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Dreiundachtzigstes Kapitel.
Der Rath der Verschworenen

Am äußersten Ende einer der Vorstädte von Washington befindet sich, wie wir bereits berichteten, das Boardinghaus von Mistreß Surratt, in welchem die Verschworenen unter Anführung von John Wilkes Booth nicht allein ihren unverdächtigten Aufenthalt hatten, sondern in welchem sie unter Beisitz jener yankeefeindlichen Matrone, der Dame vom Hause, selber ihren Rath pflogen.

Auch an dem Tage, an welchem wir wieder das Haus betreten, finden wir in dem Parlour des ersten Stockes eine Anzahl der Verschworenen versammelt, welche mit Mrs. Surratt und deren Tochter, Miß Mary Surratt, ein heimliches und für sie äußerst wichtiges Gespräch führten.

Wir finden außer den beiden genannten Damen im Parlour zunächst John Atzerott, welcher sich, da er noch immer nicht mit Robert Payne völlig ausgesöhnt war, etwas entfernt von dem großcn Tische placirt hat, an dem die übrige Gesellschaft Platz nahm.

Mr. Robert Payne wendet ihm den Rücken zu und wirft nur hin und wieder einen verdrießlich düsteren Blick auf ihn, sobald er genöthigt ist, auf eine Bemerkung jenes Mitverschwornen zu antworten.

O'Laughlin, George Arnold und Bob Harrold saßen der Dame vom Hause zur Seite, welche streng und düster die Gesellschaft, Einen nach dem Andern, musterte, als sie in vorwurfsvollem Tone begann:

»Ich sage, daß die Ritter auf diesem Wege nimmermehr zum Ziele kommen; wenn sie sich von sentimentalen Anwandlungen verleiten lassen, den vorzüglichen Rathschlägen Mr. Sanders' und Mr. Tuckers zu widersprechen; und wenn sie mit diesen Führern der Yankees, mit diesen Tyrannen und Unterdrückern des Südens, zärtlich umgehen, wie eine Negerin mit ihrem Wechselbalg, dann werden sie es erleben, das; ihnen Gram die Köpfe abschneidet, ehe sie sich's versehen. Aufstände in den Städten anregen – ja, was hat das nun genützt? Ich frage Sie, meine Herrn, was hat das genützt?«

»Leider wenig genug,« brummte Bob Harrold, indem er verbissen einen Seufzer ausstieß; »mit Ausnahme einiger kleiner Errungenschaften an kostbaren Schmucksachen und baarem Gelde ist für meine Person Nichts herausgekommen, wiewohl ich hätte einen erklecklichen Gewinn haben können, wenn nicht diese Mrs. Gamp mir den Streich gespielt hätte.«

»Und auch ich, für meine Person, hätte nicht klagen können,« murrte Atzerott, wenn nicht ein Schurke mir die ganze Freude verdorben hätte.«

»Ich wünsche, daß darüber geschwiegen wird,« sagte Payne gebieterisch, sich an Atzerott wendend. »Sie wissen, es ist unter uns abgemacht, und es ist Booth's Befehl, daß das Geschäft mit der Ouadroone nicht weiter erwähnt wird.«

»Und ich sage,« hob Mrs. Surratt wieder an, »daß eben deshalb so Wenig erreicht ist, weil Jeder nur auf seine eigenen Interessen gedacht und dabei das Interesse der Conföderation ganz aus den Augen gesetzt hat. In all' den Städten, wo der Aufruhr glücklich angestiftet war, in New-York sowohl, wie in Baltimore, in Philadelphia, in Danneville und den übrigen Orten ist es nicht einmal gelungen, die Städte einzuäschern oder sonst wie irgend einen den Staaten empfindlichen Schaden zuzufügen. Mit einigen Millionen Dollars ist der ganze Schaden, den die Verschworenen angestiftet, wieder gut gemacht.«

»Es ist auch meine Ansicht, daß wir einen andern Weg einschlagen müssen,« bemerkte Harrold.

