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Zuerst gedruckt in den »Beiträgen zur critischen Historie der deutschen Sprache«, 1732, I, 250.
(Letzte Gedanken.)
Nun empfind' ichs endlich auch, was Verdruß und Arbeit können
Und wie zeitig Kreuz und Gram unsrer Jugend Mark verbrennen;
Kraft und Blut und Geister schwinden, Aug' und Feuer löschen aus,
Und des Leibes schwache Säulen tragen kaum ihr morsches Haus.
Also schließ' ich meinen Tod aus den innerlichen Zeichen,
Und so mach' ich mich gefaßt, ihm getrost die Hand zu reichen,
Nicht aus Ungeduld im Jammer, sondern mit Gelassenheit,
Weil mich dieß die Weisheit lehret, jenes die Vernunft verbeut.
Mancher, dessen Eigensinn Gottes Allmacht schlecht betrachtet
Und den schönen Erdenkreis vor ein Haus voll Kummer achtet,
Flucht dem eiteln Jammerthale, wie er dieses Ganze nennt,
Und erwartet kaum die Stunde, welche Leib und Seele trennt,
Da hingegen manches Herz, wenn sich nur ein Fieber wittert
sich wittern, sich merken lassen.,
Vor Erschrecken schlägt und bebt, und aus Unmuth zagt und zittert
Und, so bald des Arztes Zweifel neben ihm die Achsel zückt,
Mit entsetzlichem Geheule Lager, Haupt und Hals verrückt.
Beide, wo ichs sagen darf, handeln als verblendte Thoren,
Denn der Letzte sinnt nicht nach, daß ihn Fleisch und Blut geboren,
Und der Erste sollte wissen, daß der Eitelkeiten Weh,
Die er am Geschöpfe tadelt, bloß in seinem Kopfe steh.
Freilich ists ein harter Stoß und ein Kelch voll Myrrh' und Gallen,
Wenn ein junger Baum verdorrt, und die ersten Blüten fallen.
Freilich braucht es tapfre Füße, sonder Gram dahin zu gehn,
Wo die Träger unser warten und die Bahren fertig stehn!
Doch da Schickung und Gewalt keinem etwas Neues machen,
Und das alte Muß erklingt, nehm' ich unter Scherz und Lachen
Meinen Abschied von der Erde, wie ein Gast bei später Zeit
Lustig von dem Schmause wandert und noch manchen Jauchzer schreit.
Könnt' ich leben, nähm' ichs mit; muß ich fort, ich bins zufrieden!
Diesen Nothzwang leid' ich gern, weil ihn die Natur beschieden.
Nach der Neigung dieser Mutter lenkt sich mein gesetzter Geist,
Der die Ordnung aller Dinge seines Willens Richtschnur heißt.
Weil ich aber doch nicht weiß, welche Stunde mich entrücke,
Brauch' ich die Gelegenheit und das säumende Geschicke
Und entwerfe die Gedanken, die vielleicht ein Leser liebt,
Weil mir Redlichkeit und Liebe alles in die Feder giebt.
Erstlich zeug' ich von mir selbst auf mein gut und rein Gewissen,
Daß ich mich nach Möglichkeit meiner Pflicht gemäß beflissen,
Gott zu kennen und zu ehren, meinem Nächsten wohlzuthun,
Dann auch selbst in meinem Herzen in Vergnüglichkeit zu ruhn.
Falschheit, Bosheit, List, Betrug haßt' ich als die ärgsten Schlangen,
Und worinnen sich mein Fuß irgend hier und dar vergangen,
War ein allgemeines Straucheln und den Fehltritt, so ich that,
Sah ich kaum so schnell und plötzlich, als ich um Vergebung bat.
Das, worauf mein Ruhm noch trotzt, ist ein ehrliches Gemüthe;
Diesen Adel, diesen Schatz kriegt' ich von des Himmels Güte
Mit dem Blute deutscher Aeltern; dieses ward so gut gemengt,
Daß mein leicht versöhnlich Herze keinem was zu schaden denkt.
Lieb' und Lust zur Wissenschaft trieb mich von den Kindheitsjahren
Bis auf diesen Augenblick, stets was Höhers zu erfahren,
Und ich kann mich noch erinnern, daß ich schon ums zehnte Jahr
Um die Wirkung meiner Seele vor der Zeit bekümmert war.
Sonderlich ergetzt' ich mich an Natur- und Weltgeschichten,
Aber noch weit eifriger fühlt' ich einen Trieb zum Dichten,
Daß auch weder Ernst noch Zuruf, ja wohl gar kein Prügel galt,
Wenn mein Vater auf die Arbeit dieser leeren Brotkunst schalt.
