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42

Unter dem Kreuzgewölbe in der Mitte der Taverne wird das Faß aufrecht aufgestellt. Semprebene entfernt den oberen Faßboden. Mit komischem Ernst meldet Carlo dem Prinzen:

»Beste Sorte! Saftig, zuckersüß! Wir fanden zwar nur eine, doch die wiegt hundert Goldorangen auf.«

Aus dem Faß recken sich Kopf und Nacken einer jungen Frau empor. Es ist die Dichterin und Kurtisane La Delfina. Der Rand des hohen Fasses reicht ihr bis an die Brüste. Ihrem zerkratzten Antlitz, ihren vor Wut und Schrecken blitzenden Augen ist anzumerken, daß sie sich nicht ohne Gegenwehr hatte fangen lassen: aufgelöst das Kastanienhaar, zerhadert das Glöckchengewand, zerrissen der honiggelbe Hetärenschleier.

»Laßt mich heraus!« weint sie.

Ihre vier Räuber treten dem Prinzen das Vorrecht ab, mit ihr im Namen der Akademie ein Zwiegespräch zu führen.

»Springe, springe doch, Apfelsine! Oder kannst du nur am Boden kullern?«

»Laßt mich heraus! Um Gottes Barmherzigkeit willen! ...«

»Ich sage dir: springe! Hüpfe aus der Tonne, La Delfina! Du machst doch sonst tolle Sprünge.«

»Nicht so tolle wie Eure Hoheit! ... Laßt mich heraus, ihr Flegel!«

»Weine nicht! Kreische nicht! Erst sollst du eine Weile wie Diogenes in der Tonne leben und dich – – – «

»Helft mir doch endlich heraus!«

»Gleich, gleich ... Erst sollst du im Faß ein Liebesgedicht auf mich dichten, Dichterin!«

»Auf wen? Hahaha! ... O Himmel! ...«

»Was lachst du?«

»Ich lache nicht – ich weine! Eher dichte ich einen Aussätzigen mit Liebesversen an!«

»Selbst wenn ich den Aussatz hätte, wäre ich doch reich genug für eine Hure wie du! Nimmst du für deine Verse mehr Geld als für deine Küsse?«

»Auf Eure Hoheit kann ich nur Spottverse dichten!«

»Oho?«

»Pfui, welche Schande! Ein Prinz – und ist betrunken! Ein Prinz – und benimmt sich wie ein kleines ungezogenes Kind!«

»Du rührst an mein Gewissen, Diogenessa in der Tonne! Zu viel Wein trank ich; – fortan wird Milch mich laben. Und da ich ein kleines Kind bin, sollst du meine Amme sein! – Komm, lege deine Brüste hier auf den Rand der Tonne. Stille mich! Ich will dich ausschlürfen! Ich will deinen süßen Saft trinken, vollbrüstige Apfelsine!«

»Rühre mich nicht an, du Scheusal! ...«

Pietro packt sie an der Schulter, ihr den Brustlatz wegzureißen. Da schlägt ihm La Delfina ins Gesicht. Mit voller Wucht trifft ihr Faustschlag sein Auge. Betäubt taumelt er rückwärts und stürzt über eine Bank.

Zeugen des Zankes und des Faustschlages sind außer Carlo, Santi, Noffo und Semprebene auch noch einige neue Tavernengäste. Schon vor einer Weile waren sie – lauter Mitglieder der Akademie – hereingekommen, und mit ihnen Giuliano, der Pastetenverkäufer.

Während Carlo und Semprebene – (in großer Angst, des Prinzen Auge könnte ausgelaufen sein) – sich um ihn bemühen, tritt Giuliano mit traurigem und ehrerbietigem Gruß an La Delfina heran. Sie schlingt den Arm um seinen Hals. Da reißt er sie mit einem Ruck aus dem Faß heraus.

Wie aus einer Kehle erschallt der Schrei der Verrückten, als sie die befreite Kurtisane dem Ausgang zulaufen sehn. Flüche und Gelächter bilden einen unentwirrbaren Knäuel in der an Echo reichen Kreuzgewölbeluft. An der Türschwelle wendet sich La Delfina um und apostrophiert den Prinzen:

»Jetzt will ich's sagen, was ich verschwieg, warum ich keine Liebesverse auf Eure Hoheit dichten kann! –: weil Eure Hoheit sich die braune Sauce vom Hintern noch nicht abgewaschen hat! ... Nun wißt Ihr's!«

Hysterisch lachend rennt sie hinaus.

