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Maszko kehrte nach vierzehn Tagen von Petersburg zurück, sehr zufrieden mit der Wendung seiner Geschäftsangelegenheiten. Er brachte eine wichtige Kunde mit, die ihm, wie er behauptete, auf vertraulichem Wege zugekommen und sicherlich noch niemand bekannt war. Man war nämlich in den unterrichteten Kreisen der Ansicht, daß demnächst ein Ausfuhrverbot von Getreide erlassen werde. Die letzten Ernten waren in der ganzen Landschaft sehr ungünstig ausgefallen. Infolgedessen tauchte schon an verschiedenen Orten das Gespenst des Hungers auf, und es ließ sich leicht voraussehen, daß gegen das Frühjahr die Vorräte erschöpft sein würden, die Hungersnot eine allgemeine werde. Diese Nachricht machte großen Eindruck auf Polaniecki.
Mehrere Tage hindurch saß er mit dem Bleistift in der Hand in seinem Geschäftszimmer und rechnete und rechnete. Das Resultat dieser Arbeit war, daß er Bigiel den Vorschlag machte, nicht nur das vorhandene Bargeld, sondern auch ihren Kredit dazu zu benützen, so viel Getreide wie möglich anzukaufen. Bigiel, der übrigens vor jedem neuen Geschäft zurückschrak, wollte sich anfänglich nicht dazu verstehen, besonders da ihm Polaniecki nicht verhehlte, daß das Unternehmen immerhin ein gewagtes zu nennen sei und ein Mißlingen den Ruin der Firma bedeuten könne. Ein gänzlicher Mißerfolg war jedoch kaum wahrscheinlich, während ein Erfolg mit einem Schlage reiche Leute aus ihnen machen konnte. Das Steigen der Getreidepreise durfte mit Sicherheit angenommen werden. Polaniecki hatte, soweit dies in menschlicher Macht lag, alle Eventualitäten erwogen, und als er schließlich seine Berechnungen vorlegte, mußte Bigiel zugeben, daß man eine so günstige Aussicht auf Gewinn nicht unbenutzt vorübergehen lassen dürfe. Bigiels anfängliche Opposition wurde somit besiegt, und Polaniecki konnte zur Ausführung seiner Pläne schreiten. Schon nach kurzer Zeit reiste Abdalski, der Hauptkommissionär der Firma, mit der Vollmacht im Lande umher, im Namen seines Hauses Kaufkontrakte über die vorhandenen Getreidevorräte, wie auch über den Ertrag der nächsten Ernte abzuschließen, während Bigiel sich nach Preußen begab. Polaniecki mußte nun alle laufenden Geschäfte allein abwickeln. Er arbeitete von früh bis spät, gönnte sich kaum eine Mußestunde und ließ sich außer bei Frau Emilie und bei Plawickis nirgends sehen.
Die Zeit verging ihm dabei aber sehr rasch. Die Arbeit gewährte ihm Freude, durfte er doch hoffen, nun endlich das Ziel zu erreichen, das er schon längst anstrebte. Er wollte sich unter jeder Bedingung einen größeren Wirkungskreis schaffen, die Geschäftsverhältnisse, denen er sich anbequemen mußte, engten ihn ein, boten ihm kein richtiges Feld zur Entfaltung seiner kaufmännischen Kenntnisse, seiner Kraft, seiner Energie. Um was handelte es sich schließlich bei den Geschäften, die sein Haus unternahm? Billig zu kaufen, teuer zu verkaufen – der Kasse Gewinn zuzuführen, das waren die einzigen Ziele. Auf eigene Hand oder als Vermittler kaufen – nichts weiter.