»Das ist gar nicht unsre Sache,« verwies ihn Payne. Wir haben nichts Anderes zu thun, als was von Booth angeordnet wird, und Booth seinerseits erhält, wie Ihr wißt, von den Rittern des Südens seine Instruction.«

»Ich finde aber merkwürdig,« fiel hier Miß Surratt ein, »daß immer noch keine neuen Instructionen angekommen sind; denn es steht doch keineswegs mit dem Kriege so günstig, daß– der Süden Nichts zu fürchten brauchte. Was will das sagen, daß Grant bei Spottsylvania zurückgeschlagen ist? Er wird es einfach auf einem andern Wege versuchen, nach Petersbourg und von da nach Richmond zu gelangen. Und daß seine Verstärkungen ausgeblieben sind – wir haben ja gestern in der Zeitung gelesen, daß in New-York 30000 Mann angeworben sind. Wenn die andern Staaten verhältnißmäßig eben so viel leisten, so erhält Grant noch im Laufe des Sommers eine Verstärkung von 180000 Mann.«

»Du mußt es ja wissen,« wandte sich Mr. Surratt an ihre Tochter, »was die Herren veranlaßt, sich einer solchen Sicherheit hinzugeben; Du kommst ja eben aus Richmond und noch dazu vom Hofe und wirst hoffentlich von Mr. Davis sowohl, wie von seinen Ministern erfahren haben, welche Hoffnungen oder Befürchtungen man von den neuesten Marschbewegungen Grants und von den Erfolgen Lee's hegt.«

»So viel ich weiß,« antwortete Miß Surratt, »ist von Befürchtungen kaum noch die Rede; denn der ganze Hof ist nach Charleston abgereist. Die Ritter haben ihre Agitation Andern überlassen, ihre eigene Thätigkeit eingestellt und geben sich dem Vergnügen hin, als ob die Secession die Anerkennung des Nordens und der ganzen Welt gefunden hätte.«

»Der Norden indessen,« fügte Mr. Payne hinzu, »sieht in den Verlusten, welche er bei Spottsylvania erlitten, und in den Erfolgen Lee's noch nicht die mindeste ungünstige Vorbedeutung; im Gegentheil, ich hörte neulich in einem Meeting, worin der Beschluß gefaßt wurde, dem Präsidenten anzukündigen, daß das Volk auch heute noch zu jedem Opfer bereit sei, und daß Abschaffung der Sklaverei die Parole sei und das Feldgeschrei, mit dem die Truppen vorgehen müßten, und die einzige Bedingung, unter welcher man Frieden schließen solle, – ich hörte in diesem Meeting also, daß man sich über das Freudengeschrei der Ritter des Südens lustig machte, und daß man mit großem Enthusiasmus ausrief, das Morgenroth der Freiheit beginne zu tagen.«

»Wir wollen hoffen,« bemerkte Miß Surratt, »wir wollen hoffen, daß die in diesem Jahre bevorstehende Präsidentenwahl zu unsern Gunsten ausfällt.«

An diesem Gespräche hatte Mr. Arnold augenscheinlich wenig Theil genommen, sondern hatte nachdenkend dagesessen und sein Auge schwärmerisch in die unbestimmte Weite schweifen lassen, als ob er sich einem Gegenstande entgegensehne, den er zu erreichen wenig Hoffnung habe.

Erst jetzt nahm er Veranlassung, ein Wort mitzusprechen. Seufzend sagte er:

»Die Anhänger unsrer Partei schweigen leider fast Alle und woher kommt es? Weil sie theils in den Gefängnissen schmachten, theils nach dem Süden hin verziehen, auch Miß ...«

»Ich dächte, Mr. George, Sie dächten an Miß Mary nicht mehr,« unterbrach ihn Mrs. Surratt im Tone des Vorwurfs. »Diese unglückliche Leidenschaft, welche Sie für das Mädchen faßten, dem wir hier Obdach gewährten, wird noch Ihnen und Ihren Freunden zur Verrätherin werden. Was soll auch die Liebe zu einem Mädchen einem Manne, der ein Befreier des bedrückten Landes werden will? Ich bitte Sie, denken Sie an jene Miß Mary nicht mehr· Es ist mir lieb, daß sie aus dem Hause fort ist; denn ich bin überzeugt, Sie würden nicht zu schweigen verstehen über das, was in unsrem Zirkel berathen wird.«

