Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

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Fünftes Kapitel

Am folgenden Tage, nach einem gemütlich verlaufenen Mittagessen bei Bigiel, begab sich Polaniecki zur festgesetzten Zeit zu Maszko. Er wurde dort auch augenscheinlich erwartet, denn in dem Zimmer, in das ihn der Diener führte, waren Likör und schwarzer Kaffee aufgestellt. Maszko war noch nicht anwesend, ließ sich indessen damit entschuldigen, daß ihn zwei Damen zu sprechen gewünscht hatten. Durch die Thüre des anstoßenden Salons hörte man auch die verschiedenen Stimmen. Polaniecki unterhielt sich in der Zwischenzeit damit, die Vorfahren Maszkos zu betrachten, deren Porträts die Wände zierten. Die Echtheit dieser Ahnen fand bei den Freunden Maszkos wenig Glauben, und besonders ein schielender, infulierter Prälat diente fortwährend als Zielscheibe für Bukackis Witz. Maszko ließ sich aber durch nichts in der Verfolgung seines Zieles beirren. Er hatte nun einmal beschlossen, der Welt den Glauben an seine Vorfahren, an seine Genialität als Advokat aufzudrängen; denn er sah nur zu klar, daß sich in dem Kreise, in dem er sich bewegte, die Menschen leicht hinters Licht führen ließen. Aus einer Familie von sehr zweifelhaftem Adel stammend, trat er nicht nur gegen Leute, die den ältesten Geschlechtern angehörten, stets in einer Weise auf, als ob er von weit besserer Abkunft sei als sie, sondern er that auch dem Reichsten gegenüber, als ob er noch reicher wäre. Aber seine Taktik war von Erfolg begleitet, und wenn er auch häufig weiter ging, als es schicklich war, hütete er sich doch, sich lächerlich zu machen. Schließlich erreichte er auch das, was er bezweckte, er bekam überall Zutritt und erfreute sich eines großen Kredites. Durch geschickte Manipulationen hatte er sich verschiedene gewinnbringende Prozesse verschafft, allein der Gelderwerb lag ihm zuvörderst gar nicht so sehr am Herzen. Dies wollte er der Zukunft anheimstellen. Trotzdem vergeudete er weder sein Geld, noch warf er damit unnötig um sich, denn er sagte sich wohlweislich, daß nur Parvenüs sich so ihren Weg in der Welt bahnen, wo es jedoch nötig war, bewies er nach seiner eigenen Ausdrucksweise »eine solide Freigebigkeit.«

In seiner Berufstätigkeit galt er auch allgemein für sehr angenehm und verläßlich. Dabei besaß er großen persönlichen Mut, einen gewissen Unternehmungsgeist, ungewöhnliche Bedachtsamkeit und einen unerschütterlichen Glauben an sein Glück. Der Erfolg bestärkte ihn darin. Ueber seine Vermögensverhältnisse war man nicht recht klar, nach dem jedoch, was er verausgabte, hielt man ihn allgemein für reich.

Nicht Geldgier, sondern Eitelkeit war die Haupttriebfeder seines Handelns. Reich wollte er zwar auch werden, zuvörderst aber dürstete er darnach, für einen großen Herrn zu gelten, in seinem Aeußern einem Engländer zu gleichen. Darauf richtete er sein Hauptaugenmerk. Auf seine Häßlichkeit bildete er sich sogar viel ein, weil sie ihn aristokratisch dünkte. Und in der That machten die aufgeworfenen Lippen, die breiten Nasenlöcher und der rötliche Teint des vollblütigen Gesichtes, wenn auch nicht einen außergewöhnlichen, so doch keinen gewöhnlichen Eindruck. Eine gewisse Kraft, eine gewisse Brutalität, wie sie bisweilen bei Engländern auffallen, sprachen daraus, ein Eindruck, der noch durch den Umstand verstärkt wurde, daß er wegen seines Monokels und wegen seines langen Backenbartes, den er stets mit den Fingern nach beiden Seiten zu streichen pflegte, den Kopf fortwährend in die Höhe werfen mußte.

Polaniecki konnte ihn anfänglich nicht recht leiden und machte eigentlich zu wenig Hehl daraus; mit der Zeit gewöhnte er sich aber an ihn; Maszko trat auch ihm gegenüber viel bescheidener auf, als es sonst seine Art war, denn erstens zollte er ihm im stillen große Anerkennung, und zweitens wollte er sich bei einem solch aufbrausenden Menschen keiner unangenehmen Abfertigung aussetzen. Wie es aber nun so geht, die jungen Leute sahen sich täglich, lernten ihre beiderseitigen Schwächen ertragen, und als jetzt zum Beispiel Maszko, nachdem er die Damen entlassen hatte, Polaniecki begrüßte und sich über sein langes Ausbleiben entschuldigte, benahm er sich wie ein gewöhnlicher Sterblicher, ohne den großen Herrn spielen oder sich das Ansehen eines Engländers geben zu wollen.

