Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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12. Kapitel.

Als Jan Skrzetuski mit seinem Vetter und dem Pan Zagloba in Upita anlangte, verlor Pan Michail Wolodyjowski fast den Verstand vor Freude, um so mehr, da er schon lange von seinen alten Waffengenossen nichts gehört hatte und geglaubt hatte, daß Jan Skrzetuski sich mit seinem königlichen Banner irgendwo in der Ukraina befände.

Er umarmte die Ankommenden der Reihe nach, drückte ihnen die Hände und fiel ihnen wieder um den Hals. Als sie ihm dann erzählten, daß sie unter dem Fürsten Radziwill kämpfen wollten, hatte Michails Freude keine Grenzen.

»Gott sei Dank, daß die alten Zbarazer wieder beisammen sind!« wiederholte er immer. »Es kämpft sich besser, wenn man seine Freunde um sich weiß!«

»Das war mein guter Gedanke,« sagte Pan Zagloba. »Sie wollten zum Könige ziehen, aber ich sagte zu ihnen: Warum sollten wir und Pan Michail nicht die alten Zeiten wieder heraufbeschwören? Wenn es uns alles so glückt wie im Kriege gegen die Kosaken und Tataren, so werden wir bald mehr als einen Schweden auf dem Gewissen haben.«

»Gott allein hat Ihnen die Idee eingegeben,« sagte Pan Michail. »Seit zwei Monaten werden auf Befehl des Fürsten Wojewoden, der anscheinend von dem Kriege seit langem unterrichtet ist, Regimenter gebildet. Außer mir sind mit diesem Amte noch Stankiewicz und ein gewisser Kmicic, Fahnenträger von Orsza, betraut. Kmicic ist bereits fertig und ist schon mit seinem Banner in Kiejdane eingetroffen.«

»Kennst du den Fürsten Wojewoden von Wilna?« fragte Jan.

»Wie sollt' ich den nicht kennen? Ich habe die ganzen Feldzüge unter seiner Führung mit durchgemacht. Er ist ein berühmter Kriegsmann und fast der beste Anführer in der Republik nach dem Tode des Fürsten Jeremia. Ich glaube, er wird nicht erst lange auf die Schweden warten, sondern er wird ihnen entgegengehen.«

»Ja,« sagte Zagloba, wir besuchten beide dieselbe Schule. Ich habe ihm oft seine Aufsätze gemacht. Er liebte schon damals vor allem den Krieg und zog meine Gesellschaft jeder anderen vor, weil auch mir Pferd und Lanze besser gefielen, als die lateinischen Verben.«

Wolodyjowski begann Pan Stanislaus Skrzetuski über alles auszufragen, was sich bei Ujscie zugetragen hatte. Er hörte eifrig zu und strich mit der Hand nachdenklich durch seine Haare. Schließlich, als Stanislaus geendet hatte, sagte er:

»Zu so etwas ist unser Radziwill nicht fähig. Stolz ist er wie der Satan, und anscheinend hält er kein Geschlecht in der ganzen Republik dem seinigen für ebenbürtig. Widerspruch verträgt er überhaupt nicht. – Es ist wahr, er zürnt dem Könige, weil er ihm nicht gleich den Hetmansstab für Groß-Litauen verliehen hat. Er hält treu an der calvinistischen, gottlosen Lehre; er unterdrückt die Katholiken, wo er kann; er beruft ketzerische Zusammenkünfte, – das ist ja alles wahr. Aber ich bin bereit zu schwören, daß er seinen letzten Blutstropfen opfern wird, ehe er eine solche Kapitulation, wie die bei Ujscie, unterzeichnen würde. Wir werden einen langwierigen Krieg zu führen haben; doch kein Bücherwurm wird uns befehligen, sondern ein echter Krieger.«

»Das ist recht!« rief Zagloba, »mehr wollen wir auch nicht.«

»Außerdem,« fügte Wolodyjowski hinzu, »ist anzunehmen, daß die Schlachta sich hier in großer Zahl einfinden wird. Ich habe den Befehl bekommen, mein Banner bereit zu halten und mich selbst nach Kiejdane zu begeben.«

Pan Wolodyjowski öffnete eine Schatulle, nahm den Befehl heraus und las ihn seinen Freunden vor:

»Pan Oberst Wolodyjowski! Mit großer Freude erhielten wir Ihren Bericht, daß Ihr Banner schon marschbereit sei. Seien Sie auf der Hut und stets in Bereitschaft. Kommen Sie selbst möglichst schnell nach Kiejdane, wo wir Sie mit Ungeduld erwarten. Sollten irgend welche Gerüchte zu Ihnen dringen, so schenken Sie ihnen keinen Glauben, als bis Sie alles von mir selbst gehört haben. Wir werden stets so handeln, wie wir es uns selbst, Gott und unserem Gewissen schuldig sind, ohne uns von der Bosheit und dem Haß unserer Feinde beeinflussen zu lassen. Zugleich trösten wir uns damit, daß eine Zeit heranbricht, in der es sich herausstellen wird, wer ein wirklicher Freund des Hauses Radziwill ist, und wer bereit ist, diesem Hause in »rebus adversis« zu dienen. Kmicic, Riewiarowski und Stankiewicz haben ihre Banner schon hierher geführt, das Ihrige möge in Upita verbleiben. Vielleicht werden Sie sich zu unserem Vetter, dem Fürsten Boguslaw, begeben müssen, der auch eine bedeutende Streitmacht zusammengezogen hat. Alle Einzelheiten hierüber werden Sie bei unserer persönlichen Zusammenkunft erfahren. Bis dahin überlassen wir Ihrem Eifer die persönliche Ausführung unserer Befehle und erwarten Sie in Kiejdane.

Janusz, Fürst Radziwill, Wilnaer Wojewod, Litauischer Groß-Hetman.«

»Es ist doch eigentümlich,« sagte Jan Skrzetuski, »daß er von einer Treue zum Hause Radziwill spricht, anstatt von einer zum Vaterlande. Das ist doch wirklich viel mehr wert als das Haus Radziwill, und es bedarf schneller Hilfe.«

»Das ist so einmal die Manier aller Magnaten,« antwortete Wolodyjowski, »obwohl auch mir das gleich nicht gefallen hat. Ich diene doch dem Vaterlande und nicht den Radziwills.«

»Wann hast du den Brief erhalten?«

»Heute früh. – Am Nachmittag wollte ich aufbrechen. Ruht ihr euch heute aus. Morgen kehre ich zurück, und dann könnt ihr mit dem Banner zusammen abmarschieren, wohin man uns befiehlt.«

»Vielleicht zum Fürsten-Stallmeister?«

»Fürst-Stallmeister Boguslaw ist augenblicklich auch in Kiejdane. Ein interessanter Mensch ist das! Ein guter Soldat, ein Ritter im wahrsten Sinne des Wortes. Polnisches hat er nicht für einen Pfifferling an sich. Er spricht immer nur deutsch oder französisch. Seine ganze Umgebung ist seines Lobes voll. Übrigens ist seine Vorliebe für das Deutsche ja ganz erklärlich; er ist der Sohn der brandenburgischen Kurfürstin.«

