Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18

Einen Augenblick schien es, als wollte Giuliano ihr nacheilen. Doch da trat ihm von neuem der Kleine Walfisch in den Weg und zog tief den Hut vor ihm. Noch ganz in Gedanken, lächelte Giuliano den buffonesken dicken Herrn an und zeigte auf das mit Leckereien bedeckte Brett, welches wie ein beinloses Tischchen ihm vor der Brust hing, an einem um den Nacken geschlungenen Riemen befestigt.

»Was wünscht Ihr, Signore? Brezeln? Hirsekuchen? Waffeln? Hier habe ich auch Oliven und Kapern ... Sehr zu empfehlen ist der gebackene Stockfisch. Oder begehrt Ihr gezuckerte Früchte?«

»Nichts hiervon, Signore! Nichts begehre ich, was die Zähne – diese beinernen Mühlsteine – zermahlen, zerknirschen, zermalmen und zerstampfen; was die Zunge – diese in uns hausende Schlange – umringelt, umzingelt, beleckt, befeuchtet und drosselt; was die Kehle – dieser Kraterschlund oder Wirbelschlund – einzehrt, einverleibt, eingräbt und einkellert; was die Magensäfte – diese unsere acherontischen Fluten – in Fäulnis und Moder verwandeln in den unterirdischen Gewölben des Leibes ... Nein, o nein! Ich begehre die Ehre Eurer Bekanntschaft, Signore.«

»Warum nicht Oliven, Signore? Die schmecken doch besser. Ich bin ungenießbar. Was wollt Ihr mit mir anfangen?«

»Euch in die Akademie der Stravaganti einführen, von denen ich beauftragt wurde, dem heldenmütigen Retter der Prinzen – – –«

»Laßt gut sein, Signore! ... Verzeiht, Signore, ich tat gestern, was jeder andere auch hätte tun können, – das ist wirklich nicht der Rede wert ...«

»Es ist ein Denkmal aus Erz oder Marmor wert! Jawohl, wert ist es, daß ein Dichter Euch in einer Ode verherrlicht! – wert, daß ein Sternbild nach Euch benannt wird ... Ja, mehr noch als das: die Akademie der Stravaganti hält Euch für würdig, einen Platz in ihren Reihen einzunehmen.«

»Signore, mein Platz ist auf der Straße: ich bin ein Straßenhändler ... Wer sind die Stravaganti?«

»Euer Gnaden belieben zu scherzen! Das wißt Ihr nicht? Wo habt Ihr denn gelebt? Habt Ihr auf dem Monde Lavendel gesucht oder in den Tiefen des Weltmeeres Pulpe gejagt? Ihr kennt nicht unsere Akademie? Ihr wißt nicht, daß wir die Verschrobenen, Überspannten, Tollen, Seltsamen, Närrischen sind? Ihr wißt nicht, daß einer der Unsern zu werden schwerer ist, als den Großmeister aller Flöhe zu knicken oder zu knacken? Ihr wißt nicht, daß es schwerer ist, die Bedingungen zur Aufnahme in unsere Akademie zu erfüllen, als durchs berühmte Nadelöhr zu kriechen ...?«

»Welches sind die Bedingungen, Signore?«

»Nur wer eine Heldentat vollbracht hat und drei unwiderlegbare Wahrheiten vorzubringen imstande ist, wird aufgenommen.«

»Mein Unglück war immer, daß ich nicht lassen konnte, Wahrheiten zu sagen. Vielleicht wird es diesmal mein Glück sein. Versuchen kann ich es ja ... Führt mich also hin!«

19

An diesem Morgen wurde in der alten Kirche S. Lorenzo ein Dankgottesdienst für die Errettung der Kinder des Duca zelebriert. Er selbst, in der Tracht der Stefansritter – der Ordensritter »di Santo Stefano papa e martire« –, im funkelnden Stahlpanzer und mit spannenlangen schwarzgoldenen Sporen, bezeugte durch seine Anwesenheit und seine sichtbare Andacht dem Florentiner Volke, welch ein Wunder in der vergangenen Nacht der Weltlenker an den Medici vollbracht hatte.

Offenbar: Gott liebte die Medici. Aber das Volk liebte die Medici nicht sonderlich ... Trotzdem hatte Cosmo durch eine fünfundzwanzigjährige weise und gerechte Regierung und durch seinen vorbildlichen, auf Kosten seiner Gesundheit unermüdlichen Fleiß sich Achtung, ja sogar Liebe ertrotzt bei den Florentinern, welche ihm das Gedeihen und den Wohlstand der von Serenadenklängen durchtönten Stadt dankten. Die aber an den Serenadenklängen nicht teilhaben durften, die Demokraten, die Schwarzen (d. i. die guelfisch Gesinnten), genötigt, als Flüchtlinge und Emigranten außerhalb Toscanas zu leben, Attentate zu planen und von sieghafter Rückkehr zu träumen, – die verbreiteten im Volke böse Märchen über die Medici.

