Henryk Sienkiewicz
Die Familie Polaniecki
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreiunddreißigstes Kapitel

Nach acht Tagen geleitete Polaniecki seine Gattin in die Via Margutta zu Swirski, den sie in der letzten Zeit oft gesehen, mit dem sie sich befreundet hatten und der jetzt ihr Porträt malen sollte. Dort trafen sie Herrn und Frau Osnowski. Die Damen hatten sich schon in Warschau in einer Gesellschaft gesprochen, und Polaniecki war vor einigen Jahren Frau Osnowski, die damals für ein schönes aber überspanntes Geschöpf galt, in Ostende vorgestellt worden. Jetzt war sie eine Frau von sechs- oder achtundzwanzig Jahren von hoher Gestalt, mit einer frischen, aber dunkeln Gesichtsfarbe, einem Kirschenmund, in die Stirne gekämmten lockigen Haaren und etwas schiefstehenden Veilchenaugen, wodurch ihr Gesicht einen chinesischen Typus und einen bösen schlauen Ausdruck bekam. Sie hatte eine eigentümliche Art, ihre Schultern zurückzubiegen, und ihre Figur zur Schau zu tragen, weshalb Bukacki von ihr zu sagen pflegte, sie habe eine Büste »en offrande«. Zu Marynia sagte sie sofort nach der Begrüßung, sie wollten sich als Freundinnen betrachten: zu Polaniecki, sie erinnere sich seiner noch ganz gut, von einem Ball in Ostende her, als eines guten Tänzers und eines guten Causeurs. Den beiden erklärte sie, sie sei von Rom ganz berauscht, in die Villa Doria und in die Aussicht vom Monte Pincio ganz verliebt.

Swirski dann die Hand drückend und Polaniecki kokett zulächelnd, entfernte sie sich, gefolgt von ihrem Gatten, mit den Worten, sie trete nun den Platz im Atelier einer Würdigeren ab.

»Sie ist wie ein Sturmwind,« sagte der Maler aufatmend. »Ich habe unsägliche Mühe, sie zum Stillsitzen zu bringen.«

»Welch interessantes Gesicht!« sagte Marynia, »ist es erlaubt, das Porträt zu sehen?«

»Gewiß, denn es ist beinahe fertig,« erwiderte Swirski.

Marynia und Polaniecki näherten sich der Staffelei und konnten mit gutem Gewissen ihre Bewunderung ausdrücken. Das Porträt machte durch seinen warmen Ton die Wirkung eines Oelgemäldes, und der Ausdruck in Frau Osnowskis Zügen war trefflich darauf wiedergegeben. Nachdem der Maler das Bild zugedeckt und in einen dunkeln Winkel des Ateliers getragen hatte, bat er Marynia, sich zu setzen und betrachtete sie aufmerksam.

Sein unverwandter Blick machte sie ein wenig verlegen, Swirski hingegen lächelte zufrieden, indem er vor sich hinmurmelte: »Ja, das ist ein anderer Typus. Himmel und Erde!«

Zuweilen drückte er ein Auge zu, bald näherte er sich ihr, bald trat er zurück, dann sprach er wie zu sich selbst: »Dort müßte man eine Teufelin darstellen, hier die echte Weiblichkeit.«

Und sich zu Marynia wendend, erklärte er: »Ja Weiblichkeit, die echte Weiblichkeit unserer Frauen, das ist der hervorstechendste Zug Ihres Gesichtes, meine Gnädige.«

»Und Sie werden ihn herausbekommen, wie Sie in jenem Porträt den teuflischen herausbekommen haben,« warf Polaniecki ein.

»Aber Stach,« sagte Marynia.

»Ich habe es ja nicht zuerst gesagt, sondern Herr Swirski.«

»Wenn Sie es wünschen, gnädige Frau, so sagen wir ein Teufelchen, keine Teufelin. Ein schönes, aber gefährliches Teufelchen. Als Maler studiere und bemerke ich manches, was andere nicht bemerken. Und Frau Osnowski ist ein Typus, des Studiums wert.«

»Warum?«

»Haben Sie ihren Mann angesehen?«

»Ich war so mit ihr beschäftigt, daß ich keine Zeit dazu fand.«

»Natürlich, sie schiebt ihn so in den Hintergrund, daß man ihn fast nicht sieht, und was das Schlimmste ist, sie selbst sieht ihn auch nicht; obwohl er der beste Junge auf der Welt ist, gut erzogen, fein, sehr reich, durchaus nicht dumm, und sie bis zur Raserei liebt.«

