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Swirski, der mit der Leiche Bukackis aus Italien eingetroffen war, begab sich gleich am Tage nach seiner Ankunft zu Polaniecki. Er traf jedoch nur Marynia, ihr Gatte war über Land gereist, um ein Grundstück anzusehen, das verkauft werden sollte. Der Maler fand Marynia dermaßen verändert, daß er sie kaum wiedererkannte, allein er hatte sie in Rom sehr lieb gewonnen, und ihr Anblick rührte ihn tief. In ihrer Art kam sie ihm sogar schön vor, der Strahlenglanz künftigen Mutterglückes umgab in seinen Augen ihr Haupt, er verglich sie mit den Vorbildern der italienischen Schule, ja schließlich sprach er, seiner Gewohnheit gemäß, sein Entzücken laut aus. Sie lachte über seine Originalität, und er verscheuchte ihren Trübsinn.
Mittlerweile stellte sich Zawilowski ein, weil er das Bedürfnis fühlte, sein überschwengliches Glücksgefühl zu äußern.
»Ah,« rief Swirski, nachdem Marynia den jungen Dichter vorgestellt hatte, »ich kenne Ihre Verlobte sehr gut, sie ist ja meine Schülerin.« Er drückte Zawilowski die Hand und fuhr dann fort: »Ihre Braut hat Tiziansche Haare. Ein wenig zu groß ist sie, aber Sie geben ihr darin nichts nach – und die Art, wie Fräulein Castellis Kopf auf den Schultern sitzt, ist eine seltene Schönheit. Daß sie in ihren Bewegungen einem Schwane gleicht, haben Sie sicherlich auch schon wahrgenommen.«
Zawilowski lächelte vergnügt und fragte mit einem Anflug von Prahlerei: ›La perla!‹ – Erinnern Sie sich?«
Swirski schaute ihn etwas verwundert an.
»So heißt ein Bild Raphaels in Madrid im Museo del Bado,« erwiderte er. »Wieso kommen Sie jetzt darauf?«
»Ich muß von den Damen darüber gehört haben,« erwiderte Zawilowski etwas verlegen.
»Wohl möglich, denn in meinem Atelier in der via Margutta habe ich eine selbstgefertigte Kopie jenes Bildes.«
Im stillen nahm sich Zawilowski vor, in Zukunft etwas vorsichtiger mit der Wiedergabe von Frau Bronicz' Worten zu sein. Er verabschiedete sich nach einiger Zeit, da er den Abend bei seiner Braut verbringen wollte. Bald darauf ging auch Swirski, nachdem er Marynia die Adresse seines Ateliers gegeben und die Hoffnung ausgesprochen hatte, daß ihr Gatte ihn aufsuche.
Früh am Morgen des folgenden Tages besuchte ihn Polaniecki. Das Atelier des Künstlers befand sich in einer Art von Glashalle, die wie ein Schwalbennest auf dem Dache eines mehrstöckigen Hauses hing und zu der eine Wendeltreppe führte.
Oben angelangt und durch einen kleinen Korridor schreitend, sah er zwischen der halbgeöffneten Thüre Swirski stehen, der bis zum Gürtel nur in ein netzartiges Hemd gekleidet war, woraus seine herkulische Gestalt hervorsah.