43

An seinem Stammplatz sitzt Don Pietro, den Kopf in seine Arme vergrabend. Er hat das trunkene Elend, tränengebadet brüllt er. Weil er sich allein glaubt, läßt er sich so hemmungslos gehen. Denn die ganze Akademie ist hinausgeeilt, mit frohem Halali eine Hetzjagd auf die entflohene Hindin zu veranstalten. Daß Giuliano zurückblieb, gewahrten Pietros tränenblinde Augen nicht, wie ebenfalls nicht, daß die gelben Gespensterschuhe sich sachte fortbewegen, daß ein eleganter silbergrauer Franzose an ihm vorbei den Raum durchschreitet und sich an der Tür der Taverne wie ein neugieriger Passant unter die eben zurückkehrenden Menschenjäger mischt.

Aber Tränen der Scham wollen mit vernehmlichen Selbstanklagen gespeist werden, sonst versiegen sie. Als die allzulange weggebliebenen Kumpane sich wiedereinfinden, um verlegen zu melden, das verfolgte Wild sei entkommen, wandelt sich Pietros trunkenes Elend in käsebleiche Wut.

»Sie wird es büßen ... Was schwätzte sie von der Sauce, Carlo? Hast du das verstanden?«

»Es war nicht schwer zu verstehn, Pietro!«

»Woher hat sie das, die Lustdirne? Von wem kann sie das erfahren haben? Wer hat mich verraten?«

Da Carlo und die andern schweigen, sagt Semprebene:

»La Delfina war auf dem Corsiniball. Sie selbst hat es erzählt, daß sie sich uneingeladen eingeschlichen hatte.«

»Aha! Dann also war sie es, die mich zum Gelächter von Florenz gemacht hat. Denn – nicht wahr – ganz Florenz weiß es? ... So widersprecht mir doch, ihr Affen! ... Ihr schweigt? ... Schön, schön, ich verstehe ... Es ist also tatsächlich so: jedes Kind in Florenz kennt meine Schmach! – und das verdanke ich dieser Schwätzerin! ... Ha, ich werde es ihr blutig danken – Ihr sollt sehn! Morgen stoße ich ihr ein Messer in die Kehle, so wahr ich Pietro de'Medici heiße!«

»Sei doch nicht so erregt, Pietro!«

»Ich bin ruhig, Carlo, kein Karpfenteich ist ruhiger. Meinst du, ich weiß nicht, was ich rede? Du glaubst wohl meinen Worten nicht? So höre mein Gelübde: ich werde dieser Lustdirne das Messer in die Kehle stoßen, – jawohl, in die Kehle, aus der sie das Krötengift auf mich gespien hat! ... Ihr alle habt es gehört! ... Und noch eins – wie war das gleich? Was sagte sie? – ich hätte mir die braune Sauce nicht abgewaschen? ... Ja freilich: noch nicht – das ist es! Aber ich werde mich reinwaschen und ich weiß schon wie! Faustina ist es gewesen, die mich einlud, mich auf den Stuhl zu setzen, der nicht da war ... Das werde ich sie büßen lassen! – bei meinem Leben! – Auge um Auge, Zahn um Zahn, Popo um Popo!«

Plötzlich ertönt aus dem Hintergrund eine helle weiche Stimme:

»So darf man von einer jungen Dame nicht sprechen!«

Es wird still in der Trinkstube. Pietros Gesicht färbt sich eisenblau.

»Wer kräht da hinten? Will der Betreffende behaupten, daß eine junge Dame keinen Popo hat wie wir alle?«

»Ich will behaupten, Signor, daß so zu sprechen unritterlich ist.«

Im Nu reißt Pietro sein Rapier aus der Scheide.

»Wer ist der Krakeeler? Er zeige sich, wenn er abgestochen sein will wie ein Kikerikihahn!«

Gemessenen Schrittes kommt Giuliano nach vorn. Den meisten ist er fremd. Neugierblicke treffen ihn voll verächtlichen Mitleids wie etwa einen schwächlichen Stier in der Arena, der einem berühmten Matador begegnen soll. Hatte er am Vormittage bettelhaft ausgesehen, so gleicht er jetzt – (eingekleidet inzwischen von seinem Beschützer, dem Kleinen Walfisch) – einem schlicht ausstaffierten Adeligen. An der Hüfte hängt ihm ein Florett.

