Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Krieg um Fifi

Damaskus, im Juni 1929.

Wenn man von Süden her zuerst nach Damaskus kommt, so sieht man schon von weitem Flugzeuge in der Luft, ein großer Flughafen befindet sich irgendwo in der Ebene. Die Straße wird lebendig von Wagenkolonnen und »horizontblauen« Uniformen, die man nur allzugut kennt. Je näher der Stadt, desto kriegerischer wird das Bild. Kasernen und Barackenlager, wohin man schaut, und überall Militär. Blaue Poilus, khakifarbige Marokkaner, Senegalesen, so schwarz wie Stiefelwichse, rotbemützte Fremdenlegionäre, Spahis in roten Mänteln und phantastisch weiten Hosen, »Maharisten« (Kamelreiter) in flatternden Burnussen, Anamiten, Chinesen, Malgaschen und was sonst noch im Solde steht bzw. zum Dienste gepreßt werden kann für die »Große Nation«. – Wo französische Soldaten sind, da kommen auch die Mädchen nicht zu kurz, und also hat sich alles eingestellt, was gewöhnlich hinter dem Kalbfell hertrippelt. Chansonetten, Midinetten, Variétégirls; große Pariser Damen, dernier cri, weiß gepudert, mit Lippen, rot wie ein Spahimantel . . .

Es ist wirklich ganz »comme chez nous«. Oder doch: wie es einmal war, damals, als der französische Imperialismus auf seiner Höhe stand, als der Franken alle Tage wertvoller wurde, und die französischen Rentiers, zahlreich wie die Heuschrecken, kamen, um sich häuslich bei uns niederzulassen. Damals, als General de Metz noch in der Pfalz regierte . . .

Auch sonst entspricht das äußere Bild in manchen Zügen jenen bewegten Zeiten; oft hat man sogar den Eindruck, als ob man sich mitten im Kriege befände. Soviel offen zur Schau gestellten Stacheldraht, soviele Wolfsgruben, Schützengräben, Blockhäuser, Maschinengewehrnester wie in Damaskus, dürfte es wohl heute in der ganzen Welt nicht mehr geben. Wohin man blickt, jede Kaserne, jede militärische Baracke ist umgeben von einer Hecke von Stacheldraht. Ganze Straßenlinien sind niedergerissen, um freies Schußfeld zu gewinnen. Vor den Baracken stehen Posten unter Gewehr, und überall erkennt man die Anzeichen des Belagerungszustandes, von dem bekanntlich gesagt wurde, daß ein Esel mit ihm regieren könne . . .

Aber auf den Bajonetten läßt sich nicht gut schlafen. So kocht und brodelt es unterirdisch weiter wie in einem Vulkan, der eine Pause macht zwischen zwei Ausbrüchen. Bei solcher Atmosphäre bedarf es keiner besonderen Veranlassung – – und das Gewitter entlädt sich. Kleine Ursachen, große Wirkungen. Man sagt, daß Algerien seinerzeit um einer Ohrfeige willen erobert wurde. Was man sich aber hier als Grund des letzten großen Aufstandes in Syrien erzählt, das dürfte denn doch noch nicht dagewesen sein. Araber sind phantasiebegabte Menschen, und da sie viel Zeit im Kaffeehaus verbringen, steht die Kunst des Märchenerzählens auch jetzt noch in Blüte, besonders auf dem Gebiete der Politik. Diese Geschichte aber ist so ganz französisch, daß man sie nicht erfunden haben konnte, nicht einmal in einem Kaffeehause zu Damaskus. Erzählen wir sie also, wie sie uns erzählt wurde:

Jeder, der einige Zeit Gelegenheit hatte, das Leben und Treiben der Besatzungstruppen zu beobachten, weiß, daß es bei ihnen in höheren Chargen eine unzertrennliche Dreiheit gibt: Monsieur, Madame und – Fifi. Nun herrschte damals im Lande der Drusen ein sehr tüchtiger Gouverneur, dessen »Fifi« – ein bildschöner Pudel – durch frevlerische Hand in die glücklichen Jagdgründe befördert wurde. Vielleicht war er auch sonst zu Schaden gekommen – genau ist der Fall niemals aufgeklärt worden –, jedenfalls kochte die gouvernementale Seele. – Wie? Seinen Hund hatte man umgebracht? Einen französischen Hund? Das schrie nach Vergeltung. Sogleich erging eine Botschaft an das Volk der Drusen, daß jeder Zelthaushalt so und so viele Schafe als Buße zu bezahlen habe. Da schüttelten die Untertanen die Köpfe. Sie rotteten sich zusammen und murrten. Sie schickten eine Abordnung zum Oberkommissar in Beirut, um den Ukas rückgängig zu machen, aber ohne Erfolg.

Wie, ein chien militaire – ein französischer Hund?

Und also brach am andern Tage der Aufstand der Drusen los, der Aufstand der verweigerten Hammel, der Krieg um Fifi. –

Wie immer bei solchen Gelegenheiten, so hatte auch diesmal wieder die französische Propaganda in der ganzen Welt so gearbeitet, daß kein Mensch wußte, um was es sich eigentlich handelte. Wie sie die deutschen Soldaten einst als Kindermörder verschrie, so machte sie die biederen Drusen zu »Teufelsanbetern« und verbreitete schaurige Bilder von diesen Kannibalen.

