Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Nach seiner Rückkehr nach Warschau verbrachte Polaniecki gleich den ersten Abend im Hause seines Compagnons Bigiel, mit dem ihm, als einem frühern Schulkameraden, auch persönliche Freundschaft verband. Bigiel, von Abstammung ein Böhme, aber einer Familie entsprossen, die seit mehreren Generationen im Lande ansässig war, stand vor seiner Association mit Polaniecki einem Bank- und Handelsgeschäft vor. Er ließ sich zwar nicht in große Unternehmungen ein, dehnte seine Verbindungen nicht sehr weit aus, genoß jedoch den Ruf eines sehr soliden, Vertrauen erweckenden Kaufmanns. Als Polaniecki als Teilhaber in die Firma eintrat, vergrößerte sich ihr Wirkungskreis merklich, ihr Ansehen stieg ungemein. Die beiden Compagnons ergänzten sich vollkommen. Polaniecki, der weitaus fähigere und unternehmendere Kopf, kam immer wieder auf neue Ideen, und übersah sofort die Bedeutung eines jeden Geschäftes, Bigiel dagegen sorgte für die Ausführung. Sobald es sich darum handelte, Energie zu entwickeln, ein Resultat zu erzielen, da war Polaniecki an seinem Platze, galt es jedoch zu überlegen, Geduld zu zeigen, mit Vorsicht zu handeln, so kam die Reihe an Bigiel. Ihrem ganzen Wesen nach waren sie geradezu Gegensätze; vielleicht beruhte aber eben darauf ihr Freundschaftsbund. Das Uebergewicht in diesem Verhältnis lag auf der Seite Polanieckis. Bigiel glaubte unerschütterlich an ihn, und einige Neuerungen, die Polaniecki bei seinem Eintritt in das Geschäft einführte, und die sich in der That als sehr vorteilhaft erwiesen, befestigten diesen Glauben immer mehr. Der Traum von beiden, sich mit der Zeit ein genügend großes Kapital zu erwerben, um eine Perkalfabrik errichten zu können, deren Leitung Polaniecki, deren Verwaltung Bigiel übernehmen sollte, hatte sich aber noch nicht verwirklicht, obwohl sie schon zu den vermögenden Leuten gezählt werden durften. Der sehr wenig geduldige Polaniecki, der überdies nach allen Seiten hin verwandtschaftliche Beziehungen hatte, versuchte zwar gleich nach seiner Rückkehr vom Auslande verschiedene Warschauer Kapitalisten für seine Pläne zu interessieren. Allein er stieß überall auf Mißtrauen. Dabei machte er auch eine ganz merkwürdige Erfahrung. Sein Name, der ihm thatsächlich alle Thüren öffnete, nützte ihm in geschäftlicher Hinsicht gar nichts, im Gegenteil, er schadete ihm weit eher. Augenscheinlich bezweifelten all die Leute, die er aufsuchte, daß ein Mensch aus ihrem Kreise, folglich aus gutem Hause und mit einem Namen, der auf ›ski‹Endung der Namen polnischer Adelsgeschlechter. Anm. d. Ueb. endigte, ein Geschäft gut zu leiten verstehe. Polaniecki ärgerte sich anfänglich sehr darüber. Bigiel suchte seine Aufregung zu dämpfen, indem er ihm bewies, wie durch jahrelange traurige Erfahrungen ein solches Mißtrauen ganz berechtigt war. Da er die Gründungsgeschichte mehrerer Handelsgeschäfte genau kannte, zählte er ihm eine ganze Reihe volltönender Namen auf, deren Gründungen aber jeder realen Basis entbehrten. »So liegen die Verhältnisse,« bekräftigte Bigiel seine Bemerkungen, »aber mit der Zeit wird auch darin eine Veränderung eintreten, ja, ich glaube, diese Zeit ist sehr nahe. Früher sind aus diesen Kreisen nur Dilettanten hervorgegangen, erst jetzt trifft man hie und da auf Leute von Fach.«

