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Kreszowski saß mit dem Arzte, einen verschlossenen Pistolenkasten neben sich, in einem Wagen, Polaniecki mit Maszko im zweiten, und so fuhren sie nach Bielany. Es war ein kalter, heller Tag, die Luft von rosenfarbenem Nebel erfüllt. Knirschend fuhren die Räder über den gefrorenen Schnee, die schnaubenden Pferde waren mit Reif bedeckt, an den Bäumen hingen dicke Eiszapfen.
»Wie kalt, wie bitter kalt es ist,« sagte Maszko. »Die Finger werden uns ja am Drücker anfrieren.«
»Und den Pelz ablegen zu müssen, ist auch nicht angenehm.«
»Darum erbarmt Euch und macht keine unnützen Worte. Sage Kreszowski, er möge ja gleich zur Sache kommen.«
Hier begann Maszko sein angelaufenes Binocle abzureiben und fügte hinzu: »Bevor wir anlangen, geht die Sonne auf, und wir werden dann durch den Schnee vollständig geblendet werden. Weißt Du, was mich in diesem Augenblick am meisten beschäftigt? Daß es einen Faktor in der Welt giebt, womit niemand rechnet, wovon aber gar viel abhängt, und wodurch manches zerstört, zu Grunde gerichtet wird – die Thorheit der Menschen. Setzen wir den Fall, ich hätte zehnmal mehr Verstand als ich in Wirklichkeit habe, nehmen wir an, ich wäre nicht Maszko, sondern irgend ein großer Politiker, ein Bismarck oder ein Cavour, der sich ein Vermögen erwerben muß, um seine Pläne durchzuführen, und der jeden Schritt, jedes Wort im voraus berechnet hat. Und da kommt solch ein Vieh, dessen Absichten gar nicht im voraus zu berechnen sind, und alles stürzt auf einmal zusammen. Es ist geradezu himmelschreiend. Ob er mich zusammenschießt oder nicht – daran ist wenig gelegen, aber die Bestie hat die Arbeit eines ganzen Lebens vernichtet.«
»Also was hast Du davon, wenn er Dich zusammenschießt? Darum mache Frieden mit ihm.«
Maszko nahm sein Binocle ab, rieb es wieder und sagte: »Mein Lieber, ich weiß ganz gut, daß Du mich seit dem Augenblick unserer Abfahrt beobachtest und mir jetzt Mut einflößen willst, das ist auch ganz natürlich. Ich kann Dich aber beruhigen und Dir mein Wort darauf geben, daß ich Euch keine Schande machen werde. Eine gewisse Erregung fühle ich freilich hier in der Herzgegend, aber weißt Du auch weshalb? Nicht der eigentlichen Lebensgefahr wegen, nicht aus Furcht vor der todbringenden Waffe. Möge man uns mit irgend einer Waffe in der Hand einander gegenüber in einen einsamen Wald stellen, bei Gott, einen halben Tag werde ich mit dem Thoren kämpfen und seinen Schüssen stand halten. Aber ich hatte schon einmal einen Zweikampf und weiß, was das heißt. Es ist ein aufregendes Schauspiel. Die Sekundanten blicken voll Besorgnis auf Dich, um zu sehen, wie Du Dich benehmen, ob Du Dich auch recht hervorthun wirst. Ein öffentliches Auftreten ist's, wobei die Eigenliebe eine große Rolle spielt, nichts weiter. Für nervöse Naturen eine wahre Marter. Sonst bin ich freilich nicht nervös. Auch gebe ich zu, daß ich unter den obwaltenden Umständen ein gewisses Uebergewicht über den Gegner habe, weil ich mehr Menschen gewöhnt bin, als er. Ein solcher Esel hat ja auch weniger Phantasie und vermag sich gar nicht vorzustellen, wie er als Leiche aussehen wird. Mehr Selbstbeherrschung besitze ich ebenfalls, und in solchen Fällen entscheidet einzig das Temperament. Dieser Zweikampf bringt nur Unruhe und Aufregung mit sich, aber ihm auszuweichen, dazu bin ich doch nicht imstande – dessen kannst Du aber gewiß sein, sobald ich nur das blöde Gesicht vor mir sehe, werde ich vollständig ruhig.«
Mittlerweile waren sie an Ort und Stelle angelangt. Beinahe gleichzeitig kam auch der Wagen an, worin sich Gątowski, Herr Jamisz und Wilkowski befanden, und die ganze mit dem Arzte sieben Personen zählende Gesellschaft begab sich hierauf tiefer in den Wald hinein, an den am Tage zuvor durch Kreszowski ausgewählten Platz.
