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Pan Zagloba hatte schon einen tüchtigen Rausch, als er dem schrecklichen Hetman dreimal das Wort »Verräter!« ins Gesicht schleuderte. Nach einer Stunde, als er etwas zu sich gekommen war, und er sich mit den beiden Skrzetuskis und Pan Michail im unterirdischen Gefängnis von Kiejdane befand, begriff er, welcher Gefahr er sein Leben ausgesetzt hatte. Und er begann sich stark zu beunruhigen.
»Und was wird jetzt?« fragte er den kleinen Ritter, auf den er im Augenblicke der Not große Hoffnungen setzte.
»Hol mich der Teufel! Mir ist alles gleich!« entgegnete Wolodyjowski.
»Wir werden solche Zeiten und solche Schmach erleben, wie sie die Welt bisher noch nicht gesehen hat!« sagte Jan Skrzetuski.
»Schön, wenn wir es nur erleben! – So könnten wir als Beispiele der Tugend für viele andere gelten,« meinte Zagloba. »Ob wir es aber erleben, das ist noch die Frage.«
»Es ist schrecklich, kaum glaublich!« rief Stanislaus Skrzetuski aus. »Ist je so etwas mal vorgekommen? Alles fängt an, sich bei mir im Kopfe zu drehen. Rettet mich aus diesem Wirrsal. Zwei Kriege im Lande; der dritte gegen die Kosaken, und zu alledem wütet der Verrat im Lande wie eine Seuche. Das Ende der Welt bricht an; der jüngste Tag naht. Bei Gott, es ist, um den Verstand zu verlieren.«
Und seine Hände an den Kopf pressend, begann er auf und ab zu gehen, wie ein wildes Tier im Käfig.
»Sollten wir nicht lieber beten: Barmherziger Gott, rette uns!«
»Beruhigen Sie sich,« sagte Zagloba, »jetzt ist nicht der rechte Augenblick, um zu verzweifeln.«
Plötzlich knirschte Stanislaus Skrzetuski mit den Zähnen; ein Wutanfall packte ihn.
»Daß dich der Erdboden verschlucke,« schrie er, auf Zagloba losstürzend. »Das war dein Gedanke, zu dem Verräter zu gehen. Daß euch beide der Erdboden verschlucke!«
»Besinne dich,« Stanislaus,« sagte Jan kurz. »Was sich hier ereignete, konnte niemand voraussehen. Dulde still, – du leidest ja nicht allein. – Wisse, daß unser Platz hier ist, gerade hier. – Barmherziger Gott, erbarme dich nicht unser, sondern des unglücklichen Landes!«
Alle schwiegen. Nur Pan Michail pfiff ruhig, als ob ihm alles gleichgültig wäre.
»Pfeifen Sie nicht, Pan Michail,« sagte Zagloba.
»Mir ist alles gleich.«
»Wieso denn? Will denn keiner von euch überlegen, ob es keinen Weg zur Rettung gibt? Ich dächte, der Mühe wäre es schon wert, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Sollen wir denn in diesem Keller vermodern, während das Vaterland jeden tapferen Arm nötig hat, wo ein ehrlicher Mann auf zehn Verräter kommt?«
»Sie haben recht!« stimmte Jan Skrzetuski bei.
»Du allein bist vor Gram nicht dumm geworden. Was, meinst du, wird der Nichtsnutzige mit uns tun? Er wird uns doch nicht hinrichten?«
Wolodyjowski lachte höhnisch auf.
»Und warum denn nicht? Das wäre mir wirklich interessant zu erfahren. Ist denn nicht das Recht auf seiner Seite? Ihr scheint Radziwill nicht zu kennen!«
»Was sagen Sie da? Welches Recht ist auf seiner Seite?«
»Über mich – das des Hetmans, – über Sie – das der Macht.«
»Für die er die Verantwortung zu tragen hätte.«
»Vor wem? Vor dem schwedischen Könige?