Polaniecki, der trotz seines leicht erregbaren Temperamentes einen klaren Beobachtungsgeist besaß, machte aber auch noch andre wunderliche Erfahrungen in der Gesellschaftssphäre, zu der ihm seine Beziehungen den Zutritt öffneten. Für seine Geschäftstätigkeit erntete er von allen Seiten Lob und Anerkennung, aber diese wurde ihm gleichzeitig mit einer gewissen nachsichtigen Gönnermiene gezollt. »Sie protegieren mich alle,« sagte Polaniecki, und das war richtig. Er war auch überzeugt, daß, sobald er um die Hand eines der Mädchen aus der sogenannten Gesellschaft anhalten würde, ihm sein Beruf, der Name »Geschäftsmann« trotz aller Anerkennung eher hinderlich als förderlich wäre, daß er dagegen als der unthätige Besitzer eines verschuldeten Gutes, oder wenn er wie ein großer Herr von den Zinsen seines Kapitals, ja, von diesem Kapital selbst lebte, er sicherlich jedes dieser Mädchen zum Weibe bekommen hätte.

Nach zahlreichen Erfahrungen mancherlei Art begann Polaniecki seine gesellschaftlichen Beziehungen immer mehr zu vernachlässigen und beschränkte sich schließlich auf den Verkehr mit Bigiel, mit Frau Emilie Chwastowski und mit einigen Herren, mit denen ihn sein Junggesellenleben zusammengeführt hatte. Kaum saß er mit Bigiel zusammen, so schüttete er ihm sein Herz über seine Erlebnisse in Krzemien aus und erging sich in den grimmigsten Redensarten über den »Oheim« Plawicki, indem er darauf rechnete, in dem Freunde einen willfährigen und mitfühlenden Zuhörer zu finden, aber Bigiel ließ sich durch all dies nicht aus seinem Gleichmut bringen, sondern sagte ruhig:

»Ich kenne diesen Typus. Uebrigens, überlege doch einmal! Woher soll Plawicki das Geld nehmen, wenn er es nicht hat? Mit Hypothekenschuldnern muß man stets Geduld haben. Ein Landgut verschlingt große Kapitalien und wirft nur in den seltensten Fällen Gewinn ab.«

»Höre, Bigiel,« rief Polaniecki gereizt, »seit Du jeden Tag nach dem Mittagessen zur Stärkung Deiner Nerven ein Schläfchen machst, muß man mit Dir auch eine Engelsgeduld haben.«

»Bist Du denn auf dieses Geld angewiesen?« fragte Bigiel, ohne Polanieckis Worte zu beachten. »Du hast doch die Summen bereit liegen, für die jeder von uns verpflichtet ist aufzukommen!«

»Das hat ja gar nichts mit Plawicki zu thun. Doch einerlei, ich werde meinen Willen durchzusetzen wissen, auf welche Art es nun auch sein möge.«

In diesem Augenblick trat Frau Bigiel mit ihrer großen Kinderschar ein, wodurch dem Disput ein Ende gemacht wurde. Sie war eine noch jugendliche Erscheinung, aus deren von dunklen Haaren umrahmtem Antlitz tiefblaue Augen voll Güte und Menschenliebe in die Welt schauten. Von ihren sechs Sprößlingen ließ sie sich in jeder Weise tyrannisieren. Polaniecki gab sich stets sehr viel mit den Kindern ab, wofür ihm die Mutter, eine ebenso intime Freundin von ihm wie Frau Emilie Chwastowski, ganz besonders zugethan war. Die beiden Frauen, die Marynia Plawicki genau kannten und sehr eingenommen für sie waren, hatten den Plan gefaßt, Polaniecki mit ihr zu verheiraten, und ihn durch ihre Ueberredungskunst auch dazu gebracht, daß er in Krzemien persönlich für seine Forderung eingetreten war. Frau Bigiel brannte daher vor Neugierde zu erfahren, wie ihm das junge Mädchen gefallen habe.

Im Beisein der Kinder war es jedoch nicht möglich, darnach zu fragen oder davon zu reden. Das jüngste von ihnen, Jas, trippelte sofort auf seinen winzigen Füßchen auf Polaniecki zu, umfaßte mit seinen Händchen dessen Knie und versuchte, sich emporzuziehen, indem es fortwährend rief »Herr, Herr«, was in seinem Munde wie »He, He« klang.