Ein solches Märchen – hübsch und Schaden bringend wie ein gifthauchender Schmetterling – leitete den Reichtum und das Ansehen der Medici her von einem Pakt, den vormals ihr Urahn mit den Dämonen sollte geschlossen haben. Als Entgelt für den Verkauf seiner Seele sei ihm der Pfad gezeigt worden in ein unterirdisches Land, wo auf einem Baum ein rostschwarzer Adler saß mit grellweiß aus dem Gefieder vorquellenden Frauenbrüsten. Heimlich von der Milch aus den Brüsten des Adlers trinkend, waren seitdem alle Medici mit satanischer Magie begabt: für die verscherzte himmlische Seligkeit erlangten sie die irdische Seligkeit, Liebe der schönsten Frauen und Herrschermacht.

Und ebenso gehässig lauteten andere Märchen, die von der berühmten Fonderia de'Medici – (dem Laboratorium nämlich in den Kellerräumen des Pittipalastes) – zu berichten wußten: ein Kindergespenst gehe dort um, der Spuckgeist eines ermordeten fünfjährigen Mediciprinzen. Weltbekannt war die Fonderia nicht nur wegen ihrer wirksamen Medikamente und wollüstigen Parfüms, nicht nur wegen des die Haut verjüngenden Jasminpulvers und der grünen Salbe, die Cosmo an alle befreundeten Herrscherinnen zu versenden pflegte. Auch das überall, diesseits und jenseits der Alpen, Grauen erweckende venenum atterminatum, das langsam wirkende markaufzehrende Gift, wurde – (wollten die Märchenerzähler wissen) – von einem fürstlichen Giftkoch bereitet ...

Tatsächlich hielt sich Cosmo – selbst wenn er von Staatsgeschäften überlastet war – täglich mindestens eine Stunde lang in der Fondería auf. Daß er sich seit Jahren damit abgab, die chinesische Erfindung des Porzellanbrennens neuzuerfinden, wußte kein Mensch. Denn kein Mensch hatte Zutritt zu seiner geheimnisvollen Welt der Phiolen und Retorten. Zeugen seiner Arbeit waren nur ausgestopfte Vögel und gedörrte Reptilien, vor allem aber weißlich gelbe, des Chlorophylls beraubte Kellerpflanzen, die er in Töpfen hegte und pflegte. Es war mehr als spielerische Liebhaberei, daß er Naturwissenschaften – Chemie, Zoologie und Botanik – trieb wie ein Gelehrter. Mochte er als Sänger (er hatte eine vielbewunderte Stimme), mochte er auch als Maler ein Dilettant sein; unter Kräutern und Pflanzen kannte er sich aus wie kaum einer seiner Zeitgenossen. Der Umfang seiner Bildung war wie eine große Bannmeile: schier unabsehbar. Sein Gedächtnis war stupend.

20

Zu früherer Stunde als sonst wollte sich Cosmo heute ins Laboratorium begeben, um für Faustina ein Pflaster zu bereiten. Ohnmächtig hin und her geschleudert im dahinrasenden Gefährt, hatte sie sich nämlich eine kleine blutende Kopfwunde zugezogen, die der Pastetenverkäufer beim Schein der Laterne nicht hatte sehn können, die später erst im Palast entdeckt und verbunden worden war.

Eben hatte Cosmo das Stefansritter-Ornat – Mantel, Harnisch und Goldsporen – abgelegt und war im Begriff hinabzusteigen, als ihm der große Gelehrte Pier Vettori gemeldet wurde. Wenngleich etwas ungeduldig, empfing ihn Cosmo in seinem getäfelten, mit einem kleinen Judith-Bilde Botticellis geschmückten Cabinetto. Wenige standen seinem Herzen so nahe wie dieser alte Mann, dieser immer begeisterte fanatische Archäologe mit den leuchtenden Augen und der silbrigen Löwenmähne. Wie Andrea Doria den Kaiser Karl V., so pflegte der Alte den so hochmütigen, so unnahbaren Duca zu duzen und »figliuolo«, »Sohn«, anzureden. War dies verwunderlich, so war noch merkwürdiger, daß Cosmo ihn »Vater« nannte, – ihn, der einst den liederlichsten und begabtesten der Republikaner, den nach der Rebellenniederlage bei Montemurlo mit 430 gefangenen Gesinnungsgenossen zum Tode verurteilten Filippo Strozzi, Vittoria Colonnas Freund, tagtäglich im Gefängnis besuchte, als Tröster ihm Plutarch und Polybius vorlas, – bis zu jenem Morgen, da in der Zelle Strozzi mit durchschnittener Kehle und neben der Leiche ein Zettel aufgefunden wurde, darauf (geschrieben von seiner Hand) das Zitat aus der Aeneide zu lesen war: Exoriare aliquis nostris ex ossibus ultor – »Möge aus unsern Gebeinen ein Rächer erstehn« ...

