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Glücklich war auch Cosmo nicht. Hätte er Tränen zur Verfügung gehabt, er hätte sie in jenen Tagen vergossen. Die jüngsten Nachrichten seines in Rom lebenden Sohnes klangen wenig zuversichtlich, daß es noch gelingen könnte, die herzogliche Lilienkrone in eine Königskrone zu verwandeln. Die Klippen, daran die Bemühungen des Kardinals Medici scheiterten, waren Semiramide und die Ermordung Sforzas. Eine letzte Hoffnung setzte Cosmo darauf, daß die Trennung von seiner Krähe den prüden Papst versöhnen werde. Auch diese Hoffnung zerrann, als ein Handschreiben Seiner Heiligkeit eintraf. Ohne die Namen Sforza und Semiramide zu nennen, deutete der Papst an, im Escorial und in der Hofburg hätten gewisse Vorkommnisse der jüngsten Zeit Anstoß erregt, und darum seien der Kaiser und der König von Spanien gegen eine Königskrönung Cosmos; sie hätten jedoch eingewilligt, daß der Heilige Stuhl ihm den Titel und den Rang eines Großherzogs von Toscana verleihe.
Ein Keulenschlag! Ausgeträumt der Königstraum! ... Das hochmütige Maskengesicht verriet nicht, wie sehr das schmerzte. Den Zusammenbruch seiner Luftschlösser verdankte er seinen feindlichen Kindern, – und gerade jetzt söhnte er sich mit seinen großherzoglich gewordenen Kindern aus ...
Zwei Jahre vergingen. Zwei neue goldköpfige Nägel schlug der alte Granduca ins Nagelbrett; aus alter Gewohnheit nur noch, denn auf einen Brutus wartete er nicht mehr. Gicht plagte ihn, zuweilen auch Atemnot: mit seinem Herzen stand es nicht zum besten ... Nach wie vor blieb Poggio a Caiano seine Residenz. Auf Weltabgeschiedenheit hatte er verzichtet, Besuchern war sein Tusculum nicht verschlossen mehr, und oft nahm er für ganze Wochen im Palazzo de'Pitti Wohnung, – nicht gerade zur Freude Francescos, da das Volk von Florenz den alten Sünder – mitsamt allen seinen Fehlern – mehr verehrte (ja sogar liebte) als den unbedeutenden Sklaven der Bianca Cappello.
Allem Anschein nach war das Bild der Seiltänzerin Cammilla Cosmo entsunken, wieder hinabgesunken in die Schutthalde verschütteter Erinnerungen. Er wollte es vor sich selbst nicht wahr haben, daß er ihretwegen Semiramide verstoßen, er redete sich vielmehr ein, er habe es aus Rücksicht auf Rom und Madrid getan, er habe wählen müssen zwischen Semiramide und der erhofften Krone ...
Zwei Jahre waren vergangen, als er auf eine absonderliche Weise an Cammilla gemahnt wurde. Außer mit Botanik, seiner besonderen Liebhaberei, beschäftigte er sich viel mit archäologischen Studien. Unter Anleitung des großen Gelehrten Pier Vettori (der der Rektor des Florentiner Gymnasiums gewesen war und dem verurteilten Filippo Strozzi im Gefängnis Plutarch und Polybius vorgelesen hatte) beteiligte sich Cosmo an Ausgrabungen – wie er es in vergangenen Zeiten auch schon gern getan, sofern ihm seine Fürstenpflichten Muße dafür ließen.
