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Neunzigstes Kapitel.
Der Untergang der Alabama

Die »Kearsage« war eine Fregatte von 36 Geschützen – worunter sechs Armstrongkanonen und fünf sechszöllige Dahlgreens sich befanden, für Dampf und Segel eingerichtet, gut gebaut und, was der Seemann nennt, ein steifer Segler. Mit der vollständigen Armirung und Bemannung wurde sofort nach Ausfertigung des Patents für den Kapitain Powel und den Lieutnant Brocklyn begonnen.

Wie schon Eugen Powel angedeutet hatte, ließ er eine ganz eigenthümliche Vorrichtung treffen, um das Schiff gegen die guten Geschosse der Alabama einigermaßen zu sichern. Nämlich dort, wo sich die Maschinentheile oder sonst wichtige Gegenstände des Schiffes befanden, ließ er von außen eine doppelte Lage von Ketten anbringen, nämlich eine Lage Ketten senkrecht herunter und eine zweite in horizontaler Richtung darüber. Die Zwischenräume zwischen den Kettentheilen ließ er mit Werg und aufgedrehten Tauenden ausfüllen und deckte über das Ganze eine Lage von zwei Zoll starken Planken, sodaß selbst bei ziemlich bedeutender Annäherung diese Art von Panzerung nicht bemerkt werden konnte.

Begleitet von den Cheers der Bostoner Einwohnerschaft und von den herzlichen Glückwünschen Mr. Slowsons, des Direktors der Westindischen Handelscompagnie, der selbstverständlich jetzt, nach Aufklärung der Anschuldigung, die über dem Haupte des Kapitain Powel geschwebt hatte, zu dessen enthusiasmirtesten Verehrern gehörte, lichtete die Kearsage die Anker.

»Tod dem Feinde des Vaterlands!« sagte Powel seinem Freunde Brocklyn die Hand schüttelnd.

»Verderben dem Schurken, dem Räuber, dem Mörder!« ergänzte der alte Oberbootsmann, Mr. Jonas, der am Bord der Kearsage natürlich nicht fehlte.

»Rache dem Kerkermeister Mr. Croftons und Lavinias und der Andern, die Monate lang in seinen Ketten schmachten!« fügte Mr. Brocklyn hinzu. –

Der Wind war günstig, und unter frischer Brise schlug die Kearsage den nordwestlichen Lauf ein, um zunächst in Ostende zu ankern, denn wie man bereits gehört, beabsichtigte die Alabama, diese Gegenden für ihre Raubzüge auszuwählen.

Wir folgen dem kühnen Jäger nicht, sondern wenden uns der Alabama zu, die jetzt die Rolle des gejagten Wildes übernimmt.

Die Alabama hatte ihre Caperzüge in dieser Saison und nach dem fatalen Zusammentreffen mit dem Vanderbild im atlantischen Ocean in der Gegend von St. Helena begonnen, hatte dort so manches Yankeeschiff gekapert und Millionen in den Grund des Meeres versenkt. Wohl an zwanzig Schiffe wurden in einem einzigen Monate verbrannt.

Da auf solche Weise die Zahl der Gefangenen, welche sie an Bord hatte, sich bedeutend vermehrte, und da sie gegenwärtig ein Begleitschiff hatte, das nur sehr wenig Gefangene aufzunehmen vermochte, so war sie genöthigt, Behufs Absetzung der Gefangenen und Behufs einiger nothwendig gewordenen Ausbesserungen einen befreundeten Hafen anfzusuchen, und steuerte deshalb Cherbourg zu, einem großen Hafen Frankreichs.

Was man über die Grausamkeit der Behandlung der Gefangenen auf der Alabama geschrieben und gesagt hat, erreicht lange nicht das, was in Wirklichkeit dort vorging.

Alle Gefangenen, zum Theil selbst die Frauen, trugen Handschellen und Handeisen, die ihnen nur beim Essen abgenommen wurden. Die Matrosen waren auf den Spülgaten untergebracht, wo sie oft Wochen lang wegen des überspritzenden Wassers nicht trocken wurden, und die Officiere waren genöthigt, mit den Matrosen die allerniedrigsten Dienste in verrichten. So z. B. bekamen sie nur leichtere Fesseln zu dem Zwecke, um die Kleider der Mannschaft der Alabama auszubessern, an den Segeln flicken zu helfen, Taue zu theeren und dergleichen.

