Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Das Glück in Rejak

Rejak, im Juli

Eine Schnellpost ist das Bähnchen nicht, das von Beirut hinauf nach dem Libanon führt. Es läßt sich Zeit. Es hält oftmals an zum Verschnaufen auf seinem vielgewundenen Wege, der vom Palmenstrand zu den Schneeregionen führt. Und es ist gut, daß dem so ist, denn so hat das Auge Zeit sich vollzutrinken an den Schönheiten der Landschaft, die sich um jede Wegbiegung in neuen Bildern zeigt: bald dunkle Olivengärten, bald Weinberge, die steil an der Bergseite kleben, oder Pinien und Zypressen, die schwarz und schlank wie Schattenbilder gegen den blauen Himmel stehen. Alles gibt es auf dem Libanon, nur Zedern nicht. Nur an vereinzelten, ganz abgelegenen Stellen zeigt man noch einige Exemplare, die wie Augäpfel gehütet werden als Attraktion für die Touristen. Den übrigen haben die Ziegen das Lebensmark abgenagt, soweit sie nicht in der Not der Kriegszeit als Brennholz unter die Lokomotivkessel gewandert sind wie alle anderen Waldbäume des Libanon. So klettern Gärten und Felder bis zu den Bergspitzen empor, und dazwischen leuchten zahllose rote Hausdächer.

In Syrien und im ganzen Libanon ist die Armut ein treuer Hausgenosse bei den meisten Familien. Das Land ist ausgeplündert durch jahrhundertelange Mißwirtschaft, und der schönste und liebste Traum seiner Bewohner war noch immer die Auswanderung, das Glück über dem großen Wasser. Große Teile Südamerikas, zumal Nordargentinien, sind überschwemmt von diesen Libanontirolern, die sich dort als »Turcos« einer gemischten Popularität erfreuen. Schwere Handarbeit ist keine Leidenschaft eines solchen »Turco«. Dagegen verlegt er sich mit umso größerer Begeisterung auf Handelsgeschäfte größten und kleinsten Maßstabs, in denen er eine geradezu übersinnliche Erbweisheit an den Tag legt. Mit einem Bauchladen von Knöpfen, Schuhriemen, Taschenspiegeln, billigen Stoffen usw. zieht er von Estancia zu Estancia, und da er nicht nur ein guter Geschäftsmann, sondern auch ein Fanatiker der Sparsamkeit ist, bringt er es bald zu einem mehr oder weniger soliden Handelsgeschäft in der Stadt, zu einem Scheckbuch und einem Bankkonto, mit dem er schließlich nach dem Libanon zurückkehrt und sich definitiv etabliert als Herr über die Sommerfrischler.

Mehr und mehr wird nämlich der Libanon für die Bewohner des Orients das, was für uns die Alpen sind. Wenn immer die Hitze unerträglich wird in Beirut, wenn der Asphalt anfängt zu glühen in den Straßen von Kairo und Alexandrien, wenn es nicht mehr auszuhalten ist in den engen Gassen des, dank Automobil, nur noch drei Tagereisen entfernten Bagdad oder in Basra oder Mossul, dann gehört es zum guten Ton, daß man mit Kind und Kegel auf einige Wochen nach dem Libanon reist. Und die geschäftstüchtigen Bergbewohner waren von jeher nicht blöde in der Erfassung der Möglichkeiten dieser Fremdenindustrie. Man staunt über den hier entfalteten Luxus an stattlichen, ganz unorientalisch solid gebauten Wohnhäusern, deren Eigentümer zumeist in einer kleinen Stube im Kellergeschoß bei Käse und Brotfladen ein sparsames Leben führen, weitab von der großen Welt, mit kleinen, einfältigen Vergnügungen, deren größtes für die Heranwachsenden offenbar das Glockenläuten ist. In jenen stillen Tälern gedeihen die Religionen besonders üppig. Von den Orthodoxen bis zu den Presbyterianern ist alles vertreten, und jeder fühlt sich verpflichtet, seine besondere Anschauung laut zu verkünden durch Instrumente, die zwar kräftig tönen, aber mit ihrem kurzatmigen, aufreizenden Höllenlärm gewiß schon manchen ruhebedürftigen Sommerfrischler aus den sonst so stillen Tälern des Libanon vertrieben haben.

Weiter reise ich durch die Berge. Selbst jetzt ist es hier kühl. Am Wegrand stehen die Esel, bedeckt mit großen Körben, die buntscheckig zerlumpte Dorfbewohner mit dem letzten Schnee der Saison füllen. Von allen Seiten kommen lustige Wildbäche, die hinunterrauschen in ein weites, wohlbewässertes Tal, das sich weithin ausbreitet im üppigen Grün des Frühlings. Vorbei geht es an Feldern von blühendem Mohn, an Hecken von wilden Rosen, die steil hinaufsteigen zu anderen Schneebergen, die weiß in der Sonne blitzen. Plötzlich steht wieder irgendwo Stacheldraht im Feld in ganzen Hecken, als ob er dort gewachsen wäre wie die Rosen; auf der Straße rattert ein Zug von schwarzen, schweren Panzerautomobilen, aus denen drohend die Mündungen der Maschinengewehre starren. Wohin man schaut, sieht man Wellblechbaracken, Automobile, Proviantwagen, Kneipen und Soldaten.