»Sie thun ihr und mir Unrecht, Ma'am. Miß Mary ist, wie Sie selbst erfahren haben, eine vorzügliche Patriotin, und wenn ich wirklich dies oder Jenes ihr anvertraute, so habe ich ihr nur das Vertrauen bewiesen, was ihr gebührt, und ich würde es für eine Beleidigung ihres ausgezeichneten Charakters halten, auch nur das geringste Mißtrauen gegen sie zu hegen. Ich wünschte, sie käme aus New-York zurück, falls sie noch da ist; denn ich muß gestehen, daß ich jetzt, da ich sie verloren, zugleich fast allen Muth verloren habe und all' die Energie, welche zu einem Unternehmen, wie das unsre, nöthig ist. Ihr Anblick hat mich begeistert, und ihr Besitz wäre mir der schönste Lohn alles dessen, was ich je für das Wohl des Vaterlandes thun könnte.«

»Ich zweifle daran,« sagte Harrold, »daß diese Miß Mary aus New-York fortgegangen ist. Verwandte hat sie ohne Zweifel dort: denn wie uns Booth erzählte, hat der junge Mann, welchem er seine Rettung verdankt, eine nicht zu bezweifelnde Aehnlichkeit mit dieser Mary, und Booth ist überzeugt, daß er ihr Bruder war.«

»Der junge Mann, von dem Du sprichst,« fügte Atzerott hinzu, »büßt jene That im Gefängnisse.«

»Der junge Mann ist einfach ein Mädchen,« warf Payne ein, »wie sich herausgestellt hat, als man ihn in derselben Nacht verhaftete.«

»Ob wohl jener Jüngling oder jenes Mädchen jetzt frei ist?« fragte George Arnold.

Niemand wußte es zu sagen. Hier ward die Thür geöffnet und Wilkes Booth trat ein. Er hielt einen offenen Brief in der Hand.

Nach einer flüchtigen Begrüßung seiner Freunde und einer höflichen Verbeugung gegen Miß und Mistreß Surratt, nahm er Platz, indem er begann:

»Soeben bekomme ich von Mr. Breckenridge ein Schreiben. Ich habe zunächst mit Ihnen zu sprechen Bob, ein Theil des Schreibens bezieht sich auf Sie.«

»Auf mich?« fragte Harrold. »Will Mr. Breckenridge mir etwa einige Tausend Dollars Gratifikation zukommen lassen?«

»Ihr erinnert Euch,« fuhr Booth fort, ohne auf diese ironische Bemerkung zu achten, »daß am Tage nach dem Aufruhr in allen Zeitungen veröffentlicht ward, es sei dem Banquier Aron Levy eine Kiste entwendet, welche die Kriegsbeute der Alabama enthielt, circa eine Million Dollars. Es ward eine Belohnung ausgesetzt für denjenigen, der über den Verbleib dieser Kiste eine Auskunft zu geben vermöchte.«

»O, ich erinnere mich dessen sehr gut,« antwortete Atzerott, »und wenn ich etwas davon gewußt hatte, so würde ich nicht angestanden haben, mir diesen Preis zu verdienen, und ich glaube, Keiner von uns würde der Regierung diesen Preis geschenkt haben, vorausgesetzt, daß die Million Dollars in Sicherheit war und der Regierung der Union nicht in die Hände fallen konnte.«

»Einer von uns hat allerdings etwas von dem Verbleib jener Kiste gewußt,« versetzte Booth,« und zwar Sie, Bob.«

Harrold wurde etwas verlegen.