»Ich habe auch schon vom Fürsten Boguslaw gehört,« sagte Stanislaus Skrzetuski. »Ich erinnere mich, daß mein verstorbener Vater erzählte, daß, als Fürst Radziwills Vater die Tochter des brandenburgischen Kurfürsten heiratete, alle sehr unzufrieden waren, weil eine solch vornehme Familie, wie die der Radziwills, mit Fremden in verwandtschaftliche Beziehungen trat. Und jetzt kann uns das sehr zustatten kommen. Der Kurfürst, als ein Verwandter der Radziwills, muß der Republik zu Hilfe kommen; er hat ein stehendes Heer von 20 000 Mann und kann getrost mit ihnen gegen die Schweden ziehen. Als Lehnsmann der Republik ist er sogar dazu verpflichtet, wenn er an Gott glaubt und sich auf die Wohltaten besinnt, die die Republik seinem Hause angedeihen ließ.«

»Es ist schlecht, sich auf die Dankbarkeit anderer zu verlassen, besonders auf die eines Ketzers,« sagte Zagloba. »Er ist wie der schwedische König lutherisch, und wir wollen Gott danken, wenn sie sich nicht gegen die Republik verbinden.«

»Weißt du was, Michail,« sagte plötzlich Jan, »ich will mich lieber heute nicht ausruhen und gleich mit dir zusammen nach Kiejdane gehen. Erstens reist man bei Nacht besser, es ist nicht so heiß, und dann möchte ich so schnell wie möglich aus der Ungewißheit herauskommen. Ausruhen wird man sich ja dort auch können. Der Fürst wird doch nicht morgen schon aufbrechen.«

»Das ist ein guter Gedanke,« meinte Zagloba. »Ich komme auch gleich mit.«

»Dann gehen wir alle zusammen,« fügte Stanislaus hinzu. »So sind wir morgen früh in Kiejdane; man kann ja auch unterwegs im Sattel ein bißchen schlafen.«

Zwei Stunden später, nach dem Mittagessen, brachen unsere Ritter nach Kiejdane auf.

Unterwegs erzählte Pan Michail von der berühmten Laudaer Schlachta, von Kmicic und vielen anderen. Er sprach auch von seiner Liebe zur Panna Billewicz, die wie alle seine früheren nicht erwidert wurde.

»Gut, daß der Krieg losbricht, sonst würde ich vor Kummer vergehen. Manchmal fürchte ich, es wird mir wohl beschert sein, ledig zu sterben.«

»Das ist doch gar nicht so schlimm,« sagte Zagloba. »Ich habe mir gelobt, bis an mein Lebensende ledig zu bleiben. Manchmal tut es mir jetzt auch leid, daß niemand meinen Ruhm und meinen Namen erben wird. Zwar liebe ich Jans Kinder wie die eigenen, aber sie heißen doch nicht Zagloba.«

»Wirklich, Sie haben Ihr Gelübde zur rechten Zeit getan,« lachte Wolodyjowski hell auf. »Gerade wie der Wolf, der abschwur, Schafe zu würgen, als er seiner sämtlichen Zähne ledig war.«

»Das ist nun nicht wahr! Es ist noch gar nicht so lange her, Pan Michail, daß wir beide in Warschau zur Königswahl waren. Und an wem konnten sich die Warschauerinnen gar nicht satt sehen? An mir doch! Wissen Sie nicht mehr, daß alle jammerten, als ich ihnen keine Beachtung schenkte? Übrigens, wenn Sie eine so große Liebe zum Eheleben hegen, so brauchen Sie noch nicht zu verzagen. – Jetzt ist Krieg, wieviele Ritter kommen da jährlich um? Dauert der Krieg lange, so werden die Mädchen sehr im Preise sinken, und wir können sie zu Dutzenden auf dem Markte kaufen.«

»Vielleicht ist es mir auch von Gott bestimmt, umzukommen, seufzte Pan Michail. »Ich habe es eigentlich schon recht satt, mich so in der Welt herumzutreiben. Ach, und wie schön und klug Panna Billewicz ist, das kann ich euch gar nicht beschreiben! – Ich hätte sie auf Händen getragen und wie meinen Augapfel behütet. – Da führt der Teufel diesen Kmicic in die Gegend! – Er muß sie rein durch Zauberei an sich gefesselt haben, sonst würde sie mich doch nicht so abweisen; das kann ja gar nicht anders sein. – Der Bär hat seine Höhle, der Wolf seine Grube, – ich habe nur den Gaul und den Sattel, auf dem ich sitze.«

»Man sieht, sie hat es Ihnen wirklich sehr angetan,« meinte Zagloba. »Aber, was hilft's, Sie werden sich schon eine andere suchen müssen. Eine so kleine, wie Sie selbst sind. Wie wär's mit der Hofdame der Fürstin Wisniowiecka, die Pan Podbipienta heiraten wollte? Gott hab' ihn selig! Die paßte gerade zu Ihnen.«

»Anna Borzobohata meinen Sie,« sagte Jan Skrzetuski. »In die waren wir dazumal alle verliebt, auch Pan Michail. Gott weiß, wo die jetzt ist.«

»Ja, wenn ich das erfahren könnte!« rief Pan Michail. »Schon wie Sie ihren Namen erwähnten, wurde mir leichter ums Herz. Das war ein gutes Mädchen! Möchte ich ihr doch noch einmal begegnen!«

Allmählich begann es zu dunkeln: die Nacht brach herein. Die Ritter schliefen auf ihren Sätteln ein.

Bei Tagesanbruch erwachte als erster Pan Michail.

»Panowie! Seht dort Kiejdane!«

»Was? Wo?« fragte Zaglova. »Kiejdane, wo?«

»Dort! Die Türme sind zu sehen.«

»Was für eine schöne Stadt!« sagte Stanislaus Skrzetuski.

»Ja, sehr schön!« bestätigte Wolodyjowski »Sie können sich heute davon selbst überzeugen.«

»Ist sie Eigentum des Fürsten Wojewoden?«

»Ja, der Vater des jetzigen Fürsten erhielt sie als Mitgift. – Ein ausgezeichneter Met wird dort gebraut.«

Zagloba rieb sich die Augen. »Müssen kluge Leute drin leben. Und was ist das für ein ungeheures Gebäude, das da auf dem Hügel?«

»Das ist das neue Schloß.«

»Ist es befestigt?«

»Nein; aber es ist mit einem riesigen Luxus ausgestattet. Es wurde von einer Befestigung abgesehen, weil sich nach den Kreuzrittern hier kein Feind sehen ließ.«

Die Edelleute hatten bereits die ersten Häuser der Vorstadt erreicht. Die Sonne begann sich am Horizont zu zeigen: es war schon ganz hell geworden. Die Ritter betrachteten neugierig die ihnen fremde Stadt, und Pan Wolodyjowski erklärte ihnen alles.

