Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Heiliges, unheiliges Land

Tel Awiw, im April

Wieder einmal hält der Dampfer. Wieder einmal liegen wir vor einer hohen Küste und einer Stadt, die gelb und kahl daliegt in der frühen Sonne, überhöht von Kirchtürmen, Minaretten, Synagogenkuppeln, ganz ein Sinnbild dieses widerspruchsvollen Landes.

»Ziehe deine Schuhe aus, denn der Ort, worauf du stehest, ist heiliges Land.«

So hat schon mancher die Küste von Jaffa gesehen, angefangen von den Kreuzfahrern bis zu diesem modernen Spuk der neuen Palästinafahrer. Viel Volk ist hier ein- und ausgegangen im Lauf der Jahrhunderte, aber der Hafen von Jaffa ist heute noch so, wie er zu Vater Abrahams Zeiten gewesen sein mochte: eine offene Küste, gegen die die Brandung anläuft, ein bewegtes Meer, auf dem die Barken einschaukeln, eine lärmende Schar von mehr malerischen als reinlichen arabischen Bootsleuten, teilweise geschmückt mit Zionssternen und hebräischen Schriftzeichen, die Gläubigen und Ungläubigen ihre Ämter und Vorzüge verkünden, soweit diese das zu lesen verstehen. – Und nun spricht es sich langsam herum, daß doch nicht alles lobenswert ist im gelobten Land, daß drüben die Kontrolle, die Quarantäne ein Leidensweg, eine Orgie des Sankt Bürokratismus sei und daß – gegen eine kleine Vergütung von einem Palästinapfund –

Dies mit einem Augurenlächeln und einem verständnisvollen Augenzwinkern, das alle Sprachen spricht. – Ja, aber ein Palästinapfund sind einundzwanzig Mark.

Ach, wäre ich dem Rat der freundlichen Männer gefolgt! Da standen wir nun schon eine Stunde lang im Sonnenbrande, bewacht von Schutzleuten, die zahlreich waren wie der Sand der Wüste, und warteten, bis es dem Chauffeur beliebte.

Zunächst geht es zur weit abgelegenen Quarantänestation, wo einem zunächst einmal sämtliche Kleider weggenommen werden. Dafür bekommt man einen langen, blauen Kaftan, in dem man dann zwei Stunden lang Zeit hat zum Nachdenken über das neue Jerusalem, derweilen sie die Kleider, die Schuhe, die wertvollen Pelze der Damen in einem mächtigen Kessel förmlich zu Brei zerkochen. Und nicht genug mit diesen eigenartigen Methoden der Gastfreundschaft, wird man zwischendurch noch über einen großen, schattenlosen Hof von Baracke zu Baracke gehetzt, vielmals angeschnauzt und mehrmals um einige Schillinge erleichtert, bis dann endlich – ohne irgendwelche vorhergehende ärztliche Kontrolle, aber jeder mit der beruhigenden, amtlich abgestempelten Bescheinigung: »Good health« – die ganze Reisegesellschaft mit total zerknitterten Anzügen wie eine Räuberbande in die Freiheit des neuen Landes entlassen wird. – Im Laufe eines Lebens der Wanderungen und Abenteuer bin ich über so viele Grenzen gekommen wie nur irgend ein lebender Mensch und habe dabei manchen Strauß ausgefochten mit mancher Grenzkontrolle, aber solche Szenen kompletter Kopflosigkeit sind mir noch nicht vorgekommen.

Solltest du aber, lieber Leser, auch einmal diese Grenze überschreiten, so sei gewarnt: Höre auf das Wort der lächelnden, augenzwinkernden Männer, zahle das Pfund.

Langsam schlendern wir durch die Straßen von Jaffa, die uns dünken, als ob sie auch einer Desinfektion bedürftig seien. Aber schön sind sie, wie der Orient immer schön ist für den, der ein Auge dafür hat. Da sind sie nun alle wieder, die lieben alten Gestalten der Bettler, der Schuhputzer, der Wasserträger, da schwanken die Kamele, da trippeln die Esel, da stehen die Händler, die die seltsamen Dinge verkaufen, aus denen ein Geruch aufsteigt – ein Geruch –

Da ist der Kaufmann, der über seinen Schätzen thront und in die Sonne schaut nach Kunden, die niemals kommen. Da ist das Kaffeehaus, in dem hohe Herren unter noch höhere Fesen bei gurgelnder Wasserpfeife ewig Domino spielen und barfüßige Bettler mit tiefem Salaam für halbe Piaster quittieren. Und jeder macht die Gasse zu seinem Haus und sein Haus zur Gasse, wie man das immer getan hat unter dieser Sonne.

Ah, aber die Zeiten beginnen sich dennoch zu wandeln: Was ist es um diese einst so stolze Stadt? Sie ist nur noch Schatten, ein Hinterhaus, eine arme Verwandtschaft, eine verlängerte Vorstadt von Tel Awiw, des Spuks von Tel Awiw.

