Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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6. Kapitel.

Panna Anna Borzobohata kam, von mehreren Soldaten eskortiert, nach Tauroggen. Braun nahm sie, soweit er dessen fähig war, liebenswürdig auf. Anna verlor ihre Geistesgegenwart durchaus nicht. Sie begann zu allererst Braun und seinen Offizieren freundliche Blicke zuzuwerfen und in Tauroggen wie in ihrem eigenen Hause zu schalten und zu walten. Bald wurde sie mit Alexandra bekannt, die ihr jedoch zuerst mit Mißtrauen entgegentrat, obwohl sie hoffte, viel Neues von ihr zu erfahren.

Und es waren auch genug der Neuigkeiten, die Anna mitbrachte. Der Miecznik hörte mit beiden Ohren eifrigst zu und fürchtete, daß ihm ein einziges Wort entgehen könnte. Fast in jeder Minute rief er:

»Gott sei Dank! Gott sei Dank!«

»Eigentümlich,« bemerkte Anna, »daß Sie fast gar nichts von dem Mißerfolge der Schweden gehört haben! Das ist doch schon eine alte, alte Geschichte. Zu uns, nach Zamoscie, gelangte sie schon lange, mehrere Tage vor der Ankunft des Pan Babinicz. – Nachher begann man die Schweden überall zu schlagen, – in Groß-Polen und auch bei uns, meist war es Czarniecki. – Gott wird es geben, daß wir mit dem Feinde fertig werden!«

Erst jetzt bemerkte Anna, daß über Alexandras Gesicht Tränenströme flossen.

»Weinen Sie nicht!« sagte sie und legte freundlich ihren Arm um die Schultern der Weinenden. »Ich kann wirklich nicht ruhig Ihre Tränen mit ansehen! Was ist Ihnen denn?«

Es lag soviel Aufrichtigkeit in dem Klange ihrer Stimme, daß Alexandras Mißtrauen gänzlich verschwand. »Ich weine vor Freude. – vielleicht auch vor Schmerz, solange hier gefangen zu sein, ohne zu wissen, was der nächste Morgen bringt.«

»Wie? Sie werden vom Fürsten Boguslaw gefangen gehalten? Er schien doch ein so liebenswürdiger und zuvorkommender Mann zu sein. – Ich kenne ihn zur Genüge. – Er ist mit den Zamoyskis und den Wisniowieckis verwandt. Ich erinnere mich noch genau, wie er zu uns nach Lubni kam, um mir dem Fürsten Jeremias gegen die Tataren zu ziehen. – Ich war damals noch ganz klein. – Herrgott! Wer konnte denken, daß Fürst Boguslaw sein Vaterland verraten würde! Aber beunruhigen Sie sich nicht; wir werden schon versuchen, hier irgendwie rauszukommen.«

»Das haben wir auch schon getan; doch ist es uns gänzlich mißlungen,« antwortete der Miecznik. »Wir eröffneten unseren Plan einem Offizier, aber es zeigte sich, daß wir auf seinen Beistand nicht rechnen können. Nun bleibt allein der Kommandant Braun, mit dem jedoch wird der Teufel selbst nicht fertig!«

Anna schlug bescheiden die Augen nieder.

»Vielleicht gelingt es mir. – Möchte nur Pan Sapieha erst näher herangerückt sein; wo sollten wir uns sonst verbergen!«

»Das gebe Gott!« rief Pan Billewicz. »In seiner Armee stehen viele Freunde und Verwandte von mir! – Pan Zagloba, Skrzetuskis, Wolodyjowski. Sie sind doch bei ihm?«

»Nein, die sind nicht bei Sapieha. Aber ein anderer Ritter steht bei ihm, der diese alle aufwiegt!«

»Wer ist es denn?«

»Pan Babinicz, aus der Witebsker Wojewodschaft. – Sie haben wohl schon von ihm gehört?«

»Nein, – und das eben wundert mich.«

Anna erzählte die Geschichte ihrer Abreise aus Zamoscie und alles, was ihr unterwegs passiert war. Babinicz wuchs in ihrem Berichte zu einem solchen Helden an, daß der Miecznik sich aufs höchste für ihn interessierte.