»Wenn wir noch eine Fabrik oder Bergwerke hätten,« pflegte er in den Momenten der Unzufriedenheit und der Unlust zu Bigiel zu sagen, »aber um was mühen wir uns ab? Daß ein Teil des Goldregens, der durch kaufmännische Unternehmungen hervorgerufen wird, unsre Taschen füllt. Wir produzieren nichts.« Jetzt, so dünkte ihm, war die Gelegenheit gekommen, um das nötige Kapital zu großartigen industriellen Unternehmungen zu erwerben, und er griff mit beiden Händen zu.
Da er seine Besuchszeit bei Frau Emilie nicht regelmäßig innehalten konnte, hatte er sie in der jüngsten Zeit mehreremale verfehlt. Nur einmal hatte er sie zu Hause getroffen, und da war ihr Zusammensein durch die Anwesenheit von Frau Bigiel und von Frau und Fräulein Kraslawski gestört worden. Als daher Marynia ihn benachrichtigte, daß Frau Emilie schon in wenigen Tagen ihr Noviziat antreten werde, eilte er ungesäumt zu der Freundin. So schwer es ihm auch wurde, Abschied wollte und mußte er von ihr nehmen.
Dieses Mal traf er sie auch zu Hause und allein. Sie empfing ihn mit ruhiger Heiterkeit, allein ihr Aussehen schnürte ihm das Herz zusammen. Ihr Gesicht war so hager geworden, daß die Adern an den Schläfen durchschimmerten.
Von ihrem Entschlusse, barmherzige Schwester zu werden, sprach sie mit ihm wie von einer Sache, die sich von selbst versteht, wie von einem Schritt, der als natürliche Folge eines Lebens betrachtet werden muß, welches in seinen Grundpfeilern erschüttert worden ist. Polaniecki begriff nur zu wohl, daß sein Abraten ganz fruchtlos sein werde.
»Sie bleiben aber doch hier in Warschau?« fragte er.
»Ja, ich möchte Litka nahe sein. Die Oberin versprach mir, mich zuerst im Mutterhause und nach Ablauf meiner Lehrzeit in einem der hiesigen Spitäler zu beschäftigen. So lange ich im Mutterhause sein werde, darf ich Litka jeden Sonntag besuchen.«
Polaniecki biß die Zähne zusammen und schwieg; er betrachtete die zarten, wachsähnlichen Hände der Freundin und fragte sich, wie sie mit diesen Händen Kranke pflegen wolle, allein er sagte sich auch gleichzeitig, daß sie mit aller Kraft der Seele und des Herzens den Tod herbeiwünsche, um mit Litka vereinigt zu werden.
Der Abschied fiel Polaniecki ungemein schwer. Das Gefühl, daß er nun auch die Frau verlieren sollte, mit der ihn eine jahrelange Freundschaft verbunden hatte, stimmte ihn unsäglich traurig, und nur mit Aufbietung aller Kraft bezwang er sich, ergriff ihre beiden Hände und drückte inbrünstig seine Lippen darauf.
