Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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4. Kapitel.

Als die Ritter sich dem Dorfe näherten, mäßigten sie ihren Schritt. Vor ihnen lag eine breite Straße, die durch den Widerschein des Feuers hell erleuchtet war. Auf beiden Seiten der Straße brannten die Häuser und überschütteten die naheliegenden Gebäude mit Funkengarben. Menschliche Stimmen vermischten sich mit dem Gebrüll des Rindviehs, dem Geheul der Hunde und vereinzelten Schüssen.

Pan Wolodyjowski bemerkte sogleich mehrere Reiter mit runden Hüten und hohen Stiefeln. Einige kämpften mit den Bauern, die sich mit Heugabeln und Dreschflegeln bewaffnet hatten; andere trieben Stiere, Kühe und Schafe aus den Ställen die Straße entlang; wieder andere konnte man kaum unter dem Berg von getötetem, noch im letzten Todeskampfe liegenden Geflügel erkennen, mit dem sie sich behängt hatten.

Einige von ihnen sahen das herannahende Banner. Ein Soldat ritt zum Offizier und teilte ihm, mit der Hand auf Wolodyjowski weisend, etwas mit. Der Offizier gab ein Zeichen, und im gleichen Augenblick übertönte ein scharfer Trompetenstoß alle anderen Geräusche. Bald standen die Schweden in Schlachtordnung.

»Nun feuert mal eine Kartätsche da hinein!« sagte der kleine Oberst.

Der Schuß erfolgte, aber der Entfernung wegen verfehlte er sein Ziel.

»Schießt noch einmal!« rief Wolodyjowski.

Der schwedische Offizier gab auch einen Befehl; die Reiter zogen ihre Pistolen heraus.

»Vorwärts!« kommandierte Wolodyjowski.

Die Laudaer neigten sich tief auf die Halse ihrer Pferde und flogen wie der Wind vorwärts. Die Schweden ließen sie dicht herankommen und begannen dann, mit ihren Pistolen zu schießen, ohne den Reitenden, die durch die Hälse ihrer Pferde geschützt waren, besonderen Schaden zuzufügen. Nun griffen die Laudaer zu den Säbeln und drängten die Schweden, die mit ihren Rapieren die Hiebe der Laudaer abwehrten, zurück. Viele verwundete Schweden fielen zu Boden. Pan Wolodyjowski, der in der ersten Reihe focht, kämpfte so vorzüglich, daß um ihn herum ein schwedischer Hut nach dem anderen in die Tiefe tauchte. Die hart bedrängten Schweden gerieten in Verwirrung und fingen an, sich zu zerstreuen.

Wolodyjowski suchte nach ihrem Offizier und fand ihn, sich gegen die wütenden Angriffe zweier Butryms verteidigend.

»Fort!« rief er den Butryms zu.

Die gehorsamen Soldaten sprangen zur Seite, und der kleine Ritter fiel über den Schweden her. Der Offizier wollte durch einen Hieb den Gegner vom Pferde stürzen, aber Pan Wolodyjowski zog mit Blitzesschnelle einen Halbkreis mit seinem Säbel, und das Rapier des Schweden flog in die Luft. Der Offizier bückte sich, um aus seiner Satteltasche die Pistole herauszuholen, aber im Gesicht verwundet, ließ er die Zügel fallen.

»Leben lassen und gefangen nehmen!« rief Wolodyjowski den Butryms zu.

Die beiden bemächtigten sich des Offiziers, und der kleine Oberst kämpfte weiter mit anderen Schweden. Der größere Teil mußte der in der Fechtkunst erfahrenen Laudaer Schlachta weichen. Viele übergaben den Laudaern ihre Rapiere und warfen mit dem Rufe »Pardon!« ihre Waffen zu Boden.

So endigte der erste Zusammenstoß der Litauer mit den Schweden. –

Während dieser Zeit mußte Pan Zagloba, der im Birkenwäldchen neben dem Wagen, in dem Pan Roch lag, Wache hielt, die bittersten Vorwürfe über sich ergehen lassen.