»Ich? Woher vermuthen Sie das?«

»Mr. Breckenridge weiß sehr genau, daß Sie in der Nacht des Aufstandes von New-York, in der Nacht vom neunten zum zehnten, jene Kiste in das Hinterzimmer der Mrs. Gamp gestellt haben.«

»Der Teufel! Mr. Breckenridge hat gute Spione.«

»Ist es so?«

»Ich kann es nicht leugnen, Mr. Wilkes. Es ist wahr, ich war im Besitze der Kiste.«

»Und wo ist dieselbe jetzt?«

»Wenn ich das wüßte, würde ich hier wahrscheinlich nicht ruhig sitzen, sondern wohl unterwegs sein, sie zu holen, und wäre sie in China oder am äußersten Ende der Welt. Aber leider weiß ich nicht, wo die Kiste geblieben ist.«

»Sie haben sie also nicht in Sicherheit gebracht?«

»Nein, ich nicht, aber Mrs. Gamp hat sie in Sicherheit gebracht. Die Hexe hat sie mir gestohlen. Vier Tage um und um sitze ich in dem vermaledeiten Zimmer, um die Kiste zu bewachen, welche sie angeblich hinter dem Bettschirm hat; ich ahne aber nicht, daß eine Tapetenthür von einem Nebenzimmer in den Raum hinter dem Bettschirm führt, und daß sie die Kiste längst fortgeschafft hat. Als ich endlich die Gelegenheit günstig halte, mich mit meiner Kiste fortzumachen, da finde ich nicht nur diese nicht, sondern auch Mrs. Gamp ist über alle Berge. Ich erkundige mich nach ihr bei den Nachbarn. Niemand weiß von ihr; nur glaubt der Krämer im Nebenhause, daß sie zu einer Verwandten, die sich irgendwo im Süden aufhält, gereist sei; vielleicht zu ihrem saubern Herrn Gemahl, dem ehemaligen Besitzer einer Menagerie, der jetzt in irgend einer der Hauptstädte des Südens das honette Gewerbe eines Kupplers betreibt. Ich hätte durch diesen Streich in eine arge Verlegenheit kommen können,« fügte er nach einer kurzen Pause hinzu; »denn ein verdammter Irländer, mit welchem ich das Geschäft gemeinsam gemacht hatte, drohte mir, die Sache zur Anzeige zu ·bringen, wenn ich ihm nicht die Hälfte des Raubes abgeben würde. Ich hatte dem habgierigen Hallunken funfzig Dollars gegeben, und nur mit Mühe konnte ich ihn beruhigen und ihn bewegen, von seiner Anzeige abzustehen, nachdem er erfahren hatte, auf welche Weise ich um die ganze Beute gekommen sei und nachdem ich ihm aus meiner Tasche den von der Regierung ausgesetzten Preis gezahlt hatte. Ich habe von der ganzen Million Dollars also Nichts weiter, als einige hundert Dollars Kosten, die ich in Summa dem Irländer für seine Bemühung und sein Schweigen gezahlt habe. Wenn eine Million Dollars in der Kiste war, so wird Mrs. Gamp wahrscheinlich Mittel und Wege gefunden haben, sich meinen Nachforschungen zu entziehen, und es auch der Regierung des Südens unmöglich zu machen, ihrer Spur zu folgen.«

»Verdammt,« rief Booth, »der Süden braucht das Geld gegenwärtig zu Anwerbungen, und die Million Dollars käme den Rittern vortrefflich zu Statten. Doch jetzt zu einem zweiten Punkt des Briefes. Dieser enthält neue Instructionen des jetzigen Vorsitzenden vom Orden der Ritter des goldenen Zirkels. Mr. Berckley fordert uns auf, unsern Feldzug von Neuem zu beginnen und zwar diesmal mit der Verwendung der Kleidungsstücke, die in Leesbourg und andern Städten des Südens aufgespeichert liegen.«

»Sind das die von Mr. Blackborn präparirten Kleidungsstücke?« fragte Atzerott mit rohem Lachen.