Mit der Jugend wuchs die Lust zu den holden Pierinnen,
Und am deutschen Helicon wollt' ich noch wohl Platz gewinnen,
Würde nur nicht Zeit und Fortgang mir so zeitig abgekürzt,
Und mein Alter vor den Jahren ins Vergessungsbuch gestürzt.
Doch wie kann es anders sein, mein Verhängniß und mein Leiden
Bringen mich um Glück und Hals; (ich beklage mich bescheiden)
Was mein Herz und Leib gelitten, ist nur jenem recht bekannt,
Der mich etwa nur zur Plage in dieß Marterhaus gesandt.
Unruh, Kälte, Hitz und Durst, Hunger, Elend, Armuth, Blöße,
Schande, Misgunst, Aergerniß, Krankheit und Verfolgungsstöße,
Fälschliche Beschuldigungen, blinder Eifer, Aelternhaß
Und verlogne Freundschaftsmäuler, o wie schmerzlich peinigt das!
Du im Himmel weißt es wohl, denn kein Mitleid wohnt auf Erden;
Jetzo braucht' ichs auch nicht mehr, da die Menge der Beschwerden
Mit der morschen Hütte sinket, den gefangnen Geist erlöst
Und ihn aus dem Sclavenhause in das Land der Freiheit stößt.
Mein Gehorsam opfert dir, dir, mein Vater, diese Lieder,
Ja er wirft sich jetzo selbst zwischen Lieb' und Ehrfurcht nieder
Und erkennt die treuen Sorgen und erwägt den treuen Fleiß,
Weil er, wo dir die nichts taugen, sonst mit nichts zu lohnen weiß.
Arme Mutter, die du jetzt mein entferntes Grab bethränest
Und vielleicht den kranken Leib auch schon an die Bahre lehnest,
Nimm sammt meiner lieben Schwester eine kurze gute Nacht,
Weil die Wehmuth des Gemüthes Reim und Kiel zu Schanden macht.
Euch, ihr Lehrer, gilt es auch, so wie allen Mäcenaten,
Die mir jemals wohl gethan, die mir etwas Guts gerathen.
Milich ist der theure Name, dessen rein und theures Gold
Ihr veränderlichen Zeiten hier auf ewig schonen sollt.
Glaubt, ihr Freunde guter Art, glaubt, ihr alten Schulgesellen,
Daß mir fast vor Herzeleid Brust und Mund und Auge schwellen;
Da ich den gelehrten Umgang (o empfindlicher Verdruß!)
Eurer mir geneigten Seelen schon so früh verlieren muß.
Deckt die leichten Fehler zu, die ich noch wohl bessern könnte,
Wenn mir nur des Himmels Gunst eine längre Frist vergönnte,
Doch erlaubt mir nur den Titel
Titel, Anspruch, Recht auf etwas: gesteht mir wenigstens zu u. s. w., daß ich, weil ich hier gelebt,
Sonder Eigennutz und Blendwerk aller Wahrheit nachgestrebt.
Sollt' auch einer unter euch um mein Grabmal Kräuter lesen,
O, so wünsch' er mir dabei ein geruhiges Verwesen
Und erinnre seinen Nachbar: hier schlief unser Bruder ein,
Der uns oftermals ermahnte: Brüder laßt uns lustig sein!
Du, mein andrer Pylades, du, mein Pfeifer, wollt' ich sagen,
Machst mir noch das Sterben schwer, das ich sonst so leicht ertragen,
Das Verhängnis, dich zu lassen, ist mein allerschärfster Streich,
Und ich nennt' es gar die Hölle, wüßt' ich nicht ein Himmelreich.
Unsrer Freundschaft edles Band knüpfte Kunst und Fleiß zusammen;
Muß ich auch gleich Leipzig sonst als mein Jammerthal verdammen,
O, so muß ich ihm doch danken, da ich besser nachgedacht,
Weil es mir aus seinen Mauren deine Liebe zugebracht.
Denke, bitt' ich, dann und wann an die wohl verbrachten Nächte,
(Daß mir doch die Todesnacht auch so süße werden möchte!)
Denk' an unser kluges Scherzen, denk' an unsre kurze Zeit,
Die wir den verstohlnen Küssen, doch mit Unschuld, eingeweiht
einweihen, weihen, widmen, vgl. unten 164..
David schied von Jonathan und beschenkt' ihn mit den Waffen:
Soll ich dir, mein Jonathan, auch ein treues Denkmal schaffen,
So empfang die beste Regel, die uns Glück und Heil gebiert:
Wohl dem Menschen, dessen Weisheit Höll' und Furcht gefangen führt!
