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18

Als, vor dem Burgtor, der Neuangekommene seinen Namen »Messer Giuliano da Cipro« genannt hatte, verneigte sich der Torwächter tief vor ihm, geleitete ihn durch den langen dunklen Torgang bis zum ersten Burghof und überantwortete ihn den dort wartenden drei afrikanischen Bravi Lodovicas – (den gleichen, die auf dem Kirchhof bei der Porta San Niccolò Don Pietro gedemütigt hatten). Mit ihren schwarzbraunen Händen Brust und Stirn berührend, begrüßten sie ihn respektvoll und ließen als Zeichen der Wiedersehensfreude aus ihren violetten Negerlippen sechs blanke Zahnreihen hervorblitzen. Einer von ihnen, Achmed mit Namen, gab an, er sei von der Prinzessin beauftragt, den Gast mit den Bräuchen des Schlosses bekannt zu machen und ihm den Weg zur großen Freitreppe zu zeigen, von wo aus man zu den Prunkräumen des Schlosses gelange.

Und Achmed führte den Gast durch einen zweiten Torgang.

Nicht wie ein für Prunkräume herausgeputzter Kavalier sah augenblicklich Giuliano aus – (nichts weniger als das!) –: abgetragen nach langer Reise seine Kleidung, durchlöchert seine Stulpenstiefel, zerschlissen das Bündel auf dem Rücken, grau von Wanderstaub das Gesicht, klobig der knorrige Stab. Durfte er so vor seine Beschützerin treten? ... Im zweiten Burghof öffnete Achmed eine Tür, aus welcher Schwaden von Wasserdampf an die freie Luft emporquollen, aufwärts wirbelnd wie entkerkerte Geister nach langer Haft. Eine bejahrte Badefrau nahm den Ankömmling in Empfang und hieß ihn sich entkleiden – das Bad sei gerüstet für ihn. Das Licht von drei an Ketten herabhängenden silbernen Ampeln spiegelte sich im schwarzen Porphyr der Wanne und im glanzig polierten, zuckerhaft glimmernden Lunesischen Marmor des Fußbodens und der Wände. Wie wenn er ein kleines Kind wäre, seifte die Alte Giuliano ab, rubbelte, scheuerte ihn, trocknete ihm dann die krebsrot geriebene Körperhaut mit gewärmten Laken ab, versah ihn mit feinster Unterwäsche und half ihm, ein bereitliegendes, von der Schloßherrin geschenktes Gewand anzuziehn, das aus Hosen von weißem Brokat, einem Wams von weißem Sammet, weißen Handschuhen, Puffärmeln von weißem Atlas, karminrot geschlitzt, weißen Seidenstrümpfen und Seidenschuhen, einer gestärkten Halskrause und einem spanischen Barett bestand. Und zu guter Letzt tänzelte der Schloßfriseur in die Badstube herein, rasierte Giulianos Gesicht, stutzte sein Haar und begoß ihm den Scheitel so reichlich mit Bittermandelöl, als wollte er ihn zum König salben.

»Ihr habt mich in einen Seidenpudel verwandelt!« lachte Giuliano, als ihm der Friseur und die Alte einen Spiegel vorhielten; und er mußte daran denken, wie ihn Messer Benvenuto Cellini vor Circes Künsten gewarnt hatte.

19

Der Neger – er hatte draußen gewartet – murmelte ein bewunderndes »mâschallâh«, als der so Verwandelte auf den Schloßhof hinaustrat, und brachte ihn jetzt bis an die Freitreppe. Während Giuliano die Stufen emporstieg, blieb Achmed zurück. – Der Weg war ja nicht mehr zu verfehlen: die Saaltüren standen weit offen, hundertstimmiges Gesumm scholl dem Nahenden entgegen. Er durchschritt ein Vorzimmer und machte an der Schwelle des großen, mit Gästen überfüllten Prachtsaales halt. Das also waren die Fuorusciti, die Emigranten, die Todfeinde der Medici! Mehr edelgeschnittene Patriziergesichter erblickte man hier als in den Gassen von Florenz. Wie in Persephones Schattenland begegneten sich Greise hier, die sich seit ihren kampfreichen Jugendtagen nie wieder begegnet waren; halbwüchsige Knaben hatten sich eingefunden, geboren in der Fremde und im Haß gegen Cosmo aufgewachsen. Nur Frauen fehlten ganz; – (eigentümlich, daß die Verschwörer ihre Gattinnen und Töchter zuhause gelassen hatten, – sind doch meist Frauen passionierte Rebellinnen ...)