Furchtlos blickt er in Pietros gerötete Augen.

»Ihr tut mir leid, Signor. Ich sah Euch heiße Tränen vergießen, als Ihr Euch allein glaubtet!«

Carlo und Santi fallen dem Prinzen in den Arm. Sonst wäre es wohl um Giuliano geschehn gewesen.

»Du Galgengesicht ...!« gröhlt Pietro. Doch Giuliano verliert die Ruhe nicht.

»Euch ist nicht wohl in Eurer Haut, Signor. Legt sie ab.«

»Die Haut? Meine Haut? Bin ich eine Schlange?« tobt Pietro. »Verlacht mich der Mensch? ...«

»Es ist Messer Giuliano von Lusignan, unser neues Mitglied!« flüstert Semprebene ihm zu.

»Das ein Mitglied? Der Popanz da? Das Hampelmännchen? Hält man mich für einen Idioten? Dem soll ich den Bruderkuß auf die Hungerwange drücken? ... Wie wär's, Freunde, wollen wir nicht Seiner Bettlermajestät huldigend die Hände küssen? Aber erst holt Läusesalbe! ... Wer hat den Kerl eingeführt?«

»Der Kleine Walfisch, Hoheit.«

»Wo steckt der Kleine Walfisch? Kam er noch nicht? ... Die Wahl dieses Mitgliedes ist ohne mich erfolgt – darum erkläre ich die Wahl für ungültig!«

Ein feindliches Gemurmel schwillt an. Die Anhänger Martellis protestieren: – es hätten sich zwar in den Vormittagsstunden bloß wenige Stravaganten auftreiben lassen, um die drei unwiderlegbaren Wahrheiten des Neulings anzuhören, die Wahl aber sei vorschriftsmäßig vor sich gegangen und daher gültig.

»Ich spucke auf die Statuten der Akademie!« ist Pietros Antwort. Erst Messer Lamberto, einem früheren Schauspieler, glückt es, Öl auf die Wogen zu gießen.

»Glaubt mir, Hoheit, dieser Rex Seraphicus ist der Verrückteste der Verrückten – ein unbezahlbarer Zuwachs für unsere Akademie. Stellt Euch doch vor: ein Spaßvogel, der nicht ahnt, daß er einer ist! So einer hat uns immer gefehlt! ... Statt Euch über ihn zu erbosen, solltet Ihr ihn zur Zielscheibe Eurer prachtvollen Witze machen, Hoheit!«

Zum Erstaunen aller entgegnet Giuliano:

»Die Mondscheibe ist leichter zu treffen als ich! ... Ich bin zu weit weg.«

»Wo?« fragt Noffo.

»In der Hölle!« antwortet Giuliano.

Zuerst folgt darauf ein verblüfftes Schweigen. Dann brechen alle in ein schallendes Gelächter aus.

Das stillt Pietros Wut. Carlo, der den Prinzen gut kennt, spürt die Wandlung und spricht nun leise auf ihn ein. Was sie flüstern, ist nicht zu vernehmen; doch man sieht, daß Pietro mehrmals mit dem Kopfe nickt und dann grimmig kichert. Er scheint entzückt über einen Einfall seines Freundes. Er winkt Santi heran; sie beraten zu dritt, und dann verläßt Santi die Taverne. Pietro erhebt sich feierlich wie ein Richter, der ein Verdikt zu verkünden hat, und sagt:

»Wir wollen die Wahl noch einmal vornehmen. Die drei Wahrheiten erlassen wir dir, Rex Seraphicus. Du sollst eine Heldentat vollführen, die ich dir vorschreiben werde. Bist du bereit dazu?«

»Erfordert die Tat mehr als Menschenkraft?«

»Sie erfordert Kühnheit.«

»Wer in der Hölle lebt, kennt nicht Furcht!«

»Auch nicht, wenn du nachts auf den Kirchhof gehn und in ein Grab einbrechen sollst?«