»Ah, wie geht es Ihnen?« rief er, die Hanteln weglegend, mit denen er sich geübt hatte. »Sie entschuldigen, daß ich nicht angekleidet bin, ich machte ein wenig Gymnastik – daß ich Sie gestern nicht antraf, that mir leid. Unsern armen Bukacki habe ich also wirklich hierhergebracht. Ist alles bereit?«
»Die Gruft ist fertig, und das Kreuz steht schon,« erwiderte Polaniecki, die Hand des Malers drückend. – »Seien Sie herzlich willkommen in Warschau. Meine Frau sagte mir, daß der Leichnam bereits auf dem Kirchhof ist.«
»Einstweilen befindet er sich in der Krypta, morgen wollen wir ihn begraben.«
»Gut, ich werde heute noch die Geistlichkeit bestellen und die Bekannten benachrichtigen. Wie geht es Professor Waskowski?«
»Er beabsichtigte Ihnen zu schreiben, die Hitze hat ihn aus Rom vertrieben, und wissen Sie, wohin er sich wandte? Nun, zu den jüngsten Ariern. Er sagte, die Reise werde ungefähr zwei Monate in Anspruch nehmen. Er will sich überzeugen, in wie weit sie bereit sind zu ihrer historischen Mission. Er fuhr über Ancona und Fiume und dann weiter.«
»Armer Professor! Ich glaube, ihm stehen neue Enttäuschungen bevor.«
»Wohl möglich. Die Leute lachen ihn aus. Sie werden erlauben, daß ich mich jetzt anziehe. Die Hitze ist hier beinahe so groß wie in Italien, und gymnastische Uebungen lassen sich leichter im Hemd machen.«
»Am besten wäre es aber, bei solcher Hitze gar keine Uebungen zu machen.«
Hier betrachtete Polaniecki die Arme Swirskis und fügte hinzu:
»Na, aber Sie könnten sich ja für Geld sehen lassen.«
»Ja,« sagte Swirski, »meine Muskeln sind nicht zu verachten. Das ist mein ganzer Stolz, Bukacki pflegte zu sagen, es sei zweifellos, daß ich male wie ein Idiot, allein niemand könne mir abstreiten, daß ich hundert Kilo mit einer Hand hebe, oder daß ich bei zehn Schüssen zehnmal ins Schwarze treffe.«
»Und solch ein Mensch sollte ohne Nachkommen sterben?«
»Was ist da zu machen? Ich fürchte mich vor einem undankbaren Herzen. Gäbe es eine Zweite wie Frau Polaniecki, so würde ich mich nicht einen einzigen Tag besinnen. Aber was soll ich Ihnen wünschen? Einen Sohn oder eine Tochter?«
»Eine Tochter!«
»Und wann wird sie zur Welt kommen?«
»Im Dezember.«
»Ich wünsche Ihnen viel Glück. Ihre Frau Gemahlin ist ja eine gesunde Frau, es ist also nichts zu befürchten.«
»Sie hat sich verändert – nicht wahr?«
»Sie ist anders als früher, aber was hat sie für einen Gesichtsausdruck! Der reine Botticelli, auf Ehrenwort. Erinnern Sie sich an sein Bild in der Villa Borghese? ›Madonna col Bambino e angeli,‹ dort ist ein Engelskopf, mit Lilien geschmückt, ein wenig geneigt, der außerordentlich Ihrer Frau gleicht. Gestern ist es mir gleich aufgefallen.«
Mit diesen Worten ging er hinter die spanische Wand, um sich anzukleiden, und fuhr dann fort:
»Sie fragen, warum ich nicht heirate! Wissen Sie, warum? Bukacki sagte, ich hätte eine scharfe Zunge, starke Muskeln, aber ein weiches Herz, und dies ist richtig. Ja ein thörichtes, weiches Herz habe ich, und wenn ich eine Frau wie die Ihrige hätte, und wenn sie in diesem Zustand wäre, würde ich beim Himmel vor ihr niederknien oder den Boden küssen, auf dem sie wandelt.«
Polaniecki fing an zu lachen.