Mit Pier Vettori und einem kleinen Gefolge von Höflingen – darunter seinem neuen Haushofmeister, Sforzas Nachfolger, Signore Lamberto Mondragone –, war Cosmo bei der Öffnung eines altetruskischen Felsengrabes zugegen. Seit mehr als zweitausend Jahren hatte kein menschlicher Fuß die geheiligte Stätte betreten, hatte kein menschliches Auge gesehn, was jetzt beim Flackerschein von Wachsfackeln Form und Farbe annahm, aus ewiger Nacht zum Dasein erwachend. Aus drei niedrigen Kammern bestand das Grab. Daß goldene Totengaben schimmernd umherlagen, mochte noch das wenigst Wunderbare sein. Wie von Efeu waren die Grabwände dicht überwachsen von der unheimlichen weißblätterigen Skelettpflanze, die nirgendwo außer in der unmittelbaren Nähe von Leichen Wurzel schlägt. Inmitten jeder Wand ragte eine armdicke, aus Stein gemeißelte Schlange in den Raum herein, wie um die Leiche vor Frevel zu schützen. In der dritten, hintersten Kammer befand sich ein Sarkophag. Als Cosmo den schweren Granitdeckel hatte abheben lassen, überraschte, überwältigte ihn und seine Begleiter ein schier märchenhafter Anblick. Der Atem stockte ihnen allen, sie waren gelähmt vom Wunder, wagten nicht zu sprechen, wagten nicht sich zu bewegen. Ein etwa siebzehnjähriges Mädchen lag da im Sarge, völlig unversehrt vom Tode, wie wenn es noch lebte, wie wenn es sich eben erst zum Schlaf niedergelegt hätte. Es war ein so unfaßliches Wunder, daß jeder, der es sah, eine Sinnestäuschung zu haben meinte. Und instinktiv fühlten sie alle, daß ein bloßer Hauch oder eine leise Erschütterung das herrliche Traumbild wegblasen würde.
Wohl fünf Minuten dauerte die sprachlose Ergriffenheit. Und dann war es Cosmo, der den Bann brach, indem er Pier Vettori flüsternd fragte: ob er nicht auch finde, daß die Schönheit der Toten geradezu überirdisch sei und den Liebreiz aller griechischen Skulpturen übertreffe? – Vettori nickte zustimmend mit dem Kopf, noch immer unfähig zu sprechen. – Und Cosmo fuhr fort: so überirdisch schön sei ein Mädchen, das er kenne; und seltsamerweise gleiche jenes dieser zauberhaften Mumie zum Verwechseln ... Ja, ihm sei zumute, als foppe ihn eine teuflische Gaukelei, er könne es nicht glauben, daß dort im Sarg nicht die Lebende liege, überzeugen müsse er sich, daß sie wirklich tot sei! ...
Und bevor Vettori ihn zurückhalten konnte, ging Cosmo auf den Sarg zu und rührte an die langnäglige milchweiße Mädchenhand. Im selben Moment schwand das wundervolle Gaukelbild und dalag ein Haufen Staub. So im Nu verwandelt sich eine Glasträne, deren äußerste Spitze abgebrochen wird, in mehlfeinen Staub.
Ein Jammerschrei entfuhr Cosmos Lippen, – Unwiederbringliches hatte seine Wissensgier vernichtet. Doch wie sehr auch er gegen sich erbost war, er ließ sich bald vom alten Archäologen trösten: die ephemere Schönheit der Toten hätte sich sowieso nur kurze Zeit in einem luftdicht verschlossenen Glassarg erhalten lassen ... Und um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, stellte Pier Vettori eine Frage – (die mancher aus Takt unterdrückt hätte; während er, der Cosmo stets ›mein Sohn‹ anredete, sich alles herausnehmen durfte) – er fragte beiher: wer denn die überirdisch-schöne Lebende sei? – Mit Cosmos einsilbiger Antwort ›eine gewisse Cammilla‹ wußte Vettori nichts anzufangen. Jetzt aber mengte sich der Haushofmeister Mondragone ins Gespräch. Wenn Seine Eccellenza die Tochter des Kleinen Walfisches meine, so müsse auch er sagen: die Ähnlichkeit mit der toten Etruskerin sei überraschend gewesen. Er kenne Cammilla Martellis Gesichtszüge genau, da er erst vor wenigen Tagen ein ganz unglaubliches Abenteuer Cammillas als Augenzeuge miterlebt habe, nämlich ihre Vermählung mit einem Esel.
Was dann – auf Wunsch von Cosmo – der phantasiebegabte Mondragone von der tollen Eselhochzeit vorbrachte, war humorvoll ausgeschmückt und klang wie Fabelei, hatte aber doch einen wahren Kern.