Henryk Sienkiewicz
Sintflut
Henryk Sienkiewicz

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10. Kapitel.

Die Nachricht von der Einnahme Tykocins, die in Lemberg mit großer Begeisterung aufgenommen wurde, überbrachte Oberst Wolodyjowski dem König, zugleich mit einem ganzen gutformierten Regiment, das Sapieha Jan-Kasimir zuschickte.

Der König empfing Wolodyjowski sogleich und umarmte ihn.

»Willkommen, berühmter Ritter«, rief er freudig, – »viel Wasser ist den Berg herabgeflossen, seit wir uns aus den Augen verloren haben. Ich glaube, ich sah Sie zum letzten Male mit Blut bespritzt bei Beresteczek.«

»Und später, in Warschau, Majestät!« antwortete Pan Michail, indem er auf die Knie fiel, »ich war mit dem jetzigen Kastellan von Kiew zusammen im Schlosse.«

»Und sind Sie die ganzen Jahre hindurch im Dienste gewesen. Lockte Sie nicht das stille Glück des Familienlebens?«

»Die Republik bedurfte der Diener, und im Lärm des Krieges kommt man auf andere Gedanken.«

»Hätte die Republik mehr solcher Soldaten, so würde der Feind hier nicht herrschen! – So Gott will, werden Sie nicht ohne Belohnung bleiben. – Doch jetzt erzählen Sie mir, was haben Sie mit dem Wilnaer Wojewoden gemacht?«

»Der Wilnaer Wojewod steht vor Gottes Richterstuhl. Er starb in dem Augenblicke, als wir das Schloß stürmten. Hier ist der Bericht des Pan Sapieha.«

Der König nahm das Schreiben, las mehrere Zeilen und rief:

»Pan Sapieha irrt! Er schreibt, daß der Großhetmanstab von Litauen frei sei, dem ist nicht so; denn ich verleihe ihn ihm!«

Dann fuhr er fort zu lesen.

»Ja – Radziwill konnte die kostbarste Perle in dieser Krone sein, wenn nicht der Hochmut und der Stolz von seiner Seele gänzlich Besitz genommen hätten. – Gottes Wege sind unerforschlich! – Radziwill und Opalinski, – fast zu gleicher Zeit! – Möge sie Gott nicht nach ihren Taten, sondern nach seiner Barmherzigkeit richten! Waren viele Offiziere bei Radziwill?«

»In Tykocin fanden wir nur Pan Charlamp, er blieb dem Fürsten bis zur letzten Minute treu. Wohl zog ihn sein Herz in unser Lager; aber er wollte nicht sein einmal gegebenes Wort brechen. Wir fanden ihn fast sterbend vor Hunger. Im Schloß waren die Vorräte so gering, daß Charlamp auf fast alles verzichtete, um dem Fürsten möglichst viel zu lassen. – Jetzt ist er mit nach Lemberg gekommen, um Euer Majestät um Vergebung anzuflehen, und ich meinerseits bitte auch Euer Majestät um Schonung für ihn.«

»Er möge hierher kommen«, sagte Jan-Kasimir.

»Außerdem hat er Euer Majestät eine sehr wichtige Mitteilung zu machen, die er in Kiejdane aus dem Munde des Fürsten Boguslaw gehört hat. Es handelt sich um die Sicherheit Euer Majestät selbst.«

»Spielt hier nicht ein gewisser Kmicic eine Rolle?«

»So ist es, Majestät.«

»Haben Sie ihn denn gekannt?«

»Ja, Majestät, ich kenne ihn, ich hatte einen Zweikampf mit ihm, aber wo er jetzt ist, das weiß ich nicht.«

»Und was denken Sie über ihn?«

Pan Wolodyjowski erzählte ausführlich die Geschichte seiner Bekanntschaft mit Kmicic, erzählte von der Rolle, die er in Kiejdane gespielt, und wie er ihn und seine Freunde aus Radziwills Händen gerettet hatte.

»Es ist schwer, etwas Bestimmtes über diesen Mann zu sagen«, beendete der kleine Ritter seine Erzählung. – »Viele Sünden lasten auf seiner Seele, aber er hat uns soviele Dienste erwiesen, daß, – kurz, Majestät, ich weiß selbst nicht, was ich von ihm halten soll. – Dazu kommt noch die Erzählung Boguslaws, – wenn dieser nun gelogen hätte!«

»Darüber werden Sie selbst bald Gewißheit erhalten«, sagte der König und klatschte in die Hände.

