Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Kapitel.

Pan Andreas kam täglich nach Wodokty. Jedesmal kehrte er um einen Grad verliebter nach Lubicz zurück. Jeden Tag erschien ihm seine Alexandra bewunderungswürdiger.

»Hört mal, meine lieben Lämmer, heute will ich euch meiner Braut vorstellen, und dann wollen wir, wie ich mit der Panna verabredet habe, alle zusammen nach Mitruni, um unser drittes Gut zu besichtigen. Gebt aber acht, daß ihr euch anständig benehmt, jeden, der sie verletzt, haue ich in tausend Stücke.«

Die Ritter gingen bereitwillig, sich sorgfältig anzukleiden, und bald brachten vier Schlitten die ungestümen jungen Leute nach Wodokty.

Beim Erscheinen der Gäste blieb Panna Alexandra, verwundert über die vielzählige Gesellschaft, an der Schwelle stehen. Pan Kmicic, der sie bisher nur abends gesehen hatte, war starr und betroffen von ihrer Schönheit. Sie stand unbefangen, ohne die Augen zu senken, da, wie eine Herrin, die bei sich im Hause empfängt. Das schwarze Gewand, das mit Hermelin besetzt war, stand besonders gut zu ihrem klaren Teint und dem goldblonden Haar. Eine so schöne Panna hatten die Soldaten noch nie zu Gesicht bekommen, sie waren an Frauen anderen Schlages gewöhnt. Vor Verlegenheit scharrten sie mit den Füßen und verbeugten sich. Pan Kmicic trat hervor und küßte Alexandra die Hand.

»Meine Teure,« sagte er, »ich habe dir meine Kameraden mitgebracht, mit denen ich im letzten Kriege zusammen kämpfte.«

»Eine große Ehre für mich,« erwiderte Panna Alexandra, »in meinem Hause so ehrwürdige Ritter zu empfangen, von denen mir Pan Andreas schon soviel erzählt hat.«

Sie verneigte sich mit der größten Würde, und Pan Kmicic biß sich auf die Lippen und wurde rot: so keck sprach seine Braut.

Die ehrwürdigen Ritter scharrten noch immer mit den Füßen.

Schließlich machte Pan Kokosinski einen Schritt vorwärts, räusperte sich und begann:

»Erlauchtigste Panna! Ich weiß nicht, was ich am meisten preisen soll im Namen ganz Orszas: Ihre Schönheit und Tugend oder das ungewöhnliche Glück unseres Rittmeisters und Kollegen, Pan Kmicic. Denn mag er sich selbst bis zum Himmel hinaufschwingen, – selbst den Himmel erreichen, – den Himmel, – sage ich –«

»Kommt doch, bitte, endlich vom Himmel herunter,« unterbrach ihn Pan Kmicic.

Die Ritter lachten alle laut auf; dann aber erinnerten sie sich an Kmicic' strengen Befehl und faßten schnell an die Schnurrbärte.

Pan Kokosinski wurde rettungslos verwirrt und sagte:

»So redet doch selbst, Rindviecher ihr, wenn ihr mich stört.«

»Ich werde nicht imstande sein, Ihnen recht zu antworten. Ich denke, daß ich all Ihre Begrüßungsworte nicht wert bin, die Sie mir von ganz Orsza bestellen,« sagte Panna Alexandra und verneigte sich mit seltener Würde.

»Doch wir sind hergekommen, um, wie gestern verabredet, nach Mitruni zu fahren,« sagte Kmicic. »Der Weg ist weit, und Gott hat einen starken Frost geschickt.«

»Tantchen habe ich schon vorausgesandt, daß sie uns ein gutes Mittagsmahl bereitet. Haben die Herren, bitte, ein wenig Geduld, ich bin gleich bereit.«

»Nun, ist sie nicht eine Fürstentochter?... Wie?...« fragte Kmicic gleich, nachdem das Mädchen gegangen war. »Wo habt ihr so eine gesehen? Der selige Kammerherr verbrachte den größten Teil des Jahres mit ihr beim Fürsten Wojewod oder bei Pan Hliebowicz. Dort hat sie die feinen Manieren angenommen.«

Bald trat Panna Alexandra wieder ins Zimmer. Auf ihrem Kopfe hatte sie ein Mardermützchen, das ihr vortrefflich stand.

Alle traten ins Freie.

Zuerst stand ein Schlitten, der die Gestalt eines weißen Bären hatte.

»Wir fahren wohl mit diesem Schlitten?« fragte das Mädchen, auf den weißen Bären zeigend. »Ich habe noch nie einen schöneren Schlitten gesehen!«

»Er ist eine Kriegsbeute. Wir sind Verbannte, der Krieg hat uns unsere Güter geraubt, so bleibt uns nichts übrig, als vom Kriege zu leben. Ich habe ihm treu gedient, darum hat er mich auch belohnt.«

»Den einzelnen belohnt er, und das ganze Land verwüstet er.«

Kmicic legte Panna Alexandra noch eine weiße Tuchdecke, die mit weißem Wolfspelz gefüttert war, über, setzte sich zu ihr, rief dem Kutscher »fahr« zu, und die Pferde eilten davon. – Die übrigen folgten in den drei anderen Schlitten.

Sie fuhren schweigend dahin. Man hörte nur das Knirschen des Schnees, das Schnauben der Pferde und die antreibenden Worte der Kutscher.

