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Honolulu, im August
Ich habe schon früher erwähnt, daß Honolulu heute die große Mode ist im Yankeeland, das letzte Wort in Wallstreet, der Platz, wo man gewesen sein muß, wenn man mitreden will in der Gesellschaft. – Ah, aber Honolulu und mit ihm die große Insel Oahu hat noch ein anderes Gesicht! Das kommt einem deutlich zum Bewußtsein, wenn man mit der kleinen Eisenbahn ein Stückchen westwärts fährt nach der Station von Perlhafen, wo ringsum die Berge gespickt sind mit Kanonen und große, graue Kriegsschiffe im stillen Wasser liegen. Wohin man schaut, sieht man mächtige Petroleumtanks, die hochragenden Masten der drahtlosen Telegraphenanlage und die platten Leiber der einst so viel geschmähten und jetzt auf einmal wieder so human gewordenen Unterseeboote. –
Nein, Oahu ist nicht nur Palmen und Tropensonne und sandiger Strand und Hula-Hulamädchen, sondern vor allem auch das Glacis der Vereinigten Staaten, das drohend nach Osten blickt. Es ist das Helgoland des Pazifik, der stärkste Außenposten des amerikanischen Imperialismus, der sich Petroleum buchstabiert, manchmal aber auch Zucker. Alle großen Rohrzuckerländer sind nach und nach in seine Hände gekommen: Kuba, Porto Rico, Haiti, die Philippinen und nicht zuletzt Nicaragua. Nicht zuletzt Hawai mit einem Export von einer halben Million Tonnen. Wohin man schaut, sieht man die Felder, die hellgrün in der Sonne leuchten. Ab und zu passiert man eine mächtige, mit allen modernen Errungenschaften ausgerüstete Fabrik oder ein Pumpwerk, das Bergwasser über die Felder breitet. Schnurgerade gehen die Straßen in endlose Fernen. Weit und breit ist kein Unkraut zu sehen. Alles ist berechnet und gemessen, ausgenutzt bis aufs letzte, ein Wahrzeichen echter amerikanischer »efficiancy«. Es ist etwas Unheimliches in solcher Mechanisierung der Landschaft, die mit den Wünschen und Bedürfnissen des Landes selbst gar nichts mehr zu tun hat. Es reduziert sich alles auf eine Gleichung: Boden plus Dünger gleich Dollars; eine Gleichung, die nicht immer aufgeht, wie man plötzlich mit Staunen sieht. Da hat es einmal einer mit der Sisalkultur versucht, und es gab eine Gleichung: Boden plus Sisal gleich Wüste. Nun liegt das Land brach, eine Wüste von Sisal, aus derem stacheligen Dickicht die Triebe wie Bäume hervorschießen. Die Spekulation ist mißglückt, die Aktien sind abgeschrieben, mag aus dem Lande nun werden, was da will. Den Sisal, den man brachte, wird man aber nicht mehr los. Die Wüste wächst und schafft als Teufel. Nur da und dort stehen kümmerliche Algorrobebäume, weiß vom Kalkstaube, der auf den Korallenfelsen liegt.
Doch ganz plötzlich ist man wieder in einem Gartenlande, wie es so sauber und ordentlich und ausgenützt nur unter Chinesenhänden entstehen konnte. Die Häuser – oder wie man diese Dinger wohl nennen mag – sind elende Blechbuden, aber das Land ist ein einziger großer Garten. Aus der Region der Dampfpflüge kommt man unvermittelt wieder in die der Ochsenkarren, Ochsenpflüge, in die Region der Zeit, die nicht gerechnet wird, und der Arbeitskraft, die gar nicht zählt. Der Reis wiegt sich im Winde wie ein junges Weizenfeld bei uns zu Hause. An anderen Stellen paddeln Mann, Frau und Kinder im überschwemmten Schlamm und pflanzen jedes einzelne Blatt mit religiöser Gewissenhaftigkeit. Es ist Sonntag, aber was tut's? Sechs Tage sollst du arbeiten und am Sonntag Reis pflanzen. Das kennt keinen Sonntag, kein Weekend und solches Teufelswerk der Franken. Denn so war es Brauch bei den Vorvätern zu Konfucius' Zeiten, so taten sie es unter der Songdynastie, so tut man es heute auf Hawai. Was man sich wünschen kann an Tropenprodukten, das wächst in dieser Erde: Bananen, Mangos, Papayas, Melonen. Überall sieht man das helle Wasser von den Bergen rieseln, man sieht es in faulen Tümpeln stehen, in denen die Büffel sich wohlig wälzen. Man glaubt in der Gangesebene zu sein, oder irgendwo am Ufer des Hoang Ho oder auf Nippon; das Lächeln Asiens liegt über Hawai.