In ihren Galoschen schwer auftretend, wobei ihnen der Hauch vor dem Munde beinahe gefror, näherten sich die Herren dem Waldessaume. Ein wenig den in solchen Fällen üblichen Regeln entgegen, kam Herr Jamisz unterwegs zu Polaniecki heran und sagte: »Es war mein aufrichtiger Wunsch, daß Gątowski Herrn Maszko um Verzeihung bitte, aber unter den obwaltenden Umständen ist es unmöglich.«
»Ich habe Maszko ebenfalls ersucht, das, was er geschrieben, einigermaßen zu mildern, aber er wollte nicht.«
»Für so etwas fehlt mir wirklich das Verständnis. Wie thöricht, wie unbegreiflich ist dies alles.«
Polaniecki gab keine Antwort, und sie gingen schweigend weiter. Dann begann Herr Jamisz abermals: »Ei, ich hörte ja, Marynia Plawicki habe eine Erbschaft gemacht?«
»Ja, eine kleine!«
»Und der Alte?«
»Ist unglücklich darüber, daß ihm nicht das ganze Vermögen verschrieben ward.«
Herr Jamisz schlug sich mit der Hand an die Stirne. »Ihm fehlt es hier ein wenig, dem Plawicki.« Und sich umschauend, fügte er hinzu: »Wie weit müssen wir denn noch gehen?«
»Sogleich werden wir an Ort und Stelle sein.«
Sie schritten weiter. Ueber den Gesträuchen stieg die Sonne empor, die Bäume warfen bläuliche Schatten über den Schnee. Die auf den Gipfeln versteckten Krähen schüttelten den Schnee herab und geräuschlos fiel er zur Erde, kleine spitzige Hügel unter den Bäumen bildend. Ueberall tiefe Stille und Ruhe. Aber die Menschen waren gekommen, um sie zu trüben, sich kalten Blutes zu morden.
Am Waldessaume, wo es sehr hell war, stellten sie sich auf. Einer kurzen Rede des Herrn Jamisz über die Bedeutung der Eintracht und die Verwerflichkeit des Zweikampfes lauschten Maszko und Gątowski, die Ohren tief in die Mantelkrägen vergraben. Dann, als Kreszowski die Pistolen geladen hatte, richteten sie sich empor, warfen die Pelze ab und standen einander gegenüber, die Läufe emporgerichtet. Gątowski atmete schwer, sein Gesicht war gerötet, an seinem Schnurrbart hingen Eiszapfen. Sein ganzes Aussehen zeigte, daß er sich außerordentlichen Zwang auferlegte, daß nur Scham und ein starker Wille ihn davon abhielten, seiner natürlichen Regung zu folgen, sich auf den Gegner zu stürzen und ihn mit dem Pistolenkolben zu bearbeiten. Maszko, welcher sich kurz zuvor den Anschein gegeben hatte, als ob er Gątowski gar nicht sehe, blickte jetzt auf ihn mit einem Gesicht voll Haß, Zorn und Verachtung. Gleichwohl beherrschte er sich mehr als Gątowski, und in dem langen Ueberzieher, mit dem hohen Hut auf dem Kopfe, mit seinem langen Backenbarte, sah er aus wie ein Schauspieler, welcher die übernommene Rolle wie ein Gentleman durchführen will.
»Er wird den Bären niederschießen wie einen tollen Hund,« dachte Polaniecki.
Die Kommandorufe ertönten, zwei Schüsse unterbrachen die Stille des Waldes, dann wendete sich Maszko zu Kreszowski und sagte kalt: »Ich bitte die Pistolen wieder zu laden.«
Aber gleichzeitig zeigten sich auf dem Schnee zu seinen Füßen einige Blutflecken.
»Sie sind verwundet,« sagte der Arzt sich rasch nähernd.
»Wohl möglich . . . Ich bitte zu laden . . .«
Doch in diesem Augenblick schwankte er, denn die Kugel hatte ihn in die Kniescheibe getroffen.
Der Zweikampf war zu Ende. Gątowski blieb noch einige Zeit mit stierblickenden Augen, ohne zu wissen, was um ihn vorging, auf seinem Platze. Nachdem der erste Verband angelegt war, näherte er sich aber auf Herrn Jamisz' Veranlassung seinem Gegner und sagte etwas linkisch, aber doch herzlich: »Jetzt gestehe ich, daß ich kein Recht hatte, über Sie herzufallen, wie ich es gethan, ich nehme alles zurück, was ich sagte, und bitte um Verzeihung. Und es thut mir leid, daß Sie verwundet sind.«
Als er sich dann mit Herrn Jamisz und Wilkowski entfernte, hörte man ihn sagen: »So wahr ich Gott liebe, es ist der reinste Zufall – ich wollte über seinen Kopf hinwegschießen.«
An diesem Tage sprach Maszko kein Wort mehr, nur auf die Frage des Arztes, ob die Wunde ihn sehr schmerze, schüttelte er verneinend den Kopf.