»Das da ist die Judengasse; nur die Juden, die eine besondere Erlaubnis dazu haben, dürfen hier wohnen. – Dort weiter ist der alte Marktplatz. Seht nur die Uhr auf dem Rathause! So eine gibt's nicht mal in Danzig. Das Gebäude mit den vier Türmen ist die Schweizer Kathedrale. Hier liegt die lutherische Kirche. Sie meinen wohl, daß hier Polen und Litauer wohnen? Durchaus nicht! Viele Deutsche und noch mehr Schotten. Das sind alles ausgezeichnete Infanteristen, die vorzüglich mit der Hellebarde umzugehen verstehen. Der Fürst hat sich ein ganzes schottisches Regiment aus Kieijdaner Freiwilligen gebildet. – Was für eine Menge Wagen auf dem Markte stehen. Es wird gewiß eine Versammlung hier sein! Ein Gasthaus gibt's in der ganzen Stadt nicht. Ein jeder sucht hier nur seinen Bekannten auf. Für die Schlachta werden im Schloß zwei Flügel bereit gehalten. Der Fürst nimmt jeden sehr gastfreundlich auf, bliebe er auch ein ganzes Jahr. Es gibt Edelleute, die fast ihr ganzes Leben hier verbringen.«

»Sonderbar, daß nicht ein Blitz diesen Schweizer Tempel zerschmettert!« rief Zagloba aus.

»Das, geschah auch wirklich einmal. In der Mitte zwischen den vier Türmen war ursprünglich eine Kuppel. Der Blitz schlug in sie ein und zerschmetterte sie in viele Stücke.«

»Und was ist das für eine Scheune?«

»Das ist eine Papierfabrik, daneben liegt die Druckerei. Dort druckt man ketzerische Schriften.«

»Pfui!« spie Zagloba aus. »Hier könnte der Satan ebensogut Herrscher sein wie Radziwill!«

»Schelten Sie nicht auf den Fürsten,« sagte Wolodyjowski ruhig. »Vielleicht verdankt das Vaterland demnächst dem Fürsten seine Rettung.«

Hinter dem Markte und der Schloßstraße bot sich den Reitern der herrliche Anblick des fürstlichen Schlosses. Es stand oben auf einem Hügel und schaute hinab auf die Stadt, die zu seinen Füßen lag. An das Hauptgebäude schlossen sich zu beiden Seiten zwei Seitenflügel an, die einen ungeheuren Hof begrenzten, dessen Vorderseite von einem eisernen Gitter eingezäunt war. Die Mitte des Gitters bildete ein Portal mit den Wappen der Radziwills. Hinter dem Tore stand ein Gebäude für die Wache, und schottische Trabanten bewachten den Eingang zum Schlosse.

Trotz der frühen Morgenstunde herrschte auf dem Schloßhofe reges Treiben. Vor dem Hauptgebäude exerzierte ein Dragonerregiment in hellblauen Reitjacken und schwedischen Helmen. Die langen Reihen der Soldaten standen unbeweglich mit gezogenen Rapieren in den Händen. Ein Offizier ritt langsam das Regiment entlang und sprach zu den Soldaten. Ringsherum an der Schloßmauer stand die Dienerschaft und sah neugierig zu.

»Bei Gott!« rief Pan Michail, »dort reitet Charlamp bei seinem Regiment.«

Auch Charlamp erkannte Wolodyjowski und trabte den Rittern entgegen.

»Wie geht's?« schrie er schon von weitem. »Gut, daß du herkommst.«

»Noch besser ist es, daß ich dich als ersten hier treffe. Dies hier ist Pan Zagloba, den du schon kennst, und das ist Pan Skrzetuski, Rittmeister des königlichen Husaren-Banners, ein Zbarazer.«

»Ein in ganz Polen berühmter Ritter! Meine Hochachtung,« sprach Pan Charlamp.

»Und hier steht Pan Stanislaus Skrzetuski, Rittmeister von Kalisz; er kommt direkt von Ujscie,« fuhr Wolodyjowski fort.

»Von Ujscie? So waren Sie Zeuge dieser unerhörten Schandtat? Wir haben hier schon alles gehört.«

»Nun, wir sind ja auch hierher gekommen in der Hoffnung, daß so etwas hier nicht geschehen kann.«

»Des können Sie versichert sein. Radziwill ist nicht Opalinski.«

»So sagten wir auch gestern in Upita.«

»Ich begrüße Sie im Namen des Fürsten. Der Fürst wird hoch erfreut sein, solche Ritter bei sich zu sehen; denn er kann tüchtige Soldaten gebrauchen. Kommen Sie zu mir ins Zeughaus; denn dort ist mein Quartier. Wahrscheinlich wollen Sie sich ein wenig ausruhen und etwas genießen. Ich komme gleich mit, mein Dienst ist zu Ende.«

Pan Charlamp ritt wieder zum Banner und kommandierte laut: »Linksum kehrt!«

Laut schallte das Aufschlagen der Pferdehufe im Hofe. Die Reihen teilten sich in zwei Teile, dann wieder in zwei Teile und ritten im Schritt nach dem Zeughaus.

»Ausgezeichnete Soldaten!« sagte Skrzetuski, indem er die Bewegungen der Dragoner mit Kennerblick verfolgte.

Charlamp kehrte zu den Rittern zurück.

»Kommen Sie, bitte, das Zeughaus liegt dort hinter dem Schlosse.«

Eine halbe Stunde später saßen alle fünf bei einer Kanne Warmbier und unterhielten sich über den neuen Krieg.

»Und was gibt es Neues hier?« fragte Pan Wolodyjowski.

»Bei uns gibt es alle Tage Neues. Die Leute haben vollständig den Kopf verloren,« antwortete Pan Charlamp. »Eigentlich ist der Fürst der einzige, der weiß, um was es sich handelt. Er schmiedet unentwegt Pläne. Und wenn er sich auch fröhlich gibt und mit jedermann freundlich ist wie sonst nie, so ist er in Wirklichkeit doch sehr besorgt. Man sagt, er schläft des Nachts nicht, sondern geht unruhig in den Zimmern umher und hält Selbstgespräche. Am Tage beratschlagt er sich stundenlang mit Harasimowicz.

»Wer ist dieser Harasimowicz?«

»Er ist ein Gutsverwalter des Fürsten, aber allem Anscheine nach weiß er alle Geheimnisse des Fürsten. Meiner Meinung nach stehen wir am Vorabende eines ungeheuren Krieges mit den Schweden, eines Krieges, wie wir ihn alle herbeisehnen. Der Fürst erhält viele Briefe vom kurländischen Herzog, von Chowanski und vom Kurfürsten. Einige sagen, der Fürst stehe mit Moskau in Unterhandlungen, um vereint gegen die Schweden loszuziehen, andere sagen umgekehrt. Ich glaube aber, es wird zu gar keinem Bündnisse kommen, und es wird Krieg geben mit den Moskovitern und Schweden. Wo Fürst Radziwill ins Feld zieht, da wird kein Friede geschlossen.«

»Das ist recht, das ist recht,« sagte erfreut Zagloba und rieb sich die Hände. »Viel schwedisches Blut klebt schon an meinen Händen und noch mehr wird hinzukommen.«

»Und Fürst Boguslaw, ist der auch hier?« fragte Pan Wolodyjowski.

