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Nach etwa einer Viertelstunde schleicht eine Wassernymphe aus dem Halbdunkel ins grelle Licht des Tanzsaales.
Noch ganz benommen vom Glück der Aussöhnung und wie versengt von den heißen Küssen Tollas, zögert Gracia, die Rüstkammer zu verlassen. Da tritt eine tiefverschleierte Vestalin herein. Die Flamme des antiken tönernen Öllämpchens, das sie in der Hand trägt, ist erloschen. Eine blaßblaue Sammetmaske deckt ihre Gesichtszüge; – doch ihrer biegsamen Gestalt nach zu urteilen, muß sie jung und anmutig sein. Rasch kommt sie auf den Knaben zu und raunt ihm einige Sonettverse ins Ohr, die ihn aus der Fassung bringen. Er murmelt ganz verwirrt:
»Von wem sind die Verse, Maske?«
»Von einer Dichterin; der besten in Florenz.«
»Die ist eine Hure, sagt man.«
Auch anständige Mädchen sind Huren, nur sagt man es von ihnen nicht.«
»Du beleidigst eine, die ich liebe, denn sie ist ein anständiges Mädchen!«
»Wenn du die meinst, die dich eben küßte, so weißt du nicht, was ich weiß, Prinz.«
»Was weißt du, Maske?«
»Komm morgen in meine Wohnung, dort wirst du's erfahren.«
»Sag es jetzt gleich, Maske!«
»Nein, Prinz, heute würdest du mich erwürgen, wenn ich's sage.«
»Vielleicht auch morgen, Maske!«
»Nicht mich! ... denn morgen werde ich dir den Star stechen, blinder Prinz; das kann ich hier nicht, das kann ich nur, wenn du zu mir kommst.«
»Wo wohnst du, Maske?«
»An der Porta San Gallo, wo nur Vestalinnen wohnen!«
Traurig lachend geht sie hinaus. Er ist im Begriff, ihr nachzueilen, wird jedoch daran gehindert, da ihm an der Türschwelle ein dunkler Kavalier entgegentritt.
Der Eintretende hat sich nicht verkleidet, trägt auch keine Maske. Er ist ein hagerer Mann in schwarzer Hoftracht mit gestepptem Wams, seidenen moosgrünen Strümpfen und weißer Halskrause alla Spagnuola. Er hat den Gang eines Malvolio und die wissenden Augen eines Jesuiten. Einst war er in der Romagna ein Dorfpfarrer gewesen, bevor er ein Bravo der Orsini wurde und, zum Hauptmann avanciert, im Hause Medici eine Anstellung fand als Lehrer der Kriegskunst und Pagenerzieher. Der nicht mehr junge, immer düster dreinblickende Mensch, Abbate Agostino Selmi geheißen, ist neuerdings der Fechtlehrer Gracias und – nach Ansicht vieler – auch sein Hofmeister. Die ihn dafür halten, bedenken freilich nicht, daß ein soeben eingefangener Wolf sich leichter hofmeistern läßt als ein junger Medici.
»Was wollte die Vestalin von dir, Gracia? Laß dich mit der nicht ein!«
»Warum nicht?«
»Es ist La Delfina, die berüchtigte Kurtisane. Man weiß von ihr, daß sie immer hinter Kindern her ist. Der kleine Fabio Nerli hat sich ihretwegen erhängt ... Eingeschlichen hat sich die Hündin hier, – ich werde den Dienern sagen, daß man sie hinausjagen soll!«
»Wenn Ihr das tut, Messer Selmi, so gehe ich morgen zu ihr!«
»Lud sie dich ein zu sich?«
»Ja, das tat sie.«
»Versprich mir, daß du nicht hingehn wirst, Gracia! Versprich mir ...«
Im großen Prunksaal tanzt der Kaiser von China mit einer hochgewachsenen, schwarz verschleierten Mohammedanerin eine spanische Seguidilla und flüstert mit ihr.
»Ich errate, wer du bist, Maske!«
»Auch ich kenne dich, Sohn des Himmels! – vielleicht besser als du selbst dich kennst.«
»Dann weißt du also, daß ich gefährlich bin?«
»Auch ich bin es: ich werde heute deinem Sohn Pietro gefährlich sein.«
»Ich habe es dir erlaubt; – strafe ihn, wie er es verdient ... Hast du den König von Cypern gefunden?«
»Ihn selbst sah ich noch nicht; doch seine Spur fand ich.«
»Ist sie blutig, die Spur?«
»Warum ...?«
»Du sprachst vom mysteriösen Tod deiner Base. Wie starb sie?«
»Ich weiß nur, was ein Levantefahrer in Genua erzählt haben soll –: sie sei von dem Mann, der sie liebte, umgebracht worden.«
»Die Vermutung liegt nahe, daß der Narr, den du suchst, ebensowenig ein Narr ist wie ein König.«
»Deshalb suche ich ihn ja, in dies Dunkel hineinzuleuchten ...«