Hier begann Swirski das Bild Marynias in großen Umrissen zu entwerfen, während er wie in Gedanken wiederholte: »Er liebt sie bis zur Raserei. Wollen Sie Ihre Haare ein wenig zurückstreichen? Wenn Ihr Mann auch gern spricht, so wird er in Verzweiflung geraten, denn Bukacki behauptet: sobald ich zu malen beginne, bringe ich meinen Mund nicht mehr zusammen und lasse niemand zu Wort kommen . . . Nun sehen Sie, Frau Osnowski ist eine Kokette. Sie hat ein kaltes Herz, aber ein hitziges Köpfchen, gehört also zu einer gefährlichen Sorte. Sie verschlingt ganze Dutzende von Büchern, französische selbstverständlich . . . lernt daraus Psychologie . . . Das Temperament der Frauen sucht sie darin zu erforschen, das Rätselhafte der Frauen . . . sie hält sich selbst für ein Rätsel, obschon andere sie nicht dafür halten; sie spricht heute von Sachen, von denen sie gestern noch nichts wußte, hält dies für geistvoll und behandelt ihren Mann mit großer Geringschätzung.«

»Sie sind ja ein schrecklicher Mensch,« bemerkte Marynia.

»Meine Frau wird sich morgen vor Angst verbergen, sobald die Zeit der Sitzung herangekommen ist,« warf Polaniecki ein.

»Das ist nicht nötig. Sie ist ja ganz anders. Osnowski ist gar nicht dumm, aber die Menschen, vornehmlich die Frauen – ich bitte um Verzeihung – sind recht unklug, und wenn jemand sich nicht zur Geltung bringen kann, wenn ihm Selbstbewußtsein mangelt, so wird er nicht geschätzt. Fürwahr, diese Erfahrung habe ich schon hundertmal in meinem Leben gemacht.«

Swirski drückte das eine Auge zu, betrachtete Marynia aufmerksam und fuhr dann fort: »Ueberhaupt wie thöricht die Leute doch sind; ich habe mir schon oft die Frage vorgelegt, weshalb ein gerader Charakter und wahre Herzensgüte weniger geschätzt werden, als der sogenannte Verstand. Und weshalb im gesellschaftlichen Leben nur zweierlei Bezeichnungen gang und gäbe sind: ›klug‹ und ›dumm‹. Von tugendhaft und nicht tugendhaft z. B. ist selten die Rede, ja die Worte allein schon würden uns komisch erscheinen.«

»Das kommt daher,« sagte Polaniecki, »daß der Verstand eine Laterne ist, womit die Tugend, die Güte, das Herz sich leuchten müssen, sonst würden sie den rechten Weg nicht finden und würden über sich und andere Unheil bringen. Uebrigens spreche ich jetzt nicht von Osnowski, denn ich kenne ihn kaum.«

»Mich interessieren die Frauen sehr,« fuhr Swirski fort, »und früher bildeten eben sie das Hauptthema meiner Unterhaltung mit Bukacki. Dieser teilt die Frauen ein in die geistigen Plebejerinnen, unter denen er gewöhnliche und seichte Naturen versteht, und in die geistigen Patrizierinnen, d. h. veredelte Naturen mit hohen Bestrebungen. Es ist etwas Wahres daran, doch ich finde meine Einteilung besser, weil sie einfacher ist. Ich teile die Frauen ein in dankbare und undankbare Herzen.«

Er trat ein wenig von der Staffelei zurück, dann nahm er einen kleinen Spiegel, stellte ihn dem Porträt gegenüber und betrachtete das Spiegelbild.

»Was ich unter dankbaren und undankbaren Herzen verstehe, werden Sie fragen, gnädige Frau?« ergriff er wieder das Wort. »Sehen Sie, ein dankbares Herz ist ein solches, das es dankbar empfindet, wenn es geliebt wird; für Liebe immer mehr Liebe giebt, sich selbst vergißt und eine warme Neigung zu schätzen und zu ehren weiß. Ein undankbares hingegen nützt nur die Liebe aus, je sicherer es ist, desto weniger macht es sich aus ihr, desto mehr tritt es sie mit Füßen. Der Fischer kümmert sich nicht um den Fisch im Netze, gerade so kümmert Frau Osnowski sich nicht um Herrn Osnowski. Das ist die gröbste Form des Egoismus, die existiert. Und deshalb möchte Gott Herrn Osnowski behüten, seine Frau aber soll der Henker holen, samt ihren geschlitzten Veilchenaugen und ihren gebräunten Löckchen. Das Porträt einer solchen Frau male ich recht gern, aber heiraten hätte ich sie nicht mögen. Werden Sie mir glauben, daß ich mich so vor einem undankbaren Herzen fürchte, daß ich deshalb bis jetzt noch nicht heiratete, obschon ich ein starker Vierziger bin. So, für heute mag es genug sein. Ich habe ja auch soviel geschwatzt, daß die Fliegen von der Wand fallen. Wenn es Ihnen morgen zu viel wird, klatschen sie nur in die Hände. Mit Frau Osnowski spreche ich übrigens nicht so viel, denn sie spricht selbst so gern. Ach! Wie viele Büchertitel zählt sie mir da auf, doch genug davon . . . Etwas wollte ich noch sagen, habe es aber vergessen . . . Ja, nun weiß ich es wieder . . . Daß Sie, gnädige Frau, ein dankbares Herz sind.«

Polaniecki lachte und lud Swirski zum Diner ein, indem er hinzusetzte, er erwarte auch Bukacki und Professor Waskowski.