»Selbstverständlich! Wir erwarten außerdem noch heute sehr vornehme Gäste. Die oberen Gemächer des Schlosses werden schon zum Empfang fertig gemacht. Abends gibt es im Schlosse ein Bankett. Ich zweifle, Michail, daß du heute beim Fürsten vorgelassen wirst.«

»Er selbst aber hat mich doch hierher bestellt.«

»Das tut nichts. Er ist jetzt fürchterlich beschäftigt. – Und dann,– doch ich weiß nicht, ob ich euch davon etwas erzählen darf, – übrigens, in einer Stunde würdet ihr ja ohnedies alles erfahren, – es gehen hier nämlich merkwürdige Dinge vor.«

»Was denn? Was denn?« fragte Zagloba.

»Sie müssen wissen, daß vor zwei Tagen Pan Judycki, ein Malteser Ritter, hier eintraf. Sie haben wahrscheinlich schon von ihm gehört?«

»Gewiß,« sagte Jan, »ein berühmter Ritter.«

»Ihm auf dem Fuße folgte der Feldhetman Gosiewski. Wir waren alle starr vor Staunen, denn es ist ja weithin bekannt, in welcher Feindschaft der Fürst und der Feldhetman leben. Der Fürst schloß sich mit seinen Gästen ein, und niemand durfte hören, was sie miteinander sprachen. Pan Krepsztul, der vor der Tür Wache hielt, erzählte, daß drinnen sehr laut gesprochen wurde, besonders der Feldhetman schien sehr erregt gewesen zu sein. Später begleitete der Fürst die Herren selbst in ihre Schlafgemächer, und in der Nacht, stellt euch nur vor,« Pan Charlamp dämpfte seine Stimme, »sandte er vor die Tür eines jeden eine Wache.«

Wolodyjowski sprang von seinem Platze auf.

»Mein Gott, das kann nicht wahr sein!«

»Es ist aber tatsächlich so. – Noch jetzt stehen die Schotten mit geladenen Gewehren vor den Türen und dürfen bei Todesstrafe niemanden heraus- oder hereinlassen.«

Die Ritter sahen sich verständnislos an. Pan Charlamp, von seinen eigenen Worten nicht weniger betroffen, sah seine Gäste an und hoffte von ihnen Lösung dieses Rätsels zu erhalten.

»Der Feldhetman ist also in Haft genommen? Der Großhetman hat den Feldhetman verhaftet?« sagte Zagloba. »Was kann das bedeuten?«

»Wer kann das wissen? – Und Judycki ebenfalls, einen so ehrenwerten Ritter!«

»Haben die fürstlichen Offiziere unter sich von der Sache gesprochen? Haben Sie keine Vermutungen? – Haben Sie darüber nichts gehört, Pan Charlamp?«

»Ich sprach gestern noch mit Harasimowicz.«

»Und hat er Ihnen nichts gesagt?«

»Er wollte sich nicht aussprechen. Er legte nur den Finger auf die Lippen und murmelte: »Sie sind Verräter!«

»Wieso Verräter? Wieso Verräter?« fuhr Wolodyjowski auf und faßte an seinen Kopf. »Weder Pan Feldhetman Gosiewski noch Pan Judycki sind Verräter! Die ganze Republik kennt sie als treue Söhne des Vaterlandes!«

»Jetzt kann man niemandem trauen,« sagte laut Stanislaus Skrzetuski. »Nannte man nicht Opalinski den Cato der Republik? Maßregelte er nicht andere mit weisen Lehren, wenn sie Schlechtes taten?«

»Ja, und als eine schwere Zeit hereinbrach, wurde er selbst zum Verräter, nicht er allein, nein, er verführte noch eine ganze Provinz zum Verrat.«

»Aber für den Feldhetman und Judycki bin ich bereit, mich köpfen zu lassen!« schrie Wolodyjowski

»Ihren Kopf, Pan Michail, den setzen Sie lieber für niemand ein,« sagte Zagloba. »Ohne Grund hat man sie sicherlich nicht verhaftet, sie werden sich wohl irgendwie vergangen haben. Das kann gar nicht anders sein. Dem Fürsten, der sich zum Kriege vorbereitet, ist doch jede Hilfe von Nutzen; er kann doch nur die verhaften lassen, die sich ihm in den Weg stellen. – Und wenn dem so ist, so geschieht diesen Pans schon recht. Gott sei Dank, daß man vorgebeugt und diese Nichtsnutzigen bei Zeiten ins Gefängnis geworfen hat. Pfui! In einem solchen Augenblick sich mit dem Feinde zu verbinden, sich gegen das Vaterland, sich gegen den großen Anführer aufzulehnen! Ich schwöre bei der heiligen Jungfrau, ihnen geschieht ganz recht.«

»Wunder! Wunder über Wunder geschehen, sie wollen einem gar nicht in den Kopf rein,« sagte Charlamp. »Ritter in so hoher Stellung verhaftet man, ohne sie vor Gericht zu stellen; dazu hat ja nicht einmal der König ein Recht.«

»Wie es scheint, will der Fürst bei uns römische Sitten einführen und sich während des Krieges zum Diktator erklären,« bemerkte Stanislaus Skrzetuski.

»Meinetwegen soll er sich auch zum Diktator machen, wenn er nur die Schweden aus dem Vaterlande vertreibt,« erwiderte Zagloba. »Ich bin der erste, der für seine Diktatur stimmt!«

Jan Skrzetuski schwieg und sann nach. Nach einigen Minuten sagte er: »Wenn er nur nicht so ein Protektor sein wird wie der Engländer Cromwell, der sich erdreistete, seine gotteslästerliche Hand an die Person seines Königs zu legen.«

»Nun Cromwell – Cromwell war doch ein Ketzer!« meinte Zagloba.

»Und der Fürst Wojewod?« sagte Jan Skrzetuski ernst.

Alle schwiegen, und mit Schrecken dachten sie an die dunkle, vor ihnen liegende Zukunft; nur Pan Charlamp war etwas gekränkt.

»Ich diene dem Fürsten Wojewoden schon von klein auf, ich kenne ihn besser als Sie alle. Ich liebe und achte ihn und muß Sie bitten, ihn nicht mit Cromwell zu vergleichen. Ich wurde sonst genötigt sein, Ihnen so zu antworten, wie es sich als Wirt dieses Zimmers nicht für mich schickt.«

Wolodyjowski sah ihn von oben herab kalt und streng an, als wollte er sagen: Sprich nur noch ein Wort!