Die zwei kleinen Mädchen, Ewka und Joasia, lehnten sich ohne Umstände an seine Schultern, und Edzio und Jozio ernannten ihn zum Schiedsrichter in einer sehr wichtigen Streitfrage. Die Kinder hatten nämlich »die Eroberung von Mexiko« gelesen, wollten diesen Vorgang nun in ihren Spielen darstellen, konnten sich aber in einem Punkt nicht einigen. Edzio erzählte dies alles mit großem Eifer seinem Freunde.

»Denken Sie nur,« sagte er, mit der Hand in der Luft fuchtelnd, »weder Ewka, noch Joasia wollen den Montezuma geben. Ich werde Cortez und Jozia wird ein Ritter sein, aber ohne Montezuma können wir doch nicht spielen. Was sollen wir nun machen? Jemand muß Montezuma sein, denn wer soll denn sonst die Mexikaner anführen!«

»Natürlich! Aber wo sind denn die Mexikaner?« fragte Polaniecki.

»Ach, das ist ganz einfach,« erwiderte Jozio, »die Stühle sind die Mexikaner und Spanier.«

»Ausgezeichnet! Und nun, Achtung! Ich gebe den Montezuma. Also vorwärts! Erobere Mexiko!«

Ein unbeschreibliches Geraufe begann jetzt. Polaniecki war noch voll jugendlicher Frische und wurde mit Kindern stets selbst wieder zum Kinde. Er setzte dem Cortez einen solch lebhaften Widerstand entgegen, daß dieser sich schließlich auf die Geschichte berief, ihm das Recht zum Widerstand absprach und behauptete, er müsse sich schlagen lassen, weil Montezuma in Wirklichkeit geschlagen worden sei. Allein der nunmehrige Montezuma entgegnete, das kümmere ihn wenig, und kämpfte weiter. So zog sich das Spiel mehr und mehr in die Länge.

Frau Bigiel aber vermochte nicht länger ihre Neugierde zu zügeln.

»Nun, wie ist sein Besuch in Krzemien ausgefallen?« fragte sie eifrig den Gatten.

»Er that das, was er jetzt thut,« erwiderte Bigiel mit seinem gewöhnlichen Phlegma, »er warf Stühle und Bänke um und reiste dann ab.«

»Was hat er Dir denn erzählt?«

»Ueber Fräulein Marynia haben wir noch gar nicht gesprochen; mit Plawicki hat er sich aber in einer Weise überworfen, wie es nicht schlimmer sein könnte. Er will seine Forderung cedieren, und wenn dies geschieht, so ist der Bruch vollständig.«

»Das wäre ewig schade!« rief Frau Bigiel.

Und bei dem Thee, nachdem die Kinder schlafen gegangen waren, fragte sie sofort Polaniecki, wie ihm Marynia gefallen habe.

»Das vermag ich gar nicht zu sagen,« entgegnete Polaniecki, »ich weiß thatsächlich nicht, ob sie hübsch, oder nicht hübsch ist. Ich achtete nicht darauf.«

»Das war sehr unrecht,« meinte Frau Bigiel.

»Und folglich auch nicht wahr, und folglich ist sie reizend, hübsch, kurz, was Sie wollen. Sie ist zum Verlieben, so recht zum Heiraten, aber nichtsdestoweniger setze ich keinen Fuß mehr in das Haus. Glauben Sie denn, ich wüßte nicht, weshalb mich die Damen nach Krzemien schickten! Ich habe aber den Vater genugsam kennen gelernt, um mir ihn zur Warnung dienen zu lassen. Wie leicht kann die Tochter einen ähnlichen Charakter haben, und sollte dies der Fall sein, so danke ich unterthänigst.«

»Sie reden aber wirklich ohne jede Ueberlegung. Zuerst gestehen Sie, daß sie hübsch ist, daß sie zum Verlieben ist, und dann fürchten Sie wieder, Marynia könne ihrem Vater ähnlich sein. Da stimmt ja eins nicht zum andern.«

»Das ist wohl möglich, ist mir aber ganz einerlei. Ich habe nun einmal in solchen Dingen kein Glück. Doch genug davon.«