»Ganz richtig; die von Mr. Blackborn präparirten Kleidungsstücke,« bestätigt Mr. Wilkes. »Wie schon früher verabredet, wird Harrold mit denselben in Washington ein Geschäft eröffnen und sie zu jedem Preise verkaufen. Der Erlös ist sein Eigenthum. Jeder von uns übernimmt nebenbei die Pflicht, so viel als möglich zur Verbreitung der Kleider beizutragen, namentlich aber dafür zu sorgen, daß der für den Präsidenten zum Geschenk bestimmte Anzug diesem überreicht werde, und daß auch die Galaanzüge der Herren Minister bei irgend einer passenden Gelegenheit ihnen in die Hände gespielt werden. Natürlich darf damit nicht eher vorgegangen werden, als bis die Jahreszeit dem gelben Fieber günstig ist. Wir sind jetzt im Mai, und vor dem Monat Juli pflegt das gelbe Fieber sich nicht einzustellen.«

»Es ist doch endlich einmal eine ermuthigende Nachricht vom Süden,« bemerkte Mrs. Surratt, »daß die Ritter sich entschlossen haben, ein energisches Mittel anzuwenden. Ich befürchtete schon, daß, da dem Unternehmen, im Norden das gelbe Fieber zu verbreiten, im vergangenen Jahre die Jahreszeit nicht mehr günstig genug war, daß nunmehr dieser ganze herrliche Plan aufgegeben würde. Ich habe mir von demselben immer am Meisten versprochen; denn ich weiß, welche namenlose Verwirrung und welche Demoralisation die Epidemie, so oft sie im Norden geherrscht hat, überall angerichtet. Vier Wochen, die wir übrigens mit dem Unternehmen mindestens noch warten müssen, sind freilich eine lange Zeit, und in vier Wochen kann unsrer Sache noch manches Unheil widerfahren.«

»Diese vier Wochen übrigens sollen nicht in Unthätigkeit verbracht werden, im Gegentheil, wir haben innerhalb derselben eine äußerst wichtige Aufgabe zu vollführen. Wir sollen nämlich, bevor wir mit der Verbreitung des gelben Fiebers anfangen, versuchen, den Präsidenten Lincoln in die Gewalt des Südens zu liefern, bevor wir einen Anschlag auf sein Leben machen. Ein solcher soll nur die ultima ratio sein und erst dann zur Ausführung kommen, wenn alle andere Wege, seiner los zu werden, fehlgeschlagen sind.«

»Den Präsidenten gefangen nehmen,« rief Arnold, »wie soll das geschehen?«

Die Frage wurde von allen Verschworenen reiflich in Erwägung gezogen; indessen, noch bevor sie zu einem Resultat kamen, ward ihre Aufmerksamkeit abgelenkt durch einen vor der Thür haltenden Wagen.

»Wer kann das sein?« fragte Miß Surratt, und da die Verschworenen niemals sicher waren, ob nicht irgend ein Spion sich in das Haus der Boardingwirthin schleiche, oder mindestens irgend ein Unberufener ihnen und ihrer Berathung lästig werde, so sahen sie ziemlich verdrießlich aus.

Miß Surratt erklärte, sie werde hinausgehen und nachsehen, wer es sei.

Nach einer kurzen Weile kehrte sie wieder und berichtete mit ziemlich geringschätziger Miene, daß es jene Miß Mary sei, welche hier vor einiger Zeit Obdach und unentgeldlichen Unterhalt gefunden.

»Wahrscheinlich dieselbe, Mr. Arnold,« fügte sie hinzu, »für welche Sie eben so warm plädirten.«

Es war kein Zweifel, daß es dieselbe war; denn Mr. Arnold war bei der Nachricht sofort aufgesprungen und eilte jetzt zur Thür hinaus.

»Es ist mir wirklich beunruhigend,« sagte Mrs. Surratt, »daß George nicht im Stande ist, sich besser zu beherrschen, denn wenn ich auch gerade nicht Grund habe, dem Mädchen zu mißtrauen, so ist es immerhin ein gefährliches Ding, eine Verschwörung, wie die Ihrige, einer Unbetheiligten anzuvertrauen, ja sie auch nur etwas davon ahnen zu lassen. Und überhaupt ist ein Verschworner, welcher ein Liebesverhältniß hat, einerseits stets nur halb bei der Sache, und zweitens ein Mann, den man lieber aus dem Kreise der Verschworenen ausschließen sollte.«

