Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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9. Kapitel.

Für Pan Wolodyjowski brach eine mühevolle Zeit an. Er siedelte bald nach Upita über und leitete dort die Organisation der Landwehr. Seiner Geschicklichkeit und seinem Eifer gelang es allmählich, die notwendigen Pferde aufzutreiben. Während dieser Zeit stattete er auch in Lubicz einen Besuch ab. – Kmicic, obgleich er noch das Bett hütete, ging seiner Herstellung entgegen.

Pan Kmicic erkannte Wolodyjowski sofort bei seinem Eintreten. Er erblaßte unwillkürlich und griff mit seiner abgemagerten Hand zum Säbel, der über seinem Bette hing, dann zog er sie schnell wieder zurück und streckte sie seinem Gaste entgegen.

»Ich danke Ihnen für Ihren Besuch,« sagte er.

»Ich komme her, um zu fragen, ob Sie mir noch zürnen?« erwiderte Pan Michail.

»Keineswegs, – denn ich bin nicht vom ersten besten besiegt, mich hat ein Fechtmeister reinsten Wassers geschlagen. Kaum bin ich am Leben geblieben.«

»Und wie steht es jetzt mit Ihrer Gesundheit?«

»Sie wundern sich wohl, daß ich nach Ihrer Bewirtung noch lebe? – Ich wundere mich selbst darüber.« Pan Kmicic lächelte. »Nun, Ihre Sache ist noch nicht verloren, Sie können Ihr Werk, wenn es Ihnen beliebt, zu Ende führen.«

»Mit dieser Absicht bin ich nicht hierher gekommen.«

»Wahrhaftig, ich glaube, Sie haben Ihre Seele dem Teufel verschrieben oder besitzen sonst irgend welchen Talisman,« unterbrach ihn Kmicic. – »Bei Gott, ich bin kein Prahlhans, aber bisher glaubte ich immer, ich sei, wenn nicht der erste, so doch der zweite Fechtmeister in der Republik. Und jetzt –, ich hätte nicht 'mal Ihren ersten Hieb parieren können, wenn Sie es gewollt hätten. – Wo haben Sie denn das gelernt?« »Einesteils durch meine natürlichen Anlagen, dann aber spornte mich mein Vater dazu an. Er sagte: »Gott hat dich durch den kleinen Wuchs benachteiligt, die Welt wird sich über dich lustig machen, wenn du sie nicht zwingst, dich zu fürchten.« Nachher, als ich beim Wojewoden diente, habe ich mich noch in der Kunst vervollkommnet. Dort gab es Leute, die es getrost mit mir aufnehmen konnten.«

»Konnte es solche geben?«

»Ja, gewiß. – Ein Herr Podbipienta, ein Litauer Adliger, der bei Zbaraz gefallen ist. – Gott gebe seiner Seele Ruhe! – Das war ein Mann von Hünenkraft. Dann war noch ein Skrzetuski, mein Freund, von dem Sie wohl schon gehört haben?«

»Natürlich! Er schlich sich aus Zbaraz mitten durch das Heer der Kosaken. – Wer sollte von ihm nicht gehört haben! – Diese Herren also waren Ihre Kameraden! – Sie selbst waren Wohl auch in Zbaraz? Meine Hochachtung! Ach ja! Ich habe von Ihnen auch schon durch den Wilnaer Wojewoden gehört. – Ihr Vorname ist doch Michail? Nun, von so einem eins über den Kopf zu kriegen, das ist keine Schmach. – Ich möchte wohl Ihre Freundschaft gewinnen. Aber Sie haben mich Verräter genannt, doch hatten Sie unrecht damit.« – Kmicic runzelte die Brauen, als wenn seine Wunde ihn von neuem schmerzte.

»Ich gestehe, ich habe mich geirrt,« erwiderte Wolodyjowski, »aber ich erfahre dies nicht erst jetzt, Ihre Leute haben mir das selbst schon gesagt. Sie müssen wissen, sonst wäre ich nicht hierher gekommen.«

»Und wie hat man mich verleumdet!« sagte Kmicic bitter. »Mag sein, mehr als eine Sünde bedrückt mein Gewissen; aber bedenken Sie, wie hat man mich hier empfangen?«

»Am meisten haben Sie sich durch das Inbrandstecken von Wolmontowicze und durch die Entführung der Panna geschadet.«

