinzelte Lichtflecke wandern unruhig über die Schätze an der Wand und auf den Regalen: mächtige Teller, schwer mit Silber eingelegt, geschnitzte Kamele, Drachen, die schaurig aus dem Hintergrund hervorgrinsen, Kaffeeservice zum Verlieben und schwere Ampeln, die den Weihrauchduft verbreiten, der dem zungenfertigen Verkäufer die Hälfte seiner Beredsamkeit ersetzt. Romantische Kupferkisten mit grotesken Füßen und in Silber getriebenen Koransprüchen, in deren Betrachtung man sich tief versenken kann, derweilen alles aufsteigt, was man einmal gehört und gelesen hat von schlimmen Sultanen und vergrabenen Schatzkisten. – Aber freilich soll es hier auch schon irgendwo eine Fabrik geben, wo sie so etwas laufend am Bande erzeugen. –

So ist Damaskus, das arabische Rom, die Stadt der dreihundert Moscheen, der vielen Minarette, der zerfallenen Paläste, der vielbedeutenden Gräber, umwittert von den Schauern der Geschichte. Hier liegt Fatima, die Tochter Muhammeds, Abd el Kader, der einstige Franzosenschreck, und Sultan Saladin, auf dessen Grab der deutsche Kaiser einen Kranz niederlegte, den dann die Engländer als Siegesbeute entführten und nach London brachten.

Damaskus, die Moderne, in der sportmützige Chauffeure einen mit funkelnden Goldzähnen anlachen und Beduinen in voller Wüstenbemalung dem Tanze loser Frauen im Café-Concert zusehen. – So tief ist die Welt schon gesunken!

Und da ist der Himmel der Wüste, der Abend, der blutrot hinter den Hügeln aufsteigt, da sind die Kuppeln der Moscheen, die Minarette, die in den letzten Sonnenstrahlen blitzen, die Frösche, die in den Gärten quaken, die Dunkelheit, die wie ein weicher Mantel über die Landschaft sinkt. –

Und der Mond über Damaskus – –

 


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