Als sich die Alabama der Canalmündung näherte, also einem Gebiet, wo sie sehr leicht Schiffen begegnen konnte, die weniger liebäugelnd auf die Rebellen sahen und weniger zärtliche Gesinnungen für die Seeräuber haben möchten, als englische und französische Schiffe, da legte sie die Maske an, mit welcher sie sich gewöhnlich in feindliche Gewässer hineinschlich. Sie ließ die Schornsteine herunter, setzte auf den Besanmast eine Stenge und verwandelte sich auf diese Art in ein Segelschiff, und Niemand hätte entdecken können oder auch nur vermuthen können, daß dies Segelschiff die gefürchtete Alabama sei. Ja, es war nicht einmal zu sehen, daß sie als Kriegsschiff ausgerüstet war; denn selbst von den Geschützluken war keine Spur zu sehen.

So ankerte sie am 10. Juli Vormittags 11 Uhr zwischen den großen, stattlichen französischen Kriegsschiffen im Hafen von Cherbourg. Wie winzig nahm sich die Alabama zwischen den prachtvollen französischen Fregatten und Panzerschiffen aus! Nichts verrieth die gefährliche Kraft, und Nichts verrieth den tückischen Character dieses Schiffes.

Die Einwohner von Cherbourg empfingen das Raubschiff mit Enthusiasmus, und gleich am zweiten Tage nach der Ankunft desselben erhielt Capitain Semmes die vom Kaiser Napoleon eigenhändig unterzeichnete Erlaubniß, landen, seine Gefangenen an Bord setzen und die Ausbesserungen seines Schiffes vornehmen zu dürfen.

Die Landung und die Aussetzung der Gefangenen wurde sofort bewerkstelligt, und da zur Ausbesserung des Schiffes einige Monate erforderlich waren, so sollten die Officiere und ein Theil der Mannschaften auf zwei Monate Urlaub erhalten.

Ehe indessen noch der Urlaub unterzeichnet war, da ereignete sich etwas, das dem Capitain Semmes ebenso unerwartet und überraschend, als ungelegen kam.

Nämlich vor dem Hafen von Cherbourg ließ sich plötzlich ein Schiff blicken, das stolz die Unionsflagge hißte und vor dem Hafen auf und ab kreuzte, also deutlich zu verstehen gab, daß es auf eins der Schiffe im Hafen irgend eine Absicht habe. Welches Schiff aber konnte dies anders sein, als die Alabama?

Semmes kannte die Kriegsschiffe der Union gut genug, um in diesem Schiffe sofort die Kearsage zu erkennen. Zu jeder andern Zeit hätte er einen Kampf mit der Kearsage nicht gescheut, hätte sich vielmehr demselben gern unterzogen; indessen gerade jetzt kam ihm die Sache ungelegen, weil er, wie gesagt, andere Dispositionen getroffen hatte. Da er aber sah, daß unter den obwaltenden Umständen einem Kampfe nicht auszuweichen sei, so fügte er sich in die Nothwendigkeit, denselben aufzunehmen, mit der vollständigen Ueberzeugung, daß es nur eine kurze Arbeit sein werde, den kecken Feind in die Flucht zu scheuchen, respektive in den Grund zu bohren.

Semmes schrieb an den Consul der Union zu Cherbourg, daß er die Herausforderung der Kearsage annehmen und den Kampf beginnen werde, falls das Schiff nicht binnen vierundzwanzig Stunden außer Sicht sei.

Semmes erhielt auf dies Schreiben keine Antwort und machte sich also am Morgen des 19. Juni um 11 Uhr auf; die Anker wurden gelichtet, und unter Dampf ging die Alabama aus dem Hafen von Cherbourg.

Tausende von Fernröhren richteten sich auf den großartigen Zweikampf, der nun bevorstand.

Da Frankreich die Rolle eines neutralen Landes zu spielen beliebte, und da ein solcher Kampf in neutralen Gewässern nicht gestattet ist, sondern nur auf Kanonenschußweite von der Küste entfernt stattfinden kann, so hatte sich die Kearsage bis auf drei Seemeilen von der Küste in die See begeben.

Die Alabama, welche gerade auf sie zusegelte, war begleitet zur Linken von der französischen Panzerfregatte Couronne und zur Rechten von dem schönen dreimastigen englischen Dampfschooner Dearhound.