»Nein, nicht genug davon. Sie müssen mich noch weiter anhören. Erstens werden Sie sich von dem Eindruck, den Marynia auf Sie gemacht hat, nicht mehr befreien können, und zweitens ist Marynia eines der edelsten, besten Mädchen, die ich noch jemals kennen gelernt habe, und jeder kann sich glücklich schätzen, der ihre Hand gewinnt.«

»Weshalb ist sie aber dann noch nicht verheiratet?«

»Sie ist ja kaum einundzwanzig Jahre alt und erst vor kurzem in die Welt eingeführt worden. Sie dürfen übrigens nicht glauben, daß noch niemand um sie geworben hat.«

»Dann soll sie doch einen andern heiraten.«

Polanieckis Worte stimmen aber durchaus nicht mit seinen innersten Gefühlen überein. Es wäre ihm sehr schmerzlich gewesen, wenn ein andrer Marynia zum Weibe gewonnen hätte, ja, er empfand insgeheim große Dankbarkeit für Frau Bigiel, wegen des Lobes, das sie dem jungen Mädchen zollte.

»Mir ist alles eins!« ergriff er nach kurzem Schweigen wieder das Wort. »Jedenfalls sind Sie aber eine gute Freundin!«

»Und nicht nur von Marynia, sondern auch von Ihnen. Ich bitte Sie daher um eine ernsthafte, aufrichtige Antwort. Hat Marynia Eindruck auf Sie gemacht oder nicht?«

»Ob sie Eindruck auf mich gemacht hat? Ernsthaft soll ich sprechen? Natürlich einen großen Eindruck.«

»Nun sehen Sie!« rief Frau Bigiel mit freudestrahlendem Gesichte.

»Was sehe ich? Nichts, gar nichts sehe ich! Sie gefiel mir ungemein, das ist wahr! Sie haben keinen Begriff, welch sympathisches, anziehendes Geschöpf das für mich ist. Und herzensgut muß sie sein. Aber was nützt das alles? Ein nochmaliger Besuch in Krzemien ist für mich ausgeschlossen. Ich reiste in solcher Aufregung von dort ab, sagte nicht nur Plawicki, sondern auch ihr solch schlimme Dinge, daß ein Wiederkommen einfach unmöglich ist.«

»Sie haben sich demnach höchst unliebenswürdig benommen?«

»Unliebenswürdiger, als Sie sich vorstellen können.«

»Durch Briefe vermag dies wieder gut gemacht zu werden.«

»Glauben Sie denn, ich würde an Plawicki schreiben und Abbitte thun? Um nichts in der Welt! Er hat mich übrigens verflucht!«

»Was, verflucht hat er Sie?«

»Ja, als Patriarch der Familie hat er in seinem Namen und im Namen aller Vorfahren den Fluch über mich geschleudert. Ich habe einen solchen Abscheu vor ihm bekommen, daß ich keine zwei Worte an ihn schreiben könnte. Das ist ein alter Komödiant. Die Tochter würde ich gern um Verzeihung bitten, aber was nützte das? Sie muß für ihren Vater Partei ergreifen. Das sehe ich ganz gut ein. Im besten Falle antwortet sie mir mit einigen höflichen Redensarten, und damit ist die Sache abgethan.«

»Sobald Emilie von Reichenhall zurück sein wird, muß Marynia unter irgend einem Vorwand hierher gebracht werden und dann – nun dann müssen Sie eben das Ihrige thun, um das Zerwürfnis vergessen zu machen.«

»Zu spät, zu spät!« wiederholte Polaniecki, »ich habe mir das Wort gegeben, meine Forderung an einen Dritten abzutreten – und das halte ich!«

»Das wäre vielleicht auch das Beste, was Sie thun könnten.«

»Das wäre das Allerschlimmste!« warf hier Herr Bigiel ein. »Ich suchte ihn zu überreden, von diesem Vorhaben abzustehen. Es wird sich indessen nicht so leicht ein Käufer finden, das hoffe ich wenigstens.«

»Litka muß nun bald ihre Kur beendet haben, so daß Emilie in nicht zu langer Zeit zurückkehren kann,« ergriff Frau Bigiel wieder das Wort und sich an Polaniecki wendend fügte sie hinzu:

»Geben Sie nur acht, wie Ihnen andre Mädchen nach Marynia gefallen. Ich stehe zwar nicht so intim mit ihr wie Emilie, aber bei der ersten besten Gelegenheit schreibe ich an Marynia und frage sie offen, was sie von Ihnen hält.«

Es war mittlerweile Zeit für Polaniecki geworden, sich zu verabschieden. Auf dem Wege nach Hause wurde es ihm immer klarer, wie Marynia eigentlich all sein Sinnen und Trachten in Anspruch nahm. Gleichzeitig sagte er sich aber auch, daß seine Beziehungen zu ihr sich unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen entwickelt hatten, und daß es vielleicht besser für ihn wäre, sich dieses Mädchen, solange es noch möglich, völlig aus dem Sinne zu schlagen. Als ein geistesstarker, eher derber als empfindsamer Mensch, der nicht gewohnt war, sich Träumen hinzugeben, begann er in nüchterner Weise seine Lage zu prüfen und sie nach allen Seiten zu erwägen. Fräulein Plawicki besaß thatsächlich fast all die Eigenschaften, welche er von seiner zukünftigen Frau verlangte, und ihre Erscheinung entsprach ganz und gar seinen Wünschen.

Aber der ihm unleidliche Vater bildete das Gegengewicht zu diesen Vorzügen, ganz abgesehen von der zerrütteten Lage Krzemiens und all den daraus entstehenden Mißhelligkeiten. »Mit diesem eingebildeten, abgeschmackten, alten Menschen kann ich und will ich nicht leben,« dachte Polaniecki, »ein Verhältnis mit ihm ist auch nur dann möglich, wenn man sich ihm vollständig unterordnet, wozu ich keineswegs fähig bin, oder wenn man ihn tagtäglich so behandelt, wie ich ihn in Krzemien behandelte. In ersterem Falle müßte ich mich in die unerträgliche Sklaverei eines alten Egoisten begeben, im andern Falle käme meine Gattin in eine höchst schwierige und unangenehme Lage, und unser Leben wäre verdorben. Ich fühle mich nicht dermaßen von ihr angezogen,« bestärkte er sich in seinem Vorhaben, »daß ich nicht dagegen ankämpfen könnte. Die Zeit wird das beste Heilmittel dagegen sein.«

Aber kaum schien er darüber mit sich ins Reine gekommen zu sein, als er geradezu einen physischen Schmerz bei dem Gedanken empfand, daß er sich nun selbst all die Aussichten verscherzt habe, die sich vor ihm aufgethan hatten. Vor seinem geistigen Auge zogen die mannigfaltigsten Zukunftsbilder vorüber. Wie schön hätte sich alles gestalten können! Nun aber mußte er sein bisheriges Leben weiter führen, das ihm mit einem Male nüchtern und leer erschien. Ja, jetzt gab er dem alten, stets philosophierenden Waskowski recht! Jede Arbeit um Geldgewinn muß als Mittel zum Zweck betrachtet werden. Von diesem Standpunkt aus sieht man die Aufgaben des Lebens in einem ganz andern Lichte. Polaniecki war in gewisser Hinsicht ein echtes Kind seiner Zeit, von den zeitgenössischen »Dekadenten« unterschied er sich jedoch wenigstens darin, daß er sich nicht geradezu in seine Nerven, in seine Hoffnungslosigkeit, in seinen Seelenschmerz verliebt hatte, und daß er sich keinen Dispens für Schwachheiten, für Müßiggang erteilte. Die Begründung der Familie, die Arbeit für dieselbe, das waren Ziele, die er längst zu erreichen gesucht hatte.

Auf seinem ganzen Wege sann er und sann er, aber als er zu Hause anlangte, sagte er sich mit vollster Ueberzeugung:

»Fräulein Plawicki ist auch nicht die Rechte, dieses Mal ist's noch nichts.«

Als er am folgenden Tage zum Mittagessen in das Restaurant kam, waren Waskowski und Bukacki schon anwesend. Gleich nach ihm erschien auch Maszko mit seinem arroganten, vollblütigen Gesicht, seinem langen Backenbart, dem Monokel im Auge und mit einer weißen Weste angethan.

