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Der Winter ging allgemach zu Ende, der Schluß der Fasten rückte heran, und damit auch die für die Hochzeitsfeierlichkeiten Maszkos und Polanieckis festgesetzte Zeit. Bukacki, den letzterer als Brautführer eingeladen hatte, schrieb ihm unter anderem, wie folgt: »Die allschöpfende Kraft aus dem ihr gemäßen Zustand der Ruhe zu reißen und sie mit Hilfe der auf der Welt üblichen Ehe zu zwingen, mehr oder weniger geräuschvolle Einzelheiten hervorzubringen, die einer Wiege bedürfen und die große Zehe im Munde halten, das ist ein Verbrechen. Nichtsdestoweniger habe ich mich entschlossen, Deiner Einladung Folge zu leisten, weil die Oefen bei Euch besser sind als hier.«
Er kehrte auch wirklich acht Tage vor der Hochzeit zurück. Als Geschenk für Polaniecki brachte er ein einer Todesanzeige ähnliches kunstvoll verziertes Blatt aus Pergament mit, auf welchem die Inschrift stand:
»Stanislaus Polaniecki, nach einem langen, schweren Junggesellenleben etc.«
Dieser Einfall belustigte Polaniecki dermaßen, daß er des anderen Tages gegen Mittag das Blatt zu Marynia mitnahm. Er hatte ganz vergessen, daß es Sonntag war, und fühlte sich sehr unangenehm überrascht, Marynia im Hute anzutreffen.
»Gehen Sie aus?« fragte er.
»Ja, in die Kirche. Es ist ja heute Sonntag.«
»Ach Sonntag . . . das ist wahr! Ich hatte es mir so hübsch ausgemalt, wie wir uns zusammensetzen wollten, um ein Plauderstündchen zu halten.«
Sie richtete ihre lieben blauen Augen auf ihn und sagte einfach: »Und der Gottesdienst?«
Polaniecki ahnte nicht, daß diese schlichten Worte in dem seelischen Prozesse, den er noch durchzumachen haben sollte, eine gewisse Rolle spielen würden; er legte ihnen daher auch keinerlei Bedeutung bei, sondern wiederholte nur wie mechanisch: »Der Gottesdienst! Freilich! Ich habe Zeit, wir gehen zusammen.«
Marynia blickte ihn voll Erstaunen an. Auf dem Wege sagte sie: »Je glücklicher ich bin, desto mehr fühle ich mich eins mit Gott.«
»Es ist ein guter Beweis für Sie, daß Sie sich nicht nur in der Not an Gott wenden.«
In der Kirche überkam Polaniecki so recht lebhaft die Erinnerung an seinen ersten Aufenthalt in Krzemien, an jene Zeit, da er mit Plawicki dem Gottesdienst in Watory angewohnt und sich eingestanden hatte, daß alle philosophischen Systeme eines nach dem andern vom Teufel geholt werden, daß aber die Messe von alters her abgehalten wurde und auch in der Zukunft bestehen werde. Aber damals wie jetzt erschien ihm dies unbegreiflich. Er, der durch den Tod Litkas in so schmerzlicher Weise die Vergänglichkeit alles Irdischen erfahren hatte, suchte immer wieder eine neue Lösung für die Lebensprobleme zu finden, die für ihn im Dunkeln lagen. Es berührte ihn eigentümlich, daß gar vieles nur in Bezug auf das jenseitige Leben geschah, und daß trotz alles Philosophierens und Zweifelns gar manche philanthropische Thaten wie die Erbauung von Waisenhäusern, Spitälern, Pfründnerhäusern und Kirchen für die Rechnung ausgeführt wurden, die erst nach dem Tode bezahlt wird.