»Ach,« sagte er, »dies scheint uns nur so vor der Hochzeit, die übermäßige Zärtlichkeit vergeht dann allmählich durch die Gewohnheit.«
»Wissen Sie was, sobald meine Marynia wieder wohlauf ist, muß sie eine Frau für Sie suchen, eine, die ihr selbst gleicht!«
»Gut,« rief Swirski laut hinter der Wand hervor: »Ich werde mich Ihrer Frau Gemahlin in die Hände geben, und wenn sie sagt: ›Heiraten Sie‹, dann thue ich es mit geschlossenen Augen. Ja, ohne Scherz,« wiederholte er, noch ohne Rock hervortretend, »wann Ihre Frau Gemahlin es wünscht.«
»So etwas thun die Frauen gerne,« sagte Polaniecki. »Sie hätten sehen sollen, welche Machinationen Frau Osnowski ins Werk gesetzt hat, um unsern Zawilowski mit Fräulein Castelli zu verheiraten.«
»Gestern lernte ich Herrn Zawilowski in Ihrem Hause kennen. Ein angenehmer Bursche und ein genialer Kopf.«
»Er ist unser Benjamin im Bureau, und wir lieben ihn sehr, denn er hat einen trefflichen Charakter.«
»Ach so, er ist in Ihrem Geschäfte angestellt? Ich glaubte, er sei einer der reichen Zawilowskis, von denen ich im Auslande häufig einen traf. Ein sehr vermögender alter Mann war's, ein echtes Original.«
»Das ist sein Oheim. Aber der Junge hat keinen Pfennig im Vermögen.«
»Der alte Zawilowski mit seiner einzigen Tochter, der Millionärin, machte eine köstliche Figur. In Florenz und Rom bewarben sich viele ruinierte italienische Fürsten um das junge Mädchen, doch der Alte erklärte, er gäbe sie keinem Fremden. Er hält uns für die erste Rasse der Welt und die Zawilowskis für die bevorzugtesten Menschen dieser Rasse. Ueber die Heirat seines Neffen rümpft er sicherlich die Nase, denn ich weiß, daß er die Familie Bronicz als untergeordnete Leute betrachtete.«
»Mag sein, daß er die Nase darüber rümpft. Uebrigens lernte der Alte unsern Zawilowski erst kürzlich kennen, denn der Junge ist sehr stolz und besann sich lange, ehe er den reichen Verwandten aufsuchte.«
»Das gefällt mir. Wenn er es auch nur gut trifft.«
»Sie kennen ja Fräulein Castelli?«
»Gewiß, ich kenne sie und ich bin in sie verliebt gewesen, wie ich in alle verliebt gewesen bin, mit denen ich zusammentraf. In diese eine vielleicht mehr als in andere.«
»Und dachten Sie gleichwohl nicht daran, sie zu heiraten?«
»Zum Teufel auch! Ob ich nicht daran dachte? Damals hatte ich aber weder so viel Geld wie jetzt, noch war ich so berühmt. Ich mußte vornehmlich an den Erwerb denken, fürchtete, daß Herr oder Frau Bronicz meinen Antrag nicht gnädig aufnehmen würden, und da ich auch der Neigung des jungen Mädchens nicht sicher war, verzichtete ich lieber.«
»Zawilowski hat ja auch kein Geld.«
»Ja, aber er ist berühmt, und zudem fällt seine Verwandtschaft mit dem alten Zawilowski schwer ins Gewicht. Mir behagte übrigens das Broniczsche Ehepaar so wenig, daß ich mich schließlich gern zurückzog.«
»So haben Sie auch den Seligen gekannt?«
»Theodor? Der war ein Dummkopf in des Wortes vollster Bedeutung, erstens, weil er überhaupt ein Dummkopf war, und zweitens, weil er sich nicht dafür hielt. Doch will ich nichts mehr über ihn sagen, denn de mortuis nihil nisi bene – wenn man ein gewisses Alter erreicht und viele Menschen kennengelernt hat, dann kommt man schließlich zu der Ueberzeugung, daß es eine wirkliche, vornehme Welt giebt, die sich auf Traditionen stützt, und eine Canaille, die mit ihrem Geld die vornehme Welt spielt. Zu dieser Gattung kann man den seligen Herrn Bronicz und seine Gattin rechnen, deshalb hielt ich mich lieber von ihnen fern. Daß ich in Fräulein Castelli verliebt war, wußte Bukacki, deshalb spottete er auf eine Art über mich, die ihm Gott verzeihen möge.«
Hier nahm die Unterhaltung eine andere Wendung. Bukackis Begräbnis, welches am andern Tage stattfinden sollte und wozu Polaniecki schon alle Vorbereitungen getroffen hatte, war nun das Thema. Nachdem er Swirski verlassen hatte, bestellte er die Geistlichen und zeigte den Bekannten die Stunde des Leichenbegängnisses an.