»Rufe Pan Babinicz her!« rief er dem eintretenden Pagen zu.

Der Page verschwand und erschien in einigen Minuten in Begleitung Pan Andreas wieder. Pan Wolodyjowski erkannte den Kommenden nicht sogleich, der junge Ritter hatte sich noch nicht von seinem Kampfe in der Bergschlucht genügend erholt.

»Eigentümlich!« sagte Wolodyjowski nach einiger Zeit. »Wenn Euer Majestät nicht einen anderen Namen genannt hätten, so würde ich behaupten, das ist Kmicic.«

Der König lächelte.

»Soeben hat mir Pan Wolodyjowski eine Menge ruchloser Dinge von dem verworfenen Kmicic erzählt, und ich habe mich bemüht, ihn zu überzeugen, daß das alles nicht wahr ist. Ich hoffe, Pan Babinicz, Sie werden mich jetzt unterstützen.«

»Majestät«, begann Kmicic aufgeregt, »ein Wort von Ihnen genügt, um die Ehre dieses Verworfenen schneller wieder herzustellen als alle meine Schwüre!«

»Auch diese Stimme ist die seine«, staunte mehr und mehr der kleine Ritter, »nur diese Narbe war nicht in seinem Gesichte.«

»Das Gesicht eines Schlachtschitzen ist ein Buch, ein jeder Feindessäbel hinterläßt seine Spur auf ihm«, entgegnete Kmicic. »Auch Ihr Autogramm ist da, erkennen Sie nun, wer ich bin?«

Er neigte bei diesen Worten seinen Kopf und wies auf die weiße Narbe, die sich von einem Ohre zum anderen hinzog.

»Meine Hand drauf!« rief Pan Wolodyjowski, »das ist Kmicic!«

»Und ich sage Ihnen, Pan Wolodyjowski, daß Sie diesen Kmicic nicht kennen«, bemerkte der König.

»Und wieso denn, Majestät?«

»Sie kannten einen tapferen Ritter, aber zugleich einen Abtrünnigen und Parteigänger Radziwills. – Und vor Ihnen steht hier der Hektor von Czenstochau, denn Jasno-Gora verdankt seine Errettung außer dem Pater Kordecki meinem treuen Diener, der mich in der Bergschlucht aus den Händen der Schweden errettete. Das ist der neue Kmicic! Lernen Sie den kennen und lieben; er ist dessen wert! Und wißt, er hat dem Fürsten Boguslaw nicht nur dieses fürchterliche Angebot nicht gemacht, sondern er war es, der den Fürsten Radziwill verließ und Boguslaw entführte, um ihn mir auszuliefern.«

»Und uns hat er vom Tode errettet!« rief der kleine Ritter, »welcher Engel hat Sie denn auf den rechten Weg gewiesen?«

Und Pan Wolodyjowski warf sich in Kmicic' Arme. Der König verließ lächelnd das Zimmer und ging zu einer Beratung, zu der ihn die beiden Kronhetmans erwarteten.

»Kommen Sie in mein Quartier«, sagte Wolodyjowski; »dort werden Sie die beiden Skrzetuskis und Zagloba vorfinden. Wie wird er sich freuen, wenn er von Ihrer Umkehr hört! Und Charlamp ist auch bei uns.«

Doch Kmicic stand unbeweglich auf seiner Stelle und sah unruhig auf den kleinen Ritter.

»Und haben Sie viele Leute bei Radziwill gefunden?« entschloß er sich endlich zu fragen.

»Von Offizieren nur Charlamp allein.«

»Ach, ich frage ja gar nicht nach Offizieren, waren auch Damen dort?«

»Ich verstehe, verstehe«, und der kleine Ritter wurde verlegen. »Panna Billewicz hat Fürst Boguslaw mit sich nach Tauroggen genommen.«

Kmicic wurde leichenblaß, dann schoß ihm das Blut in den Kopf, und die Gurgel schien sich ihm zuzuschnüren. Er faßte sich an die Schläfen und begann unruhig im Zimmer umher zu laufen.

»Kommen Sie mit mir, Charlamp wird Ihnen alles erzählen«, tröstete ihn der kleine Ritter.


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