Pan Charlamp kam zu sich. Er hegte für Wolodyjowski eine unbegrenzte Hochachtung und wußte, daß es nicht ungefährlich war, sich mit ihm zu entzweien. Deshalb sagte er schon bedeutend weicher gestimmt:

»Der Fürst ist Calvinist, – das ist wahr, aber er ist doch schon als solcher geboren. Niemals wird er wie ein Cromwell, ein Radziejowski oder ein Opalinski handeln, und wenn Kiejdane in die Erde versinken sollte.«

»Und wenn er selbst der Teufel wäre und Hörner auf dem Kopfe hätte, auch gut, – so kann er die Schweden aufspießen,« sprach Zagloba.

»Und doch sind Pan Gosiewski und Judycki verhaftet! Der Fürst ist gerade nicht sehr freundlich zu seinen Gästen, die ihm Vertrauen schenkten,« sagte kopfschüttelnd Wolodyjowski.

»Was redest du da, Michail,« erwiderte Charlamp. »Er ist jetzt so freundlich, wie er sonst nie im Leben war. Früher war er unnahbarer als der König selbst; jetzt aber bewegt er sich täglich unter den Offizieren und der Schlachta. Er spricht mit jedem, fragt ihn nach seiner Familie, seinen Kindern, und ob ihn der Dienst nicht bedrücke. Er, der sich mehr zu sein dünkte als die vornehmsten Edelleute, er geht jetzt Arm in Arm mit dem jungen Kmicic.«

»Kmicic? Ist der schon lange hier?« fragte Wolodyjowski.

»Er ist schon wieder abgereist. Kmicic steht in sehr hoher Gunst beim Fürsten. Als er abgereist war, sagte der Fürst von ihm: Dieser Mann ist zu allem bereit, was ich ihm befehle.«

Kaum hatte Charlamp geendet, als sich die Tür öffnete und ein kleiner, hagerer, beweglicher Mann von ungefähr vierzig Jahren mit feinen Gesichtszügen, dünnen Lippen und etwas schielenden Augen hereintrat. Sobald er hereingekommen war, klappte er zusammen wie ein Taschenmesser, streckte sich dann wieder und verbeugte sich noch einmal so tief. Dann drehte er seinen Kopf ringsherum und begann mit einer Stimme, die an das Knarren einer verrosteten Wetterfahne erinnerte, schnell zu reden. Dieser Mann war Harasimowicz. Er wurde alles andere eher als freundlich von Pan Charlamp empfangen, bei dem er Anfrage nach den neu angekommenen Rittern hielt. Danach begann er, über die prekäre Lage der Republik zu klagen.

»Posen ist schon vom Feinde besetzt; ganz Groß-Polen ist auch besetzt. Masovien wird der Feind bald besetzen. Die Schweden sind schon in Lowicz, dicht bei Warschau. Unser König ist geflohen und hat Warschau ohne jeden Schutz gelassen. Heute oder morgen werden die Schweden auch dort einziehen. Man sagt, der König sei so in Schrecken versetzt, daß er nach Krakau fliehen will und von dort aus weiter in fremde Länder, wo er um Hilfe bitten will. – Es steht schlimm, meine Herren, sehr schlimm! Es ist nur gut, daß die Schweden, wie man allerorten sagt, nicht gewalttätig sind. Sie erfüllen streng die Verträge, sie lassen dem Adel alle Freiheiten und tasten die Religion nicht an. Deshalb stellen sich auch alle so gerne unter das Protektorat von Karl-Gustav. – Unser Herrscher, Jan-Kasimir, hat sich viel zuschulden kommen lassen, viel zuschulden kommen lassen. – Alles ist für ihn verloren, alles verloren! – Weinen könnte man! – Alles verloren, verloren!«

»Was, zum Teufel, winden Sie sich denn wie ein Fisch auf der Bratpfanne und sprechen in einem so frohen Tone vom Unglück des Vaterlandes!« schrie Zagloba.

Harasimowicz tat so, als ob er nichts gehört hätte, schlug die Augen gen Himmel und fuhr fort:

»Alles verloren, für alle Ewigkeit verloren! Drei Kriege mit einem Male kann die Republik nicht aushalten. Verloren ist alles! Es ist Gottes Wille! Allein unser Fürst kann Litauen retten!«

Diese unheilvollen Worte waren kaum verklungen, als Harasimowicz verschwand, gleich als ob ihn die Erde verschluckt hätte.

»Hier kann man rein den Verstand verlieren,« rief Wolodyjowski aus.

»Sie haben recht,« bestätigte Stanislaus Skrzetuski. »Gebe Gott einen schnellen Aufbruch zum Kriege. Dann hat man wenigstens keine Zeit, sich den Kopf zu zerbrechen, man hat nur zu kämpfen.«

»Wahrhaftig, es ist so weit gekommen, daß man mit Sehnsucht an die ersten Zeiten des Aufstandes von Chmielnicki denkt. Damals erlitten wir zwar viele Niederlagen; aber Verräter waren doch nicht unter uns. Wenn man wenigstens bald den Fürsten sehen könnte!« meinte Zagloba.

Zaglobas Wunsch sollte schnell in Erfüllung gehen. Nach kaum einer Stunde erschien Harasimowicz von neuem, um unter tiefen Bücklingen zu melden, daß der Fürst die angekommenen Gäste zu sehen wünsche.

Die Ritter folgten dem Harasimowicz, der sie über den mit Soldaten und Landedelleuten angefüllten Hof führte. Überall wurde laut und eifrig etwas besprochen, wahrscheinlich dasselbe, was Charlamp soeben den Rittern mitgeteilt hatte. Auf allen Gesichtern war innere Unruhe und fieberhafte Erwartung ausgedrückt.

Die Offiziere und die Schlachta hörten den Rednern zu, die ihre Worte mit verzweifelten Gesten begleiteten.

Nur mit Mühe und Not konnte Harasimowicz sich durch die dichte Menge hindurchdrängen. Von Zeit zu Zeit begrüßten alte Bekannte den Pan Wolodyjowski.

»Wie geht es, Michail? Schlecht, Bruder! Wir gehen zugrunde! Wen führst du denn zum Fürsten?«

Pan Michail antwortete niemandem; er wollte keine Zeit verlieren, um vor dem Fürsten zu erscheinen. Die Ritter kamen zu dem Hauptgebäude des Schlosses, dessen Eingänge fürstliche Janitscharen, mit Panzerhemden und ungeheuren, weißen Mützen bekleidet, bewachten.