Was Giuliano besonders verwunderte, war, daß sämtliche Anwesenden in schneeige Seide gekleidet waren – ob jung ob alt, genau solche »Seidenpudel« waren wie er selbst. Lodovica (das erfuhr er später) hatte ihre Gäste mit der gleichförmigen Tracht beschenkt, um zu verhüten, daß verarmte Emigranten – dem Spruch »Povertà non guasta gentilezza« zum Trotz – sich bedrückt und unfrei fühlen könnten in Gegenwart wohlhabend gebliebener Parteifreunde.

Hätte Giuliano es nicht vermieden, Fragen zu stellen, so hätte er sich belehren lassen können, daß die ältesten, angesehensten, durch Bauten, Mäzenatentum oder kriegerische Großtaten berühmt gewordenen guelfischen Geschlechter hier vertreten waren: die Strozzi, Valori, Rondinelli, Salviati, Pazzi, Acciaioli, Albizzi, Ridolfi u. a. m.

Von niemand wurde es bemerkt, daß ein Fremder eingetreten war und sich unter die hundert Verschworenen mischte. Zu viele waren es, als daß sie sich alle untereinander kennen konnten; darum fiel ein neues Gesicht nicht auf. Auch schauten alle gebannt nach der hinteren Langseite des Saales, wo, erhöht – (auf einer Estrade an der von gotischen Fenstern durchbrochenen, mit Standarten und Wappenschildern verzierten Wand) – ein todblasser, ausgemergelter Mann stand, zu welchem viele sich herandrängten, ihm teilnehmend und voll Ehrfurcht die Hand zu drücken.

Giuliano vernahm, was neben ihm zwei Greise sich zuflüsterten:

»Meine Augen sind schwach ... Wer ist das?«

»Baccio Valori, der Sohn des Bartolomeo Valori, den Cosmo im Palazzo Pretorio köpfen ließ. Den Baccio verurteilte er zu lebenslänglicher Kerkerstrafe.«

»Ja, ja, ich entsinne mich! Er saß es ab in der Rocca di Volterra ... Wie kam er denn frei? Hat ihn Cosmo begnadigt?«

»Nein, Matteo Corsi mit seinen Bravi holte ihn kürzlich heraus ... Jetzt erst ist es bekannt geworden, welche Martern Baccio dort erduldet hat! Grausenhaft! Und keiner der Freunde hatte eine Ahnung davon – zwanzig Jahre lang!«

Plötzlich verstummen die Flüsternden; im Saal wird es totenstill. Der Mann auf der Estrade, der mißhandelte Baccio Valori, hält eine Ansprache an die Verschworenen, eine an die Herzen rührende und zum Himmel schreiende Anklagerede. Er schildert seine zwanzigjährigen Leiden in der Rocca di Volterra, er bringt gräßliche Einzelheiten vor von körperlichen Züchtigungen, mit denen brutale Wärter ihn gepeinigt ...

Als er die Ansprache beendet, stoßen die Versammelten wilderregte Flüche und Verwünschungen gegen Cosmo aus. Zwei hochgewachsene, nicht mehr junge Menschen – ein Schwarzhaariger und ein Rothaariger – stürmen die Estrade hinauf, knien vor Baccio Valori und küssen ihm die Hände. Der Schwarzhaarige ruft:

»Bei der Jungfrau Maria und ihrem Kind, dem Himmelskönig, schwören wir Euch, Messer Baccio: bald, bald sollt Ihr gerächt sein!«

Und der Rote fügt hinzu:

»Nur noch eine Woche Geduld, Messer Baccio! ...«

Und wieder hört Giuliano das Geflüster der neben ihm stehenden Greise.

»Wer ist der Schwarzhaarige?«

»Das ist Biagio della Campana, der Drogenhändler.«

»Der dem kleinen Giulio die Giftpille gab?«

»Ihm und dem Rothaarigen hatte Cosmo den Auftrag erteilt. Und dann ließ Cosmo beide foltern!«

»«Wie heißt der Rothaarige?«

»Das wißt Ihr nicht? Das ist ja der Hauptmann Francesco da Mantova.«

»Was? Der sich als Bettler in den Arno stoßen ließ und im Fluß mit dem Duca kämpfte?«

»Beim Maifest mißlang es ihm. Ich hörte, er plane einen neuen Anschlag; – wieder im Arno, wenn Cosmo von der Brücke hinabspringt.«

Ein dritter Gast mengte sich ins Gespräch und bemerkte skeptisch:

»Ich fürchte, es wird wieder mißlingen. Der Kopfsprung ist es, der Cosmo unverletzlich macht.«

»Warum gerade der Kopfsprung?«

»Weil Cosmo schon als Säugling gefeit war. Sein Vater Giovanni delle Bande Nere sah, von der Straße aus, Maria de' Salviati mit dem an ihrer Brust trinkenden kleinen Cosmo am offenen Fenster stehn und forderte sie lachend auf, ihm sein Söhnchen hinabzuwerfen. Sie erfüllte ihrem Gatten den tollen Wunsch, obgleich sich das Fenster im ersten Stockwerk befand, und obgleich Giovanni vom Scheitel bis zu den Zehen in Stahl gepanzert war. Dem Kinde, das schon so früh einen Kopfsprung in die Tiefe machen mußte, geschah nicht das geringste Leid dabei ...«

20

Den Drogenhändler Biagio della Campana und den Hauptmann Francesco da Mantova hatte Giuliano schon früher nennen hören, – freilich nicht im Zusammenhang mit dem Attentat im Fluß. Er entsann sich, daß diese Namen von Lodovica beiläufig erwähnt worden waren, als sie – (damals am Fastnachtsabend vor ihrer Abreise aus Florenz) – im Palazzo Ginori ihm vom »toten Kind« gesprochen hatte. Sie hatte ihn sogar »Totes Kind« angeredet.

Nun, er war das tote Kind nicht und wollte es nicht sein ... Indes, seine Teilnahme war geweckt worden, und darum hatte er sich später von einem Mitgefangenen in der Torre di Nona ausführlicher berichten lassen, welch ein Verhängnis über dem kleinen Medici gewaltet und wie eng verknüpft dessen Schicksal mit dem Schicksal des Geschlechtes Massa-Carrara war. Ein schwarzes Blatt aus einer schwarzen Chronik hatte die Erzählung des Mitgefangenen vor Giulianos Augen hingebreitet.

Lodovicas Oheim, Kardinal Innocenzo Cybò, und der berühmte Verfasser der Geschichte Italiens, Francesco Guicciardini, hatten Cosmo zum Thron verholfen und waren baß erstaunt gewesen, als nach kurzer Frist der kaum erst achtzehn Jahre alte Knabe – das Jünglingsalter überspringend – zum Mann und Staatsmann herangereift war. Mentorschaft war weder vonnöten noch erwünscht. Guicciardini hatte von Cosmos Dankbarkeit erhofft, er werde seine Tochter Lisabetta heiraten; daß seine Lisabetta, statt die Lilienkrone von Florenz zu tragen, dem Tuchhändler Capponi zum Altar und ins bescheidene Haus folgen mußte, wurde des Alten unheilbares Herzeleid ... Die beiden Greise zogen sich zurück; Guicciardini schwieg, ein vom Geschick Geschlagener; und Cybò polterte in seinen vier Wänden, nannte sich selbst einen Dummkopf.

Verwandt waren die Häuser Cybò und Medici. Dem Sohne des Papstes Innocenz VIII. – (dem öffentlich anerkannten Sohne des Papstes!) –, Franceschetto Cybò, hatte Lorenzo il Magnifico seine Tochter Maddalena zur Frau gegeben. Eins der Kinder aus dieser Ehe war der Kardinal Cybò; sein Bruder Arano Cybò wurde Fürst von Massa-Carrara durch seine Verehelichung mit Ricciarda Malaspina, der Mutter Lodovicas.

Machtgier war die Schwäche des Kardinals, der eines Papstes Enkel und eines andern Papstes – Leos des Zehnten – Neffe war. Die Zügel des Staatswagens, die er durch Begünstigung der Wahl Cosmos zu halten gehofft hatte, waren seiner Hand entglitten. Nun sann er darauf, die Macht zurückzuerlangen. Es gab ja außer dem jungen Duca noch einen um fünfzehn Jahre jüngeren Medici, der sich leichter würde leiten lassen. Das Florentiner Volk hätte lieber Giulio, den kleinen Bastard des durch Lorenzino de'Medici ermordeten Duca Alessandro de'Medici, auf dem Thron gesehn; – mit Selbstvorwürfen überhäufte sich der Kardinal, daß er auf des Volkes Stimme nicht gehört, daß er auf die falsche Karte gesetzt hatte. Doch noch war es nicht zu spät. In kurzem Zeitraum hatte der kalte, gegen sich, aber auch gegen andere strenge Cosmo mehr Feinde als Freunde erworben. Zu viele seiner über die Grenze entwichenen, dann aber vom genialischen Filippo Strozzi, dem Freund der Kurtisanen, und Bartolomeo Valori zu einem aussichtslosen Putsch verführten, bei Montemurlo besiegten und gefangen genommenen Gegner waren mit Wissen und Willen Cosmos im Palazzo Pretorio geköpft worden. Wenn es Cybò gelang, Giulios habhaft zu werden, so ließ sich das fünfjährige Kind gegen den jungen Fürsten ausspielen.

