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Endlich hat Giuliano die Taverne verlassen und ist in die Via de'Ginori hinausgetreten. Nach wenigen Schritten in der engen, lichterlosen, vom Mondreflex der Dachgesimse schwach erhellten Gasse wird er von einer silbergrauen Jünglingsgestalt angeredet. Eine samtene Halbmaske deckt Lodovicas Gesicht, läßt aber ihren Mund und ihr Kinn frei.
»Schon lange stehe ich hier auf Schildwache, Giuliano!«
»Wer bist du, Maske?«
»Eine Frau. Dir eine Freundin, obgleich du mich nicht kennst. Ich bin die Fürstin Lodovica Malaspina.«
»In dieser Gasse? ... um diese Stunde? ... und nicht ein Straßenräuber? – Es wäre leichter zu glauben, Maske! ...«
»«Was ist an dir zu rauben, Giuliano?«
»Laß mich dein Gesicht sehn, Maske!«
»Gern ... Da schau!«
»Ja! ... Ihr!! ... Bei allen Heiligen! ... Ihr selbst ...«
»Du sahst mich wohl schon einmal? Wo?«
»Am Mercato Nuovo. Der Duca legte Euch seinen Mantel um.«
»Dann also kannst du begreifen, wie teuer mir Don Pietro ist. Und weil ich ahne, welche Gefühle du für den Lumpen hast, der sich nicht schämte, die Signorina Donna Faustina so rüde zu beschimpfen, will ich dir eine Freundin und Helferin sein!«
»Ihr, Signora Principessa! ... ich kann es noch immer nicht fassen ... Und Ihr habt hier auf mich gewartet! ... in dem Eiswind ...!«
»Ich sah durchs Fenster der Taverne, wie der Wirt vertraulich mit dir sprach. Hat er dich gewarnt?«
»Wovor?«
»An der Rapierklinge Don Pietros sei Leichengift, sagte er.«
»Eben das wollte ich dir sagen. Du darfst heute nacht mit Don Pietro nicht fechten!«
»Heute nacht? Wird er dort sein, wohin ich gehe?«
»Ja, auf dem Friedhof. Er und die andern. Sie verabredeten sich hier in der Gasse. Nicht der Kurtisane wegen eilten sie heraus – das war nur Vorwand ... Einen kindischen Possen wollen sie dir spielen, wollen dir einen Todesschrecken einjagen.«
»Hm ... Auch der Wirt meinte das.«
»Ich gehe mit dir, Giuliano. Wir werden den Spöttern den Spott versalzen. Meine drei Neger harren auf den Befehl, ihre Musketen zu laden. Doch bevor ich sie heranpfeife, mußt du mir einige Fragen beantworten. Was ist es mit dem Gerücht, du seist ein Lusignan?«
»Wahnsinnig ist das Gerücht, Signora Principessa.«
»Wer bist du?«
»Ich weiß es nicht, Principessa.«
»Du kennst deine Herkunft nicht?«
»Nein. Als kleines Kind kam ich nach England und wurde dort erzogen.«
»Und wie kamst du nach Cypern?«
»Ein Schiffbruch verschlug mich dahin.«
»Und warum hältst du dich in Florenz auf, wo kein dir Nahestehender lebt?«
»Ein Mann brachte mich nach Florenz. Er starb, und ich blieb allein ...«
»Du antwortest einsilbig, Giuliano ... War er dein Herr, daß er dich mitführen konnte wie einen Pudel? Warst du sein Sklave?«
»Nein. Doch Dankbarkeit versklavt. Er verhalf mir zur Flucht aus Cypern.«
»Wie hieß der Mann?«
»Malatesti.«
»Was?! ... Ist das möglich? ... Malatesta, Malatesti?«
»Nein – der kam in Cypern um. Sein Bruder war es: Jacopo Malatesti.«
»Und warum mußtest du aus Cypern fliehen?«
»Weil ich ein Mädchen ermordet hatte.«
»War das die Contessina Violetta ...?«
Entsetzt ist Giuliano stehngeblieben. Und er steht, gleichsam in einen Eisblock verwandelt, regungslos da.
Mit bebenden Lippen fragt er:
»Das wißt Ihr?! ... Woher wißt Ihr das? ...«
Lodovica beantwortete seine Frage nicht. Genugtuung strahlt in ihrem forschenden Blick, mit dem sie seinem erfrorenen Blick begegnet.