»Sie haben mich ins Verderben gestürzt, Onkel. – In Kiejdane erwartet mich der Tod, und mein Name wird auf ewige Zeiten geschändet sein. Von nun an wird man jeden Dummkopf »Roch Kowalski« heißen.«

»Und glaube mir, es wird sich kaum jemand finden, der dem widersprechen wird,« entgegnete Zagloba. »Der beste Beweis deiner Dummheit ist dein Erstaunen darüber, daß du dich von mir hast an der Nase herumführen lassen, von mir, der ich mit dem Chan der Krim wie mit einer Puppe spielte. Was hast du dir denn eigentlich gedacht, Unglücklicher? Glaubtest du, daß ich dir gestatten würde, uns nach Birze zu bringen, in den Rachen der Schweden, – uns, die größten Männer der Republik?«

»Ich habe sie doch nicht aus eigenem Antriebe hingefahren!«

»Aber du warst ein Henkersknecht, pfui! eine schimpfliche Rolle für einen Edelmann.«

»Ich habe dem Hetman gedient.«

»Und der Hetman – dem Teufel! Da hast du es! Du bist dumm, Roch, merke dir das ein für alle Male. Tritt niemals in Diskussionen ein. So du dich aber an meinen Rockschößen halten wirst, so wirst du Karriere machen. Auf diese Weise ist schon mehr als einer ein vernünftiger Mensch geworden.«

Von der Ferne her ertönten Schüsse herüber: die Schlacht im Dorfe hatte begonnen.

»Dort ist Pan Michail schon bei der Arbeit,« sagte Pan Zagloba. »Er ist nur klein, aber bissig wie eine Schlange. Er wird diese überseeischen Teufel aushülsen wie Erbsen. Ich möchte wohl gerne dabei sein; aber deinetwegen muß ich hier sitzen und dem Widerhall des Kampfes untätig zuhören. Das ist deine Dankbarkeit! Ziemt es sich, einen alten Verwandten so zu behandeln?«

»Und wofür sollte ich denn dankbar sein?«

»Dafür, daß es dem Verräter nicht gelungen ist, dich wie einen Stier einzuspannen, obwohl du dich dazu am allerbesten eignest; denn du bist dumm und stark, verstehst du? He? Dort hinten, da entbrennt der Kampf immer hitziger, hörst du? Dort brüllen die Schweden wie Kühe auf der Weide.«

Plötzlich blickte Zagloba Pan Roch durchdringend an und fragte ihn:

»Wem wünschest du den Sieg?«

»Natürlich den unsrigen!«

»Siehst du, und warum nicht den Schweden?«

»Weil ich es vorziehen würde, sie zu bekämpfen. Die unsrigen bleiben eben die unsrigen.«

»Hm, in dir erwacht das Gewissen. – Wie aber wolltest du deine Stammgenossen den Schweden ausliefern?«

»Ich habe doch den Befehl erhalten.«

»Aber jetzt hast du keinen solchen Befehl mehr.«

»Jetzt nicht.«

»Dein Vorgesetzter ist jetzt Pan Wolodyjowski.«

»Wieso denn eigentlich?«

»Nun, du mußt doch jetzt den Befehlen Pan Wolodyjowskis gehorchen.«

»Gut.«

»Er wird dir zu allererst befehlen, dich von Radziwill loszusagen und dem Vaterlande zu dienen.«

»Wieso denn?« wiederholte Pan Roch und kratzte sich am Hinterkopf.

»Weil er's befiehlt,« schrie Zagloba ihn an.

»Ich gehorche,« antwortete Pan Roch.

»Gut also, du wirst bei der ersten Gelegenheit die Schweden verhauen!«

»Befehl ist Befehl,« entgegnete Pan Kowalski und holte tief Atem, als wenn er sich von einer ungeheuren Last befreit fühlte.

Zagloba war auch zufrieden; denn er hatte mit dem Pan Roch seine besonderen Absichten. Sie begannen dem zu ihnen dringenden Schall des Gefechtes zu lauschen, bis alles still wurde.

Zagloba wurde immer unruhiger.