»Nein, die Frauen, die Frauen!« rief er, »c'est toujours une mer à boire. Ich legte diesen Damen größere Kapitalien an und zahlte ihnen aufs regelmäßigste die Zinsen. Dessenungeachtet kommen sie wenigstens einmal in der Woche, um sich zu erkundigen, ob nicht vielleicht irgendwo eine Katastrophe zu befürchten sei.«

»Nun, wie steht's? Was hast Du mir mitzuteilen?« fragte ohne Umschweife Polaniecki.

»Vor allem trinken wir einmal Kaffee,« erwiderte Maszko. »Bei Dir wenigstens,« fügte er hinzu, indem er den Spiritus unter der Maschine anzündete, »bedarf es keines unnützen Redens. Ich habe alles Nötige wegen der Hypotheken eingesehen. Das Geld ist nicht leicht wieder zu erlangen, aber auch nicht als verloren zu betrachten. Das Eintreiben einer solchen Summe bringt jedenfalls durch Reisen und vieles andere Kosten mit sich, deshalb kann ich Dir unmöglich soviel geben, wie Deine Forderung beträgt, aber ich bin bereit, für zwei Drittel des Kapitals aufzukommen, die ich Dir im Laufe des Jahres in drei Raten auszahlen werde.«

»Da ich mir nun einmal die Geschichte vom Halse schaffen will, so gehe ich, trotzdem ich dabei verliere, auf Deinen Vorschlag ein. Wann wirst Du die erste Rate bezahlen?«

»In drei Monaten.«

»Für den Fall, daß ich dann verreisen müßte, stelle ich Bigiel eine Vollmacht aus.«

»Und jetzt gehst Du nach Reichenhall?«

»Sehr wahrscheinlich.«

»Ei, wer weiß, ob Dich nicht Bukacki auf gewisse Gedanken gebracht hat!«

»Ein jeder hat wieder seine eigenen Gedanken, wie Du zum Beispiel. Weshalb kaufst Du diesen Eintrag auf Krzemien. Das ist doch für Dich ein ganz geringfügiges Geschäft.«

»Außer den bedeutenden Geschäften muß man auch kleinere machen. Mit Dir kann ich ja offen reden. Du weißt, daß ich mich weder über meine Stellung, noch über meinen Kredit zu beklagen habe; aber beides wird sich noch heben, wenn ich der Besitzer eines so großen Rittergutes bin. Plawicki sagte mir seiner Zeit selbst, daß er Krzemien sehr gern verkaufen würde. Ist Krzemien erst instand gesetzt, wie ein Pferd für den Markt, so kann ich es leicht wieder verkaufen. In der Zwischenzeit bin ich der Besitzer, was mir, entre nous, sehr nützen wird.«

»Und ich muß Dir aufrichtig sagen,« warf jetzt Polaniecki ein, der sich sichtlich Zwang anthat, um ruhig zu bleiben, »daß es mit dem Kaufe seine Schwierigkeiten haben wird. Fräulein Plawicki will nichts von einem Verkaufe wissen. Sie ist, nach Frauenart, in ihr Krzemien verliebt und thut alles, was in ihrer Kraft steht, damit das Gut in ihren und in ihres Vaters Händen bleibt.«

»Nun dann bin ich eben schlimmsten Falles der Gläubiger des Herrn Plawicki. Ich hege durchaus nicht die Furcht, daß ich dabei einen Verlust erleiden werde. Erstens steht es mir frei, zu jeder Zeit Deinem Beispiele zu folgen und meine Forderung wieder zu cedieren, zweitens kann ich als Advokat dem Herrn Plawicki leichter die Mittel und Wege angeben, durch welche die Auszahlung der Forderung zu ermöglichen ist.«

»Du kannst ja Krzemien auch gerichtlich versteigern lassen und es dann wieder in der Versteigerung erwerben.«

»Das ginge auch, wenn ich nicht der wäre, der ich bin. Ein solches Verfahren paßt sich jedoch nicht für einen Maszko! Nein, da giebt es noch andere Mittel, die sicherlich auch von dem von mir hochgeschätzten Fräulein Plawicki gutgeheißen werden.«

Polaniecki, der gerade seinen Kaffee austrank, stellte plötzlich die Tasse auf den Tisch.

»Ah!« bemerkte er, »man kann freilich auch auf diesem Wege zu dem Namen des Besitzers kommen.«

Wieder ergriff ihn ein Gefühl großen Unbehagens, grimmigen Zornes gegen sich selbst. Im ersten Augenblick wollte er aufspringen, erklären, daß er die Hypothek nicht cediere, und dann weggehen, allein er bezwang sich doch wieder. Maszko hingegen strich seinen Backenbart auseinander und erwiderte:

»Und wenn dem so wäre? Ich gebe Dir mein Wort, daß ich momentan einen solchen Plan noch gar nicht hege, daß ich wenigstens darüber noch nicht mit mir ins Klare gekommen bin. Aber, wie gesagt, wenn dem auch so wäre. Ich lernte Fräulein Plawicki seiner Zeit in Warschau kennen, wo sie mit ihrem Vater einen Winter verbrachte. Sie machte einen außerordentlichen, günstigen Eindruck auf mich. Die Familie gilt für eine sehr gute, das Besitztum scheint zwar nahezu ruiniert, ist jedoch sehr groß und kann möglicherweise noch gerettet werden. Also wer weiß! Das ist ja, wie so manches andere auch, doch nur eine Idee! Ich bin Dir gegenüber ganz aufrichtig, wie ich es übrigens immer bin. Du reistest vorgeblich wegen Deiner Forderung nach Krzemien, aber ich wußte von vornherein, weshalb die Damen Dich dahin schickten. Als Du jedoch in heller Wut zurückkehrtest, schloß ich, daß Du absolut keine Absichten hegst. Bis jetzt liegt mir ja nicht nur der Plan einer Werbung, sondern selbst der Gedanke daran noch ganz fern, es bedarf daher nur eines Wortes Deinerseits, und ich schlage mir die ganze Geschichte als etwas Unmögliches aus dem Kopf. Darauf kannst Du Dich verlassen. Nur halte Dich im entgegengesetzten Falle nicht an den Grundsatz, ›was nicht für mich paßt, paßt auch nicht für einen andern,‹ und versperre niemand den Weg. So, nun laß hören, was Du einzuwenden hast!«

Polaniecki, der sich sehr wohl alles dessen erinnerte, was er sich am Tage vorher gesagt hatte, und Maszko recht geben mußte, antwortete: »Nichts, ich habe durchaus keine Absichten auf Fräulein Plawicki. Ob Du Dich mit ihr verheiratest oder nicht, ist mir ganz gleichgültig. Allein offen gestanden, gefällt es mir nicht, daß Du meine Forderung kaufen willst, trotzdem dies ja von großem Vorteil für mich wäre. Wenn Du auch jetzt noch keine bestimmten Absichten hegst, kann es doch noch dazu kommen, und dann müßte Dein Vorgehen einen merkwürdigen Eindruck machen. Es hätte den Anschein, als ob Du einen Zwang ausüben, eine Falle stellen wolltest. Doch, das ist ja Deine Sache.«

»Gewiß ist das meine Sache, und das würde ich jedem andern wie Dir gehörig klar machen. Ich versichere Dich übrigens, daß ich Dir Deine Forderung jedenfalls abgekauft hätte, ein Recht, das ja jedem zusteht. Wie heute die Sachen liegen, erscheint es mir ratsam, Krzemien zu kaufen, denn ich will kein erlaubtes Mittel außer acht lassen, das mich zum Ziele führen kann.«

»Nun gut. Ich cediere Dir meinen Eintrag. Lasse den Vertrag aufsetzen und schicke mir ihn, oder bringe ihn mir selbst.«

»Mein Praktikant hat ihn schon ausgefertigt. Er liegt zu Deiner Unterschrift bereit.«

Eine Viertelstunde darnach wurde der Vertrag auch in der That unterschrieben. Mit der guten Laune Polanieckis war es für diesen Tag vorbei. Als er gegen Abend wieder zu Bigiels kam, befand er sich in der denkbar schlechtesten Stimmung. Frau Bigiel schaute recht bekümmert darein, während ihr Mann nach langem Ueberlegen schließlich die Sache zur Rede brachte.

»Daß Maszko hinsichtlich Fräulein Marynias weitgehende Pläne hat, das unterliegt keinem Zweifel,« erklärte er mit der ihm gewohnten Ruhe und Bestimmtheit. »Es fragt sich nur, ob er nur Dich täuscht, wenn er das Gegenteil behauptet, oder ob er selbst in einer solchen Täuschung befangen ist.«

»Gott schütze sie vor Maszko,« rief Frau Bigiel; »wie sehr sie ihm gefiel, weiß man hier allgemein.«

»Ich dachte stets,« ergriff Bigiel wieder das Wort, »daß ein Mensch wie Maszko hauptsächlich auf Vermögen sehe, ich muß mich aber geirrt haben. Er scheint bei der Wahl einer Frau vor allem auf eine gute, alte Familie zu reflektieren. Sicherlich hofft er dadurch seine gesellschaftliche Stellung zu befestigen, neue Beziehungen anzuknüpfen und somit schließlich die Klientel gewisser gesellschaftlicher Kreise in seine Hände zu bekommen. Das ist gar keine schlechte Rechnung, zumal wenn er aus seinem Kredit Nutzen für Krzemien ziehen will. Möglich, daß er bei seiner Klugheit imstande sein wird, es freizumachen.«

»Und allem nach gefällt ihm Fräulein Plawicki wirklich,« bemerkte Polaniecki. »Ich erinnere mich sogar jetzt, auch von Plawicki etwas davon gehört zu haben.«

»Was wird aber die Folge sein?« fragte Frau Bigiel, »was wird geschehen?«

»Fräulein Plawicki wird, wenn sie Lust dazu verspürt, Maszkos Frau werden,« erklärte Polaniecki.

»Und Sie?«

»Und ich gehe unterdessen nach Reichenhall.«


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