»Meine liebe, liebe, Freundin,« sprach er mit vor Rührung zitternder Stimme, »möge Gott Sie schützen und trösten.«
Auch sie war tief ergriffen. Ohne seine Hände loszulassen, sah sie mit thränenfeuchten Augen zu ihm empor und erwiderte mit leiser Stimme: »Sie sind mir stets ein teurer Freund gewesen, daß aber Litka Sie so sehr geliebt hat, das hat Sie mir nur noch näher gebracht. Nie werde ich es vergessen, was Sie an meinem geliebten Kinde gethan haben. Sein letzter Wunsch war ihre Verbindung mit Marynia. Ihr werdet glücklich werden, denn Gott hat aus dem Kindermunde gesprochen. Wenn Ihr Euern Bund geschlossen habt, so denkt, daß Ihr Euer Glück Litka verdankt. Gott behüte und segne Euch beide.«
Ohne ein Wort der Erwiderung stürzte Polaniecki fort. Mit seiner Fassung war es zu Ende. Um ruhiger zu werden, erging er sich noch eine geraume Zeit in der frischen Luft. Nach Hause zurückgekehrt, fand er ein Bilettchen Maszkos vor, das folgendermaßen lautete: »Ich bin heute schon zweimal bei Dir gewesen. In Gegenwart meiner Schreiber bin ich von einem gewissen Gątowski, einem Verrückten, wegen des Eichenwaldes, den ich Dir verkaufte, beschimpft worden. Ich muß mit Dir sprechen und werde mich gegen Abend nochmals einstellen.«
Noch war keine Stunde vergangen, so klopfte es an die Thüre; in sichtlicher Aufregung trat Maszko ein und fragte ohne Umschweife: »Kennst Du diesen Gątowski?«
»Gewiß. Er ist ein Nachbar und ein Verwandter von Plawicki. Was ist denn vorgegangen?«
Maszko legte Hut und Paletot ab und erwiderte: »Es ist mir unbegreiflich, auf welche Weise sich das Gerücht von diesem Verkauf verbreiten konnte. Ich sprach mit keinem Menschen davon, denn mir lag viel daran, alles geheim zu halten.«
»Unser Kommissionär Abdalski reiste nach Krzemien, um den Eichenwald zu besichtigen. Wohl möglich, daß Gątowski durch ihn von dem Verkaufe erfahren hat.«
»Höre, was geschehen ist. Als ich mich heute auf meinem Bureau befand, wurde mir die Karte des Herrn Gątowski überbracht. Ich hatte keine Ahnung, wer dies sein könne, und ließ den Herrn wissen, daß mir sein Besuch angenehm sei. Darauf tritt ein ganz unbedeutend aussehender Mensch ein, pflanzt sich vor mich hin und fragt mich, ob es wahr sei, daß ich den Eichenwald verkauft habe, und daß ich einen Teil von Krzemien kolonisieren wolle. Natürlich erwiderte ich ihm, das gehe ihn gar nichts an, worauf er entgegnete, er wisse, daß ich mich verpflichtet habe, dem alten Plawicki eine Leibrente auszuzahlen, daß ich aber nicht dafür aufkommen könne, wenn ich mich darauf verlege, das Gut systematisch zu ruinieren. Ich riet ihm nun sehr höflich, er möge seinen Hut nehmen und wieder dahin gehen, woher er gekommen sei. Aber was geschah? Er begann laut zu schimpfen, nannte mich in Gegenwart meiner Schreiber einen Schwindler, einen Schurken und empfahl sich, nachdem er mir noch gesagt, daß er im Hotel Saski wohne. Weißt Du, was das heißen soll?«
»Freilich, dieser Gątowski ist erstens ein ungeschlachter beschränkter Mensch und ist zweitens seit Jahren in Fräulein Plawicki verliebt. Er wird sich wohl als ihr Ritter aufspielen wollen.«
»Du weißt,« ergriff Maszko wieder das Wort, »daß ich meine Kaltblütigkeit zu bewahren verstehe – jetzt frage ich mich aber beständig, ob ich nicht geträumt habe. Daß sich jemand erlaubt, mich deshalb zu beschimpfen, weil ich etwas mir Zugehörendes verkauft habe, das ist geradezu unfaßbar.«
»Was gedenkst Du zu thun? Der alte Plawicki wird sicherlich so lange in Gątowski hineinreden, bis er Dich um Verzeihung bittet.«
Auf dem Gesicht Maszkos trat mit einem Male ein solch kalter, bösartiger Ausdruck zu Tage, daß Polaniecki unwillkürlich »den Bären« bedauerte, der sich in eine solche Gefahr gebracht hatte.