Und was war nun näherliegender, als daß man sich in die Toga des Mandatswächters hüllte, der mit Opfern von Gut und Blut das unglückliche Volk der Syrier, die bedrohten Kunstschätze von Damaskus vor dem Ansturm der Barbaren schützte? – Nur freilich lagen die Dinge anders, als sie verbreitet wurden, und weit entfernt, vor den »Teufelsanbetern« zu erschrecken, schloß sich vielmehr beim ersten Sturmsignal die Elite der arabischen Einwohnerschaft von Damaskus den Aufständigen an unter Führung keines geringeren Mannes als des Emirs Abd-el-Kader, des Enkels jenes berühmten algerischen Freiheitshelden, der seinerzeit jahrzehntelang der französischen Herrschaft in Algerien getrotzt hatte.

Der Zeitpunkt zum Aufstand konnte in der Tat nicht besser gewählt werden. Der Kampf gegen Abd el Krim in Marokko hatte alle Kräfte der französischen Kolonialmacht in Anspruch genommen. Syrien war von Truppen entblößt. Ungehindert drangen die Rebellen in die umgebenden Gärten ein, überfluteten die Bazare, deren Dächer heute noch wie Siebe von Flintenschüssen durchlöchert sind. Tagelang stand die Besatzungsarmee mit ihrem Anhang zusammengepfercht hinter Stacheldraht in den Delegationsgebäuden inmitten der Stadt. Der damalige Oberbefehlshaber, der kürzlich verstorbene General Sarrail, befahl den Rückzug auf einen der umgebenden Hügel, und dann geschah etwas, das eingereiht zu werden verdient unter die bleibenden Denkmäler französischer Kolonialpolitik: wie ein Erdbeben zitterte die alte Stadt unter der Beschießung. Flammen wüteten. Moscheen fielen in Schutt. Minarette stürzten wie Kartenhäuser – ah, und das unter den Bomben derer, die zehn Jahre lang über die Kathedrale von Reims gejammert hatten! – Basardächer splitterten, der Schrecken raste durch die Gassen. Nachdem solchermaßen die Stadt »sturmreif« gemacht worden war, avancierten die Tanks, zermalmten die Gärten unter ihrem Gewicht und fuhren wie feuerspeiende Ungeheuer in die Gassen hinein, wo alles niedergeschossen wurde, was noch lebendig war.

So geschah es im Jahre 1926, im siebten Jahre des »Friedens« von Versailles, und noch heute liefern die Trümmerstätten und Stacheldrähte eine lebendige Illustration zu dem Geschehenen, zu den schönen Worten des Mandatsvertrages:

»In sacred trust of civilisation . . .«

Nur die Hilfe der tscherkessischen Parteigänger und der Legion, die aus den Flüchtlingsscharen des nicht umzubringenden Volkes der Armenier gebildet worden war, verhinderte damals den vollkommenen Zusammenbruch. Völlig niedergeworfen wurde der Aufstand erst, nachdem durch die Beendigung des marokkanischen Feldzugs Truppen frei geworden waren. Seither herrscht »Ruhe in Syrien«. Ruhe und Stacheldraht und Doppelposten und Polizeipatrouillen, die allnächtlich ihr Losungswort durch die stillen Gassen schreien.

Aber wohl muß man sich fragen, ob das denn der Sinn des Mandatsvertrags war? Vier Jahre lang hat man während des Krieges diesem Volke der Araber von seinen Rechten gesprochen und ihm eine Zukunft in Schönheit und Unabhängigkeit vorgegaukelt, damit es Rekruten gegen die Türken stelle. Statt dessen kam das »Mandat«, statt dessen kamen die Spahis, die Turkos, die Senegalneger, die Fremdenlegionäre, kamen Tanks und Stacheldraht und Fliegerbomben und Fifi und die Madamen.

Hat man darauf gehofft, darum gekämpft, darum gebetet in den Moscheen? Wo ist man näher den Bajonetten als heute in Damaskus? Wo findet man mehr von der wilden Romantik des Krieges? Da ging ich neulich durch eine wüste Gasse, in der die Schenken sich dicht aneinander reihen.

»Autorisés pour la vente aux troupes . . .«

Finstere Kneipen ringsum, helle Uniformen in schreienden Farben und was sonst noch dazugehört. Es war ein Samstagabend, und da wenigstens hatte man von der armseligen Löhnung etwas übrig für eine Flasche schlechten Weins und eine Buddel von dem miserablen Araberschnaps. Am Schenktisch stand ein großer, blonder Junge, dessen Gesicht vom Wein gerötet war und der Französisch wie ein Frankfurter sprach.

»Halt' deine Gosch!« rief eine Stimme aus dem Hintergrund.

»Ho là, le bleu!« brüllte ein Senegalneger mit Unteroffizierstressen. Schon lagen sich beide um den Hals, und auf einmal brauste es durch den Saal, daß die Scheiben zitterten:

»Nous sommes les légionairs d'Afrique . . .«

Ich aber hatte genug für den Abend.

 


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