Allerliebstes Vaterland, Günther wird nicht wieder kommen;
Da ihn nun ein fremdes Grab aller Noth und Last entnommen,
Dank' ich deinen schönen Gränzen vor das erst gegebne Licht,
Das sich allgemach verzehret und mir schon das Auge bricht.
Jetzo werd' ich dort nicht mehr die vergnügten Saiten stimmen,
Noch in Philindrenens Schoß den erhitzten Nacken krümmen,
Noch an jenem Teiche schlafen, wo das Ufer oftmals sprang,
Wenn ich auf der Hirtenflöte meines Mädchens Haar besang.
Schwert und Hunger, Brand und Pest weich' aus deinen Lustgefilden,
Und der Segen tränke dich, Edens Anmuth abzubilden;
Wachs' und blüh' an Volk und Glücke unter Oesterreichs Gewalt,
Dessen Stammhaus Kaiser gebe, bis die letzte Stimme schallt!
Alles, was mich je geliebt, unterrichtet und gepriesen,
Was mir Trost und Rath ertheilt, was mir Höflichkeit erwiesen,
Was mir eine Hand voll Wasser und ein Stücke Brod verliehn,
Dessen rühmliches Geschlechte müss' in tausend Gliedern blühn!
Wem ich etwan aus Versehn bis daher zu nah getreten,
Dieser glaube, durch dieß Blatt sei ihm alles abgebeten;
Wem ich Aergerniß gegeben oder sonst nichts Guts erzeigt,
Bleibe dennoch meiner Asche aus Versöhnlichkeit geneigt.
Doch genug, die Stunde kommt, und der Seiger läuft zum Ende:
Warte doch noch, liebster Tod, daß ich mich zur Seiten wende.
Laß den Schatten an dem Zeiger einen Grad zurücke gehn
Und die Sonne meines Lebens nur noch etwas stille stehn,
Denn ich muß mich allerdings, eh mir Herz und Augen brechen,
An der liederlichen Schaar meiner wilden Feinde rächen;
Tretet her, ihr frechen Spötter, höre, du erhitzter Schwarm,
Jetzo streck' ich meinen Eifer wider deinen stolzen Arm!
Der, so allen Hochmuth stürzt, fluche deinen bösen Sitten,
Die sowohl mein Ehrenkleid als mein Glück und Wohl beschnitten;
Er erleuchte deine Thorheit und bekehre deine List,
Die so schädlich als verborgen und so bös' als höflich ist.
Hör'! Ich fluche deiner Wuth mit Geduld und Wunsch und Segen,
Unglück beßre deinen Sinn, Kummer zieh dich von den Wegen,
Die dich zum Verderben führen, und die Noth, so mich gedrängt,
Dränge dich von allen Seiten, bis sie dich zum Himmel lenkt.
Wo verbleibt das Testament? Gut, ich theile meine Sachen,
Läßt mich gleich die Dürftigkeit keinen großen Schatz vermachen,
So besitz' ich doch noch Manches, dessen rein- und frommer Werth
Meinen guten Willen zeuget und in aller Welt erklärt.
Meinen Leichnam mag der Sand, meinen Fleiß die Faulheit fassen,
Meine Fehler will ich gern der Vergessung überlassen,
Meine Thränen nimmt die Buße, meine Drangsal die Geduld,
Meine Sünden die Erbarmung, mein Gebet des Heilands Huld.
Die geheime Liebeskunst, so ich ziemlich ausstudieret,
Und verböt' es nicht die Zeit, einst in Deutschland aufgeführet,
Schenk' ich dem geschickten Kopfe, der nach mir die Laute nimmt
Und sie mit gelehrten Griffen nach der griech'schen Zither stimmt.
Ihr, o Schönen dieser Zeit, ihr galanten Schäferinnen,
Anders hab' ich nichts vor euch, nehmt den besten meiner Sinnen,
Nehmt das zärtliche Gefühle und die treue Redlichkeit,
Die ich nächst in unsern Linden Leonilden eingeweiht.
Was ich noch erinnern will, ist das grünende Gerüchte
Meiner in der Jugendzeit schlecht verfertigten Gedichte,
Doch ich seh, sie sind nicht würdig, Glut und Untergang zu fliehn;
Warum hast du, karger Himmel, mir nicht beßre Ruh verliehn?
Doch, gelehrter Brandenburg, sprich dein Urtheil was
was, etwas. gelinder,
O, so sammle, wo du kannst, die zerstreuten Musenkinder;
Du verdienst dir, wie ich hoffe, an der unerzognen Schaar
Dieser vaterlosen Waisen ein gewisses Dankaltar.