Der Gedanke verfolgte ihn, daß man nur dann mit dem Leben im Einklang stehen kann, wenn man sich mit dem Tode aussöhnt, und ohne Glauben an das Jenseits ist dies einfach unmöglich. Glaubt man aber an das Jenseits, dann ist alles gewonnen, denn was will man noch mehr haben? Die Aussicht auf ein neues Dasein verleiht Sicherheit, Ruhe und Frieden. Das beste Beispiel hierfür bot ihm eben jetzt Marynia. Wegen ihrer Kurzsichtigkeit hielt sie den Kopf tief auf ihr Gebetbuch gesenkt, doch wenn sie von Zeit zu Zeit aufblickte, so wurde Polaniecki von dem heiteren, zufriedenen, ja engelhaften Ausdruck ihres Gesichtes tief gerührt. Auf dem Wege nach Hause sagte er zu Marynia: »In der Kirche erinnerten Sie mich an ein Bild von Fra Angelikus, Sie sahen so glücklich, so selig aus.«
»Ich bin auch unendlich glücklich. Und wissen Sie, weshalb: weil ich besser geworden bin. Ich litt sehr unter den traurigen Verhältnissen, ich fühlte mich tief gekränkt, und eine wachsende Bitterkeit bemächtigte sich meiner. Man behauptet zwar, das Unglück veredle auserwählte Seelen, allein ich bin keine auserwählte Seele, und Bitterkeit und Unmut wirken verderblich – gleich Gift.«
»Haben Sie mich damals sehr gehaßt?«
»So sehr, daß ich den ganzen Tag an Sie gedacht habe.«
»Maszko ist doch sehr schlau,« erklärte jetzt Polaniecki. »Ganz so hat er mir die Sache dargestellt. ›Sie zog es vor, Dich zu hassen, statt mich zu lieben,‹ sagte er mir.«
»O, das ist wahr.«
Polaniecki begleitete Marynia nach Hause und beeilte sich dann, ihr Bukackis Pergamentrolle zu zeigen. Allein sie fand keinen Gefallen an diesem Scherze. Die Ehe war ihr eine Herzenssache, war ihr heilig. »Mit solchen Dingen spaßt man nicht,« bemerkte sie und machte Polaniecki kein Hehl daraus, daß sie sich von Bukacki verletzt fühle.
Letzterer ließ nicht lange auf sich warten. Kaum war das Mittagessen vorüber, so erschien er. Während seines mehrmonatlichen Aufenthaltes in Italien war er noch magerer geworden – ein Beweis gegen die Wirksamkeit von »Chianti« gegen Magenkatarrh. Seine Nase war womöglich noch dünner geworden und das humoristische, ironisch lächelnde Gesicht schien aus Pergament zu sein und erreichte kaum noch die Größe der Faust eines Mannes. Da er sowohl mit Polaniecki wie mit Marynia verwandt war, nahm er sich gegen sie noch mehr heraus als den andern Menschen gegenüber. Schon auf der Schwelle erklärte er ihnen, daß Geisteskrankheiten gegenwärtig ganz allgemein seien, man könne sich daher nicht darüber wundern, sondern es höchstens beklagen, daß sie sich verlobt hatten. Er habe die Hoffnung gehegt, ihnen noch helfen zu können, aber er sehe jetzt, daß er zu spät komme und daß ihm nichts anderes übrig bleibe, als zu resignieren. Marynia schaute immer ungehaltener darein, aber Polaniecki, der ihn gern leiden mochte, sagte: »Spare doch Deinen Witz für die Hochzeitsrede, die Du halten mußt, und erzähle uns jetzt von unserem Professor.«
»Er ist verrückt geworden,« antwortete Bukacki.
»Scherzen Sie doch nicht in solcher Weise,« warf Marynia ein.
Und Polaniecki fügte hinzu: »Dies ist außerdem auch noch ein sehr schlechter Scherz.«
Bukacki ließ sich jedoch nicht aus dem Gleichgewicht bringen.