»Was, wenn man sie geschlagen hat?«

»Sie, Onkel, ein alter Soldat, und sagen solche Torheiten. Hätte man sie geschlagen, so würden sie vereinzelt zurückkommen.«

»Das ist wahr, Roch. Ich merke, daß auch dein Geist zu etwas taugt.«

»Hören Sie die Hufschläge? Sie kommen zurück, sie werden wohl die Schweden besiegt haben.«

»Und was, wenn das nicht die unsrigen sind? Soll ich ihnen nicht entgegenreiten?«

Pan Zagloba nahm seine Pistole zur Hand und ritt dem Dorfe zu. Bald sah er eine dunkle Masse auf sich zukommen. Die Soldaten an der Spitze unterhielten sich laut, er hörte Pan Michails Stimme:

»Großartige Kerle! Ich weiß nicht, wie die Infanterie ist, aber ihre Reiterei ist prächtig!«

Zagloba gab seinem Pferde die Sporen.

»Nun, wie? was? Ich brannte schon vor Ungeduld, und wollte euch am liebsten zur Hilfe eilen! Ist niemand verwundet?« rief er den Ankommenden entgegen.

»Alles gesund, Gott sei Dank!« antworte Pan Michail. »Aber zwanzig Soldaten haben wir doch verloren.«

»Und die Schweden?«

»Fast alle getötet!«

»Haben Sie viele Gefangenen mit sich?«

»Einen Rittmeister und sieben Soldaten.«

»Und was wollen Sie mit ihnen tun?«

»Ich will sie aufknüpfen lassen, weil sie wie Raubmörder ein armes Dorf überfallen und die Einwohner niedergemetzelt haben; aber Jan rät, es nicht zu tun.«

»Hört nur, was mir eingefallen ist. Wir wollen sie nicht hängen, sondern sie sich nach allen vier Seiten zerstreuen lassen.«

»Und warum das?«

»Bisher kennt Ihr mich nur als Soldaten, jetzt sollt Ihr mich auch als Diplomaten kennen lernen. Die Schweden lassen wir laufen und sagen ihnen, wir seien Anhänger Radziwills und hätten auf Befehl des Hetman gehandelt, und würden mit allen Schweden, denen wir begegnen, ebenso verfahren; denn der Hetman sei nur zum Schein auf die Seite der Schweden getreten. Auf diese Weise werden wir den Kredit des Hetman erschüttern, das wird ein Schreckschuß nach zwei Seiten sein. – Birze ist von Kiejdane weit entfernt, und die Sache wird sich nicht so bald aufklären. Wir veruneinigen die Verräter mit den Raubmördern, Panowie, und die Republik wird daraus den Vorteil ziehen.«

»Der Rat ist gut,« sagte Stankiewicz.

»Natürlich muß es so gemacht werden,« fügte Pan Michail hinzu. »Ich werde sie morgen früh frei lassen; denn heute bin ich furchtbar ermüdet und will von nichts mehr wissen. Der Offizier könnte so wie so nicht reiten, er ist ja im Gesicht verwundet.«

»Wie aber werden wir uns mit ihnen verständigen?« fragte Skrzetuski.

»Ich habe schon daran gedacht. Kowalski sagte mir, daß unter seinen Leuten zwei Preußen wären. Die werden den Schweden das alles auseinandersetzen. Soviel deutsch werden sie schon verstehen, sie waren ja mehrere Jahre in Deutschland. Kowalski ist uns übrigens sehr ergeben; er wird uns noch gute Dienste leisten.«

»Gut,« sagte Wolodyjowski, »so soll einer von euch das übernehmen. Ich bin jetzt für nichts mehr zu gebrauchen. Wir werden bis morgen hier im Walde bleiben, Essen wird man uns aus dem Dorfe herbringen, und jetzt laßt uns schlafen!«

»Nicht weit von hier steht eine Miete,« sagte Zagloba. »Gehen wir hin und legen uns dort schlafen. – In diesen Wald kommen wir erst dann wieder, wenn wir mit Pan Sapieha gegen Radziwill losziehen.«


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