»Aber ich bitte Sie, ich kenne ja ganz Litauen,« sagte er schließlich. »Doch den Namen Babinicz habe ich nie gehört. – Ich denke, dieser Name ist einfach ein angenommener. Hm, – Babinicz! – Muß wohl ein geschickter Mann sein, wenn er sogar den Zamoyski hintergehen konnte!«

»Ach, wenn Sie ihn nur kennten!« rief Anna. »Warum aber sehen Sie mich so an? Sie denken wohl Gott weiß was?«

»Gott behüte mich!«

»Kaum waren wir aus Zamoscie 'raus, da eröffnete mir Pan Babinicz, daß sein Herz einer anderen gehöre. Er schenkte mir durchaus keine Beachtung.«

Panna Anna schwatzte noch lange und schied erst spät in der Nacht von ihren neuen Bekannten.

Bald entstand zwischen den beiden jungen Mädchen eine Freundschaft, die mit jedem Tage wuchs, vielleicht gerade, weil ihre Charaktere sich so unähnlich wie möglich waren.

Ketling hegte vom ersten Tage an mit der ganzen Kraft der melancholischen Seele eines schottischen Bergbewohners einen tiefen Haß gegen Anna Borzobohata und sie zahlte ihm mit der gleichen Münze wieder. Desto mehr hielt sich die lebenslustige Kleine an Braun und allen anderen schadlos.

Trotz vielfacher Bemühungen gelang es Alexandra nicht, ihrer neuen Freundin das leichtsinnige Kokettieren abzugewöhnen. Das kränkte Panna Billewicz sehr, um so mehr, als Anna ihr bald ihre Gefühle für Babinicz eingestanden hatte.

»Andere seufzen,« plauderte sie, »der aber schenkte seinen Tataren mehr Aufmerksamkeit als mir. Zu mir sprach er immer in kurzem, befehlendem Tone: »Stehen Sie auf! So essen Sie doch! Trinken Sie!« Als wenn er gar nicht wüßte, was sich schickt! Und dabei kann ich nicht einmal sagen, daß er für mich schlecht gesorgt hätte, nein, im Gegenteil. Wie oft habe ich zu mir selbst gesprochen: »Will er nicht auf dich blicken, denn nicht!« Und doch habe ich immer nur seine grauen Augen angesehen, und wenn er lachte, so wurde ich froh, just, als wenn ich seine Sklavin wäre.«

Alexandra senkte den Kopf: Auch sie mußte an ein Paar liebe, graue Augen denken. Auch er sprach in barschem Tone; auch er beherrschte alle in seiner Umgebung; aber in seiner Seele lebte weder Gott noch ein Gewissen.

Und Panna Anna, hingerissen von ihren Erinnerungen, fuhr fort:

»Wenn er übers Feld ritt, mit dem Stabe in der Hand, so dünkte es mich immer, daß er kein einfacher Offizier, sondern ein Hetman wäre. Die Tataren fürchteten ihn mehr als das Feuer. Viele berühmte Ritter habe ich schon gesehen, aber vor keinem noch habe ich gezittert!«

»Wenn Gott ihn dir bestimmt hat, so werdet ihr früher oder später auch zusammen kommen; denn ich kann nicht glauben, daß er dich nicht liebte.«

»Lieben tat er mich schon, – aber nur so ein wenig, – die andere liebte er mehr. – Mehr als einmal sagte er zu mir: »Es ist Ihr Glück, daß ich die andere weder vergessen noch zu lieben aufhören kann. Sonst wäre es besser, dem Wolf ein Schafherde anzuvertrauen, als mir ein solch schönes Mädchen!«

»Und du, was antwortetest du?«

»Ich fragte ihn: »Woher wissen Sie denn, daß ich Ihre Liebe auch erwidern würde?« »Danach würde ich nicht erst fragen!« antwortete er. Mit so einem fang' mal was an! – Dumm muß die sein, die seine Liebe zurückgewiesen und sein Herz verschmäht hat! Einmal fragte ich ihn, wie sie heiße. »Es ist besser, Sie rühren daran nicht,« sagte er, »das ist die eine Wunde in meinem Herzen, – und die andere, – das sind die Radziwills, – die Verräter!« – Bei diesen Worten sah sein Gesicht so schrecklich aus, daß ich mich am liebsten in die Erde verkrochen hätte. – Wahrhaftig, ich fürchtete mich vor ihm. Doch was soll ich noch viel schwatzen, für mich ist er ja doch nicht da!«

»So bete zum heiligen Nikolaus. Die Tante sagt, daß in solchen Angelegenheiten er der beste Helfer ist. Aber hüte dich, daß du ihn nicht gegen dich aufbringst, – du wirfst nach allen Seiten Blicke aus.«

»Doch nur ein wenig, – so wenig.«

Und Anna zeigte auf ein winziges Stückchen ihres einen Fingernagels.

