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Erst nachdem Lodovica ihn verlassen hat, wird Giuliano des Klangs gewahr, der bis dahin ihm sinnlich das Ohr umschmeichelte, jetzt aber ihm zutiefst in die Seele dringt. Es sind die ersten von Antonio Amati in Cremona erbauten Geigen, die derart menschenhaft singen. Und ihm ist zu Mute, als steige ihr unvergleichlicher Wohllaut so neugeboren, jugendfrisch, weltdurchstrahlend empor wie die eben geborene Aphrodite aus der Meeresmuschel. Auch die arienhafte Stimmführung bezaubert ihn –: verdrängt ist die Polyphonie der Kirchenmusik durch die sieghafte Melodie. Entsprach den mittelalterlichen Fesseln des Individuums die Polyphonie, – so spiegelt sich in der befreiten Melodie der an Ketten rüttelnde Freiheitsdrang und beginnende Individualismus des jungen Barocks ...
Aus dem Musiksaal schlüpft ein Hirtenmädchen. Als wäre der Wohllaut der Amatigeigen Fleisch geworden, so fasziniert blickt Giuliano die hochschlanke morbide Halbwüchsige an, die ein schwarzes, mit grünen Seidenbändern geschmücktes Lamm an der Leine führt. Es vermehrt den Reiz des Kindes, daß Kleid und Strümpfe geflickt sind und durch einen Riß im Rock das Elfenbein des Schenkels blinkt.
Beinahe stammelnd beginnt Giuliano:
»Mich brachte – – –«
»Ich weiß, ich weiß ... Euer Gnaden will hier wohnen?«
»Die Fürstin Malaspina meinte ... Wenn Ihr Herr Vater, Signorina – – –«
»Ich heiße Semiramide. In diesem Palaste duzt man sich. Und wie heißt du?«
»Giuliano ... Wenn dein Vater, Semiramide, erlaubt, daß ich als Hausgenoß – – –«
»Das hängt von mir ab. Ich entscheide hier im Hause ... Wenn ich aus dir eine Novelle machen kann ...«
»Du willst eine Novelle aus mir machen, Semiramide?«
»Nicht aus jedem Mehl läßt sich Brot backen ... Bist du ein Freund der Amazone?«
»Die Fürstin von Massa-Carrara, die sich deiner annimmt. Ist sie nicht die grausamste Amazone seit Penthesilea? Du scheinst mehr Glück bei ihr zu haben als der Duca Cosmo.«
»Ich weiß davon nichts. Ist der Duca ein Verehrer der Fürstin?«
»Kommst du vom Sirius herab, Giuliano? Hoffnungslos hat Cosmo der Fürstin nachgestellt, hat vor ihr getanzt wie König David vor Sauls Tochter. Alles umsonst. Sie kehrte ihm und Florenz den schönen Rücken, und seitdem sank er in den Abgrund.«
»In welchen Abgrund, Semiramide?«
»Auch das weißt du nicht? Weil seine Tochter Isabella ebenfalls eine tolle Amazone ist und der andern gleicht und ebensolch eine blauschwarze Haarwolke hat, verliebte er sich in sie. Noch wilder aber verliebte sie sich in ihren Vater ... Ich bin ein unwissendes Mädchen, Giuliano, und begreife nicht, wie eine Tochter solch eine Todsünde begehen kann; – denn das darf ich dir nicht verschweigen, daß es Bande der Venus waren. Eines Tages wurden die beiden von Madama Eleonora di Toledo überrascht. Du kannst dir ausmalen, daß sie, mit Tränen und Flüchen, der Blutschande einen Riegel vorgeschoben hat. Darob aber begann Isabella ihre Mutter wie die Pest zu hassen. Um sich an ihr zu rächen, flüsterte sie dem Duca ein, der Schreiber ihrer Mutter sei deren Schlafbuhle ...«
»Man sollte es nicht für möglich halten! ... Wie alt bist du, Semiramide?«
»Nicht wahr? Man sollte es nicht für möglich halten! ... Was machst du für ein Gesicht?«
»Es ist schwer zu glauben, Semiramide.«
