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(Ein Nachwort, Ende Dezember 1924)
Wieder einmal gärt es in dem interessanten Lande Albanien, wo die Revolutionen so häufig sind wie bei uns die Reichstagswahlen. Verständnislos steht der Zeitungleser diesen Vorgängen gegenüber. Er liest von Dingen, die für ihn nur Namen ohne Bedeutung sind, und kommt endlich zu dem Schluß, daß es eben Albanien ist, wo Unruhen und Revolutionen zur Umwelt gehören wie das Amen zur Predigt. Nur wenige sind sich der Tatsache bewußt, daß es sich hier um ein hohes Spiel handelt auf dem Schachbrett der großen Politik.
Albanien ist heute in Europa noch das einzige Landgebiet ohne feste staatsrechtliche Bindung in unserem Sinne; eine Art Niemandsland, das dem Zugriff begehrlicher Nachbarn scheinbar willenlos ausgesetzt ist. In dieser Beziehung gleicht es einer anderen Gegend, die viel genannt wurde in der Tagespresse: das Land der Rifkabylen an der nordafrikanischen Küste. Hier wie dort ist die eigentliche Staatsautorität aufs äußerste beschränkt durch die Macht der Beis, die – jeder für sich – praktisch eine Art Souveränität ausüben als Häupter ihrer Stämme. Scheinbar unauslöschlich ist diese Verfassung eingeprägt in die Anschauungen des Volkes. Sie hat standgehalten auch angesichts der jahrhundertelangen Gewaltherrschaft der Türken, die zuletzt den unbändigen Freiheitsdrang des Landes nur dadurch im Zaum zu halten verstanden, daß sie die albanischen Beis und Paschas durch hohe Stellungen im Heere und in der Verwaltung für die Angelegenheiten des ganzen Reiches interessierten.
Seitdem nun der Friede von 1912 dem Lande eine unerwartete und von den Massen des Volkes im Grunde nie gesuchte »Unabhängigkeit« in den Schoß warf, ist man in gewissen Kreisen nicht müde geworden, das vielgeplagte Land nun auch mit einer »modernen« Verfassung von irgendeiner Sorte zu beglücken. Die Affäre des Prinzen Wied ist vorübergegangen, ohne eine Spur zu hinterlassen, es seien denn die Trümmer des zerschossenen Königspalastes in Durazzo als trauriges Zeugnis der kurzlebigen Königsherrschaft.
Wenn man wenigstens aus diesem Schicksal eine Lehre gezogen hätte! Weit davon entfernt, wurde nun das Land erst recht ein Tummelplatz politischer Homöopathen und nationalökonomischer Quacksalber. Nachdem der König verspielt hatte, versuchte man es mit einer republikanischen Verfassung mit Parlament und allem Zubehör. Auch diese Herrlichkeit war nur von kurzer Dauer. Der vorübergehend an die Wand gedrückten Partei der Beis entstand ein Führer in dem jungen, tatkräftigen Ahmed Bei Zago, der in schnellem Siegeszug die Macht an sich riß, die er und seine Partei, abgesehen von einigen demokratischen Scheinkonzessionen, nach altgewohntem Muster ausübten. Eine neue Revolution brachte die demokratisch-parlamentarische, besser gesagt, die Advokatenpartei, abermals ans Ruder, allerdings nicht ohne Unterstützung der klerikalen, griechisch-katholischen Kreise, deren Führer, der Pope Fan Roli, nunmehr auch zur obersten Würde des Ministerpräsidenten gelangte. Seine Herrschaft war anscheinend nur kurz, denn wenn man den neuesten Berichten glauben darf, sitzt inzwischen schon wieder die Partei des Beis an den Pfründen in Tirana.
Was hat es nun auf sich mit diesem politischen Schaukelspiel?
Hier muß man bedenken, daß im Orient die Religion eine größere Rolle spielt und breitere Gräben zwischen Mensch und Mensch zu ziehen pflegt als z. B. die der Rasse im westlichen Europa. Und gerade in religiöser Hinsicht ist das albanische Volk hoffnungslos gespalten. Der weitaus größte Teil ist zwar mohammedanisch, aber daneben gibt es Landstriche mit vorwiegend griechisch oder römisch-katholischer Bevölkerung, von denen keiner dem andern über den Weg traut. Das ist nun der Punkt, wo die Intrigue fremdländischer Agenten einsetzt. Italien und Jugoslawien sind die beiden lachenden Erben, die schon seit Jahren mit wachsender Ungeduld nach der Beute schielen, und es ist zwischen ihnen nur die Frage, wer einmal das größere Stück des albanischen Kuchens bekomme. Ein italienischer Lire ist heute nicht viel wert und ein serbischer Dinar noch viel weniger. Trotzdem leisten beide gute Arbeit auf albanischem Gebiete. Große, mit allen modernen Waffen wohl ausgerüstete Komitatschibanden werden in aller Ruhe und Sicherheit auf serbischem Gebiet ausgerüstet und bei passender Gelegenheit zusammen mit einheimischen Revolutionären über die Grenze geschoben. Genau so kamen einst die berüchtigten amerikanischen Flibustierexpeditionen bei Nacht und Nebel über die Key-Weststraße und lieferten schließlich der ach, so friedfertigen Regierung der Vereinigten Staaten den Vorwand zur Vertreibung der Spanier aus Cuba. Es ist demgegenüber reine Stimmungsmache, wenn serbische Nachrichtenbüros dauernd von albanischen Grenzüberfällen oder gar von einer Bedrohung Mazedoniens von seiten Albaniens zu berichten wissen. Bei den schlechten Finanzen Albaniens ist die Unterhaltung eines stehenden Heeres fast eine Unmöglichkeit. Ich selbst bin auf meiner Reise von Albanien nach Mazedonien auf albanischem Gebiet kaum einem Grenzjäger, geschweige denn einem Soldaten begegnet, während auf serbischer Seite alle Berggipfel befestigt waren mit Blockhäusern, hinter denen die regulären Truppen in Feldlagern hausten, bereit zum kommenden Überfall.
Eine womöglich noch größere Gefahr droht dem geplagten Lande von seinem westlichen Nachbarn überm Meer, der begehrlich nach diesem Schlüssel zum »Mare nostro« schielt. Eine intensiv betriebene »pénétration pacifique« ist im Gange. Nun wartet man nur noch auf Unruhen, die man alsdann genügend aufbauscht, um endlich – womöglich mit einem Mandat des Völkerbundes – einzumarschieren »zur Wiederherstellung der Ordnung«. Der erste italienische Untertan, der sein Leben lassen müßte auf diesem Boden, wäre ein Mortimer, der sehr gelegen gestorben wäre für die Zwecke Mussolinis!
Bisher war es die gegenseitige Eifersucht, die beide Reflektanten von einem Verschlucken der Beute abgehalten hat. Wenn aber nicht alle Zeichen trügen, so ist man inzwischen zu einer Einigung gelangt zwischen Rom und Belgrad. Serbien, das ohnehin schon im ehemaligen Vilajet Kossowo Hunderttausende von Albaniern gegen alles Menschenrecht in schmachvoller Unterdrückung hält, wird nun bald noch ein weiteres Stück an sich reißen, Italien wird auch nicht zu kurz kommen, und das alles wird geschehen mit Zustimmung und unter dem Segen des Völkerbundes, der bekanntlich gegründet wurde »zum Schutze der kleinen Nationen«. –