Mrs. Surratt sagte das mit solcher Strenge und solcher Ueberzeugung, daß Booth, der sich ja selber in Arnolds Falle befand, sich davon unangenehm berührt fand. So sehr er auch Mrs. Surratts Verdienste anerkannte, und ein so großer Verehrer ihres energischen Characters und ein so großer Bewunderer ihres aufopfernden Patriotismus er auch war, so sah er es doch stets mit einem gewissen Mißfallen, wenn sie sich herausnahm, ihn und seine Freunde zu hofmeistern. Er antwortete deshalb kurz und mürrisch, daß er selber Arnold warnen werde, falls ihm seine Liebe zu jener Miß Mary irgendwie gefährlich scheine; für's Erste habe er keinen Grund, irgendwelche Befürchtungen zu hegen, und sei deshalb auch nicht Willens, seinem Freunde Arnold einen Vorwurf zu machen.

Freudestrahlend kehrte Arnold zu der übrigen Gesellschaft zurück.

»Sie wird hier bleiben,« rief er, »sie wird jetzt bei uns bleiben, da sie ihre Verwandten in New-York nicht gefunden hat. Uebrigens, Wilkes, bringt sie gute Nachrichten aus New-York. Ich weiß, daß Du in Bekümmerniß warst wegen des Jünglings, der Dir das Leben rettete in der Nacht des Aufstandes, des Jünglings, von welchem Robert behauptet, daß es ein Mädchen war.«

»Nun?« fragte Booth erwartungsvoll. »Ich weiß, er wurde gefangen genommen, und ihm der Process gemacht?«

»Er ist vor einigen Tagen freigelassen.«

»Freigelassen? Dein Himmel sei Dank; ich wagte es kaum zu hoffen.«

»Aus Mangel an Beweisen, wie Miß Mary sagt, hat man ihn frei gesprochen, und weil man sich dankbar zeigen wollte für Verdienste, die er sich anderweit soll um die Republik erworben haben.«

»Das ist in der That eine für mich beruhigende Nachricht,« antwortete Booth; denn ich muß gestehen, daß ich stets mit tiefer Bekümmerniß an das Schicksal des Jünglings gedacht habe.«

»Eine weniger erfreuliche Nachricht,« fuhr Arnold fort, »ist die, daß im Hafen zu New-York vor kurzer Zeit das Begleitschiff der Alabama von der Unions-Fregatte Vanderbild gefangen eingebracht worden ist. Der Lieutnant Sinclair und 30 Mann sind gefangen genommen. Befehligt wurde die Sea-bright von einem ehemaligen Gefangenen auf der Alabama, einem gewissen Capitain Eugene Powel. Indessen ist dieser junge Mann sofort nach seiner Ankunft verhaftet worden.«

»Ha, ha, ha!« lachte Atzerott. »Das ist auch einer aus der Familie, für welche ich, als sie in der größten Noth war, so freundschaftlich gesorgt habe. Ich habe dem ehrenwerthen Mr. Charles sowohl, als seiner spröden Frau ein Obdach im Courthause verschafft; auch für Kleidung habe ich gesorgt, Sie wissen es Wilkes. Indessen die letzteren haben sie mir leider zurückgewiesen. Nun macht es mir Vergnügen zu hören, daß ich wenigstens gerächt bin an diesem stolzen Republikaner.«

»Meine Herren, sie verfallen wieder in den Fehler, daß Sie stets nur an sich denken,« versetzte Mrs. Surratt; »das Alles sind Dinge, welche in unsern Rath nicht hineingehören. Sie hören, daß der Präsident gefangen nach dem Süden geschafft werden soll. Machen Sie lieber Vorschläge, wie dies anzufangen ist·«

Nach längerer Berathung kam man endlich zu folgender Erwägung:

Der Präsident pflegte im Sommer häufig mit William Seward, dem Staatssecretär nach dessen an der Straße nach Alexandria liegenden Villa zu fahren. Die Straße nach Alexandria ging den Mississippi hinauf.