»Professor Waskowski ist verrückt geworden,« fuhr er in größter Ruhe fort, »und ich werde Euch gleich einen Grund dafür anführen. Erstens geht er in Rom barhäuptig herum, oder vielmehr, ging er herum, denn gegenwärtig ist er in Perugia, zweitens, fiel er über eine junge, hübsche Engländerin her, indem er ihr zu beweisen suchte, daß die Engländer nur in ihrem Privatleben Christen seien, daß sie sich aber gegen die Irländer nichts weniger als christlich benommen hätten; drittens läßt er eine Broschüre drucken, in welcher er die Mission der jüngsten Arier darlegen will. Ihr müßt mir zugestehen, daß dies stichhaltige Gründe sind.«
»Das wußten wir schon vor der Abreise des Professors, und wenn nichts Schlimmeres von ihm zu melden ist, so hege ich die Hoffnung, daß wir ihn in guter Gesundheit wiedersehen.«
»Er denkt nicht an die Rückkehr.«
Polaniecki zog mit einem Male ein Notizbuch hervor, schrieb mit Bleistift einige Worte hinein, reichte es Marynia und sagte: »Lesen Sie, und antworten Sie nur, ob Sie mit dem, was ich geschrieben habe, einverstanden sind.«
»Wenn man in meiner Gegenwart etwas aufschreibt, so ist's ratsam, daß ich mich zurückziehe,« warf Bukacki ein.
»Nein, nein, wir haben keine Geheimnisse.«
Marynia errötete vor Freude und fragte, ihren Augen kaum trauend: »Ist das wirklich wahr? Ja?«
»Es hängt ganz von Ihnen ab, mein gnädiges Fräulein.«
»Ach, Herr Stach, das habe ich nicht einmal zu träumen gewagt. Ich muß es sofort Papa sagen.«
Mit diesen Worten eilte sie aus dem Zimmer.
»Wenn ich ein Dichter wäre,« bemerkte Bukacki, »würde ich mich aufhängen.«
»Warum?«
»Wenn die von der Hand eines Kompagnons des Hauses Bigiel und Cie. flüchtig hingeworfenen Worte größeren Eindruck machen, als das schönste Sonett, ist es doch gescheiter, ein Müllerbursche statt ein Dichter zu werden.«
Marynia hatte in ihrem Entzücken das Notizbuch liegen lassen, Polaniecki reichte es dem Freunde und sagte: »Lies!«
›Nach der Trauung Venedig, Florenz, Rom, Neapel. Ist Dir's recht?‹ las Bukacki. »Also eine Reise nach Italien?«
»Stelle Dir vor, daß das arme Ding noch nie im Leben im Auslande gewesen ist. Italien war daher stets das ersehnte Land für sie, das zu sehen sie sich niemals träumen ließ. Ihre große Freude ist daher natürlich, und ich freue mich mit ihr.«
»Liebe und Italien, ach Gott, wie oft hast Du schon darauf schauen müssen. All das besteht schon, seit die Welt besteht.«
»Und doch bleibt's immer neu. Verliebe Dich, und Du wirst sehen, daß ich recht habe.«
»Mein Lieber, bei mir handelt es sich nicht darum, daß ich noch nicht liebe, sondern daß ich nicht mehr liebe. Schon längst habe ich die Sphinx aus dem Sande herausgegraben, für mich ist sie somit kein Rätsel mehr.«
»Wenn Du mir folgst, verheiratest Du Dich, Bukacki.«
»Ich kann nicht, ich habe zu schwache Augen und einen zu schwachen Magen.«
»Dies kann doch kein Hindernis sein.«
»Doch, denn siehst Du, jede Frau ist einem Blatte Papier zu vergleichen, das auf der einen Seite von einem Engel, auf der andern Seite von einem Teufel beschrieben wird. Auf dem Papier schlägt alles durch, die Worte verwischen sich, und es entsteht ein Mischmasch, das ich weder lesen, noch verdauen kann.«
»Daß Du doch über alles Witze machen mußt!«
»Nichtsdestoweniger muß ich auch einmal sterben, ganz ebenso wie Du, der Du Dich verheiratest. Uns dünkt, wir denken an den Tod, o nein, er denkt weit mehr an uns. Und –«
Bukacki wurde durch Marynia unterbrochen, die mit ihrem Vater ins Zimmer zurückkehrte. Plawicki eilte sofort auf Polaniecki zu, umarmte ihn und sagte: »Marynia erzählte mir, daß Ihr nach der Hochzeit nach Italien reisen wollt!«
»Wenn meine zukünftige Herrin damit einverstanden ist.«