Die Umstände förderten Cybòs Pläne. Vom Kaiser und vom Papst war Giulios Stiefmutter (die spätere Statthalterin der Niederlande) mit dem Farnese verlobt worden und zeigte wenig Neigung, mit einem (nicht einmal blutsverwandten) Kinde den Einzug in Parma zu halten. Kardinal Cybò, der gut mit Margarete stand, erbat sich von ihr den Knaben. Der Zufall wollte, daß gerade damals Maria de'Salviati, Cosmos Mutter, sich der Verwandtschaft entsann und es ungehörig fand, daß ein kleiner Medici, statt bei seinen nächsten Anverwandten, in der Fremde weilte. Es wurde vereinbart, daß ein Diener Cosmos das Kind aus Prato abhole. Überaus freundlich wurde Giulio von Maria de'Salviati empfangen. Sie ließ ein Zimmer neben ihrer Schlafkammer für ihn zurechtmachen, ließ ein Kinderbett aufstellen, schickte eine Kammerfrau Spielzeug zu kaufen. Als aber gegen Abend ein Lakai des Kardinals das Kind abholen kam, wußte sie nicht, wie sie sich verhalten sollte. Cosmo war für einige Tage verreist. Sie kannte seine Wünsche nicht, sie wußte nicht, ob ihr das Recht zustehe, die Herausgabe des Kindes zu verweigern ...

Seitdem wohnte der kleine Giulio im Palaste des Kardinals. Heimgekehrt schalt Cosmo seine Mutter; – das Geschehene indes konnte er nicht rückgängig machen, wenn er nicht (und weil er nicht) Gewalt anwenden wollte ... Und bald verlautete allerlei Abenteuerliches aus dem Hause des Kardinals: das Kind werde wie ein kleiner Duca gekleidet, und viele kämen, fast täglich kämen welche, ihm zu huldigen ... Selten genug gestattete Cybò, daß Giulio – eingeladen von Maria de'Salviati – den Palazzo Medici betrat; tat er es, so wich ein Begleiter nicht von der Seite des Knaben und hinderte, Speisen, Süßigkeiten und Getränke zu sich zu nehmen, gleichsam als stammte dort alles Genießbare aus der Fonderia, der berüchtigten Apotheke der Medici.

Kein Wunder, daß das übel vermerkt ward ... An Ohrenbläsern fehlte es nicht, die in beiden feindlichen Lagern für liebe Freunde galten. Es wurde in der Via Larga bekannt, daß des Kindes Speichellecker zu sagen pflegten: »Ja, wenn du erst groß sein wirst, Giulio, ja dann – dann wirst du dein Vatererbe dem Usurpator entreißen!« ... Und der kleine Bastard, hieß es, habe sich gebrüstet: einst werde er im Palazzo Medici herrschen und Cosmo werde er zu seinem Hofnarren machen ... Statt über solche Kindlichkeiten zu lächeln, erboste Maria de'Salviati und äußerte: zu anständig sei ihr Sohn; – jeder andere Fürst hätte längst dem Bastard den Mund gestopft. Und dann sprach sie vom Brückenbau der Etrusker, welche ein Kind einmauerten, damit die Pfeiler hielten.

In der Wut war das gesprochen. Dienerohren überhörten die Wut und meinten, eine Aufforderung vernommen zu haben. Wenige Tage hernach wurde am Kind ein Vergiftungsversuch unternommen, der jedoch mißlang.

Der Kardinal forderte den Duca auf, die beiden Giftmörder, den Drogenhändler Biagio della Campana und den Hauptmann Francesco da Mantova, vor Gericht zu stellen. Wollte Cosmo nicht selber als Anstifter gelten, so mußte er die Schuldigen den Quarantotto im Palazzo Vecchio zur Aburteilung ausliefern. Was die beiden in der Folterkammer eingestanden haben, ist nie bekannt geworden. Der Todesstrafe entgingen sie, weil Giulio dem Tode entgangen war. Und schon nach einem Jahr sorgte Cosmo dafür, daß sie – (scheinbar mangelhaft beaufsichtigt) – aus der Torre di Nona ausbrechen konnten.

