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Über das Elsaß wird, wie einst, wieder viel geredet und geschrieben. Betrübt müssen wir es feststellen: Noch immer ist es das Land der »Affären«, die bald rechts des Rheins, bald links der Vogesen das Blut in Wallung bringen. Wie wäre es also, wenn wir selbst hier ein wenig plauderten über uns und unser Land, damit endlich auch einmal wieder andere erfahren, daß bei uns nicht nur Hägyprozesse und Zabernaffären wachsen, daß das Elsaß nicht nur das Heimatland des mit sich und aller Welt unzufriedenen »Hans im Schnokeloch« ist, sondern auch ein liebes, feines Ländel, das – wenn man es nur in Ruhe läßt – seine Kinder nährt und mit Liebe erfüllt?
»Oh, kein Geschick soll je von dir mich trennen,
Du Land, wo meiner Kindheit Wiege stand!
In heißer Liebe soll mein Herz dir brennen,
Gott schütze dich, mein teures Elsaßland!«
So sang einst der Dichter Christian Schmitt, und er sang es allen Elsässern aus dem Herzen und auch allen den vielen, die in vergangenen Vorkriegszeiten im Elsaß heimisch geworden waren, wenngleich wir nicht verschweigen wollen, daß es manche gegeben hat, die jahrelang zwischen Rhein und Wasgau wohnten und dann das Land mit einem Fluch und einem Steinwurf wieder hinter sich ließen. Schwer ist es, den Zauber der elsässischen Landschaft zu erklären. Fangen wir oben an, bei den Bergen. Wenn man klein ist, sind die Berge groß. Ich habe seither noch größere gesehen, vom Himalaja angefangen, aber trotzdem will es mir auch heute noch nicht in den Kopf, daß man nicht diese alle in eine Ecke stellen könne, zwischen Donau und Belchen. So groß, so schön und frei scheinen die Bergmatten der Vogesen, wo die Käse so groß wie Wagenräder aus den Sennhütten kommen. Von fern und nah tönt das Glockengeläute der Herden, und weithin schweift der Blick über die blau verdämmernde Rheinebene, bis hinüber zu dem gesitteteren Schwarzwald, wo vor jedem Berg ein Bad, in jedem Tal eine Sommerfrische steht. Ruppiger und struppiger, romantischer sind die Vogesen.
Der Franzose ist kein Freund des Waldes. Eher würde er an eine Reise nach dem Monde denken als an eine Wanderfahrt im Walde. So fanden die einziehenden deutschen Forstmeister anno einundsiebzig ein Waldgebirge vor, das in seiner Ursprünglichkeit wohl mit einem kanadischen Urwald wetteifern konnte. Der »Schwob« erst entdeckte das Gebirge und durchzog es nach allen Richtungen mit den Vogesenpfaden, auf denen es sich wunderbar weich, wie auf Teppichen ging. Und der Einheimische, der anfänglich mißtrauisch dem Beginnen zugeschaut hatte, fand Gefallen daran und wanderte in den Wald, wie die richtigen »Schwobe«, bis dann wieder die Franzosen kamen, denen eine Gänsehaut über den Rücken lief beim Anblick der wiedergefundenen Brüder, die so nach Art der Boches in den Wald liefen avec le rucksac Nun lassen sie die Pfade verfallen, und bald wird wieder alles ein französischer Urwald sein, abseits von den schönen Automobilstraßen, die jetzt überall angelegt werden, pour faire le pélerinage aux champs d'honneur, zu den Denkmälern, die heuer wie die Pilze aus dem Walde schießen. Andere Völker, andere Sitten. »Die Franzosen sind kitzelig auf dem Buckel,« sagt der Einheimische. – Doch da sind wir schon am unteren Rande des Bergwaldes angekommen und gehen noch ein wenig steil bergab durch einen hellen Hain von »Keschtebäumen«, bis wir unversehens vor den roten Mauern eines eng zusammengehuddelten, rings von Reben umkränzten ehemaligen freien Reichsstädtchens stehen. Kaysersberg oder Reichenweier oder Thann oder Türkheim. Jedes einzelne schön zum Verlieben. Wir gehen durch krumme Gassen, auf buckligem Pflaster und halten endlich vor einem vielverschnörkelten Wirtsschild, unter dem das Automobil eines Genießers steht. Durch die lärmende Wirtsstube gehen wir hindurch ins Herrestüble, wo die Wirtsfrau in der ganzen Würde ihrer schon erheblich auseinandergegangenen schlanken Linie selbst erscheint, mit süßsaurer Miene.