Nach der Begrüßung erkundigten sich alle bei Polaniecki über das Resultat seiner Auseinandersetzungen mit Plawicki, weil sie wußten, weshalb die Damen darauf bestanden hatten, daß er sich persönlich nach Krzemien begab.

Als Polaniecki mit seiner leicht zu durchschauenden Erzählung zu Ende war, bemerkte Bukacki mit dem ihm eigentümlichen Phlegma:

»Also Krieg! Das scheint übrigens ein Mädchen zu sein, das auf die Nerven wirkt, und jetzt wäre die geeignetste Zeit, einen Sturm zu wagen. Jede Frau nimmt auf einem steinigen Wege leichter den sich bietenden Arm an, als auf der ebenen Landstraße.«

»So reiche ihr doch Deinen Arm!« rief Polaniecki ungestüm.

»Das geht nicht, mein Lieber; dagegen sprechen drei Gründe. Erstens beschäftigt Frau Emilie noch genugsam meinen Sinn, zweitens habe ich jeden Morgen Schmerzen im Halse und am Hinterkopf, was eine Gehirnkrankheit ankündigt, und drittens bin ich arm.«

»Du arm?«

»Wenigstens momentan; ich kaufte mir etliche zwanzig Falkows, alle »avant la lettre«, habe daher auf einen Monat hinaus keinen Pfennig mehr – und wenn ich nur aus Italien den Massacio erhalte, um den ich mich eben jetzt bemühe, bin ich auf ein Jahr hinaus ruiniert.«

Waskowski, welcher durch den Schnitt seiner Gesichtszüge und durch seine rote Gesichtsfarbe Aehnlichkeit mit Maszko hatte, aber viel älter als dieser war und eigentlich recht häßlich aussah, richtete seine himmelblauen Augen auf Bukacki und sagte: »Das ist ja die Zeitkrankheit. Sammeln, unaufhörlich sammeln.«

»Oho, er wird beredt!« warf Maszko ein.

»Wir haben ja nichts Besseres zu thun, als ihm zuzuhören!« bemerkte Polaniecki.

Bukacki nahm seine Handschuhe und fragte:

»Was haben Sie gegen Sammlungen einzuwenden?«

»Nichts,« erwiderte Waskowski. »In unsrer Zeit gilt das für ehrenvoll, bewunderungswürdig, als ein Zeichen von großer Kunstliebe. Sollte man aber nicht eher denken, daß dies ein Zeichen von Verfall sei? Meiner Ansicht nach liegt darin etwas sehr Charakteristisches. Früher begeisterte man sich für die gewaltigen Kunstwerke, die die Museen, die Kirchen aufwiesen, heute schwärmt man für Privatsammlungen. Früher sammelte man an seinem Lebensende, jetzt will man schon in der Jugend ein Original sein. Ich spreche jetzt nicht von Bukacki, aber heutigen Tags sammelt der kleinste Bursche, der etwas Geld besitzt, und was? Nichts weniger als Kunstgegenstände, nein, höchstens deren Auswüchse, einfach Lappalien. Wißt Ihr, meine Freunde, ich unterscheide streng zwischen Liebe und Passionen, und ich behaupte z. B., daß ein Mensch, der eine große Vorliebe für die Frauen hegt, noch lange keiner edlern Gefühle fähig zu sein braucht.«

»Das ist wohl möglich. Daran ist etwas!« warf Polaniecki ein.

»Was geht das mich an,« erklärte Maszko, mit der Hand über seinen englisch zugestutzten Bart streichend, »aus all dem spricht hauptsächlich der Grimm des alten Pädagogen gegen die neue Zeit.«

»Dem ist nicht so!« bemerkte Waskowski. »Fast freudig finde ich und entdecke ich immer wieder Beweise dafür, daß wir am Ende einer Epoche angelangt sind, daß binnen kurzem eine neue Zeit anbrechen wird.«

»Wir sind auf offenem Meere und erreichen nicht so schnell das Ufer!« brummte Maszko.

»Sei ruhig,« rief Polaniecki.