»Sie verstehen es wirklich gut, mich zu trösten; das muß man sagen.«
»Ich denke auch gar nicht daran, Sie zu trösten.«
Wieder schwiegen alle. Von draußen vernahmen sie die regelmäßigen Schritte der schottischen Infanteristen, die vor das Gefängnis postiert waren.
»So bleibt nichts anderes, als eine List anzuwenden,« sagte nach einiger Zeit Zagloba
Niemand antwortete ihm.
»Ich glaube nicht, daß er uns zum Tode verurteilen wird. Er muß die öffentliche Meinung wohl beachten und würde der ganzen Schlachta dadurch vor den Kopf stoßen. Wo steht eigentlich Ihr Banner, Pan Michail?«
»In Upita.«
»Sagen Sie mir nur eins. Sind Sie davon überzeugt, daß Ihre Leute für Sie eintreten werden?«
»Wie kann ich das wissen? Sie hängen wohl alle an mir; aber sie wissen auch, daß über mir der Hetman steht.«
Zagloba sann einen Augenblick nach. »Befehlen Sie Ihrem Banner, daß es mir in allem gehorcht, wenn ich zu ihm komme.«
»Sie tun so, als wenn Sie schon frei wären!«
»Es ist für alle Fälle gut. – Ich war schon in schlimmerer Lage und Gott hat mir bisher immer herausgeholfen. Geben Sie jedenfalls mir und den beiden Skrzetuskis den Befehl an Ihr Banner. Und wer von uns zuerst befreit, der macht sich nach Upita auf und holt für die anderen Hilfe.«
»Was schwatzen Sie da? Jetzt ist doch wirklich keine Zeit zu solchem Unsinn! Wie sollte jemand sich von hier wegschleichen? Und womit übrigens soll ich Ihnen den Befehl ausstellen ohne Feder und Tinte!«
»Wahrhaftig, es ist zum Verzweifeln!« sagte Zagloba. »So geben Sie mir wenigstens Ihren Ring.«
»Hier nehmen sie ihn und lassen Sie mich in Ruhe.«
Zagloba steckte den Ring an seinen kleinen Finger und begann schweigend auf und ab zu gehen.
Das Nachtlicht erlosch, und im Verließ wurde es ganz dunkel; nur durch das Gitter des hoch gelegenen Fensters sah man einige klare Sterne am Himmel erglänzen.
Die beiden Skrzetuski und Wolodyjowski legten sich schweigend und tief bedrückt zum Schlafe nieder; nur Zagloba redete noch eine ganze Zeit mit sich selbst. – Es verging eine Stunde, eine andere, endlich begann es zu tagen.
Als es ganz hell wurde, vernahmen die Gefangenen vom Schlosse her Schritte von Soldaten, Waffengerassel und Hufschläge. Die Ritter sprangen von ihren Plätzen auf.
Auf dem Hofe wurde es immer lauter. Man hörte zornige und entrüstete Stimmen. Kommandorufe erschollen, dann gleichmäßige Schritte von Truppen und das schwere Dröhnen von Kanonenrädern.
»Was geht hier vor?« fragte Zagloba. »Vielleicht bringt man uns Hilfe.«
»Ich weiß nur eins, daß da etwas Ungewöhnliches vorgeht,« antwortete Wolodyjowski. »Helft mir, ich werde zum Fenster hoch klettern und bald erfahren, was sich dort ereignet.«
Pan Skrzetuski nahm Wolodyjowski unter die Arme und hob ihn wie eine Feder hoch. Pan Michail erfaßte das Gitter und sah zum Hofe hinaus.
»Ja, ja!« rief er plötzlich. »Ich sehe das ungarische Banner, das Oskierka befehligte. – Er war sehr beliebt bei seinen Soldaten, und ihn hat man auch verhaftet. – Sie sind wohl gekommen, um nach ihm zu fragen. Mein Gott, sie machen sich kampfbereit, Leutnant Stachowicz, Oskierkas Freund, ist mit ihnen.«
Der wüste Lärm dort unten verstärkte sich mehr und mehr.