»Oh! jetzt wird mir vieles verständlich ... Sprachst du darum' von Gespenstern in dir? Lebst du darum in der Hölle, Giuliano?«
»Ja, darum.«
»Komm, laß uns ausschreiten. Wir werden noch viel darüber zu reden haben, Giuliano!«
Schweigsam hasten die Fürstin und ihr Schützling durch die in Schlaf sinkende Stadt. Nicht ungefährlich ist es ohne Begleitung von Fackelträgern in den stockfinstern Gassen. Es wundert Giuliano, daß er die drei Neger nirgendwo sieht; hatte doch Lodovica mit leisem Pfiff ein Zeichen gegeben; falls sie folgen, tun sie's in großer Entfernung oder in einer parallelen Gasse ... Seine Verwunderung auszusprechen, ist er zu scheu – und eben jetzt auch zu geistesabwesend: mehr beschäftigt ihn die rätselhafte Entdeckung, daß die Fürstin über sein schmerzliches Erlebnis Bescheid weiß; und er vermag sich's nicht zu erklären, auf welche Weise sie in den Besitz seines Geheimnisses hat kommen können.
Doch so gedankenvoll neben ihr her zu gehn, erscheint ihm nachgerade unhöflich. Als sie in der Via Gori San Lorenzo im Rücken haben, erkundigt er sich, ob denn nicht in der Sagrestia nuova alle toten Medici beisammen seien? Worauf Lodovica ihn belehrt: die zum Thron gelangten Medici und zwei Päpste lägen dort; vielleicht werde auch Cosmo, obgleich er einem Seitenstamm des Geschlechtes angehöre, sich in San Lorenzo einst bestatten lassen; die Särge aber seiner Verwandten und Ahnen ständen alle in der Grabstätte auf dem San Niccolò-Friedhof.
Das kurze Gespräch bricht damit ab und längere Zeit wandern beide wieder stumm nebeneinander her. Erst als sie aus dem Gäßchengewirr heraus ans Arnoufer und, den Ponte delle Grazie überschreitend, in die Proletariergegend des Borgo San Niccolö gelangen, stellt Lodovica die unerwartete Frage:
»Ist es wahr, Giuliano, daß die Tochter des cyprischen Kochs deine Braut ist?«
»Das behauptet ihr Vater, Principessa.«
»Sonst niemand? ... Und was sagst du?«
»Ich lache ...«
»Mit Lachen streift man eine Zecke nicht ab, Giuliano. Eine eiserne Bürste tut dir not ...«
»Auch ein Kamm, Principessa. Denn mit Ungeziefer habe ich gelebt ... Die Inder freilich haben sogar Mitleid mit dem Ungeziefer in ihren Haaren ... Ich bin ein guter Teufel, Principessa.«
Das Ziel der Wanderung ist endlich erreicht. Lodovica und Giuliano treten in den Friedhof ein und schreiten, an zahllosen Grabkreuzen und uralten Zypressen vorbei, dem Erbbegräbnis zu, dessen marmorne Bogenhalle bläulich durch die Nacht schimmert. An die nordwestliche Ecke der Umfassungsmauer ist die Grabstätte angelehnt. Nicht weit davon ragt eine kleine Friedhofskapelle auf. An eine Wand der Kapelle angebaut ist ein mit Totenschädeln angefüllter »ossario«: ein Beinhaus.
Die schmalen Pfade zwischen den Erdhügeln zu unterscheiden, wird den Gehenden nicht leicht, die Kreuze und die Kapelle tauchen wie aus einem milchigen Dunstkreis empor. Das Licht der dichtgedrängten Wintersterne und der Mondsichel, ebenfalls mit fahlen Duftschleiern überzogen, schießt keine Strahlenbündel, sinkt flockenhaft milde herab und macht die Grabeswelt zur geisterhaften Zauberlandschaft.
Schon hält Giuliano den Schlüssel in der Hand, schon will er eben das große bronzene Gittertor der Grabstätte aufschließen. Da plötzlich stutzt er und lauscht. Auch Lodovica hat Stimmen gehört. Vom Eingang des Friedhofs her nahen Menschen ... Wortlos eilen Lodovica und Giuliano der Kapelle zu und treten hinein, dort sich zu verbergen.
Durch die offene Kapellentür beobachten sie; drei Gestalten sind es, die herankommen: zwei Männer und ein Kind. Als sie ganz nahe an der Kapellentür vorbeigehn, erkennt Giuliano den einen der Männer und flüstert der Fürstin zu:
»Der rechts ist der cyprische Koch!«