Nachdem Semmes an seine Mannschaft noch einmal eine begeisternde Rede gehalten, in welcher er derselben auseinandersetzte, daß sie hier nicht blos für die Ehre der Conföderation, sondern für ihren eigenen Hals zu kämpfen hätten, und nachdem die an Grausamkeiten gewöhnten Matrosen und Seesoldaten ihm durch wiederholte Beifallsrufe zu erkennen gegeben, daß sie gesonnen seien, den Sieg mit ihrem Leben zu erkämpfen, da feuerte die Alabama den ersten Schuß auf dreihundert Schritte Entfernung.

Der Schuß blieb von Seiten der Kearsage unerwidert, diese vielmehr machte eine Wendung, die unter andern Umständen als völlig untaktisch hätte bezeichnet werden müssen. Allein da Powel die Alabama und folglich auch ihre Schwächen genau kannte, so machte er dies Manöver aus zwei Gründen. Erstlich um ihre Breitseite zu gewinnen, und zweitens, um ihr den Rückzug in den Hafen abzuschneiden; denn er wußte sehr wohl, daß, sobald die Alabama seine Panzerungsvorrichtungen entdecken würde, sie vom Kampfe abstehen würde.

Nachdem durch die Wendung Beides erreicht war, erwiderte die Kearsage das lebhafte Feuer der Alabama durch eine volle Lage. Es entstand ein mörderisches Gefecht. Schuß auf Schuß feuerte die Alabama ab; in einer Stunde hatte sie 150 Schuß geliefert, die Kearsage 79 Schuß.

Der Kampf hatte erst wenige Minuten gedauert, als Semmes unter Erblassen die Bemerkung machte, daß die Kearsage nicht nur stärker sei, als er vermuthete, sondern sein Fernrohr hatte auch bereits den Capitain der Kearsage erkannt. Er hatte den Mann erkannt, den vor wenig Monaten er selbst verurtheilt hatte, an den Mast gehängt zu werden. Er mußte darauf gefaßt sein, einen erbitterten Gegner zu haben. Zugleich aber mußte er die Ueberzeugung haben, daß der Kampf nur enden könne mit dem Untergange Eines von ihnen Beiden.

Die elfzölligen Vollkugeln, welche die Alabama aus gezogenen Geschützen auf die Flanken der Kearsage richtete, hatten so gut wie gar keine Wirkung. Sie drangen durch die doppelte Kettenlage nicht hindurch, sondern knickten höchstens die dahinter befindlichen Balken, und die Hohlkugeln zerplatzten außerhalb der Wandung, ohne auch nur die allermindeste Wirkung zu haben. Dagegen warf die Kearsage aus ihren 15 zölligen Dahlgreens Sprenggeschosse von so mörderischer Wirkung und von so vorzüglicher Einrichtung, daß sie im Augenblick des Einschlagens zerplatzten und dann gewöhnlich ein Loch rissen von der Größe eines runden Tisches von drei bis vier Fuß Durchmesser.«

Der Kampf hatte noch keine halbe Stunde gedauert, als unmittelbar über der Wasserfläche die Alabama vier solche Lecke von dieser Dimension erhalten hatte, und durch dieselben so viel Wasser schöpfte, daß sie schon stark zu sinken begann.

Jetzt mußte Alles auf's Spiel gesetzt werden.

Die Alabama versuchte, sich der Kearsage zu nähern, und sie zu entern. Mann an Mann sollte der Kampf entschieden werden. Statt sich aber dies Manöver gefallen zu lassen, blieb die Kearsage nur so lange liegen, bis sie die Alabama nahe genug hatte, um eine Vollkugel mit vollständiger Sicherheit auf die Maschine derselben zu richten.

Die Maschine ward zerstört. In demselben Momente wandte sich die Kearsage und legte sich wieder in der vorhin von ihr gewählten Entfernung von zwei bis dreihundert Schritten, da in dieser ihre Geschosse am besten wirkten.

Die Enterung war mißglückt, und die ganze Mannschaft der Alabama mußte verwandt werden, um die Lecks zu verstopfen.

Während dieser Zeit, da die Alabama ihr Feuer einstellte, legte sich die Kearsage hinter ihren Spiegel und feuerte unaufhörlich Schuß auf Schuß in denselben. Noch hatte aber das Caperschiff die Flagge nicht gesenkt. Schon zweimal war sie heruntergeschossen und immer wieder hinaufgehißt worden.

Jetzt sank Allen der Muth. Noch einmal nahm Semmes das Feuer auf; indessen vergebens, der Untergang war sicher, und fluchend gab Semmes seinem ersten Lieutenant Kell den Befehl, die Flagge zu streichen. Aber Kell konnte es nicht über sich gewinnen, diesem Befehl nachzukommen; erst der zweite Lieutenant Master Armstrong ließ den Befehl ausführen.