Auf dem Flur und auf der Treppe, die zu beiden Seiten mit Pomeranzenbäumen geschmückt war, herrschte ein noch größeres Gedränge als auf dem Hofe. Auch hier wurde lebhaft gesprochen. Den Hauptgegenstand der Unterhaltung bildete die Verhaftung Gosiewskis und Judyckis. Alle waren aufs höchste erstaunt darüber; einige bewunderten den Scharfblick des Fürsten, andere verurteilten jedoch seine Handlungsweise. Ein jeder brannte vor Ungeduld, die Lösung des Rätsels aus dem eigenen Munde des Fürsten zu erfahren. Deshalb stürmten auch eine große Menge Menschen die Treppen empor zum Audienzsaal, wo der Fürst zu dieser Zeit die Obersten und die höhere Schlachta empfing. Endlich traten unsere Ritter durch die geöffnete Tür in den Saal, dessen himmelblaue Decke weithin leuchtete. In der Tiefe des Saales stand ein Podium, das von einer glänzenden Suite reich und buntfarbig gekleideter Ritter besetzt war. Vorn auf dem Podium stand ein Sessel, dessen hohe Rückenlehne eine goldene Fürstenkrone trug, von der roter, mit Hermelin umsäumter Samt mantelartig herunterfiel.

Der Fürst war noch nicht im Saale; Harasimowicz drängte sich durch die Schlachta hindurch zu einer kleinen Tür, die hinter dem Podium verdeckt lag. Er bat die Ritter, auf ihn zu warten, während er selbst hinter der Tür verschwand.

Nach einigen Minuten erschien er wieder und führte die Gäste zum Fürsten.

Die beiden Skrzetuskis, Zagloba und Wolodyjowski betraten ein kleines, aber prunkvoll ausgestattetes Zimmer, das ganz mit gepreßtem Leder austapeziert war.

An einem Tische, der mit Papieren überhäuft war, saßen zwei Herren, die in ein Gespräch vertieft waren. Der eine, ein noch junger Mann, in fremdländischer Kleidung mit einer langen Lockenperücke auf dem Kopfe, flüsterte dem älteren Herrn etwas ins Ohr. Dieser hörte mit zusammengezogenen Brauen zu und nickte von Zeit zu Zeit. Er war so mit seinen Gedanken beschäftigt, daß er die Angekommenen nicht sogleich bemerkte.

Es war ein Mann in den Vierzigern, breitschulterig und von einer Hünengestalt. Er trug ein rotes, polnisches Nationalkostüm, das am Halse durch eine kostbare Spange zusammengehalten wurde. Aus seinem Gesicht sprachen Stolz und Machtbewußtsein. Es war das herrschsüchtige Gesicht eines großen Machthabers. Ein langer, hängender Schnauzbart gab diesem Gesicht noch mehr das Gepräge des Zornes und Eigenwillens. Wehe dem Haupte, über dem sich die Gewitterwolke seines Zornes entlud! Das war der erste Eindruck, den man von dem Fürsten Janusz Radziwill, denn er war der Mann, gewann.

Der junge Mann in der Perücke war Fürst Boguslaw, ein Vetter des Fürsten Janusz; er war Stallmeister des litauischen Großfürstentums.

Nachdem Boguslaw dem Fürsten noch einiges ins Ohr geflüstert hatte, sprach er laut:

»Ich hinterlasse also meine Unterschrift auf dem Dokument und reise dann ab.«

»Wenn es nicht anders geht, so fahren Sie,« erwiderte Janusz, »obgleich es mir lieber wäre, Sie blieben. Wer weiß, was sich hier ereignen kann?«

»Ihre Durchlaucht haben ja alle Zufälligkeiten vorausgesehen, dort aber fordern die Geschäfte meine persönliche Anwesenheit.«

»Behüte Sie Gott!«

»Adieu, mon frère.«

»Adieu.«

Die Fürsten reichten sich die Hände, der Stallmeister ging eilig hinaus, der Hetman aber wandte sich an die Ritter:

»Verzeihen Sie, meine Herren, daß ich Sie warten ließ,« sagte er langsam, mit einer tiefen, klangvollen Stimme. Allerlei Angelegenheiten nehmen aber jetzt meine ganze Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch. Ich war sehr erfreut, als ich Ihre Namen hörte, daß Gott mir so tüchtige Ritter hierher gesandt hat. Setzen Sie sich doch, meine lieben Gäste. Wer von Ihnen ist denn Pan Jan Skrzetuski?«

»Ich, Euer Durchlaucht,« sagte Jan.

»Starost – Starost von – Verzeihung, ich habe ganz vergessen, wovon Sie Starost sind?«

»Ich bin gar kein Starost.«

»Wie!« Der Fürst zog seine Brauen zusammen. Man hat Ihnen für Ihre Dienste in Zbaraz keine Starostei verliehen?«

»Ich habe mich nie darum bemüht, Durchlaucht.«

»Auch ohne das mußte man Sie zum Starosten machen. Was sagen Sie? Man hat Sie auf keine Weise belohnt? Man hat Sie ganz vergessen? Eigentümlich! Doch, was sage ich, heutigen Tages kann man sich über nichts wundern. Jetzt wird der belohnt, der sich darauf versteht, tiefe Bücklinge zu machen. Unverständlich, wirklich unverständlich! Man hat Ihnen keine Starostei gegeben! Sehen Sie mal an! – – Es ist wirklich ein Glück, daß Sie hierher gekommen sind; wir hier sind nicht so vergeßlich. – Kein einziges Ihrer Verdienste wird ohne Belohnung bleiben. – – Und auch die Ihren, Pan Oberst Wolodyjowski.«

»O, ich habe mich noch durch nichts verdient gemacht, Durchlaucht.«

»Nun, überlassen Sie mir das, darüber zu urteilen. Fürs erste nehmen Sie dies Dokument an, kraft dessen ich Ihnen Dydkiemie als lebenslängliches Besitztum übergebe. Es ist kein schlechtes Stückchen Erde, hundert Pflüge fahren jeden Frühling darüber, um es zu beackern. Nehmen Sie wenigstens diese Kleinigkeit von mir an, mehr kann ich Ihnen jetzt nicht geben. Und sagen Sie dem Pan Skrzetuski, daß Radziwill weder seine Freunde noch die, die unter seinem Befehle dem Vaterlande treu gedient haben, vergißt!«

»Euer Durchlaucht,« murmelte höchst verlegen Pan Michail.

»Genug, genug! Verzeihen Sie nur, daß es so wenig ist. Aber vergessen Sie nicht, hören Sie, vergessen Sie nicht, Ihren Freunden zu sagen, daß der nicht fehlgehen wird, der seine Kräfte dem Hause Radziwill widmet. Ich bin nicht der König, aber wenn ich der König wäre, Gott ist mein Zeuge, ich würde solche Ritter nicht vergessen wie Jan Skrzetuski und Zagloba.«

»Hier bin ich!« sagte Zagloba, indem er beherzt hervortrat.

Er war schon sehr ungeduldig, daß man ihn solange unbeachtet gelassen hatte.

»Ich erriet schon, daß Sie das wären. Man hatte mir erzählt, daß Sie schon ein bejahrter Herr seien.«

»Ja, ich ging mit dem würdigen Vater Ihrer Durchlaucht in eine Schule. Und da er von Kind auf ritterliche Neigungen bewies, so zog er mich in seine nähere Umgebung. Auch ich liebte mehr die Lanze als die lateinischen Verben.«

Dem Pan Skrzetuski wurde es etwas ungemütlich. Gestern noch erzählte Zagloba, daß er ein Schulkamerad des Fürsten Janusz selbst war, und heute war er der seines Vaters.