Plötzlich neigte sich Pan Andreas zu Alexandra.

»Ist Ihnen gut so, Panna?«

»Ja, gut,« antwortete sie und schützte ihr Gesicht mit dem Ärmel vor dem kalten Wind.

Die Schlitten rasten dahin. Es war ein klarer, frostiger Wintertag. Wie Millionen verschiedenfarbiger Funken erglänzte der Schnee. Aus den Schornsteinen der Hütten, die am Wegen lagen, stiegen rosige Rauchsäulchen empor. Und neben den Schlitten kreisten mit lautem Krächzen Scharen von Krähen. Zwei Meilen von Wodokty entfernt führte der Weg durch einen dichten, schweigsamen, unter der starken Schneedecke eingeschlafenen Wald. Die Bäume schienen an ihnen vorüberzulaufen, und schneller und schneller flogen die Schlitten dahin, gleich, als ob den Pferden Flügel gewachsen wären.

Eine solche Fahrt macht schwindelig, und auch bei Alexandra begann sich alles im Kopfe zu drehen. Sie lehnte sich in den Schlitten zurück und schloß die Augen. Eine süße Mattigkeit beschlich sie. Es schien ihr, als ob dieser Bojar sie entführe, sie aber nicht die Kraft zu schreien oder sich zu wehren habe. Und sie fliegen dahin, rascher und rascher. Alexandra fühlte, daß sie umarmt wird, sie fühlte auf ihrer Wange die Berührung von weichen, warmen Lippen; aber ihre Augen wollen sich nicht öffnen, sie liegt wie im Traume. Und sie fliegen, – fliegen.

Die Panna wurde durch eine Stimme geweckt.

»Liebst du mich?«

Sie öffnete die Augen.

»Aber alles, – wie meine Seele!«

»Und ich liebe dich mehr als Leben und Tod!«

Wieder neigte sich Kmicic' Zobelmütze über Alexandras Mardermützchen. Sie war wie berauscht; war's von den Küssen, war's von dieser sinnbetörenden Fahrt? Alexandra wußte es selbst nicht.

»Bis ans Ende der Welt möchte ich so mit dir fahren!«

»Und ist es nicht Sünde?« flüsterte Alexandra.

»Sünde? So laß mich noch einmal sündigen!«

»Das geht nicht, bald sind wir in Mitruni.«

»Mitruni nah oder weit, das ist gleich.«

Plötzlich vernahm man aus dem letzten Schlitten ein verzweifeltes Geschrei: »Halt! Halt!«

Pan Andreas war zornig und erstaunt. Er drehte sich um und sah mehrere Schritte von seinem Schlitten entfernt einen Reiter, der in rasendem Galopp heransprengte.

»Mein Gott! Das ist mein Wachtmeister Soroka! Da ist irgend etwas passiert!« sagte Pan Andreas.

Der Wachtmeister hielt sein Pferd an, das sich hoch aufbäumte.

»Pan Rittmeister,« sagte er atemlos.

»Was ist los, Soroka?«

»Upita brennt ... Eine Schlägerei ist entstanden!«

»Jesus Maria!« schrie Alexandra auf.

»Fürchten Sie nichts, Panna. – Wer schlägt sich dort?«

»Ihre Soldaten mit den Städtern. – Der Marktplatz brennt. Die Städter haben nach Poniewiez geschickt, die Garnison zu alarmieren. – Und ich bin hierher geeilt, um es Euer Gnaden zu melden!«

Inzwischen kamen die anderen Schlitten an; die Offiziere umringten die Sprechenden.

»Was gab den Grund dazu?« fragte Kmicic.

»Die Städter wollten weder Proviant für die Mannschaften noch Fourage für die Pferde liefern. Die Soldaten nahmen sich alles mit Gewalt und zündeten zwei Häuser an. Jetzt ist überall Aufruhr, die Glocken läuten.«

Kmicic' Augen begannen vor Zorn zu funkeln.

»Wir müssen zu Hilfe eilen!« schrie Kokosinski.

»Sie werden unsere Soldaten besiegen,« rief Ranicki: »Schande, Blamage!«

»Wer an Gott glaubt, muß drauf loshauen! Zum Teufel mit ihnen!« fügte Zend hinzu.

»Ruhig!« donnerte Kmicic. »Kein Gemetzel. Verteilt ihr euch auf zwei Schlitten, den dritten laßt mir. Ihr fahrt nach Lubicz und wartet dort ruhig ab, ob ich eure Hilfe nötig habe.«

»Wie?« wollte Ranicki protestieren, aber Pan Andreas schnürte ihm die Kehle zu, und in seinen Augen lag furchtbare Wut.

»Kein Wort weiter!« sagte er drohend. – »Sie, Panna Alexandra, kehren nach Wodokty zurück oder holen erst die Tante von Mitruni ab. Unsere schöne Fahrt ist nun zum Teufel! Ich wußte gleich, daß sie dort nicht Ruhe halten werden. – Nun, sie werden schon kleinlaut werden, wenn erst mehrere Köpfe geflogen sind. – Bleiben Sie gesund, Panna, und seien Sie ohne Sorge, ich kehre bald zurück.«

Er küßte ihr die Hand, hüllte sie sorgfältig in die Wolfsdecke ein, setzte sich in den dritten Schlitten und rief seinem Kutscher zu:

»Nach Upita!«


 << zurück weiter >>