»In meinem ganzen Leben hat mich noch niemand ungestraft gekränkt,« erklärte der junge Advokat, »glaubst Du daher, daß ich mich von diesem Menschen ruhig beschimpfen lasse?«
»Gątowski ist ja aber gerade so unzurechnungsfähig wie ungeschlacht.«
»Einem tollen Hund gegenüber übt man auch keine Nachsicht, sondern schießt ihm einfach eine Kugel durch den Kopf. Ich bin ganz ruhig, darum achte genau auf meine Worte: Ich befinde mich in einer sehr schlimmen und schwierigen Lage und werde mich wohl kaum zu retten vermögen.«
»Du zwingst Dich äußerlich ruhig zu erscheinen, aber innerlich bist Du doch sehr erregt, deshalb übertreibst Du jetzt alles.«
»Ganz und gar nicht. Laß mich doch erst zu Ende reden. Sobald ich Dir meine Lage klar auseinander gesetzt haben werde, wirst Du mir recht geben. Also höre mich zuvörderst einmal an. Wenn meine Heirat sich noch einige Monate verzögert, so kann mich gleich der Teufel holen. Meine Stellung, mein Kredit, Krzemien, alles ist dann für mich verloren. Ich sagte Dir schon, daß ich die letzte Karte ausspiele – jetzt muß sich mein Geschick entscheiden. Fräulein Kraslawski heiratet mich nicht aus Liebe, oh nein, sie nimmt mich, weil sie neunundzwanzig Jahre alt ist und weil sie mich, wenn auch nicht für die erträumte, so doch für eine annehmbare Partie erachtet. Erweist es sich nun, daß ich nicht die Persönlichkeit bin, für die sie mich hält, so bricht sie unfehlbar mit mir. Wenn die Damen heute von dem Verkaufe des Eichenwaldes erführen, würde ich morgen verabschiedet werden. Die Geschichte mit Gątowski wird sich rasch herumsprechen. Setzen wir auch den Fall, ich könnte den Verkauf des Eichenwaldes verheimlichen, so bleibe ich doch ein beschimpfter Mensch. Was soll ich nun thun? Fordere ich Gątowski nicht, so betrachten sie mich als einen ehrlosen Schurken und brechen mit mir, fordere ich ihn aber, dann bin ich in den Augen dieser Betschwestern ein Abenteurer, ein Mörder. Ich wette hundert gegen eins mit Dir, daß es so kommen wird. Begreifst Du jetzt, weshalb ich meine Lage als hoffnungslos betrachte?«
»Bah!« erwiderte Polaniecki, indem er mit der Hand in die Luft fuhr, »ich kann ja Krzemien von Dir kaufen. Aber Deine Lage ist immerhin eine schwierige. Was fängst Du mit Gątowski an?«
»Ich thue das, was ich für recht halte. Meiner Bitte, mein Brautführer zu werden, hast Du nur bedingungsweise willfahrt – willst Du mein Sekundant sein?«
»Das schlage ich Dir nicht ab.«
»Ich danke. Gątowski wohnt im Hotel Saski.«
»Morgen werde ich ihn aufsuchen.«
Nachdem Maszko weggegangen war, machte sich Polaniecki auf den Weg, um den Abend bei Plawickis zu verbringen. Er übersann noch einmal die ganze Angelegenheit Maszkos und mußte sich immer wieder sagen, daß dieser nicht mit sich spassen lasse, daß die Sache wohl kaum beigelegt werden könne. Doch was geht das mich an, dachte er schließlich, was gehen mich all die Menschen an, oder ich sie! Ein jeder steht doch verteufelt allein auf der Welt!
Da mit einem Male überkam ihn mit aller Macht das Gefühl, daß es doch ein Wesen auf der Welt gab, das ihm näher stand, das ihm teurer war als alle andern – Marynia. Und als er bei ihr eintrat, als er ihre Hand an die Lippen führte, da wurde ihm nach langer Zeit wieder einmal so recht wohl ums Herz. Sie aber sagte, nachdem sie ihn begrüßt hatte, mit ihrer sanften klaren Stimme: »Ihr Kommen überrascht mich nicht, ich ahnte es. Sehen Sie, es ist schon eine Tasse für Sie gerichtet. Gątowski ist übrigens auch da. Er ist bei Papa.«