Etwas drückt mir noch das Herz, daß ich jetzo doch nicht wüste,
Daß die Liebe, wenn sie trennt, gar zu heftig plagen müste!
Komm, du Liebste meines Herzens, schau, es geht zur letzten Ruh,
Komm, und drücke, schönste Seele, mir nur noch die Augen zu.
Ich gesteh' es offenbar in dem Antlitz
in dem Antlitz, angesichts. aller Zeiten,
Seit mich deine Tugenden in den Liebesseilen leiten,
Hab' ich in der That erfahren, daß Verfolgung
Verfolgung, Befolgung, beständige Uebung. kluger Treu
Bei dem halbverstohlnen Küssen starker Lebensbalsam sei.
Brich nur jetzt den Hoffnungsstab, reiß den Myrtenkranz in Stücke,
Halt den zugesagten Ring und beweine das Geschicke
Und gedenk' an deinen Dichter, der dich mit Gefahr geliebt
Und dir jetzt die kalten Thränen, den betrübten Brautschmuck giebt.
Glaub' es, Kind, der süße Trieb, der in mir dein Bild erlesen,
Ist kein kindisches Vergehn oder flatterhaftes Wesen;
Dein Verstand zieht kluge Seelen und entschuldigt meine Brunst.
O, was braucht es, dich zu lassen, vor so große Sterbenskunst!
Gute Nacht vor dieses mal! Auf den Elyseerfeldern
Will ich, bis du nach mir kommst, unter Palm- und Lorberwäldern
Deines hellen Anblicks warten, und sobald nur dieß geschehn,
Meine Seligkeit vollkommen, meine Flammen ewig sehn.
O, was werden wir alsdenn vor Ergetzlichkeit erfahren,
Wenn wir uns mit jener Zahl der verliebten Dichter paaren,
Wenn dir dort die schöne Laura, gleich wie mir Petrarch, erzählt,
Wie sie beiderseits ihr Scheiden in der Eitelkeit
Eitelkeit, die eitle Welt. gequält.
Welch bethörtes Fabelwerk treibt mich in den letzten Zügen?
Nein, mein Kind! Wir finden dort noch ein gründlicher Vergnügen,
Davids Saiten, Assaphs Harfe und die schöne Sulamith
Rufen uns nach Zions Bergen, wo man Sarons Rosen tritt.
So ein ungezähltes Heer von des Allerhöchsten Knechten,
So viel tausend Heilige, so viel Seelen der Gerechten
Werden uns Gesellschaft leisten und nach überstandner Pein
Vor des Lammes Gnadenstuhle lauter Jubelchöre schrein.
Seele, fort! Du hast nun Zeit, deinen Frieden zu bedenken.
Aber welch ein Zweifelmuth mehrt dein innerliches Kränken?
Wirst du durch dieß Ganze wandern? Bist du etwas oder nichts,
Oder ein getrennter Funke von dem Wesen jenes Lichts?
Laß den Kummer! Er bethört; geh' am sichersten und glaube
Deines Wesens Ewigkeit. Mach' es wie die Turteltaube,
Fleuch vor Angst und Sturm und Wetter aufs Gebirge Golgatha.
Fleuch und suche sichre Ritzen, denn der Räuber ist dir nah.
Du gekreuzigte Geduld, die du leidest und doch schweigest
Und so viel du Grausamkeit, auch Erbarmungszeichen zeigest,
Du, mein gütiger Erlöser, Heil der Welt und Lebensfürst,
Der du erst mein Mittler worden, und dereinst mein Richter wirst,
Ich ergreife dein Verdienst, ich vertraue deinen Wunden,
Hat doch auch des Schächers Herz Ruh' in dieser Freistatt funden.
Ich gesteh', ich bin ein Sünder, doch du bist auch Gottes Sohn,
Und verspreche mir das Leben so gewiß, als hätt' ichs schon.
Lebe wohl, bethörte Welt, leb', ich wünsche dirs zum Possen,
Ob ich gleich in dir bisher wenig gute Zeit genossen.
Auf dem Schauplatz deiner Erde stellt' ich einen Jüngling vor,
Der vorher nicht viel besessen und doch täglich mehr verlor.
Hat sich etwa noch dein Zorn nicht genug an mir gerochen,
O so sättige dein Maul mit den abgefleischten Knochen!
Dieses Spiel mit meinem Körper gönn' ich dir zur Dankbarkeit,
Weil du mich durch so viel Stöße einmal aller Last befreit.