»Dafür droht man mir schon mit Prozessen. Bei mir liegen schon einige Gerichtsvorladungen. Es ist wahr, ich habe Wolmontowicze niedergebrannt, auch Menschen sind dabei umgekommen; aber Gott möge mich richten, wenn ich das aus Blutgier getan habe! – In der Nacht vor dem Brande habe ich mir zugeschworen, mit allen in Eintracht zu leben, die hiesige Schlachta für mich zu gewinnen, ich wollte mich sogar mit den Leuten von Upita aussöhnen, denn denen habe ich wirklich unrecht getan.– Ich kehre nach Hause zurück, und was finde ich da? Meine Kameraden alle tot, abgeschlachtet wie Vieh! Als ich erfuhr, daß es die Butryms getan hatten, erfaßte mich blinde Wut, der Teufel nahm mich in seine Krallen, – und ich nahm furchtbare Rache! – Und wissen Sie auch, warum man sie ermordet hat? Ich habe es später erfahren. Weil sie in der Schenke mit den Frauen der Edelleute tanzen wollten. Wer an meiner Stelle hätte da nicht Rache genommen!«

»Pan Kmicic,« erwiderte Wolodyiowski, »ich muß zugeben, an Ihren Kameraden hat man schlecht gehandelt; aber die Schuld an allem liegt in dem schlechten Ruf, den Sie aus weiter Ferne mit hierher brachten.«

»Diese Unglücklichen!« fuhr Kmicic, hingerissen von seinen Erinnerungen, fort, »als ich im Fieber lag, kamen sie alle Abende zu mir, – da aus jener Tür. Sie stellten sich um mein Bett, blau, blutüberströmt, stöhnend: »Laß für unsere armen Seelen beten; wir leiden große Pein!« Glauben Sie mir, das Haar stand mir zu Berge bei ihrem Anblick. – Was die Entführung des Fräuleins anbetrifft, so wissen Sie wohl nicht, daß sie mir das Leben rettete, als sie mich vor der mich verfolgenden Schlachta versteckte. – Dann aber hieß sie mich fortgehen mit dem Befehle, nie wieder unter ihre Augen zu kommen. – Was blieb mir da zu tun übrig?«

»Trotzalledem haben sie gehandelt wie ein Tatar.«

»Sie sprechen, als wüßten Sie nicht, was Liebe heißt, und bis zu welchem Grade von Verzweiflung man kommen kann, wenn man sein teuerstes Wesen verliert.«

»Ich weiß nicht, was Liebe heißt!« brauste Wolodyjowski auf. »Seitdem ich einen Säbel zu tragen begann, war ich immer verliebt. – Leider in sehr viele, das ist wahr; denn meine Liebe wurde nie erwidert.«

»Eine schöne Liebe, die immerzu die Person wechselt,« warf Kmicic ein.

»Ich werde Ihnen 'mal erzählen, was ich mit meinen eigenen Augen gesehen habe. – Es war zu Anfang des Aufstandes von Chmielnicki, da entführte Bohun, derselbe, der nach Chmielnicki den größten Einfluß unter den Kosaken hatte, Skrzetuskis Braut, die junge Fürstin Kurcewicz. Sie müssen wissen, was das für eine Liebe zwischen den beiden war. Skrzetuski war verzweifelt, die ganze Armee wurde angesichts seiner Verzweiflung mit fortgerissen. Skrzetuski ergraute vor Gram in seinem siebenundzwanzigsten Lebensjahre. – Und wissen Sie, was er tat?«

»Woher soll ich das wissen?

»Weil das Vaterland in Not war, weil Chmielnicki triumphierte, verzichtete er darauf, das Mädchen zu suchen. Er brachte seine Liebe dem Vaterlande zum Opfer und vertraute sie Gott an. Er kämpfte unter dem Fürsten Jeremias in allen Schlachten und erwarb sich einen Ruhm, daß sein Name noch heute weithin gepriesen wird. – Und jetzt vergleichen Sie Ihre Handlungsweise mit der seinigen, – sehen Sie den großen Unterschied?«

Kmicic schwieg und biß auf seinen Schnurrbart. Wolodyjowski fuhr fort:

»Gott belohnte Skrzetuski, er gab ihm die Braut zurück. Bald nach der Schlacht von Zbaraz heiratete er, jetzt hat er schon drei Kinder, aber er hat nicht aufgehört, dem Vaterlande zu dienen. – Sie aber haben noch mehr Unruhe ins Land gebracht und dadurch dem Feinde geholfen. Kaum sind Sie selbst dem Tode entronnen, und das Fräulein konnten Sie vor mehreren Tagen ganz verlieren.«

»Wieso?« fragte Kmicic, sich im Bette aufrichtend. »Was ist mit dem Fräulein geschehen?«

»Geschehen ist ihr nichts, – nur, es fand sich ein Mann, der das Fräulein zum Weibe begehrte.«

Kmicic wurde ganz blaß, in seinen eingesunkenen Augen entzündete sich ein unheimliches Feuer, er sprang hoch und rief:

»Wer war dieser Hundsfott? Um Gottes willen, sagen Sie es mir!«

»Ich,« sagte Pan Wolodyjowski.

