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Spielzeug sowohl wie Spielkamerad war für Cammilla ihr Kätzchen, dem sie den Namen Saladino gegeben hatte. Ein verschlafener, graugelb gesprenkelter Kater mit buschigem Schweif war Saladino, abgeschlossen von der Außenwelt wie sie und daher ihr Leidensgenosse und Freund. Wenn ihr Vater in Semprebenes Osteria weilte oder einen Rausch ausschlief, so konnte sie stundenlang mit Saladino sprechen und ihm erzählen, was ein Engel ihr zuflüsterte. Freilich war sie sich nie ganz klar darüber, ob die Stimme, die immerwährend ihr ins Ohr sprach, die Silberstimme eines Engels oder eines Folletto sei.
Während in der Wohnstube Martelli und sein hoher Gast das Gespräch fortsetzten, sucht Cammilla in der Küche nach Saladino. Vorhin hatte er noch auf dem Herde schlafend gelegen. Das hatte sie gesehn; denn nicht völlig dunkel war der unerhellte Raum, – durch ein Fenster legte sich ein schwacher Mondstrahl wie eine weiße Florettklinge auf die Fliesen. Vergeblich ruft Cammilla das Tier, vergeblich sucht sie alle Ecken ab. Dann geht sie in den Flur. Es fällt ihr auf, daß die Haustür offensteht. Und plötzlich begreift sie: Saladino hat sich die Gelegenheit zur Flucht nicht entgehn lassen.
Bestürzt tritt sie vor die Haustür. Leer ist die Piazza. Der Karnevalstrubel – il trionfo della castità – hat wie ein riesenhaftes Saugorgan die Menschen eingeschluckt, eingesogen ins Innere der Stadt. Die Augen des Mädchens flattern, zwei erschreckte Vögelchen, hierhin und dorthin. Da glaubt sie an der Ecke der Via Arazzieri ein Tier vorbeihuschen zu sehn. Es mochte ein Hündchen gewesen sein; – sie aber hält es für ihren Saladino. Im Nu sind alle Ermahnungen ihres Vaters vergessen. Die vergoldeten Saffianschuhe versinken im Straßenschmutz, sie rennt dem Tiere nach.
Daß es eine Illusion gewesen, will sie nicht eingestehn, obgleich die Katze unauffindbar bleibt. Immer weiter läßt das Kind sich fortlocken. Als sie schließlich todmüde an Heimkehr denkt, ist es bereits zu spät: sie weiß den Weg nicht mehr, den sie gegangen war. Und weil sie verirrt ist, muß sie weiter umherirren.
An Cammilla vorbei eilen in der Via San Gallo einige Dirnen und sonstiges Gesindel aus der Gegend des nordöstlichen Stadttores dem Schaugepränge am Domplatz zu. Ungeduldig hören sie Cammilla an, verstehen ihre wirren Worte nicht, setzen ohne Antwort ihren Weg fort. Da sieht sie zwei Männer, welche ihr weniger Eile zu haben scheinen. Und sie schöpft Hoffnung, geht ihnen nach.
Die beiden schreiten schon seit längerer Zeit unschlüssig dort auf und ab, miteinander flüsternd. Der eine, pockennarbig, muskulös, brutal, ist La Delfinas Nachbar, Messer Lelio Marfagnone, der cyprische Koch. Sein Begleiter – klein, schmächtig, mit einem Spitzmausgesicht – wird von ihm Cecco angeredet.
Was die beiden flüstern, wäre für Cammilla – selbst wenn sie die Worte hätte hören können – unverständlich geblieben.
»Schlage es dir aus dem Sinn, Lelio. Ich habe es schon früher versucht; – die Stäbe stehn zu dicht beieinander: ich kann mich nicht hindurchzwängen.«
»Du mußt, und damit basta!«
»Sage mir doch, wie!«
»Was frage ich nach wie! Das ist deine Sache! Mach dich dünner, wenn du nicht dünn genug bist! Schneide dir das Fleisch von den Rippen! Wozu brauchst du Fleisch, wenn du ein Krösus wirst! Der Schmuck ist mehr wert als dein Fleisch! Zapfe dir vom Nabel das Fett ab, Cecco!«
»Wo ist Fett an mir? Zeige es mir doch, bitte! Ich bin der magerste Mensch in Florenz!«
»Darum habe ich dich ja mitgenommen, Dürrbein! Enttäusche die gute Meinung nicht, die ich von deiner Schwindsucht habe. Mach das Kamel schamrot, das sich weigerte, durchs Nadelöhr zu gehn – – – «
In diesem Augenblick hatte Cammilla die Flüsternden eingeholt. Sie packt den cyprischen Koch am Ärmel:
»Hast du Saladino gesehn?«
Geärgert über die Störung, schüttelt Lelio die Kleine ab. Daß sie ein Tanzröckchen trägt, fällt ihm nicht sonderlich auf: in der ausgelassenen Festzeit sind ja Gassentänze von Gassenkindern an der Tagesordnung ...
»Schere dich zum Kuckuck, Puttina! »Was geht dein Saladino mich an. Ist es der Großmogul?«
»Es ist mein Kätzchen. Saladino ist davongelaufen.«
»So laß ihn laufen!«
»Der böse Feind spricht aus dir ...«
»Da kannst du recht haben. Also trolle dich, Klette!«
»Wärst du klug, würdest du mir helfen. Der höchste Engel würde es dir lohnen!«
Während sie sich Tränen von den Wangen wischt, nimmt Cecco den cyprischen Koch beiseite und flüstert ihm ins Ohr:
»Sie hat ihre fünf Sinne nicht – merkst du's denn nicht? Sie wird tanzen, wenn du ihr aufspielst!«
»Was willst du damit sagen?«
»Schau sie doch an, – sie ist schmaler als ich!«
Lelio nickt und hält den Finger an den Mund. Dann wendet er sich – (diesmal freundlicher) – an das weinende Kind.
»Plärre nicht, Püppchen! Ich sah, wie ein Schwefelgeist deinen Saladino holte, und weiß auch wohin. Komm, ich will dich hinbringen. Und wenn du ausführst, was ich dir befehle, so schaffe ich dir Saladino, – müßte ich auch in die Katzenhölle hinabsteigen, um ihn heraufzuholen ...«