Allein ohne sich entmutigen zu lassen, fuhr Waskowski fort:

»Der Dilettantismus führt stets zu einem gewissen Raffinement, und dabei geht das wirklich Große, das Ideale verloren; das Verlangen nach Lebensgenuß tritt an die Stelle. Damit sind wir wieder beim Heidentum angelangt. Kein Mensch giebt sich Rechenschaft darüber, bis zu welchem Grade wir Heiden geworden sind. Aber eins ist gewiß: der arische Geist kann nicht völlig erstarren, durch nichts völlig erkalten. Der Geist, geschaffen durch den Odem Gottes, ist schöpferisch auf allen Gebieten, hauptsächlich aber im Christentum. Das ist eine zweifellose Sache.«

Und Waskowski, der mit seinen Kinderaugen niemals etwas in seiner nächsten Umgebung zu bemerken, sondern stets in das Unendliche zu schauen schien, blickte nun durch das Fenster auf die dunkeln Regenwolken, durch die hier und da ein spärlicher Sonnenstrahl sichtbar wurde. Bukacki aber bemerkte:

»Schade, daß ich an Kopfschmerzen leide, denn das wird eine interessante Epoche werden.«

Maszko jedoch, der Waskowski »die Säge« nannte und sich bei dessen ewigem Docieren sträflich langweilte, holte aus der Seitentasche seines Rockes eine Cigarre, biß die Spitze ab und sagte, indem er sich zu Polaniecki wendete: »Höre, Stas, denkst Du wirklich im Ernste daran, Deinen Eintrag auf Krzemien einem Dritten zu cedieren?«

»Gewiß. Weshalb frägst Du?«

»Weil ich vielleicht darauf reflektieren werde.«

»Du?«

»Ja. Du weißt doch, daß ich oft derartige Geschäfte mache. Heute kann ich Dir freilich noch nichts Bestimmtes sagen, aber morgen lasse ich mir eine Aufstellung der auf Krzemien lastenden Hypothekenschulden schicken und teile Dir dann meinen Entschluß mit. Willst Du morgen nach Tisch eine Tasse Kaffee bei mir trinken? Wir könnten dann über die Angelegenheit reden.«

»Gut. Es wäre mir übrigens lieb, wenn im bejahenden Falle alles rasch abgemacht würde, denn ich habe soeben Bigiel mitgeteilt, daß ich zu verreisen gedenke.«

»Wohin willst Du denn gehen?« fragte Bukacki.

»Ich weiß es noch nicht. In der Stadt ist es zu heiß. Jedenfalls wohin, wo Bäume sind, wo Wasser ist.«

»Auch so ein veraltetes Vorurteil,« erklärte Bukacki; »in der Stadt ist doch wenigstens immer auf einer Seite der Straßen Schatten, auf dem Lande ist das aber nicht der Fall. Ich gehe einfach auf der Schattenseite und befinde mich sehr wohl dabei. Deshalb bleibe ich im Sommer stets in der Stadt.«

»Und Sie, Professor, haben Sie sich noch keinen bestimmten Platz gewählt?« fragte Polaniecki den alten Pädagogen.

»Doch. Frau Emilie will mich überreden, nach Reichenhall zu kommen. Wahrscheinlich entscheide ich mich dafür.«

»Dann reisen wir zusammen. Für mich ist es ganz einerlei, wohin ich gehe. Salzburg hat mich von jeher angezogen, und zudem werde ich mich sehr freuen, Frau Emilie und Litka wiederzusehen.«

In diesem Augenblick streckte Bukacki seine zarte, durchsichtige Rechte aus, nahm einen Zahnstocher aus dem Glase, stocherte sich damit in den Zähnen und erklärte in seinem frostigen, stets gleichgültig klingenden Tone:

»Ich fühle eine solch wütende Eifersucht in mir aufsteigen, daß ich mich entschließen könnte, mit Euch zu reisen. Polaniecki, nimm Dich in acht, ich zerplatze mit einem Male gleich Dynamit.« Der Gegensatz zwischen den feindlichen Worten und dem ruhigen Tone Bukackis wirkte so komisch, daß Polaniecki, in lautes Lachen ausbrechend, rief:

»Wo wäre es mir jemals eingefallen, man könne sich in Frau Emilie verlieben! Ich danke Dir indessen sehr für diese Idee.«

»Wehe Euch beiden!« ließ sich Bukacki vernehmen, indem er weiter in den Zähnen stocherte.


 << zurück weiter >>