»Mit dem größten Vergnügen nehme ich an,« antwortete der Maler, »sonst lebe ich ja so einsam wie ein wildes Tier, und da es schönes Wetter ist, können wir dann das Kolosseum bei Mondschein besichtigen.«

Das Diner verlief sehr angenehm, Bukacki hatte abgeschrieben, da er sich unwohl fühlte. Swirski und Waskowski aber paßten trefflich zueinander und befreundeten sich rasch. Nur während seiner Arbeit ließ der Maler niemand zu Wort kommen, im allgemeinen aber hörte er gern und gut zu, und obschon der Professor mit seinen Anschauungen ihm etwas komisch vorkam, so war die große Güte und das Wohlwollen des alten Mannes doch so unverkennbar, daß er jedermann zu gewinnen wußte. Dem Künstler gefiel auch sein Gesicht und der mystische Ausdruck seiner Augen.

Gegen Ende der Mahlzeit fragte der Professor Marynia, ob sie Lust habe, den Papst zu sehen, und als sie bejahte, versicherte Swirski, der fast ganz Rom kannte, er könne mit Leichtigkeit ein Permesso verschaffen. Marynia brannte auch vor Ungeduld, das Kapitol, das Forum und das Kolosseum beim Mondschein zu sehen, und wenige Augenblicke später fuhren sie über den elektrisch beleuchteten Korso den Ruinen zu. Die Nacht war still und warm. In der Nähe der Kirche Santa Maria Liberatrice blies jemand am offenen Fenster die Flöte, und in der tiefen Stille war jeder Ton vernehmbar. Ein Teil des Forums lag im Schatten, während das Kolosseum von fern wie in Silber getaucht erschien. Nachdem der Wagen vor dem riesigen Cirkus angehalten hatte, begaben sich Polanieckis, Swirski und Waskowski in die Arena, indem sie über Schutt, über zerbrochene Säulen, über Friese und hie und da noch aufrechtstehende Sockel stiegen. In der tiefen Stille und Leere erstarben ihnen die Worte auf den Lippen.

Einzelne Strahlen des Mondlichts drangen durch die ungeheuren Bogenfenster, sie glitten über die Lücken und Riffe in den Mauern, über das Epheu und das Moos, das die Ruine bedeckte. Die andern in undurchdringliche Finsternis gehüllten Teile des Gebäudes machten den Eindruck von dunkeln, geheimnisvollen Höhlen. Die riesige Ruine schien ein Traumbild zu sein, das in der Stille der Nacht, beim Mondschein, durch die Erinnerung an die große Vorzeit mit ihrer blutigen Leidensgeschichte erstanden war.

Swirski brach zuerst das Schweigen. »Welche Tragödie von Schmerzen und Thränen hat sich hier abgespielt,« begann er leise. »Man mag sagen, was man will, im Christentum ist etwas Uebermenschliches – dieses Gedankens kann man sich nicht erwehren.«

»Ja, im Christentum ist etwas Uebermenschliches – eine Lehre ist es, die uns den Weg zeigt wie der Vollmond,« stimmte Waskowski bei.

Langsam wandten sie sich dem Ausgang zu, als plötzlich außen ein Wagen anfuhr, sich in dem finsteren, in die Mitte des Cirkus führenden Gange Schritte vernehmen ließen und zwei hohe Gestalten aus dem Schatten ins Licht traten.

Die eine, die in ein graues, glänzendes Gewand gekleidet war, näherte sich auf einige Schritte, um die Gesellschaft genauer zu betrachten, und sagte dann plötzlich: »Guten Abend, die Nacht ist so wunderschön, daß auch wir beschlossen, hierherzufahren. Welch eine Nacht!«

Polaniecki erkannte sofort Frau Osnowskis Stimme. Sie reichte ihm die Hand, und ihre Stimme klang so weich, wie Flötenton in der Ferne, als sie die Erklärung vorbrachte: »Ich fange an, an Vorgefühle zu glauben, denn irgend etwas hat mir gesagt, daß ich Bekannte hier treffen werde. Welch herrliche Nacht!«


 << zurück weiter >>