»Freilich. Aber Seine Eccellenza glaubte es. So hirnverbrannt sind Männer, wenn Eifersucht ihnen einheizt. Stell dir vor, was Cosmo tat. Dem Sekretär gab er ein Gläschen zu trinken; – der trank und fiel tot hin, der arme Kerl. Dann kam Madama Eleonora an die Reihe; – die aber weinte und hatte Angst zu sterben. Nun schloß Cosmo sie ins Zimmer ein mit dem toten Schreiber und ließ das volle Glas auf dem Tische stehn. Drei Tage lang klopfte er morgens, mittags und abends an ihrer Tür und fragte, ob sie das Gift getrunken. Ihr Gejammer erweichte schließlich Isabellas Herz: sie gestand Cosmo, daß sie aus Rachsucht ihre Mutter angeschwärzt hatte. Als Cosmo die Tür aufschloß, war es zu spät und doch nicht zu spät. Bereits hatte die Duchessa die Hälfte des Glases schlückchenweise ausgeschlürft, – zu wenig zum Sterben, zu viel zum Leben. Seitdem siecht sie hin, und ihr Geist ist gestört.«
»Hast du aus ihr eine Novelle gemacht, Semiramide?«
»Noch nicht; – vorläufig übe ich mich im Erzählen und freue mich, wenn ich einen finde, der zuzuhören versteht wie du, Giuliano. Wir werden uns schon vertragen ... Später können wir es ja meinem Vater mitteilen, daß du hier wohnst; doch jetzt darf man ihn nicht stören ... Willst du mich in mein Zimmer begleiten, – hier zieht es von der Haustür.«
Sie führt ihn durch mehrere Zimmer, wo Motten und Rost und die fressende Zeit wenig verschont haben, – Räume, die einst Prunkräume gewesen waren, als noch der Name Albizzi den Namen Medici überstrahlte, als noch die Adelspartei sich ihre Führer unter den Albizzi wählte. Jeder Gegenstand zeugt von altem Glanz und armseligem Verfall.
Besser gehalten, mit heiler Wandbekleidung und ausstaffiert mit einigen neuen Möbeln, ist Semiramides kleine Stube. Kein Bett steht darin, hat sie doch im Oberstock ihre Schlafkammer; – dies hier ist ihr Arbeitszimmer, ihr »gabinetto«. Gänsefedern und Papier liegen verstreut auf dem Schreibtisch. An der Wand neben einem lodernden Kamin befindet sich ein Regal mit Druckschriften und geschmackvoll in Schweinsleder gebundenen Manuskripten.
Nachdem sie einen Wachsstock angezündet, rückt Semiramide vor den Kamin einen Sessel mit hoher Rückenlehne heran, auf welchem Giuliano Platz nehmen muß. Sie sitzt ihm seitwärts gegenüber, das Gesicht dem Fenster zugewandt. Die Glut der Feuerscheite durchscheint die eine Hälfte ihres Kopfes und die feinen Finger der linken Hand. Katzenhaft reckt sie sich in ihrem Sessel und streichelt auf den Knien ihr schwarzes Lamm wie ein Schoßhündchen.
»Wärme dich, Giuliano. Du siehst erfroren aus.«
»Was wird Messer Luigi dazu sagen, daß ich mich hier wärme?«
»Mein Vater? – der findet alles gut, was ich tue. Kennst du meinen Vater?«
»Nein, Semiramide.«
»Soll ich dir eine Beschreibung von ihm machen?«
»Tu es.«
»Ich will es tun, damit du vor ihm nicht erschrickst. Er schminkt sich weiß wie eine Leiche.«
»Weshalb? Wozu? ...«
»Damit die Florentiner sehn, wohin es mit dem ältesten Adel gekommen ist dank den Medici und den Ghibellinen. Mein Vater ist nämlich ein Guelfe, ein Weißer, ein wilder Republikaner. Er ist ein großes Licht unter den Hirten und singt Hymnen auf die Zeit, als es noch keine Medici gab.«
»Das ist lange her, Semiramide.«
»Die Glanzzeit Palmyras ist länger her, Giuliano; – und möchtest du nicht dort gelebt haben? ...«
Ein leises Pochen am Fenster wird vernehmbar.
