Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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10. Kapitel.

Eine Woche später brach Kmicic bei Rajgrod in Preußen ein, ohne daß er es nötig hatte, große Anstrengungen zu machen; denn Douglas verfolgte Pan Gosiewsti, der sich nach Warschau zurückgezogen hatte. Auch dachte der schwedische General, daß Kmicic sich mit Gosiewski vereinigt haben werde. So konnte sich Babinicz indessen auf verborgenen Waldwegen nach Litauen einschleichen.

Kmicic, wütend, daß es ihm nicht vergönnt war, seinem Feinde ins Angesicht zu schauen, rächte sich fürchterlich an den Untertanen des Kurfürsten.

Noch in derselben Nacht, in der seine Tataren den Grenzpfahl passiert hatten, flammte an dem preußischen Himmel ein heller Feuerschein, und die Erde hallte von dem Wehklagen der Menschen wieder, die von den schweren Tritten des Krieges niedergetreten wurden. Wer es verstand, auf polnisch um Gnade zu bitten, konnte auf Erbarmen rechnen, aber alle deutschen Dörfer, Flecken und Kolonien wurden dem Erdboden gleich gemacht, und die von sinnloser Angst befallene Bevölkerung kam zu Hunderten um. Die Tataren, die Kmicic bis dahin mit eiserner Hand in guter Disziplin gehalten hatte, bekamen jetzt völlige Freiheit von ihm. Wie eine Schar blutgieriger Vögel stürzten sie sich auf die schutzlosen Einwohner. Es war, als wenn sie sich für die lang auferlegte Zurückhaltung entschädigen wollten, und sie badeten in des Wortes wahrem Sinne in Strömen menschlichen Blutes.

Kmicic selbst nahm an dem entsetzlichen Morden keinen Anteil; aber er sah ohne Zittern den grausamsten Szenen zu. Sein Mitgefühl versagte völlig; sein Gewissen regte sich nicht: es war ja das Blut von Ketzern, das seine Soldaten vergossen. Und die zu vernichten, das war eine Gott wohlgefällige Sache. Der Kurfürst, der Lehnsherr und Diener der Republik, hatte ja zuerst seine gotteslästerliche Hand auf Polen gelegt, und er sollte gehörig dafür bestraft werden. Warum sollte er, Pan Andreas, nicht das Werkzeug Gottes sein? –

Daher konnte er ruhigen Herzens beim Scheine der brennenden Dörfer den Rosenkranz abbeten, und wenn das Gejammer der Sterbenden ihn dabei störte, so begann er von neuem. Aber inmitten all seiner blutigen Taten dachte er mehr und mehr an Alexandra. Je tiefer er in Preußen vordrang, je mehr Wunden er schlug, desto stärker brannte die Wunde seines Herzens.

»Täubchen, liebstes«, dachte er, »vielleicht hast du mich vergessen oder gedenkst gar mein mit Zorn und Abscheu! Ich aber, ob ich nah oder fern von dir bin, denke Tag und Nacht nur an dich. Für das Vaterland und für dich opfere ich gern mein Blut, und wehe mir, wenn du mich für immer aus deinem Herzen vertrieben hast!«

Eine fürchterliche Sehnsucht trieb ihn immer weiter vorwärts; am liebsten wollte er schon morgen in Tauroggen sein. Aber es war noch sehr weit bis dahin und äußerst schwierig vorzudringen; denn ganz Preußen hatte sich wie ein Mann erhoben. Alles griff zu den Waffen. Aus den benachbarten Städten wurden die Garnisonen zusammengezogen und neue Regimenter wurden schnell formiert. Bald konnten die Preußen jedem von Kmicic' Tataren zwanzig Mann entgegenstellen.

Kmicic überfiel diese improvisierten Regimenter so schnell wie der Blitz; er schlug sie, hängte die Gefangenen und verschwand spurlos, um erst wieder auf dem blutigen Hintergrund einer Feuersbrunst aufzutauchen. Aber es ging nicht so schnell vorwärts, wie er wollte. Oft mußte er sich nach Tatarenart wochenlang im Gebüsch oder Schilf an Seeufern versteckt halten. Erholt und mit neuen Kräften brach er alsdann wieder von neuem in dieselbe Gegend ein, die er erst dann verließ, wenn er sie meilenweit im Umkreise durch Schwert und Feuer verwüstet hatte. Und überall wurde sein Name genannt, von Flüchen begleitet hallte er wider bis zum Baltischen Meere.

