Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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9. Kapitel.

Noch an demselben Abend nach dem Mahle versuchte Kmicic den Fürsten zu sprechen, aber man wies ihn ab, da der Fürst eine wichtige Unterredung mit Pan Suchaniec hatte.

Kmicic kam am nächsten Morgen wieder und wurde sofort beim Hetman vorgelassen.

»Euer Durchlaucht,« begann Kmicic, »ich komme mit einer Bitte.«

»Was willst du von mir?«

»Ich halte es hier nicht länger aus. – Jeder Tag hier wird mir zur Qual. Ich bin in Kiejdane ganz überflüssig. Suchen Euer Durchlaucht für mich irgend welchen Dienst aus und schicken Sie mich, wohin Sie wollen!«

»Fühlst du dich in Kiejdane wirklich so schlecht? Ist es so schlimm, in meiner Nähe zu leben?«

»Durchlaucht, Sie sind stets gütig zu mir, und trotzdem ist es mir hier so unbehaglich, wie ich es gar nicht beschreiben kann. Ehrlich gesagt, ich glaubte, daß hier alles anders zugehen würde – ich glaubte, wir würden kämpfen, Tag und Nacht im Sattel sein. Statt dessen muß ich hier untätig sitzen oder Jagd auf die Eigenen machen, statt über den Feind herzufallen. – Das kann ich einfach nicht aushalten – das kann ich nicht! – Hundertmal zöge ich den Tod einem solchen Leben vor, wahrhaftig! Dies ist ja eine ewige Qual!«

»Aber ich kann dir dein Banner nirgend mitgeben, ich brauche es hier gegen den inneren Feind.«

»Das eben ist ja das Entsetzliche! Hinter einem Wolodyjowski herzujagen, der doch eigentlich ein Kamerad sein sollte!«

»Höre, ich habe für dich einen Auftrag, einen sehr ehrenvollen Auftrag!«

»Und um was handelt es sich?«

»Du sollst eine weite Reise antreten.«

»Ich bin auf der Stelle dazu bereit.«

»Und auf eigene Rechnung, denn meine Kasse ist leer. Viel Geld haben mir die Feinde weggenommen, das andere läuft unpünktlich ein, und die Ausgaben sind jetzt sehr groß.«

»Euer Durchlaucht, es lohnt sich nicht, darüber zu sprechen. Wenn ich den Auftrag übernehme, so tue ich das auf eigene Kosten.«

Das Gesicht des Hetman erstrahlte. Er hatte tatsächlich jetzt wenig Geld, obgleich er erst vor kurzem Wilna geplündert hatte. Und da er von Natur sehr geizig war, so freute er sich, sparen zu können.

»Höre gut zu. Zuerst mußt du nach Podlachien. – Das ist ein sehr gefährlicher Weg, doch das wirst du schon selbst einrichten. Gehe nach Zabludow zu Harasimowicz und sage ihm, er solle so viel wie möglich Gelder einziehen und mir herschicken. Dann soll er versuchen, die Konföderierten zu vernichten. Das nähere darüber schreibe ich lieber in einem Briefe, den du ihm übergeben sollst. Von Zabludow fahre dann nach Tykocin zum Fürsten Boguslaw.«

Der Fürst machte jetzt eine Pause; das lange Reden schien ihn zu ermüden.

»Du mußt dem Vetter alles lebendig und anschaulich erklären, was ich in dem Briefe, den ich dir für ihn mitgebe, nicht so ausführlich tun kann. Wisse, die gestrigen Nachrichten waren zwar gut; aber nicht ganz so, wie ich sie der Schlachta mitteilte. Es ist wahr, die Schweden sind in all ihren Unternehmungen jetzt erfolgreich. Bald werden sie Krakau belagern und nehmen. Festungen zu erobern, das verstehen sie, und für eine sachgemäße Befestigung von Krakau hatte man nicht genügend Zeit. Hält sich aber die Garnison noch zwei bis drei Monate, so kann sich die ganze Sachlage ändern. Jan-Kasimir ist heute in verzweifelter Lage, aber morgen schon kann ihm das Glück hold sein. Im Felde sind die polnischen regulären Regimenter den schwedischen ebenbürtig. Die Tataren sind geneigt, Jan-Kasimir zu helfen und sich gegen die Moskowiter und Kosaken zu werfen. Dann werden Potockis Truppen in der Ukraina frei und können gegen die Schweden ziehen. – Und dann – der Kurfürst hat auch lange nichts von sich hören lassen.«

»Wieso das?«

»Ich und Boguslaw dachten, er würde sich sogleich mit den Schweden verbünden, aber er ist sehr vorsichtig und denkt nur an den eigenen Vorteil. Wahrscheinlich glaubt er nicht an den Erfolg der Schweden. Sollten nun die Schweden in Klein-Polen Unglück haben, so werden Groß-Polen und Masovien sich erheben, und die Preußen werden ihnen helfen.«

»Und was kann dann passieren?« fragte Kmicic.