»Bitte, bleibe sitzen. Rühre dich nicht ... Ich schicke den Störenfried weg ...«, raunt Semiramide Giuliano zu und geht das Fenster öffnen.
Die hohe Rückenlehne des Sessels verdeckt Giuliano, er kann vom Fenster aus nicht gesehn werden, kann aber auch selber nicht sehn, mit wem Semiramide spricht. Ihm kommt es so vor, als habe er in der Taverne diese kecke Stimme gehört, einer der Stravaganti muß es wohl sein. Und bald zweifelt er nicht daran, daß Messer Carlo der nächtliche Besucher ist.
»Bist du allein?«
»Nein.«
»Wer sitzt bei dir?«
»Das geht dich nichts an.«
»Am Ende doch ... War Pietro hier am Fenster?«
»Nein. Warum?«
»Kein Mensch weiß, wo er hingerannt ist ... Eine tolle Geschichte! Stell dir vor: drei Neger richteten die Flinten auf ihn – da riß er aus wie ein Hase, sprang über Grabsteine, schrie: er könne sich nie mehr vor Menschen blicken lassen, und lief aus der Stadt. Doch das tollste war, was vordem geschah. Höre –«
»Jetzt habe ich keine Zeit. Erzähle es mir morgen, beim Stierkampf.«
»Du kommst zum Stierkampf?«
»Ja, bestimmt. Mein Vater bringt mich hin.«
»Und ich bringe dich heim ... Gute Nacht, Semiramide!«
Sie hat das Fenster geschlossen und sitzt wieder Giuliano gegenüber.
»Du wunderst dich gewiß ...«
»In einem Wunderlande darf man sich nicht wundern, Semiramide.«
»Du möchtest doch wissen, ob es ein Freund war? ... Nein, er ist windig, ein Leichtherz. Ich gebe nicht viel auf einen, der mit verworfenem Gesindel und Ghibellinen verkehrt. Die jungen Leute leben so ungebunden, – an uns Hirtenmädchen ist es, ihnen Zügel anzulegen.«
»Traust du dir das zu, Semiramide?«
»O ja. Die Schäferflöte ist ein Zauberstab.«
»Ich verstehe. Du bist also eine Dichterin?«
»Verse mache ich auch ... Aber mein Ziel ist, Novellen zu schreiben wie Boccaccio und Bandello.«
»Es ist schwer zu glauben, Semiramide ...«
»Da stehn meine Lehrmeister – wie Cosmos Lanzenknechte in Reih und Glied.«
»Die alle hast du gelesen, Semiramide? Laß sehn – Saccheti, Masuccio, Arienti, Illicini, Fortini, Sermini, Giraldi, Grazzini ... Was ist aber das für eine Aufschrift? Malatesta ...? Ist das eine Novelle? Wohl gar von dir?«
»Erst angefangen habe ich das Manuskript ... Es handelt von der tragischen Liebe der ältesten Tochter Cosmos, der Donna Maria de'Medici.«
»Erzähle mir das, Semiramide.«
»Auch wenn es schwer zu glauben ist?«
»Unglaubhaft zu sein, ist der Reiz aller Legenden ... Übrigens kann ich es nachprüfen. Andeutungen – mehr als Andeutungen – hat mir ein venezianischer Hauptmann namens Jacopo Malatesti gemacht.«
»Das war der Bruder des Malatesta Malatesti ... Aber wenn du die Geschichte schon kennst – – – «
»Deine Novelle kenne ich noch nicht, Semiramide.«