Mit abgewandtem Gesichte standen Semmes und Kell, finster in die Fluth starrend, als sich die Flagge der Rebellion langsam herabsenkte. Sofort stellte die Kearsage das Feuer ein.

Verrätherei, Hinterlist und Tücke kennzeichnen alle Kämpfe der Rebellen, und auch dieses Seegefecht trug denselben Charakter. Nach dem Völkerrecht, selbst barbarischer Nationen, hört der Kampf auf in dem Momente, wo der Feind die Waffen streckt; die Kearsage aber hätte den guten Glauben, daß ein solches Recht auch von einem Rebellen anerkannt werde, theuer bezahlen können. Während sie sich näherte, um die Mannschaft des sinkenden Schiffes aufzunehmen, feuerte die Alabama noch einmal eine volle Lage gegen das Schiff. Sofort nahm die Kearsage wieder das Feuer auf, Indessen es war nicht mehr nöthig. Schon schwankte das Schiff. Nur wenige Minuten konnte es noch sich über Wasser halten. Ein Boot war bereits herabgelassen. Einige der Officiere und der Mannschaften sprangen hinein; Semmes, Kell und Andere sprangen selbst über Bord und suchten durch Schwimmen das Weite zu erreichen. Sie hatten sich noch nicht weit von dem Wrack entfernt, als dieses noch einmal stolz sich emporhob und dann, den Bug senkend, wie ein Pfeil in die Tiefe hinab schoß. –

Die Kearsage traf sofort Anstalt die Mannschaft an Bord zu schaffen und sowohl das Boot wurde aufgefangen, als auch die Schwimmenden zum größten Theil aus dem Wasser gezogen; nur einem verhältnißmäßig geringen Theile gelang es, die beiden assistirenden Schiffe Couronne und Dearbound zu erreichen.

Es ist unmöglich, das Begegnen Powels, des Siegers, und seines früheren Henkers, des besiegten Capercapitains Semmes, zu beschreiben. Es ist unmöglich, die Gefühle zu schildern, mit denen Semmes den verhaßten Capitain, und neben ihm den Mann erblickte, den er für sein Werkzeug gehalten, den Lieutenant Brocklyn.

Es hätte nicht Wunder nehmen können, wenn ihn Powel mit derselben Grausamkeit behandelt hätte, die Semmes gegen seine Gefangenen anzuwenden pflegte. Aber Powel ließ Niemanden von den Gefangenen Fesseln anlegen, sondern sie auf Deck so lange bewachen, bis Raume für sie eingerichtet sein würden. Den Capitain Semmes forderte er auf, auf einer Bank des Quaterdeck neben ihm Platz zu nehmen.

Semmes that es schweigend und mit gerunzelter Stirn. Sein Auge aber war fest auf den Dearhound gerichtet, welcher sich jetzt der Kearsage bis auf einige Hundert Schritte näherte. Plötzlich sprang Semmes auf.

»Sterbt, Leute, aber ergebt Euch den Yankeehunden nicht!« schrie er, und mit diesen Worten sprang er über Bord, gefolgt von seinen Officieren und einem großen Theil der gefangenen Mannschaft.

Der englische Schooner hatte bereits Anstalt getroffen, die Gefangenen zu retten. Es waren Boote ausgesetzt, und mittelst zugeworfener Tauenden wurden die Schwimmenden herausgezogen.

Am nächsten Tage setzte die Kearsage die gefangenen Matrosen und Soldaten ans Land und behielt nur die Officiere als Gefangene, nahm dagegen die von der Alabama ausgesetzten Gefangenen auf, um sie ins Vaterland zurückzubringen Daß sich unter diesen auch Mr. Crofton, Miß Lavinia und Mrs. Lincoln befanden, versteht sich von selbst.

Der Capitain des Seeräuberschiffes ist nicht in die Gewalt der Union gekommen. Noch vor Kurzem wechselte man seinetwegen Noten mit der britischen Regierung und verlangte seine Auslieferung, da ja die Alabama die Flagge gestrichen hatte, folglich die Neutralität des englischen Schiffes keine Geltung mehr hatte. Indessen England hat bis heute die Auslieferung verweigert, vielmehr dem Capitain Semmes einen sehr ehrenvollen Rang auf einem englischen Kriegsschiffe eingeräumt.

Das ist das Ende des gefährlichen Caperschiffes Alabama und seiner Mannschaft.


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