Freilich konnte er in forcierten Märschen sich durch die schwache schwedische Garnison durchschlagen und auf Tauroggen zueilen. Aber war er denn dazu hierher geschickt worden?

Da, mit einem Male erhielt Pan Andreas Nachrichten, die sein Herzblut erstarren ließen und die Bevölkerung Preußens wieder aufmunterte: »Warschau,« so hieß es, »ist zurückerobert. Karl-Gustav und der Elektor haben Jan-Kasimirs Truppen eine schwere Niederlage beigebracht. – Das Ende der Republik ist nahe!«

»Sollte das wirklich das Ende sein? War die wiedergeborene, sich erhebende Republik nur ein Gespenst gewesen? War soviel Macht, soviel Kraft, soviel Mannesmut, war alles das vergeudet worden? Die Hetmans, der König, Pan Czarniecki, das zum Schutze seines verunglimpften Vaterlandes sich bewaffnende Volk, waren sie alle auseinandergestoben wie Rauch? War niemand mehr im Lande, die Republik zu schützen, außer diesen kleinen Banden ungestümer Leute?«

Kmicic raufte seine Haare und rang die Hände.

»Ich will auch umkommen!« sprach er zu sich. »Aber vorher will ich diese ganze Erde von Blut getränkt sehen!«

Er begann sich wie ein Wahnsinniger zu gebärden. Jetzt versteckte er sich nicht mehr in den Wäldern und im Schilfe wie vordem, nein, er suchte den Tod. Er stürzte sich auf dreimal stärkere Truppenabteilungen wie die seine und sprengte sie auseinander wie der Blitz. Bei seinen Tataren erstarben die Reste menschlicher Gefühle, und tierischer Blutdurst bemächtigte sich ihrer.

So verging wieder ein Monat unter Anstrengungen, die jedes Maß überstiegen. Sowohl die Menschen wie auch die widerstandfähigsten tatarischen Pferde bedurften wenigstens einiger Tage Ruhe. Und der junge Oberst zog sich an die Grenzen der Republik zurück. Hier erwartete ihn eine frohe Botschaft, über die Pan Andreas fast den Verstand verlor. Wohl war es wahr, daß der tapfere, wenngleich unglückliche Jan-Kasimir eine dreitägige Schlacht bei Warschau verloren hatte, aber Pan Andreas hörte, daß es mit der regulären Armee durchaus nicht schlimm stand. Die Truppen hatten sich tadellos gehalten und waren unentwegt von kriegerischem Geiste beseelt. Die Niederlage, die nur durch unvorhergesehene Zufälligkeiten, wie die Auflösung der Landwehr und anderes mehr, herbeigeführt worden war, hatte die Armee keineswegs deprimiert. Die Schweden hatten in ihren Reihen große Verluste erlitten, ansteckende Krankheiten rafften viele dahin. Der Kurfürst war wankelmütig geworden und wußte nicht, was er tun sollte. Und währenddessen überfielen die Großpolen Brandenburg und wüteten dort wie eine Gottesgeißel.

»Warte nur, auch ich werde mich jetzt nützlich machen,« dachte Kmicic bei sich. Und da sich seine Leute und die Pferde wieder erholt hatten, fiel er von neuem in Preußen ein.

Und immer frohere Kunde, der Pan Andreas nicht so recht trauen wollte, kam aus Polen. Man erzählte, daß Karl-Gustav plötzlich einen eiligen Rückzug angetreten habe. Was war da geschehen? Noch niemals hatte man von einem Rückzuge des Siegers, der fast einer Flucht glich, gehört!

Da sandte ihm eines Tages Pan Wolodyjowski durch einen Schlachtschitzen einen Brief.