Das ist Rejak, das Grab so mancher verlorenen Hoffnung, das Sidi-bel-Abbès Syriens, Standort der Fremdenlegion.

Nicht weit davon liegt Baalbek mit seinen berühmten Tempelruinen, zu denen neuerdings auch wieder deutsche Touristen zu pilgern pflegen. – Welchem unter diesen würde es einfallen, auch einmal in Rejak Station zu machen? Er könnte nach seiner Rückkehr in Deutschland auch etwas von menschlichen Ruinen erzählen, ein garstig Lied von dem verworrenen Schicksal deutscher Nachkriegsjugend. Eben schlich wieder ein Trupp durch die Gasse, frisch zurück von einer jener berühmten »Marschier-oder-verreck-Touren«. Nichts Heroisches, nichts Abenteuerliches, nichts Romantisches in diesem Aufzug. Eine traurige Gesellschaft von armen Teufeln in schmutzig-grauen Drillichanzügen, die man gerade so am liebsten photographieren möchte, um das Bild jedem in die Hand zu drücken, der einmal Legionsgelüste hat. Ältere, selbst alte Leute, neben ganz blutjungen; dumpfe Gesichter, zerstörte Mienen, neben anderen, die prachtvoll verwegen dreinschauen, offene Jacken, schiefe Mützen, mächtige Haartollen; das sind ganz die Typen, die einst auch mit offenem Mantel und umgekehrtem Gewehr in unseren Straßen Weltgeschichte machten, jetzt nur noch Strandgut der großen Nation.

Für etwas ist auch menschliches Treibholz gut, wenn man es zu verwerten weiß. Denn das baut hier Straßen ohne nennenswerte Bezahlung, das ist Soldat ohne Sold, trägt seine Haut zu Markt im Wüstensande, und hernach, wenn es krank und endgültig verkommen ist, wenn es sich die Seele matt und die Hände blutig gearbeitet hat in fremder Tretmühle, dann schiebt man es wieder ab über die Grenze nach Deutschland, wo es alsdann Erwerbslosenunterstützung bezieht bis an sein Ende. Und dagegen werden alle Warnungen nichts helfen, ehe nicht bei uns ein Gesetz kommt, das jeden dieser Franzosendiener bei Eintritt in die Legion automatisch seiner deutschen Staatsangehörigkeit verlustig erklärt. –

Wenn nun auch sonst kein Staat zu machen ist mit der äußeren Erscheinung des Legionssoldaten, so muß man doch seine Offiziere gelten lassen. Es sind Typen darunter, die man so schnell nicht wieder vergißt. Auf dem Bahnhofplatz stand einer, der ausschaute, als ob er eben einem Roman von Gerstäcker entlaufen wäre oder dem Monte Christo, oder einem Wildwestfilm mit Tom Mix oder so etwas. Groß, schlank, schwarzbärtig, mit kaffeebraunem Gesicht, eine Kreuzung von Tatarin und Don Quichotte. Königlich schaute er herab auf den Araberjungen, der ihm die Stiefel wichste. Eine Batterie von Militär-Medaillen glänzte auf seiner Brust. Und natürlich Revolver, Reitpeitsche, Sporen wie Wagenräder. So stand er in der Sonne, jeder Zoll ein Landsknechtsführer, ein Abenteurer, ein Wüstengewächs, mit einem Wort – man kann das nur auf Französisch sagen – »é-pa-tant«!

Im übrigen – so traurig dieser Platz ist mit seinen hitzesprühenden Wellblechbaracken, so lehrt er doch vieles. Man muß nach Rejak gehen, um zu ermessen, was der Besitz von Kolonien für ein Land und dessen Jugend bedeutet. Wem Paris zu klein ist, der hat in Rejak Platz, wer sich nicht austoben kann, wer sich die Hörner nicht abzulaufen vermag in – sagen wir in Nancy oder in Epernay oder in Neufville an der Garonne, dem ist Gelegenheit geboten, das im Dienste seines Volkes in Syrien, in Marokko, in Tonking oder am Kongo zu tun, während bei uns die gleiche Sorte hinter bolschewistischen Schalmeienklängen hertrottet.

Und noch eins hat der Besitz eines Kolonialreichs wie das französische zur Folge. Es ist eine Schule der politischen Weisheit für das ganze Volk. Mehr als durch Tanks und Maschinengewehre wird das große Reich heute zusammengehalten durch die Tätigkeit von vielen kleinen, klugen Diplomaten, die man offiziell »officiers de renseignement« nennt. In den wildesten Bergen, im fernsten »Bled«, dort wo reguläre Truppen nicht hinkommen, sitzt überall der Agent und macht sich unentbehrlich mit subtilen Mitteln, verspricht den französischen Himmel, verteilt ein Stückchen Geld da und dort – korrumpiere und herrsche – hetzt ein wenig, streut ein wenig Gift, verspricht noch mehr, droht zuweilen, bis eines Tages die Maschinengewehre auf der »Kasbah« stehen und Legionäre vor den Zelten ihr Feldlager aufschlagen.

Denn so ist der Lauf der Weltgeschichte, der Weg der Eroberer. Nicht immer ein gerader, nicht immer ein schöner. Aber wer kümmert sich darum? Wer fragt auch nur danach unter dem blauen Himmel von Syrien und im Wellblech von Rejak?

 


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