»Die zukünftige Herrin ist nicht nur damit einverstanden,« rief Marynia, »sondern hat den Kopf vor Freude verloren und möchte am liebsten im Zimmer umhertanzen, als ob sie zehn Jahre alt wäre.«
»Wenn der Segen eines einsamen Greises Euch bei der weiten Reise von Nutzen sein kann,« hub nun Plawicki weihevoll an, »so mache ich über Euch das Zeichen des Kreuzes und wünsche Euch Lebewohl.«
Mit diesen Worten blickte er gen Himmel und streckte die Rechte empor, zur ungeheuren Freude Bukackis, aber Marynia zog die Hand ihres Vaters herab und sagte lachend, indem sie einen Kuß darauf drückte: »Papachen, damit hat's noch Zeit, wir reisen ja doch erst nach der Hochzeit.«
»Und im Grunde genommen,« warf Bukacki ein, »was thut man viel auf einer Reise: man kauft die Fahrkarten, giebt das Gepäck auf und fährt davon. Das ist alles.«
Mit einem vorwurfsvollen Blick wandte sich nun Plawicki an den jungen Cyniker und fragte mit größter Feierlichkeit: »Seid Ihr schon so weit gekommen, daß Ihr den Segen eines einsamen Greises, eines liebenden Vaters für nutzlos haltet?«
Ohne viele Umstände zu machen, umarmte Bukacki den alten Mann, küßte ihn mitten auf die Weste und sagte: »Möchte vielleicht der einsame Greis eine Partie Pikett spielen, damit die zwei verrückten Köpfe sich aussprechen können?«
»Ja, aber mit Rubikon!« erwiderte Herr Plawicki.
»Mit allem, was Sie wollen. Und wißt ihr was?« wandte er sich an das Brautpaar, »nehmt mich als Führer nach Italien mit!«
»Kein Gedanke,« erwiderte Polaniecki. »Ich bin zwar nur in Belgien und Frankreich gewesen und kenne Italien kaum, allein ich will das sehen, was mich interessiert, und nicht von Dir abhängig sein. Ich habe schon viele Deinesgleichen kennen gelernt und weiß, daß Ihr alle schließlich dazu kommt, Euer eigenes Urteil höher zu schätzen als die Kunst selbst. Ja, so weit kommen sie,« fügte er zu Marynia gewendet hinzu. »Sie verlieren das Verständnis für die wahre, edle Kunst, sie sind übersättigt und interessieren sich nur noch für das, was ihr eigenes Urteil in ein günstiges Licht setzt. Das Ursprüngliche existiert nicht mehr für sie, sondern nur die Auswüchse, nicht für die hervorragenden Meister interessieren sie sich, die wir kennen lernen wollen, sondern für die unbedeutenden, von denen niemand etwas gehört hat. Sie graben den Namen von irgend einem obskuren Stern aus, beschäftigen sich eingehend mit der oder jener Manier, reden sich und den andern ein, daß schlechtere und weniger gelungene Sachen interessanter seien, als die besseren und mehr gelungeneren. Wenn wir ihn als Führer mitnähmen, bekämen wir verschiedene Kirchen gar nicht zu sehen, dagegen würde er uns zu Sehenswürdigkeiten führen, die man mit der Lupe betrachten muß. Ich sage Ihnen, Marynia, bei all diesen Menschen ist Uebersättigung, Uebertreibung und Ueberraffinement an der Tagesordnung, wir aber sind einfache Sterbliche.«
Marynia blickte ihren Verlobten mit einem Stolze an, als ob sie sagen wollte: »Das heißt reden.« Wie gehoben fühlte sie sich aber erst, als Bukacki bemerkte: »Ich stimme Dir vollständig bei, Du hast ganz recht.«
Aber sie war sehr entrüstet, als er hinzufügte: »Wenn Du aber auch nicht recht hättest, so könnte ich vor einem solchen Tribunale meine Sache doch nicht gewinnen.«
»Da muß ich aber doch bitten, ich bin durchaus nicht verblendet.«
»Und ich bin kein Kunstkenner.«
»Ei, freilich sind Sie das!«
»Das heißt, ich habe so meine verschiedenen Liebhabereien. Das Kunstinteresse anderer aber beeinflussen zu wollen, das liegt mir ganz ferne. Sie müssen darin mir und nicht Polaniecki glauben.«
»Nein, ich glaube Polaniecki.«
»Das war vorauszusehen,« bemerkte Bukacki.