Bigiel, der am Tage vorher aus Preußen zurückgekehrt war, wo er verschiedene Geschäfte abgeschlossen hatte, sagte, auf die Kunde von dem Vorgefallenen hin, zu Polaniecki:
»Maszko ist zwar ein intelligenter Mensch, aber bei uns hat bei Gott jeder seinen Sparren . . . Er z. B. genießt großes Ansehen, könnte eine Menge wichtiger Prozesse führen, ein beträchtliches Einkommen haben, sich auf diese Weise ein Vermögen erwerben. Aber nein, er zieht vor zu spekulieren, seinen Kredit bis zum Aeußersten zu erschöpfen, Landgüter zu kaufen, den Land- und Großgrundbesitzer zu spielen, kurz, er will alles andere sein, nur nicht das, was er ist. Gar oft denke ich, daß das Leben an sich gar nicht so schlimm wäre, wenn wir nicht gar zu häufig irgend einem Hirngespinst nachjagten. Ich gebe zu, daß Maszko Geist und Energie hat, aber wenn man alles bedenkt, könnte man bei Gott meinen, daß es hier nicht ganz richtig bei ihm sei.«
Dabei schlug sich Bigiel mit der Hand an die Stirne.
Mit fest aufeinander gepreßten Zähnen lag indessen Maszko auf dem Krankenbette, denn seine Wunde war zwar nicht lebensgefährlich, aber außerordentlich schmerzhaft. Am Abend fiel er während Polanieckis Anwesenheit zweimal in Ohnmacht. Dann folgte solch ein Schwächezustand, daß die Seelenstärke, welche bisher den jungen Advokaten aufrecht erhalten, völlig nachließ. Nachdem ein neuer Verband angelegt worden und der Doktor gegangen war, lag er einige Zeit ruhig, dann sagte er: »Viel Glück habe ich wahrlich nicht. Beschimpft, verwundet, zu Grunde gerichtet – alles auf einmal.«
»Jetzt ist's nicht an der Zeit, daran zu denken.«
Maszko stützte sich mit der Hand auf die Kissen, stöhnte laut auf vor Schmerz und Ingrimm und fuhr fort: »Laß' mich ums Himmelswillen! Es ist ja das letztemal für lange Zeit, das letztemal, daß ich mit einem ordentlichen Menschen davon sprechen kann. In acht oder vierzehn Tagen werde ich zu den Leuten gehören, denen man gerne ausweicht . . . Was liegt mir am Fieber! In solch völligem Ruin ist etwas Unerträgliches, hauptsächlich auch deshalb, weil dann der erste, beste Kretin, der erste beste Esel sagen kann: Dies habe ich längst vorausgesehen – ich habe es von Anfang an vorausgesetzt. Ja! Alle haben dann immer alles vorausgesagt . . . wenn die Sache schon geschehen, nichts mehr zu ändern ist . . .«
Unwillkürlich dachte Polaniecki des Ausspruchs Bigiels, und merkwürdiger Weise schienen Maszkos folgende Worte eine Antwort darauf zu sein.