»Daß kein einziger Schwede die Republik verläßt,« antwortete der Fürst finster. Kmicic zog die Augenbrauen zusammen.

»Dann,« sagte der Hetman leise, »werden auch wir fallen, ebenso tief, wie wir vordem hofften, hoch zu steigen.«

Pan Andreas sprang mit brennenden Augen und geröteten Wangen vom Platze auf und rief:

»Euer Durchlaucht, was soll das alles bedeuten! Vor kurzem sagten Sie mir noch, die Republik sei dem Untergange geweiht. Und Sie allein könnten sie vereint mit den Schweden retten! Was soll ich jetzt glauben? Das, was Sie mir damals sagten, oder was Sie mir heute sagen? Wozu stehen wir dann eigentlich auf seiten der Schweden, anstatt über sie herzufallen?«

»Wenn die Umstände so zusammentreffen, wie ich es dir eben darlegte,« sagte der Fürst gedehnt, »so werden wir gegen die Schweden ins Feld ziehen. Ich will nur das Wohl des Vaterlandes, weiter nichts. – Was ich dir heute gesagt, ist nur eine Annahme, die höchst wahrscheinlich nie in Erfüllung gehen wird. – Aber ich muß auf alle Fälle die Regimenter des Fürsten Boguslaw hier haben. – Vom Fürsten aus mußt du dich mit Briefen zu Karl-Gustav begeben. – Ich kann mit dem Grafen hier nicht mehr auskommen. Seit dem Klawaner Zusammenstoß hat er mich in Verdacht, daß ich bei geeigneter Gelegenheit die Waffen gegen die Schweden erheben werde.«

»Dieser Verdacht ist ja nach dem, was Sie vorher sagten, nicht ganz unbegründet.«

»Das mag sein; aber ich will nicht, daß er mir in die Karten guckt. Du wirst die Briefe dem Könige persönlich übergeben. Du darfst natürlich den Grafen nicht direkt beschuldigen. Bei Gelegenheit läßt du fallen, daß man allgemein der Meinung ist, daß die ganze Konföderation schon vernichtet wäre, hätte der Graf mir nur einige Kanonen und etwas Reiterei zur Verfügung gestellt. – Beobachte und behalte alles, was in der Umgebung des Königs gesprochen wird, und gib dem Fürsten Boguslaw durch Boten davon Kunde. Wann denkst du die Reise anzutreten?«

»Heute noch, – möglichst bald!«

»Und hast du keine weitere Bitte an mich mehr?«

»Fürst,« begann Kmicic stockend, sein Gesicht war blaß und sehr erregt.

»Nur heraus mit der Sprache!« sagte der Hetman.

»Ich bitte Sie, schützen Sie den Rosiener Miecznik und sie – vor jeglicher Beleidigung.«

»Sei ohne Sorge. – Ich merke, du liebst das Mädchen noch.«

»Nein!« rief Kmicic, »ich weiß es selbst nicht. Bald liebe ich sie, bald hasse ich sie. – Der Teufel allein weiß es! – Zwischen uns ist alles aus, wie ich vorher sagte, – aber ich will nicht, daß ein anderer sie bekommt! Euer Durchlaucht dürfen das nicht zulassen! Ich weiß nicht mehr, was ich rede, – Gott wird mir meinen Verstand wiedergeben, sobald ich die Tore hier hinter mir habe!«

»Ich begreife dich vollkommen. – Sei unbesorgt! Ich werde sie dir zur Beruhigung nach Tauroggen schicken, wo die Fürstin weilt.«

Kmicic verabschiedete sich und verließ das Zimmer. Radziwill atmete tief auf. Er freute sich über Kmicic' Abreise; um sein Schicksal kümmerte sich der Fürst nicht weiter. Es genügte ihm, seinen Namen als Parteigänger und sein Banner für sich zu behalten. Kmicic' Abwesenheit war ihm stets lieber als seine Nähe. Denn jeden Augenblick fürchtete Radziwill, daß des jungen Ritters Unbändigkeit und sein Jähzorn es zu einem Konflikt zwischen ihnen beiden bringen konnten, der für beide Teile verhängnisvoll sein würde. Der Fürst verfiel tief in Gedanken.


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