Marynia blickte mit etwas verlegener Miene von einem zum andern, glücklicherweise kam aber in diesem Augenblick Herr Plawicki mit den Karten und forderte Bukacki auf, mit ihm am Spieltische Platz zu nehmen. Die Verlobten gingen Arm in Arm im Zimmer umher. Bukacki fing bald an sich zu langweilen, sein guter Humor schwand mehr und mehr, das kleine Gesicht wurde immer kleiner, die Nase immer spitzer, und schließlich sah er wie ein verwelktes Blatt aus. Auf dem Wege nach Hause fragte ihn Polaniecki: »Ist Dir schon der Animus ausgegangen?«
»Ja,« erwiderte Bukacki. »Ich gleiche einer Maschine, so lange ich genügendes Brennmaterial habe, fahre ich darauf los, wenn sich aber gegen Abend der tägliche Vorrat immer mehr erschöpft, bleibe ich stecken.«
Polaniecki schaute ihn prüfend an. »Womit feuerst Du denn?«
»Es giebt verschiedene Arten Kohlen. Komm mit mir nach Hause, ich gebe Dir eine gute Tasse Kaffee, das wirst Du nicht verschmähen.«
»Höre einmal; ich möchte über eine sehr delikate Angelegenheit mit Dir reden. Mir wurde gesagt, Du seiest Morphinist.«
»Seit sehr kurzer Zeit,« antwortete Bukacki. »Wenn Du wüßtest, welch prächtige Gebilde das Morphium vor mir aufthut!«
»Und wie es Dich langsam tötet. Hast Du denn gar keine Gottesfurcht?«
»Und wie es mich langsam tötet! Sage offen, ist Dir schon einmal in den Sinn gekommen, daß man einfach Heimweh nach dem Tode haben kann?«
»Nein, ich begreife nur das Gegenteil,« erwiderte Polaniecki.
»Fürchte nichts,« hub nach kurzem Schweigen Bukacki wieder an, »ich gebe Dir weder Morphium noch Opium. Wir trinken eine gute Tasse Kaffee und eine Flasche echten Bordeaux zusammen. Das wird also eine unschuldige Orgie werden.«
Nach wenigen Minuten gelangten sie in die Wohnung Bukackis, der man zwar ansah, daß sie einem wohlhabenden Menschen gehörte und die mit allerlei Kunstgegenständen, mit Oelgemälden und Kupferstichen geschmückt war, die aber trotzdem keinen behaglichen Eindruck machte. In allen Zimmern brannten die Lampen. Bukacki mochte selbst während der Schlafenszeit keine Dunkelheit um sich leiden. Er befahl dem Diener, eine Flasche Bordeaux zu bringen, zündete die Spiritusflamme unter der Kaffeemaschine an, bat den Freund Platz zu nehmen, streckte sich auf dem Sopha aus und sagte plötzlich: »Du glaubst wohl nicht, daß ich dem Tode ganz unerschrocken ins Auge sehe?«
»Ich finde, daß Du Dir darin gefällst, fortwährend zu scherzen und Dich und andere zu täuschen. Denn im Grunde der Sache ist dies alles ja nur ein künstliches Gethue.«
»Die Dummheit der Menschen amüsiert mich eben.«
»Wenn Du Dich für so eminent klug hältst, so wundert es mich doch, daß Du Dein Leben so miserabel eingerichtet hast; denn trotz Deiner Bücher und Deiner Bilder lebst Du doch ganz miserabel.«
»Ziemlich miserabel.«
»Du gehörst auch zu denjenigen, die sich verstellen: Du posierst, das ist alles. Doch daran krankt ja die ganze Menschheit.«