Ein Vierteljahrhundert war seitdem vergangen und kein Rächer war erstanden. Schon damals hatte Pier Vettori den verrannten Idealismus Strozzis mißbilligt, wie sehr er auch ein Bewunderer seines geniehaften Leichtsinns war. Die Besuche im Gefängnis waren mit Cosmos heimlicher Zustimmung erfolgt. Gern hätte Cosmo Foltermartern und Köpfung dem Liebling Italiens erspart und ihn begnadigt, dessen Kopf der Kaiser so dringend forderte. Der Degen, mit welchem Filippo Strozzi sich die Kehle durchschnitt, war schwerlich aus Versehn vom Gefängniswärter oder einem Besucher in der Zelle vergessen worden ... Aus jener Zeit stammte Cosmos und des großen Gelehrten Vertraulichkeit.

Fünfundzwanzig Jahre lang – nahezu während der ganzen Regierungszeit Cosmos – hatte Pier Vettori als Rektor des Florentiner Gymnasiums der heranwachsenden Jugend Liebe zu Homer, Sappho und Plato und Verehrung für die römischen Dichter des augustäischen Zeitalters eingeimpft. Sahen die Fuorusciti – (die geflüchteten, außerhalb Toscanas zu leben gezwungenen Republikaner) – in Cosmo einen Tiberius, so war in den Augen des Rektors Cosmo ein Octavianus Augustus, ein Ordner des Chaos und Vollender, schön an Leib und Geist, sublim gescheit wie der Überwinder des Marc Anton. Und in diesem Sinne hatte Vettori während seines langen Rektorats die Schüler, meist Söhne alter rebellischer Familien, zu beeinflussen verstanden. Das neue Geschlecht trank gekühlten Falerner lieber als heißes Menschenblut.

Grund zur Dankbarkeit hatte Cosmo gewiß. Doch die Bändigung der jüngsten Generation, die Umwandlung junger Wölfe in zahme Hunde, hätte er wohl kaum mit seiner herzoglichen Duzfreundschaft bezahlt. Weit mehr als den Rektor schätzte er den Gelehrten, durch den ihm das Zauberreich der Antike erschlossen worden war.

Seit zwei Jahren hatte Pier Vettori das Rektorat niedergelegt, um ganz seiner Leidenschaft – der Archäologie – zu leben. Traumsicher, wie wenn er eine Wünschelrute in der Hand hielte, spürte er Orte auf, wo, nach kurzer Grabung, totgewesene Schönheit emporstieg, in glitzerig weißer Marmorseligkeit die Augen blendend.

Da der Alte stets nur nach einer Entdeckung sich einfand, bedurfte es des Umschweifs und der Fragen wenig.

»Du mußt sogleich mit mir kommen, figliuolo!«

»Wohin, padre? Nach dem Kap der Guten Hoffnung?«

»Nach Volterra! ... Etwas Herrliches wirst du sehn! Komm schnell, figliuolo!«

»Fürchtest du, Marmor könne davonlaufen? Hat der Marmor Beine? Ist's also diesmal kein Torso?«

»Eine etruskische Grabkammer, figliuolo. Nur hineingelugt habe ich, keinen Schritt wagte ich hineinzutun ... Totengeschirr ... Gräbergefäße ... Aschenkisten ... Doch das Unerhörteste, ein ganz einzigartiges Stück von wunderbarer Erhaltung: ein Schlachtwagen! – so einer wie der des Achill, als er Hektor schleifte –, milchig grüne Bronze ... Ich habe das Grab unangetastet wieder zumauern lassen.«

»Warum, padre?«

»Es ist ein Königsleckerbissen, und der muß dir vorbehalten bleiben! Das Grab sollst du als erster betreten! ... Komm, verliere nicht Zeit, figliuolo!«

»Heute ist es mir nicht möglich. Reite du voraus und erwarte mich dort. Vielleicht kann ich morgen nachkommen.«


 << zurück weiter >>