Außer Herrn und Frau Polaniecki waren das Maszkosche, Osnowskische, Bigielsche Ehepaar, Swirski, Plawicki und Frau Emilie, welche gleichzeitig Litkas Grab besuchen wollte, bei der Feierlichkeit anwesend.
Es war fast so heiß wie im Sommer. Aber an manchen Plätzen schien der Kirchhof ein dämmeriger, kühler Wald zu sein. Die Sonnenstrahlen, welche durch die Blätter der Akazien, Pappeln, Buchen und Fliederbäume drangen, warfen schwankende Lichter auf einige Grabstätten, und viele im Dickicht verborgene Kreuze schauten gar friedlich daraus hervor. Zwischen den Zweigen saßen Scharen von Vögeln, sie schwärmten unaufhörlich umher, aber ihr Gezwitscher klang leise, wie gedämpft, als ob sie die Schlummernden nicht wecken wollten.
Swirski, Maszko, Polaniecki und Osnowski nahmen den schmalen Sarg mit Bukackis Ueberresten und trugen ihn zu der für ihn errichteten Gruft. Die Priester in den weißen Chorhemden, die bald in der Sonne schimmerten, bald wieder im Dunkel verschwanden, gingen vor dem Sarge her, hinter ihm kamen die Leidtragenden, und der ganze Zug wandelte langsam durch die schattigen Alleen, schweigend und ruhig, ohne Schluchzen und Thränen, aber mit einer Feierlichkeit, die sich auf den Gesichtern zeigte, wie der Schatten der Bäume auf den Gräbern.
So gelangte der Zug an die Gruft. Nachdem der Sarg durch die eiserne Thüre geschoben und in der Mitte des Gewölbes beigesetzt worden war, wurden die Gebete gesprochen, und nach wenigen Minuten blieb Bukacki der Kirchhofruhe, den rauschenden Bäumen, dem Gezwitscher der Vögel und Gottes Barmherzigkeit überlassen.
Frau Emilie, Marynia und Polaniecki gingen an Litkas Grab, die übrigen warteten in den Wagen vor der Kirchhofsthüre auf sie. Polaniecki bemerkte jetzt, daß das so heiß geliebte Kind beinahe aus seiner Erinnerung entschwunden war. So oft er früher Litkas Grab besuchte, hatte sich alles in ihm aufgebäumt, und ein leidenschaftlicher Schmerz war über ihn gekommen. Heute dünkte es ihm fast natürlich, daß sie hier im Schatten der Bäume, auf dem Kirchhofe lag, er hatte fast die Empfindung, es habe so kommen müssen. Sie hatte aufgehört, ein reales Wesen für ihn zu sein, in seiner Erinnerung war sie nur noch ein ferner, lichter Punkt, dessen man mit einem Seufzer gedenkt, ein süßer Nachklang, wie ihn die Musik hinterläßt, wenn sie verklungen ist.
Wahrscheinlich wäre er über sich selbst empört gewesen, wenn er nicht wahrgenommen hätte, daß Frau Emilie sich nach ihrem Gebete tief gerührt, aber mit ruhigem Gesichte und trockenen Augen erhob. Gleichzeitig sah er aber auch, daß sie nur mühsam von den Knien aufstand, sich im Gehen auf einen Stock stützte und wie eine Schwerkranke aussah.
Als sie an der Kirchhofsthüre mit den andern zusammentrafen, sagte Swirski: »Wie merkwürdig! Heute sind wir bei einem Begräbnisse, morgen bei einem Verlobungsfeste. Was der Tod mähet, das säet die Liebe, und das ist das Leben.«