Aber wo, so fragt man sich immer wieder, wo sind eigentlich die Hawaianer? Wir kamen durch eine weite Ebene, die wieder ganz Zuckerrohr ist, mitten zwischen den kümmerlichen Überresten zahlreicher alter Dörfer und Tempel der ehemaligen Eingeborenen.
Wohin sie wohl verschwunden sind?
Ja, wohin? Wohl dorthin, wo heute die Indianer sind. An einer von der Brandung umtobten Steilküste, die mit dem Gegensatz von dunkelblauem Meer und grauer, trostloser Bergküste an Dalmatien erinnert, führt das Züglein weiter und macht viele Stationen, um die Fischer aufzunehmen, die mit vielen Angeln, aber ohne Fische die Heimreise antreten, eingedenk des Wortes von Mark Twain: »Ein Angler ist eine lange Leine mit einem Wurm an einem und einem Narren am anderen Ende«.
Auf der anderen Seite der Insel kommt man unversehens in das, was man hier am letzten vermutete: in einen Wald; nicht etwa eine Urwalddschungel, in der die Natur in sinnverwirrendem Wachstum über die Schnur schlägt, sondern ganz europäisch-manierlich, mit australischen Eisenholzbäumen, die schnurgerade, militärisch stramm wie die modernen amerikanischen Collegeboys in langen Reihen stehen. Auf der ganzen Welt gibt es kein Gewächs, das so grau und nüchtern ist wie ein Eisenholzbaum. Aber so aufdringlich sind die Farben des Meeres, daß sie auch diesen beleben, zumal jetzt, wo die untergehende Sonne einen Goldregen durch das Nadelholz sandte.
»Es steht ein Wald im Feuer
Im feurigen Sonnenbrand«.
Der Wald ist als Schutzwall gegen das Meer angelegt, damit die Ananas keine nassen Füße bekommen. Diese süßen Inseln produzieren nicht nur Zucker ohne Ende, sondern auch noch Ananas genug, um eine jährliche Ausfuhr von einer Million Kisten zu ermöglichen. Alles ist hier Ananas vom Meeresstrand bis weit hinein in die Hügel, die blau verdämmernd zu mächtigen Bergen ansteigen, deren Gipfel in der Sonne glühen, während in den Tälern schon die Nachtschatten liegen. Und es ist auch hier alles wieder so angelegt in jener amerikanisch-raffinierten-unpersönlichen Art, die einen an Dividenden denken und darüber die Natur vergessen läßt. Dieselbe Gleichung mit einer anderen Unbekannten: Boden plus Ananas gleich Dollars, und viele Dollars.
Viele Dollars! Je länger man sich in diesem Lande umsieht, desto mehr kommt man zu der Erkenntnis, daß es hier sehr vielen Leuten sehr gut geht. Oder was braucht einer noch zum vollendeten irdischen Glück als so ein Honolululandhaus, das in griechischer Schönheit vom Berge herunterblickt aufs blaue Meer? Und Butler und Footman und Chinesen, die den tadellos geschorenen Rasen spritzen? Und ein Auto, mit dem man auf glatten Asphaltstraßen alltäglich zum Klub, zum Golf, zum Tennis fährt, ohne kaum je einen Gedanken ans business, das ganz von selbst geht, ohne je eine Mühe im Leben, das nur ein geschäftiger Müßiggang ist?
Nacht ist es über Honolulu. Es trippelt in den Straßen, es klappert von Holzpantoffeln, in den Läden ist noch überall Licht, denn der ferne Orient kennt keine Ruhe. An einer Straße steht ein wandernder Predigtamtskandidat hinter einem großen Schild, auf dem etwas Chinesisches geschrieben steht. Vor ihm sitzen mit verkreuzten Beinen Chinesen-, Japanesen- und Malaienkinder und schauen ihn mit leeren Augen an, derweilen er sich mit ihnen abmüht.
Seltsame Poesie der Gassen: Ist auch sie im Schwinden begriffen, im Untergehen im Meer der »respectability«, die heute wie eine Pest durch alle Länder geht? Was ist eigentlich geworden aus den glorreich-wilden, bösen Gassen und wilden Seemannskneipen von Anno dazumal? Ach, es ist alles geordnet und diszipliniert. Es läuft zu den Fußballmatchen, zu den Boyscouts und Jünglingsvereinen. Man sieht Soldaten reihenweise icecream lutschen und Matrosen sich an Limonade stärken.
Honolulu – ja, es ist doch nur ein Talmiparadies, ein Ersatz-Samoa. Entzauberte Südsee!