»Sie? – Sie?« fragte erstaunt Kmicic.

»Ja, ich.«

»Treuloser! Das wird Ihnen vergolten werden! – Und sie, die Panna? Sagen Sie doch schon alles! Hat sie Ihren Antrag angenommen?«

»Behüte Gott, – ohne zu überlegen, wies sie mich sehr entschlossen ab.«

Wieder wurde es still im Zimmer. Kmicic atmete schwer und sah fest in Wolodyjowskis Augen.

»Warum nennen Sie mich einen Treulosen? Bin ich Ihr Freund, Ihr Bruder? Ich habe Sie im Zweikampf besiegt, es stand mir frei zu tun, was mir beliebte! – – Doch wissen Sie eigentlich, warum die Panna meinen Antrag abgelehnt hat?«

»Warum?« wiederholte Kmicic wie ein Echo.

»Darum, – weil sie Sie liebt.« Das war mehr als die schwachen Kräfte des Kranken ertragen konnten. Kmicic' Kopf fiel in die Kissen zurück, seine Stirn bedeckte sich mit Schweiß. Er lag mehrere Minuten ganz ruhig.

»Ich fühle mich furchtbar schwach, sagte er etwas später. »Aber, sagen Sie nur, – woher wissen Sie denn, – daß sie – mich liebt?«

»Weil ich Augen habe und sehe, – und weil ich Verstand habe und denke. – Nachdem ich meinen Korb weg hatte, ist mir im Kopfe alles klar geworden. Als ich nach dem Zweikampf zu ihr ging, ihr zu sagen, daß sie frei sei, und daß ich Sie verwundet habe, runzelte sie die Augenbrauen, und anstatt mir zu danken, würdigte sie mich keines Blickes. Dann später stützte sie Ihren Kopf so liebevoll wie eine Mutter bei ihrem Kinde, und als ich ihr meinen Antrag machte, nahm sie ihn so auf – kurz gesagt, – sehr schlecht auf, – Das alles sollte Ihnen als Beweis genügen.«

»Wenn es nur wahr wäre, wenn es nur wahr wäre!« seufzte Kmicic leise. »Für meine Wunde gibt es kein besseres Heilmittel als Ihre Worte! – Aber mein schwacher Kopf hat nicht Kraft genug, um dieses Glück zu fassen. – Also sie wird mich heiraten!«

»Das sagte ich nicht. – Ich sagte, sie liebt Sie; aber ob sie Sie nimmt, das ist eine andere Sache.«

»So werde ich meinen Kopf an dieser Wand zerschellen; ich kann nicht anders.«

»O, Sie können anders, wenn Sie aufrichtig wollen. Jetzt ist die beste Gelegenheit, getane Sünden gut zu machen. Ziehen Sie ins Feld, erwerben Sie sich um das Vaterland Verdienste und sorgen Sie, daß Ihr Name mit Ruhm bedeckt wird. – Wer von uns hätte keine Sünden begangen? Jeder hat etwas auf seinem Gewissen. Niemand hat das Recht, Ihnen den Weg zur Reue und Besserung abzuschneiden. – Sie waren früher jähzornig, – streben Sie danach, sich beherrschen zu lernen. – Sie versündigten sich an dem Vaterlande, gehen Sie jetzt hin und retten Sie es. – So zu handeln, ist besser, als sich den Kopf zu zerschellen.«

»Sie sprechen wie mein bester Freund zu mir.«

»Nun, der bin ich gerade nicht; aber ich bin auch nicht Ihr Feind. – Und die Panna tut mir leid, trotzdem sie mich so entschlossen von sich gewiesen hat. – Aber ich will Ihnen helfen, auf den rechten Weg zu kommen. Sie sind ein tapferer und erfahrener Soldat, und ich erwerbe mir dadurch um das Vaterland Verdienste.«

»Sie wollen mir den rechten Weg weisen?« entgegnete Kmicic. »Denken Sie an die vielen Prozesse, die mir bevorstehen; vom Krankenlager werde ich mich geradeswegs den Gerichten stellen.«

»Dagegen bringe ich Ihnen eine Arznei,« sagte Wolodyjowski und holte den Brief des Hetmans hervor.