»Wohl möglich. Doch mit der Zeit wird das ja alles zur Natur,« erklärte Bukacki, der sich unter der Einwirkung des Bordeaux allmählich wieder belebte. »Glaube mir, alles was Du mir sagtest, habe ich mir selbst gesagt. Ich führe das albernste und ödeste Leben, das man nur führen kann. Rings um mich her ist ein ungeheures Nichts, vor dem ich mich ängstige, und das ich hinter dem Gerümpel zu verbergen suche, welches ich hier im Zimmer aufgehäuft habe. Die Furcht vor dem Tode kommt dabei gar nicht ins Spiel. Warum soll ich mich vor dem Tode fürchten, mit dem alles Fühlen und Denken zu Ende geht, und durch den man ein Teil jenes Nichts wird. Aber sich dieses Nichts bewußt zu sein, sich Rechenschaft darüber ablegen zu müssen, fürwahr, es kann nichts Gemeineres geben. Dabei ist mein Gesundheitszustand ein sehr schlechter, er raubt mir jede Energie. Das Brennmaterial fehlt mir, deshalb muß ich es mir künstlich zu verschaffen suchen. Sobald ich genügendes Brennmaterial zu mir genommen habe, fasse ich das Leben humoristisch auf, ich ahme demnach nur dem Kranken nach, der sich auf die Seite legt, auf welcher er am bequemsten liegt. Das, was ich thue, ist mir am bequemsten. Jetzt glaube ich das Thema erschöpft zu haben.«
»Wenn Du Dich nur entschließen könntest, einen Beruf zu ergreifen.«
»Lasse mich damit in Frieden, davon kann keine Rede sein. Erstens kann ich nichts, wennschon ich mir eine gewisse Bildung erworben habe, zweitens bin ich krank, drittens nützt es nichts einem Gelähmten zu raten, seine Füße zu gebrauchen, und damit ist die Sache abgethan. Trinke Dein Glas aus! Reden wir von Dir! Fräulein Plawicki ist ein prächtiges Mädchen, und Du thust gut daran, Dich mit ihr zu verheiraten. Ja, Marynia ist ein prächtiges Mädchen und liebt Dich von Herzen.«
Bukacki, den der Wein belebte, wurde immer erregter und mitteilsamer. »All das, was ich am Tage zusammenschwatze,« fuhr er fort, »darf gar nicht in Betracht gezogen werden. Jetzt aber ist die Nacht hereingebrochen, wir trinken eine Flasche guten Weines zusammen und verleben eine vertrauliche Stunde miteinander. Du sollst jetzt im Grunde meiner Seele lesen. Welches Glück der Ruhm gewähren mag, das kann ich nicht beurteilen, denn ich habe noch keinen errungen, und da der Tempel in Ephesus schon verbrannt ist, mangelt mir auch jede Aussicht darauf. Ich glaube jedoch, daß diese Quantität des Glückes eine Maus auffressen kann, nachdem sie schon ein gutes Frühstück in irgend einer Speisekammer zu sich genommen hat. Wie angenehm es aber ist, wohlhabend zu sein, das weiß ich, denn ich bin selbst wohlhabend; ich habe mich schon an allen Orten herumgetrieben, darum kenne ich das Vergnügen des Reisens; ich weiß was Freiheit ist, denn ich bin frei; ich darf mir ein Urteil über die Frauen erlauben, denn, zum Teufel, ich kenne sie genauer, als gerade nötig ist, und ich kann Bücher beurteilen, weil ich schon sehr viele gelesen habe. Außerdem bin ich im Besitze einiger Oelgemälde, einiger Kupferstiche und verschiedener Altertümer. Und jetzt gieb acht, was ich Dir sage. All dies ist nichts, all dies ist Wahn, Dummheit, im Vergleich mit einem Herz, das uns liebt. Da hast Du das Resultat meiner Beobachtungen, zu dem ich aber jetzt erst gekommen bin im Gegensatze zu allen normalen Menschen, die, sobald sie denken lernen, diese Ansicht vertreten.«