»Ich tue es ja nicht zu meinem eigenen Vergnügen,« rechtfertigte sie sich vor dem Miecznik, dem ihr Leichtsinn auch nicht gefiel. »Wenn wir die Offiziere hier nicht für uns gewinnen, so werden wir auch nie von hier fliehen können.«

»Braun wird uns so wie so um keinen Preis hier herauslassen.«

»Braun ist bis über die Ohren in mich verliebt,« sagte Anna leise, indem sie die Augen niederschlug.

»Und Fitz-Gregory?«

»Auch!«

»Und Ottenhagen? von Leben?«

»Die auch.«

»O daß Sie! – Also nur mit Ketling sind Sie nicht fertig geworden?«

»Ich mag ihn nicht ausstehen. Übrigens wird mit dem eine andere fertig werden. Schließlich wird sich die Sache auch ohne seine Erlaubnis bewerkstelligen lassen.«

»Mein Gott, warum sitzen wir denn noch hier? Ich bin bereit, noch heute zu fliehen!«

Aber zu fliehen war gar nicht so leicht, solange das Schicksal Boguslaws sich nicht entschieden hatte und Pan Sapieha sich nicht Smudien näherte. Selbst von den eigenen Leuten drohte ihnen der Tod, da das Volk durch die Anwesenheit der fremdländischen Offiziere so erbittert war, daß es einen jeden, der nicht polnische Kleidung trug, ohne Schonung niedermetzelte.

Lange mußten die Gefangenen warten. Einmal aber teilte Braun der Panna Anna mit, daß sich Boguslaw in verzweifeltester Lage befände. Alle seine Kräfte waren erschöpft, seine Soldaten zum großen Teil erkrankt. Vorräte waren nicht genügend vorhanden, und der schreckliche Feind, der ihn verfolgte, gab ihm weder am Tage noch des Nachts Ruhe.

»Wer aber verfolgt ihn?« fragte Panna Anna. »Sapieha?«

»Nein, ein gewisser Babinicz,« antwortete Braun.

Anna schrie auf und stürzte zu Alexandra ins Zimmer.

»Was sagte ich dir?« brach sie los. »Wer hat den Fürsten Boguslaw geschlagen? Sapieha vielleicht? Warum nicht gar! Wer besiegt die Schweden? Wer ist der tapferste, der schneidigste Ritter? Pan Andreas und wieder Pan Andreas!«

»Was für ein Pan Andreas?« fragte die bleich gewordene Alexandra.

»Habe ich dir denn nicht gesagt, daß er Andreas heißt? Er sagte mir das selbst. Pan Babinicz! – Es lebe Pan Babinicz! Doch, was ist dir denn?«

Alexandra fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

»Nichts! – Ich dachte, nur allein Verräter tragen diesen Namen. – Es erbot sich jemand, den König zu entführen und ihn lebend oder tot den Schweden auszuliefern, – auch der hieß – Andreas.«

»Verflucht sei er!« rief der Miecznik.

»Möge uns Gott diesen Pan Babinicz schnell hierher schicken!« sagte Anna. »Gut, ich werde mir Mühe geben, dem Braun ganz den Kopf zu verdrehen, damit er die Garnison zur Rebellion anstiftet und mit seinen Leuten zu Babinicz übertritt.«

»Tun Sie das, bitte!« rief aufgeheitert der Miecznik.

»Und dann nachher gebe ich all den Freunden den Laufpaß. – Vielleicht vergißt auch er die Treulose und gewinnt mich lieb!«

Sie bedeckte ihre Augen mit der Hand; dann plötzlich, unter dem Einflusse eines Gedankens, stampfte sie heftig mit dem Fuße auf und sagte:

»Wenn aber nicht, so heirate ich den Pan Wolodyjowski!«


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