»Du denkst wohl, daß ich zu viel aufs Spiel setzte, daß ich mehr sein wollte, als ich war. Vielleicht ist das jetzige Leben im allgemeinen ein widersinniges, sicher ist aber, daß ich ohne jenen Thoren, ohne das Duell erreicht hätte, was ich erstrebte. Als schlichter, armer Advokat werde ich Fräulein Kraslawski nicht zum Weibe bekommen. Bei uns muß man immer eine gewisse Rolle spielen. Du kennst jene Frauen nicht. In Ermangelung einer besseren Partie, und weil man ›Herrn Maszko‹ gerade nichts Schlimmes nachsagen konnte, entschieden sie sich für ihn. Sobald ich aber mein Vermögen, meine Stellung verliere, werden sie mich ohne Barmherzigkeit fallen lassen und dann über mich herstürzen, um sich selbst der Welt gegenüber zu schützen. Fräulein Kraslawski ist keine Marynia!«
Ein langes Schweigen folgte. Dann fuhr Maszko mit schwacher Stimme fort: »Sie hätte mich retten können. Mit ihr hätte ich ein anderes Leben begonnen. Krzemien wäre gerettet worden. Weißt Du denn, daß ich wie ein Student in sie verliebt war? Nun ist es anders gekommen. Die Streitigkeiten mit Dir sind ihr lieber als meine warme Neigung. Da ist nichts zu machen.«
Polaniecki, dem dies Thema peinlich war, suchte dem Gespräch eine andere Wendung zu geben und sagte etwas ungeduldig:
»Mich wundert nur, daß ein Mensch mit Deiner Energie alles für verloren betrachtet, wenn noch gar nicht alles verloren ist. Fräulein Plawicki repräsentiert für Dich die Vergangenheit, vor der Du ein Kreuz gemacht hast, als Du Dich Fräulein Kraslawski zuwandtest. Was nun die Gegenwart anbelangt, so hast Du Dich duelliert, bist verwundet, aber in acht Tagen kannst Du wieder gesund sein – und schließlich hat Deine Braut Dir ja noch nicht erklärt, daß sie mit Dir brechen wolle. Solange Du dies nicht schwarz auf weiß hast, solltest Du auch nicht daran denken. Du fühlst Dich jetzt krank und siehst alles in trübem Lichte. Auf etwas aber will ich Dich aufmerksam machen. Du mußt Deiner Braut mitteilen lassen, was sich zugetragen hat. Willst Du, daß ich morgen zu ihr gehe? Dann mag sie thun, was sie will, aber sie erfährt wenigstens alles durch einen Augenzeugen, nicht durch die Klatschbasen der Stadt.«
Maszko bedachte sich einen Augenblick, dann sagte er: »Ich wollte meiner Verlobten schreiben, allein es wird besser sein, wenn Du hingehst. Zwar habe ich keine Hoffnung, daß sie mir treu bleibt, aber man muß thun, was sich gehört. Ich danke Dir. Aber nur kein Wort von meinen Sorgen . . . den Verkauf des Eichenwaldes mußt Du so hinstellen, als ob ich Dir damit einen Gefallen erwiesen hätte. Ich danke Dir herzlich. Sage ihr auch, daß Gątowski mich um Verzeihung gebeten hat.«
»Ist jemand zu Deiner Pflege da?«
»Mein Diener und seine Frau. Der Doktor wird auch noch einmal kommen. Schlecht fühle ich mich nicht, obwohl mir das Stillhalten sehr zusetzt.«
»Also auf Wiedersehen.«
»Leb wohl! Ich danke Dir – Du bist –«
»Schlafe gut.«
Polaniecki ging. Unterwegs dachte er viel an Maszko. Romantisch angelegt ist der nicht, nichts weniger als das, sagte er sich . . . Und doch fühlt er tief – Marynia hat er wirklich geliebt – damit hat er der Romantik seinen Tribut bezahlt. – Freilich warb er nach einem Monat schon um eine andere – des Geldes wegen. Ich begreife dies nicht und glaube nicht an eine Neigung, welche so rasch vergeht . . .«
Zu Hause angelangt, fand er einen Brief Bukackis aus Italien und eine Karte Marynias vor, worin sie sich lebhaft nach dem Ausgang des Duells erkundigte. Auch war die Bitte darin enthalten, ihr am andern Morgen in der Frühe Nachricht zukommen zu lassen.
Von dem Gedanken beherrscht, daß sie thatsächlich zu einer andern Gattung gehöre als Fräulein Kraslawski, schrieb er ihr herzlicher, als er eigentlich selbst beabsichtigte. Dann erst griff er nach Bukackis Schreiben, und unter fortwährendem Achselzucken las er, wie folgt:
»Möge Sakya-Muni das gesegnete Nirwana für Dich ausbitten. Sage Herrn Katzlauer, er solle meine dreitausend Rubel nicht nach Florenz senden, sondern behalten, bis ich darüber verfüge. In den letzten Tagen beschloß ich, meine frühere Absicht, Vegetarianer zu werden, wieder in Erwägung zu ziehen. Wenn die Absicht zum Entschlusse wird, und die Ausführung nicht über meine Kräfte geht, höre ich also auf, ein fleischfressendes Tier zu sein. Das Leben wird dann auch weniger kostspielig für mich. – Ich habe nun herausgebracht, weshalb die Slaven einen Hang zur Synthese, nicht aber zur Analyse haben. Weil sie Faulenzer sind, und die Analyse eine mühselige Arbeit ist. Synthesieren kann man, während man nach dem Mittagessen eine Cigarre raucht. Uebrigens haben sie recht, daß sie Faulenzer sind. In Florenz ist es jetzt sehr warm, vornehmlich am Lung-Arno. Die florentinische Schule suche ich mir nach synthetischer Methode zu erklären. Ich habe einen begabten Aquarellmaler, auch einen Slaven, kennen gelernt, der zwar von der Kunst lebt, aber immer darzuthun sucht, daß unsere jetzige Kunst eine Schweinerei ist, daß sie hervorgegangen ist aus Freude an der Frivolität. Mit einem Worte, nach ihm ist die jetzige Kunst dem Verfalle nahe. Er fiel wie wütend über mich her und behauptete, ein Buddhist zu sein und sich zugleich mit Kunst zu beschäftigen, sei der Gipfel der Inkonsequenz, aber da fiel ich auch über ihn her und erwiderte ihm, Konsequenz für etwas Besseres als Inkonsequenz anzusehen, sei der Gipfel philisterhafter Beschränktheit, eines philisterhaften Vorurteils und niedriger Denkungsart. Der Mensch war verwundert und wußte nichts mehr zu sagen. Nun suchte ich ihn zu überreden, daß er sich aufhänge, aber er wollte nicht. – Sage mir doch, ob Du gewiß bist, daß die Erde sich wirklich um die Sonne dreht, und ob dies kein Scherz ist. Mir übrigens ist ja alles einerlei. – In Warschau trauerte ich um das arme Kind, das sterben mußte. Aber auch hier kann ich es nicht vergessen. Welche Thorheit ist dies! Was macht Frau Emilie? Des Menschen Rolle ist von Anfang an vorausbestimmt, und ihr ist die Rolle des leidenden Engels zugefallen. Wozu war sie so selbstlos und tugendhaft? Sie hätte ein froheres, angenehmeres Leben haben können. Was nun Dich selbst betrifft, Mensch, so bitte ich Dich, erweise mir einen Gefallen. Ich flehe Dich an, um alles in der Welt, verheirate Dich nicht. Bedenke, wenn Du Dich verheiratest, wenn Du einen Sohn bekommst, wenn Du arbeitest, um ein Vermögen für ihn zu erwerben, thust Du dies doch nur, damit dieser Sohn das werde, was ich bin, und ich bin zwar ein sehr angenehmer Bursche, aber ich hege gewisse Zweifel über meine Unentbehrlichkeit. Du tatkräftiger, energischer Mensch, lebe wohl. Du personifiziertes Geschäft, Du tüchtiger Kompagnon, Du Uebergangsform, Du unermüdlicher Arbeiter, Du Züchter von Kummer und Sorgen, lebe wohl. Umarme Waskowski für mich. Der ist auch Synthetiker. Möge Saky-Muni Dich erleuchten, auf daß Du erkennst, daß es in der Sonne warm und im Schatten kalt ist und daß Liegen besser ist als Stehen.
Dein
Bukacki.«
»Welch ein Gemisch von Sinn und Unsinn!« dachte Polaniecki. »Es ist gefährlich, sich in solche Spekulationen einzulassen, wie Maszko oder Bukacki. In beiden Fällen geht man zu Grunde.«
Erregt im Zimmer auf- und abschreitend, atmete er tief auf. Auf dem Tische lag Bukackis Brief. Polaniecki nahm ihn wieder in die Hand und las die Stelle, auf die seine Augen zufällig fielen. »Ich flehe Dich an, verheirate Dich nicht. Bedenke, wenn Du Dich verheiratest, wenn Du einen Sohn bekommst, wenn Du arbeitest, um ein Vermögen für ihn zu erwerben, thust Du dies doch nur, damit dieser Sohn das werde, was ich bin . . .«
»Sieh' mein Junge,« murmelte Polaniecki mit einem gewissen Ingrimm vor sich hin, »ich verheirate mich doch, verheirate mich mit Marynia Plawicki, hörst Du? Ich werde mir ein Vermögen erwerben, und wenn ich einen Sohn bekomme, werd' ich einen tüchtigen Menschen aus ihm machen, verstehst Du?«
Noch an demselben Abend vernichtete er seinen ersten Brief an Marynia und schrieb einen zweiten, noch herzlicheren, der folgendermaßen lautete:
»Teures Fräulein!
Maszko ist leicht verwundet. Sein Gegner bat ihn noch an Ort und Stelle um Verzeihung, und die Sache wird keine weiteren Folgen haben. Nur hält sie mich heute von Ihnen fern; wenn Sie es gestatten, werde ich aber morgen kommen, um Ihre lieben Hände zu küssen.
Polaniecki.«
Nachdem er die Adresse gemacht, blickte er auf die Uhr. Als er sah, daß es schon elf Uhr war, befahl er, den Brief sogleich fortzubringen.
»Sie wäre sehr thöricht,« dachte er, »wenn sie nicht merkte, weshalb ich morgen komme.«