Ein Schritt aus Jaffa, und man ist schon in Tel Awiw, etwa so, wie man von Berlin nach Charlottenburg kommt, und dennoch ist man in einer neuen Welt, als ob man Kontinente überschritten hätte. Keine Esel, keine Kamele, keine arabischen Kaffeehäuser mehr. Es ist plötzlich alles »à la Franka«. Oder genauer gesagt: »American style«. Diese Stadt könnte ebenso gut in Texas, in Kansas, in Nebraska oder sonstwo stehen. Man muß sich die Augen reiben, um sich zu vergewissern, ob man sich nicht am Ende doch in – sagen wir in Belleville in Missouri oder in einer Vorstadt von Kansas City befindet. Das sind dieselben Häuser, dieselben First-second-thirdstreets, dieselben breiten, sonndurchglühten, endlos langen Avenues – und, mein Gott, es sind auch dieselben Menschen, oder kommt es einem nur so vor, weil der Lebensstil derselbe ist bei diesen Jünglingen mit den großen Mützen, den offenen Hemden und den tiefen Hosentaschen.

Das sind die Chaluzim, eine gemischte, reichlich phantastische Gesellschaft, die sich hier im Lande der Väter zusammengefunden hat aus allen Weltgegenden, allen Umwelten und aus den verschiedensten Motiven. Höchster Idealismus und krasseste Not. Studenten, Gelehrte sogar, die in idealistischer Aufwallung, der niemand die höchste Anerkennung versagen wird, ein behagliches Heim und eine gesicherte Zukunft im Stich ließen, um hier ein neues Leben zu beginnen als einfache Arbeiter, daneben Ostjuden, die nie einen satten Tag gesehen und denen Tel Awiw wahrlich der Aufstieg ist vom Ghetto ins Land der Verheißung.

Mit großem Geschick hat man es verstanden, die bereits tote hebräische Sprache wieder zu neuem Leben zu galvanisieren und zwingt sie nun sich selbst und seinen Mitmenschen auf mit einer Rücksichtslosigkeit, die etwas Imponierendes an sich hat. Wohin man schaut, sieht man die hebräischen Schriftzeichen. Sie prangen an allen Anschlagsäulen, sie leuchten von allen Ladenschildern, sie stehen sogar auf den Bändern der Matrosenmützen, wo kleine Kinder die Glorie zukünftiger Panzerkreuzer von Erez Israel propagieren.

Weiter gehen wir durch die Straßen und beschauen die größte Synagoge der Welt und das im Bau begriffene Theater, das aussieht, wie der Tempel Salomons. – Was ist es um diese Stadt, die hier über Nacht aus dem Sand der Dünen sprang? Von was lebt sie? Von was wird sie leben? Soll sie einmal das große Pensionopolis von Wall-Street, der Ruhehafen der reichen Modekönige der Rue de la Paix werden? Sie wäre dazu geeignet mit ihrem sonnigen Klima, dem herrlichen Strande und dem echten Milieu. Aber wer kann es wissen? Inzwischen richtet man sich ein im Vertrauen auf den großen Geldbeutel des allgütigen Papa Rothschild, der beim letzten Passahfeste Unterstützungen an zwanzigtausend Bewohner austeilte, was bei einer Einwohnerzahl von rund 50 000 immerhin ein erheblicher Prozentsatz von Kostgängern ist. –

Aber so berühren sich die Extreme: Dicht daneben liegt noch heute wie im Traum vergangener Zeiten die schwäbische Templerkolonie von Sarona. Still ist es dort zwischen den weißen Häusern in der stillen Gasse, die eine echt schwäbische Dorfgasse ist. Alles atmet Ruhe und Beschaulichkeit. Süß und berauschend liegt der Duft der Orangenblüten in der Luft. Der uns hier führt – selbst ein alter Templer – erzählt von den alten bösen Zeiten, in denen hier die Leute wie die Fliegen starben und dennoch siegten bei dem rührend naiven, bäuerlich-unbeholfenen Versuch, als heilige Männer im heiligen Lande zu leben. Von der Not am Anfang, vom kümmerlichen Leben, vom Krieg und Gefangenenlager in Ägypten und endlich von dem übermodernen Leben in Tel Awiw. – Gewiß, sie bringen Geld ins Land. Aber ist man etwa zum Geldverdienen nach Palästina gekommen?

Heiliges, unheiliges Land!

Die Sonne sinkt. Wir schauen mit dem scheidenden Licht in die glühenden Farben des Abends. Von fernher schimmern weiße Häuser. – Auch das gehört zu Tel Awiw. Ringsum eingeschlossen die Kolonie mit einer Klagemauer. Kein Land mehr zu haben, keine Zukunft für die Kinder. Vorbei ist die Ruhe, vorbei die Muße, vorbei die gottgefällige Beschaulichkeit. Ein fernes Echo kommt mit dem Abendschatten:

»Mein Haus ist ein Bethaus, ihr aber habt es gemacht zum Vorhof von Wallstreet.«


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