Inzwischen hatte Cybò das Kind in Sicherheit gebracht, wohl einsehend, daß es in Florenz nie mehr sicher sein könnte. Der Witwe seines Bruders Arano Cybò, der Fürstin Ricciarda Malaspina, Herzogin von Massa-Carrara, gab er Giulio in Obhut. Ricciarda – Tochter des Alberico Malaspina und der Lucrezia d'Este – war in erster Ehe mit dem Genueser Conte Scipione Fieschi vermählt gewesen und hatte von ihm mehrere Landsitze und Burgen an der Ligurischen Küste geerbt. Durch ihren zweiten Gatten, Arano Cybò, war ihr Marquisat Massa zum Fürstentum erhoben worden; – das geschah, als er seinen griechischen, von der Insel Rhodos herstammenden Familiennamen für den weit älteren und klangvolleren Namen Malaspina eintauschte.

Doch der Palazzo Ducale in Massa blieb meistens verschlossen, und Staub fiel auf die eingemotteten, mit Musselin überhüllten Möbel; denn seit Aranos Tod zog Ricciarda vor, mit einem kleinen Hofstaat und ihrem entzückenden Töchterchen Lodovica die romantischeste der ihr gehörenden Seeburgen, das Castello delle cento camere, zu bewohnen. Dorthin ließ der Kardinal den Knaben bringen. Und Ricciarda, die eine Todfeindin Cosmos war, nahm den kleinen Gast, den Altersgenossen Lodovicas, mit Jubel auf und gab ihm Sprachlehrer und Lehrer der Kriegskunde, um ihn zum Fürsten von Florenz heranzubilden.

Scheinbar huldvoll hatte das Geschick Giulio den Giftbecher erspart, um ihm einen bittereren Kelch nicht zu ersparen. Daß Papst Paul III. zum Kreuzzug gegen die Türken aufrief, hatte die mohammedanische Welt aufgestachelt. Des Kaisers Zug nach Tunis war ein Mißerfolg, eine bluttriefende Dummheit gewesen. Frecher als vordem wagten sich die Korsaren vor. Der große Andrea Doria – selber ein Haifisch des südlichen Mittelmeeres – sprach mit bewundernder Hochachtung von seinem Rivalen Chaireddin Barbarossa, dem lesbischen Renegaten, dem König des algerischen und tunesischen Seeräuberstaates. Nachdem vor Tunis so viele Genueserschiffe verloren gegangen, vermochte Andrea Doria nicht zu hindern, daß Chaireddin Barbarossa – (allerchristlichst gerufen von Frankreichs grand roy très-chrétien) – Nizza zerstörte, daß er mit seiner Korsarenflotte den Hafen von Genua blockierte und gleich darauf die unbeschützten Küsten Liguriens, Carraras, Toscanas bis zu den Maremmen hinab aufs entsetzlichste brandschatzte.

Der Osterwoche wegen hatte sich Ricciarda mit ihrem Töchterchen Lodovica in ihre Hauptstadt Massa begeben: einmal im Jahr genügte sie ihrer Herrscherpflicht und zeigte sich ihrem Volke. Die nächtliche Ostermesse im Dom wurde ihre und ihres Kindes Rettung. Die Algerier überfielen in dieser selben Nacht das Castello delle cento camere, steckten die ausgeraubte Burg in Brand und schleppten Männer, Frauen und Kinder – sofern sie nicht beim verzweifelten Widerstand abgeschlachtet worden waren – auf ihre von Fackeln und von der Riesenfackel der lodernden Burg rotbeleuchteten Schiffe.

»Was aus Giulio geworden war, erfuhr man nicht. Das aber verlautete etliche Monate hernach, daß Barbarossa vom Beutezug an der norditalienischen Küste fünftausend Sklaven nach Konstantinopel brachte ...

Lange ehe diese Nachricht eintraf, wurde vor Livorno auf offener See ein Fischerboot gefangen. Die Korsaren, die das Boot aufbrachten, taten den Fischern nichts zu leide, befahlen ihnen aber, eine verschlossene Truhe nach Florenz zu schaffen und sie Cosmo zu übergeben als ein Geschenk Barbarossas. Das geschah. Als Cosmo, Böses ahnend, die Truhe in Gegenwart des Kardinals Cyb öffnen ließ, befand sich darin die Leiche des kleinen Giulio.


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