»Ganchoff reitet zu ihnen – er spricht mit Stachowicz. – Stachowicz und zwei andere Offiziere treten aus den Reihen heraus, sie scheinen als Delegierte zum Hetman zu wollen. Bei Gott, der Aufstand vergrößert sich. Man hat den Ungarn Kanonen entgegengestellt, und das schlesische Regiment steht in Schlachtordnung.«
»Pan Michail,« fragte Zagloba, »hat der Fürst viele polnische Banner zur Verfügung?«
»Vier Regimenter sind hier in Kiejdane, dazu kommen noch die Artillerie-Regimenter von Pan Korf. Zwei andere Banner stehen zwei Marschtage von hier entfernt.«
»O weh! Das ist ziemlich viel.«
»Dann hat er noch das großartig ausgerüstete Banner Kmicic'! – Sechshundert Mann.«
»Und mit wem hält es Kmicic?«
»Ich weiß es nicht.«
»Ach, Kmicic, Kmicic, alles hängt von dir ab! Ist er denn ein kühner Soldat?«
»Wie der Teufel ist er, zu allem bereit.«
»Dann gibt's doch nicht viel zu überlegen; natürlich steht er zu uns.«
»Wartet mal, da geht was Neues vor sich; ein Teil von Charlamps Dragonern ist zu den Ungarn übergegangen.«
»Gebt die Obersten heraus! Die Obersten!« lärmten auf dem Hofe drohende Stimmen.
Plötzlich hörte man von hinter dem Schlosse her eine kurze Salve.
»Jesus Maria!« schrie Wolodyjowski.
»Was ist das?«
»Wahrscheinlich erschoß man soeben Stachowicz und die beiden Offiziere,« sagte Wolodyjowski schwer atmend.
»Beim Heiland! Dann brauchen wir nicht auf Barmherzigkeit zu rechnen.«
Eine neue Salve übertönte Zaglobas Worte. Pan Michail hielt sich krampfhaft am Gitter fest und preßte das Gesicht gegen die Scheibe.
»Die Ungarn verbergen sich hinter der Mauer und schießen von dort aus. Es sind großartige Soldaten, bei Gott! Auch ohne ihre Offiziere wissen sie, wie sie handeln müssen. – Alles ist in Pulverdampf gehüllt, nichts zu sehen.«
Die Schüsse wurden allmählich schwächer.
»Nun, was ist jetzt?« fragte Skrzetuski.
»Die Schotten attackieren!«
»Donner und Blitz! Und wir müssen hier sitzen!« schrie Zagloba.
»Da, die Ungarn empfangen sie mit blanken Säbeln.«
»Anstatt gegen den Feind zu ziehen, kämpfen sie miteinander.«
»Die Ungarn gewinnen die Oberhand! Die Schotten ziehen sich zurück. – Mieleszkas Dragoner gehen zu den Ungarn über! – Die Schotten stehen zwischen zwei Feuern. – Charlamp fällt, jedoch ist er nur verwundet. – Die Tore zum Schloßhof werden geöffnet. – Dichte Staubwolken ergießen sich in den Hof. – Kmicic! Kmicic mit seiner Reiterei sprengt durch das Tor!«
»Verloren!« schrie plötzlich durchdringend Wolodyjowski auf.
»Wer hat verloren? Wer?«
»Die Ungarn. – Kmicic' Reiterei hat sie geschlagen, Kmicic hat die ungarische Fahne in seinen Händen. Nun ist alles verloren, alles!«
Pan Michail glitt vom Fenster herunter.
»Schlagt mich!« rief er, »schlagt zu! Diesen Menschen hatte ich in meinen Händen, und ich schenkte ihm das Leben. Ich selbst habe ihm den Befehl des Fürsten ausgehändigt. Mir verdankt er es, daß er das Banner zusammenrufen konnte, mit dem er jetzt gegen das Vaterland kämpfen wird. Zu dir, Gott, rufe ich, dieses Verräters wegen laß mich leben; er soll mir ein zweites Mal nicht lebend aus meinen Händen kommen.« – –