»Bon jour, monsieur, was b'liebt Ihne?«
Ja, was uns jetzt schnell beliebt? Pommes frites, Artischocken, Forellen aus dem Bach – denn wisse: Im Elsaß allein verstehen sie richtig zu kochen und das Gekochte zu genießen! Man hat da schon ein eigenes Wort dafür geschaffen: »Plättle machen«. Und einen eigenen Stand: die »Plättlemacher«. So sitzen auch wir und machen Plättle im Kreise der anderen, und abends, wenn wir eigentlich genug gegessen haben und der Kopf schon schwer ist von dem Weine, gehen wir noch ein wenig spazieren zwischen den wunderlichen Hausgiebeln, über die das Mondlicht wandelt, und hören ein wenig das Schreien der Katzen und das Schwirren der Fledermäuse und sehen die schwarzen Wälder, die schwer wie Träume an den Hügeln hängen, und kommen über altertümliche Plätze, wo die Madonnenbilder auf den Brunnen stehen, und lauschen noch eine Weile dem Plätschern des Wassers, und plötzlich fällt uns ein, daß wir schon lange keinen Wein mehr getrunken und keine Plättle mehr gemacht haben, und schnell eilen wir über den Platz zum nächsten Wirtshausschilde, wo uns eine ebenso würdige Wirtsfrau mit ebenso süß-saurer Miene begrüßt.
»Bon soir, monsieur, was b'liebt Ihne?«
Und am anderen Morgen geht es weiter hinein ins helle Land, vorbei an Bergen, auf denen die Burgen stehen mit ihren stolzen Namen aus längst vergangener Kaiserzeit. Und alte Klöster und verwachsene Heidenmauern, und was sonst noch so auf Berggipfeln stehen mag zwischen dunklen Wäldern, in denen Riesen und Zwerge und Hexen und Heinzelmännchen einmal ihr Unwesen trieben. Und immer wieder geht man durch krumme Dorfgassen, vorbei an plaudernden Brunnen und an wunderlichen Häusern.
Und immer ist da wieder die Rebe und der Wein. Der beste wächst dort, wo die Burgen am dichtesten auf den Bergen stehen und Städte und Dörfer sich am engsten in die Täler zwängen, wo also, mit anderen Worten, die Landschaft am elsässischsten ist. Dort liegt Rappoltsweiler, gleich am Fuße der Rappoltsteins.
»Der Traubenblüten Düften
Durchgeistigt dich wie Wein,
Und aus den blauen Lüften
Grüßt dich der Rappoltstein.