»Wir marschieren mit dem Pan Feldhetman von Litauen und mit dem Fürsten Michail Radziwill gemeinsam hinter Boguslaw und dem Schweden Waldeck her,« schrieb der kleine Ritter. »Schließen Sie sich uns an. Der Augenblick der Rache ist gekommen!«

Kmicic fragte den Schlachtschitzen ausführlich aus, wo sich die Truppen des Feldhetman jetzt befänden, und brach mit seinen Tataren eiligst auf. Nach zwei Tagen schon hielt er Wolodyjowski in seinen Armen.

»Graf Waldeck und Boguslaw stehen in Prostki, wo sie sich verschanzen,« sagte Wolodyjowski. »Morgen greifen wir sie an. Mein Gott, wie mager und schwarz Sie geworden sind,« fuhr er fort. »Dafür aber haben Sie Ihren Namen mit großem Ruhme bedeckt! Wir alle bewundern Sie. Nichts als Leichen und Ruinen haben Sie hinter sich zurückgelassen. Das nennt man richtig Krieg führen! Selbst Pan Zagloba, wenn er hier wäre, könnte sich nicht größerer Resultate rühmen.«

»Wo ist denn Pan Zagloba?«

»Er blieb bei Pan Sapieha. Er kann noch nicht recht zu sich kommen und weint immerzu.«

»Was ist denn los? Was ist ihm denn passiert?«

»Er beweint Roch Kowalski, den Fürst Boguslaw niedergestochen hat! Roch Kowalski starb einen rühmlichen Tod. Selbst Karl-Gustav erkannte seinen Mut an; er ließ ihn mit allen militärischen Ehren begraben. Es war in der Schlacht bei Warschau. Am ersten Tage kämpften wir erfolgreich; am zweiten begann das Glück zu schwanken. In diesem Augenblicke rückten die litauischen Husaren vor, bei denen Roch diente. Es waren im ganzen ihrer zwölfhundert Mann. Ich beobachtete ihre Attacke von einem Hügel aus. Die Husaren sausten dahin, alles, was ihnen im Wege war, niederwerfend. – Schließlich griffen sie ein schwedisches Garde-Regiment an, bei dem der König selbst stand. Man bat, man flehte Karl-Gustav an, sich zu retten, da niemand den waghalsigen Husaren standhalten konnte. Der König jedoch achtete der Ratschläge nicht und kämpfte tapfer bei seiner Garde. Endlich aber sah er sich doch genötigt, mit einem Adjutanten zu fliehen. Kowalski verfolgte die beiden. Der Adjutant, der den König decken will, wird von Kowalski durch einen Säbelhieb in zwei Hälften geteilt. Karl-Gustav wendet sich nun selbst gegen Kowalski. – Plötzlich aber stürzt der König mit seinem Roß zur Erde; er feuert zwar schnell seine Pistole auf Kowalski ab, doch der Schuß geht fehl. Die Schweden sind bei diesem Anblick wie erstarrt; denn Pan Roch hat schon sein Schwert erhoben, – der König war unrettbar verloren. – In diesem Augenblicke, wie aus dem Erdboden gewachsen, erscheint Fürst Boguslaw und schießt Kowalski direkt ins Ohr, so daß sein Schädel zersplittert.«

»Mein Gott, hatte er denn nicht genügend Zeit, sich gegen Boguslaw zu wenden?« rief Pan Andreas, sich an den Kopf fassend.

»Gott wollte das nicht«, entgegnete Michail. »Nachher begriffen Zagloba und ich, warum das alles so geschah. Roch stand seit seinen jungen Jahren bei den Radziwills in Diensten; das plötzliche Erscheinen Boguslaws, seines einstigen Befehlshabers, muß ihn wahrscheinlich gänzlich verwirrt haben. Der Gedanke, Hand an einen Radziwill zu legen, kam ihm gewiß nicht in den Kopf. – So muß es gewesen sein. – Ja, und er mußte mit seinem Leben dafür zahlen. – Ein merkwürdiger Mensch, dieser Pan Zagloba! Er war doch nicht einmal entfernt mit Roch verwandt, aber er beweint ihn, wie man nur seinen eigenen Sohn beweinen kann.«

Durch das schmale Fenster der ärmlichen Hütte, in der sich Wolodyjowski und Kmicic unterhielten, schlich sich der erste bleiche Schein des anbrechenden Tages.

»Und morgen greifen wir an!« sagte Pan Michail.


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