Nun erklärte Atzerott, daß er ein Mittel wisse, um das zahmste Pferd so wild zu machen, daß kein Mensch es zu bändigen vermöge.

»Das Mittel ist sehr einfach,« setzte er hinzu »steckt einem Pferde nur eine Kugel ins Ohr, so werdet »sehr bald sehen, daß es wild wird und sich anstellt bald, als wolle es hoch in die Luft springen, bald, als wolle es den Kopf in die Erde bohren, und in rasenden Sprüngen davonrennt. Es ist nicht schwer, bei Lincoln's Pferden dies Mittel anzuwenden; dann werden sie mit dem Präsidenten und seinem Minister durchgehen.«

»Aber was dann?« fragte Booth.

»Nun, meine Meinung ist,« antwortete Atzerott, »daß man dem Kutscher zu Hülfe kommt, die Pferde anhält und dem Präsidenten aus dem Wagen hilft in einen andern, der sich zufällig in der Nähe befinden muß. In diesem Wagen fährt zufällig Einer von uns. Man fährt im Galopp in die Richtung von Alexandria und in dem Wäldchen vor Alexandria, da wo die Chaussee dicht an das Ufer des Mississippi herangeht, da macht man Halt.«

»Ach so!« rief O'Laughlin, jetzt merke ich. »Dort setzt man den Präsidenten aus, nöthigt ihn, mit Güte oder mit Gewalt, in ein dort zufällig haltendes Boot zu steigen, was etwa ich und Harrold rudern. Man fährt ihn über den Mississippi hinüber, drüben wartet ein anderer Wagen, der ihn bis Leesburg bringt, und von dort wird er per Militaireskorte nach Richmond befördert.«

»Ganz recht, so meine ichs,« antwortete Atzerott. »Das ist mein Plan.«

»Aber wenn es nicht gelingt, den Präsidenten allein in den andern Wagen steigen zu lassen, wenn ihn der Staatsminister nicht verlassen will?«

»Desto besser,« lachte Payne, »so begleitet ihn der Staatsminister bis Richmond, und Jeff wird es uns nicht übel nehmen, wenn wir nicht nur den Präsidenten, sondern auch den Premierminister in seine Hände liefern.«

»Der Plan ist gut und ausführbar,« sagte Booth, »und die Funktionen, die dabei zu übernehmen sind, können ganz allein von uns Sechsen übernommen werden; wir brauchen keine fremde Hilfe eher, als bis Alexandria, und dort können wir zuverlässige Leute in Menge haben. Ich beauftrage also zunächst Sie, Mr. Harrold, daß Sie auskundschaften, an welchem Tage Lincoln eine solche Spazierfahrt unternehmen wird, und uns rechtzeitig davon unterrichten.« – – –

Während sonst in dies abgelegene Boardinghaus nur sehr selten ein fremder Besuch kam, so hielt heute wunderbarer Weise schon der zweite Wagen vor der Thür. Es war wieder eine Dame, welche ausstieg, und zwar eine Dame, welche, wie Miß Surratt berichtete, nachdem sie hinausgegangen war und sich nach der Angekommenen erkundigt hatte, Mr. Booth zu sprechen wünschte.

Booth war überrascht und eilte hinaus in das Zimmer, welches jene Fremde bestellt hatte, und lag in der nächsten Minute in den Armen von Mrs. Cleary.

»Jetzt, Wilkes, kann ich ungestört Dir gehören« rief sie. »Ich habe mich von Allem losgemacht, das mich dort in Richmond fesselte. Meine Tochter ist verschwunden, den spionirenden Mulattenknaben habe ich unter das Militair stechen lassen, und mein Gemahl, der übrigens meinen Wünschen nie ein Hinderniß in den Weg zu legen pflegte, ist nach Canada abgereist, um von dort aus die Einfälle zu leiten, die in das Gebiet der Union beabsichtigt werden. Ich athme auf, Wilkes, in der frohen Hoffnung, daß mein Gemahl von seiner gefährlichen Sendung nicht wiederkehren wird – dann, dann sei meine Hand der Preis Deiner Liebe und Deines Ruhmes!«


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