»Ei, sieh einer an,« sagte der Fürst. »Sie sind also aus Litauen?«

»Ja, aus Litauen,« antwortete Zagloba, ohne sich zu besinnen.

»Jetzt verstehe ich, warum Sie bislang keine Auszeichnungen erhalten haben. Wir Litauer sind ja an Undank gewohnt, das wird schon so unser Schicksal sein. Wir bringen unser Blut und Leben und all unsere Habe dem Vaterlande zum Opfer dar, und niemand, niemand lächelt uns einmal dafür freundlich an. – Nun, wie die Saat, so die Ernte, – so befiehlt Gott und die Gerechtigkeit. – Das alles muß anders werden. Schon allein dafür, daß Sie hierher gekommen sind, stehe ich tief in Ihrer Schuld, Wenn ich auch nicht Ihr König bin, so glauben Sie, mit bloßen Versprechungen werden Sie alle nicht ausgehen.«

»Euer Durchlaucht,« unterbrach ihn lebhaft und mit einem gewissen Stolze Pan Skrzetuski, »Reichtümer und Auszeichnungen wegen sind wir nicht hierher gekommen. – Der Feind tritt unser Vaterland mit Füßen, wir sind gekommen, um unter dem Befehle eines berühmten Führers ihm unsere Kräfte zu weihen. Mein Vetter Stanislaus sah bei Ujscie unsere schreckliche Mißwirtschaf; er sah Feigheit, Verrat und zuletzt den Triumpf des Feindes. Hier aber wird der Feind nicht triumphieren, hier soll ihm das Verderben bereitet werden. – Darum sind wir zu Ihnen geeilt, Durchlaucht. – Wir sind Soldaten, uns treibt es in die Schlacht.«

»Nun, wenn das Ihr Wunsch ist, so wird er nicht lange mehr unerfüllt bleiben,« sagte der Fürst feierlich. – »Aber erst gilt's gegen einen anderen Feind zu marschieren; wir müssen den Brand von Wilna rächen! – Ich will Sie nicht länger aufhalten, meine Herren. Sie müssen sich erst noch ausruhen, und mich ruft die Arbeit. Ich lade Sie alle für heute abend zu mir ein; vor dem Ausmarsch ins Feld muß man sich auch ein wenig Vergnügen gönnen. – Pan Wolodyjowski, bewirten Sie meine teuren Gäste wie in Ihrem eigenen Hause. Vergessen Sie nicht, was mein ist, ist auch das Ihrige. Ich wünsche Ihnen, meine Herren, alles Gute! Seien Sie Radziwills Freunde. In Ihnen allein liegt jetzt meine ganze Kraft!«

Der stolze und mächtige Fürst drückte den Rittern der Reihe nach die Hände wie seinesgleichen. Sein finsteres Gesicht hellte sich durch ein freundliches Lächeln auf, und die Unnahbarkeit, die ihn bisher umgab, verschwand spurlos.

»Das ist ein Führer! Das ist ein Feldherr!« sagte Stanislaus, als die Ritter auf dem Hof anlangten.

»Durchs Feuer würde ich für ihn gehen!« rief begeistert Zagloba. »Habt ihr gehört, wie er alle meine Taten auswendig wußte? Heiß wird es den Schweden werden, wenn dieser Löwe brüllt, und wir alle werden ihm sekundieren.«

»Ich sehe nur eins,« sagte Jan Skrzetuski, »daß er die Leute für sich gewinnen will, und daß er irgend welche Pläne schmiedet, für die er Hilfe nötig hat.«

»Haben Sie denn von seinen Plänen nichts gehört?« ereiferte sich Zagloba. »Hat er nicht gesagt, erst müssen wir Wilna rächen?«

In den Hof ritten bald Truppenabteilungen, bald große Mengen bewaffneter Schlachta hinein. Oft kamen auch Kaleschen an, in denen Familienmitglieder der Pans der Umgegend saßen. Pan Michail drängte seine Kameraden zum Tor.

»Wer weiß, Pan Michail, vielleicht schlägt heute Ihre Stunde,« sagte Zagloba. »Vielleicht finden Sie heute eine Braut. Sehen Sie dort die offene Kalesche, dort sitzt jemand in weißem –«

»Das ist keine Braut, sondern im Gegenteil jemand, der mich trauen kann,« antwortete der weitsichtige Pan Michail. Das ist der Bischof Parczewzki mit dem Pater Vialozor, dem Archidiakon von Wilna.«

»Und die besuchen den calvinistischen Fürsten?«

»Was sollen sie tun? Wenn es sich um das öffentliche Wohl handelt, müssen sie sich eben bezwingen.«

Die Kalesche näherte sich dem Tore, und die Wache nahm in zwei Reihen Aufstellung, um vor dem Bischof zu präsentieren. Diesem Fuhrwerk folgten zwei andere, die von Dragonern eskortiert waren. In dem ersten war der Wojewod Pan Korf, im zweiten, das mit dem Wappen des Fürsten Janusz geschmückt war, saßen zwei Herren in fremdländischer Tracht, mit breitkrempigen Hüten und langen Locken, die auf ihre Spitzenkragen herunterfielen. Der eine war sehr stark, er trug einen Spitzbart und einen nach oben gedrehten Schnurrbart: der andere war noch jung und ganz in schwarz gekleidet. Er hatte ein wenig kriegerisches Aussehen, nahm aber allem Anscheine nach eine noch wichtigere Stellung ein als der erste; denn er trug um den Hals eine schwere, goldene Kette mit einem Orden. Beide betrachteten neugierig die im Hofe angesammelte Menschenmenge.

»Was sind das für Teufel?« fragte Zagloba.

»Keine Ahnung, habe sie noch niemals gesehen,« antwortete Wolodyiowski.

Der Wagen fuhr ins Tor hinein und hielt vor dem Hauptportal des Schlosses. Die Dragoner machten am Tor Halt.

Wolodyjowski erkannte ihren Offizier.

»Tokarzewicz!« rief er, »kommen Sie mal her!«

»Ich begrüße Sie, Pan Oberst.«

»Was für Schweine haben Sie uns hierher gebracht?«

»Schweden sind es.«

»Schweden?«

»Ja, und recht vornehme dazu. – Der Dicke ist Graf Löwenhaupt, der andere Benedykt Shitte, Baron von Duderhoff.«

»Duderhoff?« fragte Zagloba noch einmal.

»Was wollen die hier?«

»Das mag Gott wissen! – Wahrscheinlich wollen sie Unterhandlungen anknüpfen.«

»Ach, die Nichtsnutzigen! Sie haben wohl Angst bekommen!« sagte Zagloba. »Es lebe Radziwill!«

»Es lebe Radziwill!« wiederholte die am Tore stehende Menge den Ausruf.