»In wessen Grab?«

»Hier nimm den Schlüssel; der öffnet dir die Grabstätte der Medici. Steige hinab. Du wirst dort eine Madonnenstatue sehn; an deren Arm hängt eine Perlenkette. Bringe mir die Perlenkette.«

»Das kann ich nicht.«

»Aha! Du fürchtest die Kirchhofgespenster!«

»Nein – nur die Gespenster in mir selbst!«

»Allzu gewissenvoll ist feige, Rex Seraphicus! Übrigens sind die Perlen wertlose Glasperlen aus Murano. Bezahle sie der Madonna, lege ihr einige Quattrinos auf ihren Sockel.«

»Ist die Grabstätte nachts erleuchtet?«

»Eine Ampel brennt dort Tag und Nacht.«

»Gut. Hingehn werde ich. Auch hinabsteigen werde ich ... Ansehen will ich mir die Perlen. Falls es wirklich Glasperlen sind, werde ich sie bringen!«

44

Noch hat Giuliano das Weinhaus nicht verlassen, als Santi zurückkommt und atemlos meldet, in der Via Sant' Orsola sei La Delfina gesehn worden. Im Nu stürmen die Verrückten hinaus, der Entflohenen nachzusetzen. Und diesmal beteiligt sich auch der Prinz an der Hetzjagd.

Giuliano, erst seit kurzem in Florenz, erfragt vom Wirt den Weg zum Friedhof. Und Semprebene zählt ihm die Straßen auf, die er – (mögen sie auch Umwege sein) – wählen muß, um unbelästigt von der nächtlichen Gassenpolizei zum Ponte delle Grazie zu gelangen; auf dem jenseitigen linken Arnoufer, bei der Porta San Niccoló, am Ende der Via di Ripoli liege der Friedhof.

Ein Freund des Kleinen Walfisches ist der Wirt. Sein Beruf zwingt ihn, mit den Wölfen zu heulen; im Herzen verachtet er den prinzlichen Liederjahn und verzeiht ihm die Beanstandung der ersten Wahl Giulianos nicht. Mehr noch als für Giuliano, war für dessen Patron Antonio Martelli der Einspruch Don Pietros eine Beleidigung gewesen ...

»Euer Gnaden steht ein schwerer Gang bevor, – dafür sollte Euer Gnaden sich das Herz stärken. Ich möchte wetten, daß Euer Gnaden seit heute morgen keinen Bissen zu sich nahm.«

»Auch keinen Schluck; – obgleich ich vieles hab' hinunterschlucken müssen.«

»Man sah Euer Gnaden die Schluckbeschwerden nicht an. Euer Gnaden hat einen eisernen Adamsapfel ... Will Euer Gnaden schon fort? Wozu solche Eile, – die Toten kann man ruhig etwas warten lassen. Erst setzt Euch her und eßt diesen Teller Schweinefleisch auf. Und trinkt den Malaga – es weht ein schneidender Wind draußen ... Hört, im Vertrauen gesagt ... aber Euer Gnaden darf es nicht weitererzählen, daß ich Euer Gnaden gewarnt habe ... An Eurer Stelle würde ich mich zu Bett legen und die Toten schlafen lassen!«

»Was ich versprach, muß ich halten, Herr Wirt.«

»Ich fürchte, die Verschrobenen haben einen Kapitalstreich, einen Hauptspaß mit Euer Gnaden vor.«

»Und wenn – so werde ich mitlachen. Warum soll ich Spaßvögeln ihren Spaß nicht gönnen?«

»Weil böser Spaß oft nur einen Schritt von bösem Ernst entfernt ist. Seine Hoheit reißt schnell den Degen aus der Scheide.«

»Ich auch – wenn es nottut. Und glaubt mir, ich weiß die Klinge zu führen.«

»Doch Euer Gnaden weiß nicht, daß Gift an Seiner Hoheit Klinge ist.«

»Gift ...?«

»Gefährlich wie das Pfeilgift der Indianer! Leichengift! Einen von Ratten halbverzehrten Hund hat Seine Hoheit vorhin mit dem Rapier aufgespießt ... Würde Euch die Haut auch nur geritzt, – so würdet Ihr augenblicks verloren sein.«

»Verloren sind wir alle, der eine früher, der andere später, Messer Semprebene!«


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