Wie zieht mich doch dein Winken
Zu dir in Ernst und Scherz –
Wie möcht' ich selig sinken
Dir an dein steinern Herz!«
Mancher hätte das schon gemacht, wenn im Frühjahr der gelbe Ginster an den steilen Hängen hinaufkletterte und ringsum die Täler vergraben waren im weißen Meere der Blüten, wenn im Herbst die roten Astern aus den Gärten leuchteten und dazu der Wein im Glase lachte, wie der junge Lenz über den Bergen. –
Vom Wein zum Hopfen ist nur ein Schritt. Gewöhnlich ästimiert man diesen nur in seiner letzten Form und Bestimmung. – Hast du aber schon etwas von der Romantik des Hopfens – des ganz gewöhnlichen rohen Hopfens – verspürt? Wenn nicht, so komme nach einem unterelsässischen Dorfe, wenn es allenthalben schon anfängt, ein bißchen zu herbsteln, wenn die Kartoffelfeuer über den Feldern brennen und feine Nebel in die unmerklich länger werdenden Abende aufsteigen. Dann setzt sich die ganze Familie mit guten Freunden und getreuen Nachbarn zum Hopfenzupfen, und das ist allemal ein Fest. Der Duft des Hopfens liegt süß und berauschend in der Stube. Die alte Madame Schurder aus Erlenbach wartet mit einer Gespenstergeschichte auf. Das Jeanne aus Sulzbach weiß auch von einem Geist zu berichten, der einmal bei ihnen im Dorfe erschienen war. Eine angenehm gruselige Gänsehaut krabbelt jedem über den Rücken. Die Burschen singen Soldatenlieder, und die kleinen »Kneckes«, die auch dabei sein dürfen, wollen nicht hinter dem Berg halten mit dem, was sie Tags zuvor in der Singstunde gelernt haben:
»Du Land voll Lieb und Leben,
Mein deutsches Vaterland.«
Aber das war einmal. Inzwischen haben sie die »Méthode directe« in die Schulen eingeführt. Mademoiselle aus Paris wartet mit Chansonetten auf, die kein Mensch versteht, und das Elsaß wird langsam ein Land ohne Lieder, ein Land ohne Lachen, ohne urwüchsigen Humor und Fröhlichkeit. Die neue Gespenstergeschichte der Madame Schurder wird plötzlich abgebrochen. Alles hüllt sich in respektvolles Schweigen. Denn der dort draußen eben vorübergeht in der ganzen Würde seines Zweizentnergewichts, ist niemand anders als der Herr Maire.
Wer hätte noch nichts gehört von der Größe und Bedeutung eines elsässischen Dorfmaires? Sacré nom d'un chien! Zu seiner Belehrung sei es gesagt, daß im Vergleich mit ihm selbst der liebe Gott nur ein recht unbedeutendes Wesen ist.
Auf dem Umweg über Dörfer und Flecken, über Wälder und Weinberge kehren wir wieder zurück in die große Stadt und setzen uns eine Weile vor die Tür eines alten Wirtshauses und schauen hinauf zu dem stolzen Bau des Münsters, der wie ein Finger Gottes in den nächtlichen Himmel ragt, und im Schauen wundern wir uns, was er alles gesehen haben mochte im Lauf der Jahrhunderte. Wie viele Kaiser und Könige, wie viele Ritter und Reichsgrafen und zänkische Bischöfe und rauhe Sanskulotten und zierliche Demoisellen. Wie viele stolze Geschlechter schon kamen und vergingen im Schatten dieses Domes. Stolze Namen! Sie klingen wie Trommelwirbel, wie flatternde Fahnen der großen Armee. Vor diesem Portale hat einmal Goethe gestanden und bald nach ihm Eulogius Schneider, der Straßburger Robespierre, der mit der Guillotine hausieren ging. Wenige Schritte abseits steht im Bischofspalast noch das Wappen der Rohans, die der Königin Marie Antoinette mit der berüchtigten »Halsbandgeschichte« so böse Stunden bereiteten.
»Roi ne puis
Prince ne daigne,
Rohan suis.«
Ja, es ist Feuer und Farbe im Elsaß. Die Luft ist hier schwer von Geschichte. Es sind hier Gestalten lebendig wie nirgendwo sonst. Mit Recht kann jeder Sohn dieser Erde es sich mit jenem Kandidaten Hartmann in Lienhards »Oberlin« ins Tagebuch schreiben:
»Das Elsaß ist ein sehr schönes Land. Ich bin stolz darauf, Elsässer zu sein.« –