»Was bist Du für eine Bestie!« rief Polaniecki aufspringend. »Was sagtest Du vor einigen Monaten, als Du nach Italien reistest? Es sei Dir ein wonniges Gefühl, daß dort auch nicht ein Wesen existiere, das von Dir geliebt zu werden wünsche oder Dich liebe!«
»Und was sagte ich heute früh Dir und Deiner Verlobten? Daß Ihr verrückt seid, und jetzt erkläre ich Dir, daß Ihr es recht gemacht habt. Was willst Du mit meiner Logik? Schwatzen und reden, das sind zwei grundverschiedene Dinge. Im Augenblicke aber bin ich aufrichtig, weil ich eine halbe Flasche Wein getrunken habe.«
Polaniecki ging kopfschüttelnd im Zimmer auf und ab und sagte: »Nun, bei Gott, das sagen alle, sobald man sie auf Ehre und Gewissen fragt.«
»Lieben« – ergriff Bukacki wieder das Wort, nachdem er sich mit etwas zitternder Hand die zweite Tasse Kaffee eingeschenkt hatte, »lieben, das ist schon gut, aber es giebt noch etwas Besseres – das ist, geliebt werden. Darüber geht nichts. Ich hätte wenigstens alles darum gegeben! Doch es lohnt sich nicht der Mühe, von mir zu reden. Das Leben ist eine Misere, eine ohne Talent geschriebene Komödie, ein eintöniges Melodrama; es ist nur erträglich, wenn man geliebt wird, allein mir ist dieses Glück nie zu teil geworden, und Du hast es gefunden, ohne es gesucht zu haben.«
»Sage dies nicht, denn Du weißt nicht, wie alles kam.«
»Freilich weiß ich es. Das ist aber ja auch ganz einerlei. Ich möchte nur wissen, ob Du Dein Glück zu schätzen verstehst?«
»Was willst Du eigentlich? Ich weiß, daß ich geliebt werde, folglich verheirate ich mich. Weiter ist nichts nötig, das ist der Schluß.«
»Nein, Polaniecki,« wandte Bukacki ein, dem Freunde die Hände auf die Schultern legend, »ich bin zwar urteilslos in allem, was mich betrifft, allein für das, was um mich vorgeht, habe ich ein scharfes Auge. Das ist noch lange nicht der Schluß – das ist der Beginn . . . Fast jeder Mann sagt so wie Du: Ich verheirate mich, und das ist der Schluß! Aber die meisten täuschen sich.«
»Ich verstehe Dich nicht.«
»So will ich Dir auseinandersetzen, um was es sich meiner Ansicht nach handelt. Es genügt nicht, einfach ein Weib zu nehmen, es ist nötig, sich ihr auch ganz zu ergeben, es ist nötig, daß sie dies fühlt. Verstehst Du mich nun?«
»Nicht ganz.«
»Nun, das heißt, sich naiv stellen. Ich meine, die Frau soll sich nicht nur als Eigentum, sondern auch als Eigentümerin fühlen.«
»Es ist wirklich schade, daß Du Dich nicht verheiratet hast, da Du über die Ehe so genau Bescheid weißt.«
»Richtig urteilen und richtig handeln, sind zwei grundverschiedene Dinge. Ich würde einen netten Heiratskandidaten abgeben.«
Bukacki lachte hell auf; seine gute Laune schien zurückgekehrt zu sein. Polaniecki aber sagte ärgerlich: »Ich habe doch schon viel miserables Zeug anhören müssen, aber was Du alles zusammenschwatzest, das ist mir noch nicht vorgekommen. Und das ist am allermiserabelsten, daß Ihr, Du und Deinesgleichen, nichts anerkennt, alles herabzieht, einfach deshalb, weil Ihr immer originell sein wollt.«
Mißgestimmt verabschiedete er sich von Bukacki. Auf dem Heimwege beruhigte er sich jedoch allmählich wieder und zu Hause angelangt, legte er sich mit dem Bewußtsein eines Menschen schlafen, der überzeugt ist, daß er seine Lebensaufgabe aufs beste lösen werde.