»Ein Befehl!« rief Kmicic. »Wem gilt er?«

»Ihnen. – Sie brauchen sich nicht den Gerichten zu stellen; denn Sie stehen unter der Gerichtsbarkeit des Hetmans. Und nun hören Sie, was der Fürst Wojewod schreibt.«

Pan Wolodyjowski verlas Kmicic das vertrauliche Schreiben des Fürsten Radziwill und fügte hinzu:

»Sie sehen also, es hängt von mir ab, Ihnen den Brief auszuhändigen oder nicht.«

Zweifel, Unruhe und Hoffnung flogen über Kmicic' Gesicht.

»Und was werden Sie tun?« fragte er mit leiser Stimme.

»Ich übergebe Ihnen den Befehl.«

Kmicic antworte nicht gleich. Sein Kopf sank in die Kissen, und er blickte starr zur Decke. Plötzlich wurden seine Augen feucht, und Tränen, sonst unbekannte Gäste für diese Augen, blieben an den Lidern hängen.

»Möge man mir den Hals abschneiden!« sagte er schließlich, »möge man mir die Haut vom Leibe reißen, einen so edlen Menschen wie Sie habe ich noch niemals gesehen! Meinetwegen hat Ihnen Alexandra einen Korb gegeben; ein jeder hätte seine Rache an mir ausgelassen. – Sie aber reichen mir Ihre Hand und ziehen mich aus dem Grabe heraus.«

»Ich sagte Ihnen schon, ich will nicht meiner persönlichen Angelegenheiten wegen das Wohl des Vaterlandes opfern. Sie können der Republik jetzt große Dienste erweisen. Es ist Ihr Glück, daß Sie jene Kosaken nicht aus der Schar Chowanskis entnommen haben; dann hätte ich Ihnen den Befehl nicht ausgeliefert.«

»Ein Beispiel werde ich mir an Ihnen nehmen. Geben Sie mir Ihre Hand. Gott wird mir dazu verhelfen, daß ich Ihnen Ihre Güte vergelte. – Ich bin Ihr Schuldner fürs ganze Leben.«

»Lassen Sie das für ein andermal. Jetzt halten Sie die Ohren steif, zeichnen Sie sich im Kriege aus, und die Schlachta wird Ihnen alles vergeben, – es sind alles gutherzige Leute. – Und eine Panna weiß ich, die wird für Sie die rechte Belohnung bereit halten.«

»Ei!« rief Kmicic begeistert, »was soll ich mich im Bette herumwälzen, während der Feind unsere Felder verwüstet. – He, her da, Leute! Bringt mir die Stiefel!«

Auch Wolodyjowski lächelte zufrieden:

»Ihr Geist ist stärker als Ihr Körper; noch sind Sie zum Aufstehen zu schwach.«

Es war mittlerweile schon ziemlich spät geworden, und der kleine Oberst verließ Lubicz, um nach Wodokty zu fahren.

»Ich werde ihr sagen, daß ich Kmicic nicht nur vom Tode, sondern auch von dem Grabe der Unehre gerettet habe,« dachte er, »so wird sie mir am ehesten meine Verwegenheit verzeihen. Jetzt wird sie mich besser aufnehmen als damals, als ich mich ihr anbot.«

Der brave Michail seufzte: »Wenn ich nur 'mal wissen könnte, ob es in der ganzen Welt nicht auch für mich eine Auserwählte gibt!«

Unter solchen Gedanken kam er nach Wodokty. Der zottige Smudier lief an das Tor, aber eilte nicht, ihm zu öffnen.

»Die Herrin ist nicht zu Hause,« erklärte er.

»Ist sie verreist?«

»Ja, verreist!«

»Wohin denn?«

»Wer kann das wissen!«

»Und wann kehrt sie zurück?«

»Wer weiß es!«

»Antworte ordentlich! Wann kommt sie zurück?«

»Wird wohl gar nicht zurückkehren denn sie nahm alle Habseligkeiten mit.«

»So? Wirklich?« fragte Pan Michail. – »Ei, sieh einer an, was ich angerichtet habe.«


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