Bald drängte sich um Zagloba eine große Unzahl Soldaten. Der alte Schlachtschitz kletterte auf einen Vorsprung des Tores und begann:

»Panowie! Hört! Wer mich nicht kennen sollte, dem werde ich sagen, daß ich ein alter Zbarazer bin, der den Burlaj, den zweiten Hetman nach Chmielnicki, mit dieser Hand in Stücke zerhackte. Wer von Zagloba nicht gehört hat, muß während des ersten Krieges Erbsen gedroschen oder Hühner gerupft oder Kälber geweidet haben, was ich von euch, nach eurem ritterlichen Aussehen zu schließen, nicht annehmen kann!«

»Das ist ein berühmter Krieger!« vernahm man viele Stimmen. »Es gibt keinen größeren in der Republik! Hört! hört!«

»Hört, Panowie! Wohl gelüstet es meinen alten Knochen nach Ruhe. Es wäre für mich angenehmer, jetzt Erbsen mit saurer Sahne zu essen oder mit den Händen auf dem Rücken den Schnitterinnen auf dem Felde zuzusehen. Der Feind würde mich in seinem eigenen Interesse schon in Ruhe lassen; denn die Schweden und auch die Kosaken kennen meine schwere Hand!«

»Was ist denn das für ein alter Hahn, der da so laut kräht?« rief plötzlich eine Stimme aus der Menge.

»Meine Herren, verzeiht diesem Küken,« schrie der alte Schlachtschitz, »er weiß noch nicht einmal den Kopf vom Schwanz zu unterscheiden!«

Die Schlachta brach in ein schallendes Gelächter aus, und der Opponent beeilte sich, vor dem allgemeinen Hohn in der Menge zu verschwinden.

»Zur Sache,« fuhr Zagloba fort. »Also, ich wiederhole. Mir täte Ruhe not. Da aber das Vaterland in Not ist, feindliche Armeen unser Land überschwemmen, so bin ich hergekommen, um mit euch, Panowie, gegen den Feind zu ziehen. Wir wollen unsere Mutter Heimat, die uns alle groß gezogen hat, verteidigen. Wer jetzt nicht sein Leben für sie opfert, der ist nicht wert, ihr Sohn zu heißen, der ist ihrer Liebe nicht würdig. Ihr habt die zwei Räuber gesehen, die in einem vergoldeten Wagen hier ankamen. Sie wissen, daß mit dem Fürsten Radziwill nicht zu scherzen ist, sie werden nicht von ihm ablassen, sie werden ihm die Schultern küssen, damit er sie in Frieden läßt. Aber der Fürst, von dem ich soeben herkomme, versicherte mir im Namen ganz Litauens, daß er keine Unterhandlungen, keine Pergamente wolle, sondern nur den Krieg, den Krieg!«

»Krieg! Krieg!« echoten die Zuhörer.

»Je kühner ein Führer handelt, desto sicherer ist er seiner Soldaten,« fuhr Zagloba fort. »Panowie! Wir wollen hingehen und dem Fürsten unsere Gesinnung zeigen. Wir wollen unter den Fenstern des Hetmans laut rufen: »Krieg den Schweden!« Panowie, folgt mir!«

Zagloba sprang von seinem Platze herunter und führte die Schlachta unter die fürstlichen Fenster mit dem Rufe: »Krieg den Schweden! Krieg den Schweden!«

Da stürzte aus dem Flur Pan Korf heraus. Er war ungewöhnlich verlegen; hinter ihm kam der Oberst der fürstlichen Reiter, Pan Ganchoff. Beide redeten der Schlachta gut zu, ruhig auseinander zu gehen.

»Wie kann man nur den Gesandten mit solcher Mißachtung begegnen,« flehte Pan Korf. »Sie geben ja den Soldaten das schlechte Beispiel der Zügellosigkeit. Wer hat Sie zu alledem angestiftet?«

»Ich,« sagte Zagloba. »Sagen Sie dem Fürsten in unserer aller Namen, daß wir ihn bitten, fest zu bleiben, daß wir bis zu unserem letzten Blutstropfen treu zu ihm stehen werden.«

»Ich danke Ihnen im Namen des Pan Hetman. Aber nun gehen Sie ruhig auseinander. Mehr Besonnenheit, Panowie, sonst werden Sie das Vaterland ganz ins Verderben stürzen. Einen schlechten Dienst erweist der Republik, wer heute die Gesandten beleidigt.«

»Was gehen uns die Gesandten an, wir wollen kämpfen, aber nicht unterhandeln!«

»Nun wohl, Ihre Tapferkeit erfreut mich. Aber heute ist noch nicht der rechte Augenblick da; er wird bald kommen. Bevor Sie ins Feld ziehen, ruhen Sie sich aus. Es ist Zeit, einen guten Imbiß und Trunk zu sich zu nehmen.«

»Er hat wirklich recht, bei Gott!« gab als erster Zagloba zu.

»Es ist wahr! Es ist wahr! Wenn der Fürst unsere Meinung kennt, so haben wir jetzt weiter nichts zu tun.«

Man zerstreute sich; die meisten gingen zu den Seitenflügeln, wo zahlreiche Tische mit Speisen standen. Pan Zagloba spazierte sehr zufrieden mit sich selbst an der Spitze der Ritter zu den gedeckten Tischen.

»Habt ihr es gesehen,« redete er Skrzetuski und Wolodyjowski an, »kaum hatte ich mich der Menge gezeigt, so weckte ich gleich in allen die Liebe zum Vaterlande. Ganz sicherlich bekomme ich eine Auszeichnung, wenn ich auch der Ehre halber diene. – Was seid Ihr denn stehen geblieben, Pan Michail, und könnt Eure Augen gar nicht von dem einfahrenden Wagen abwenden?«

»Sie ist es,« sagte Pan Michail. »Bei Gott, sie selbst ist es!«

»Wer ist sie denn?«

»Panna Billewicz.«

»Jene, die Ihnen den Korb gab?«

»Ja, seht sie bloß an, seht! Muß ich ihretwegen nicht vor Kummer dahinwelken?«

»Na, Geduld,« sagte Zagloba. »Lassen Sie mal sehen.« In dem Wagen saß ein stattlicher Edelmann mit grauem Schnurrbart, an seiner Seite Panna Alexandra, wie immer ruhig und ernst.

Pan Michail sah sie traurig an und verbeugte sich tief, sie aber bemerkte ihn nicht unter all den Menschen.

»Sie ist wirklich eine wahre Panna und viel zu fein für einen Soldaten, Pan Michail,« sagte Zagloba. »Ich muß gestehen, sie ist wirklich eine Schönheit; aber ich für mein Teil ziehe solche vor, bei denen man nicht gleich erkennt, ob's eine Kanone oder ein Frauenzimmer ist.«

»Wissen Sie nicht, wer dort in dem Wagen angekommen ist?« fragte Pan Michail einen nebenstehenden Edelmann.

»Das sollte ich nicht wissen! Pan Tomasz Billewicz ist's, der Miecznik von Rosien. Den kennen alle hier. Er ist ein alter Diener und Freund Radziwills.«


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