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Fünfundneunzigstes Kapitel.
Der äußerte Termin

Mr. Berckley, der Präsident des Ordens der Ritter vom goldenen Zirkel, lag auf einer »Longue-Chaise« seines Studirzimmers und war beschäftigt, einige Papiere zu durchblättern, welche neben ihm auf einem Tischchen lagen. Er sah etwas verstimmt aus und die Härte seines Gesichts erhielt dadurch einen noch abstoßenderen Charakter.

Ungeduldig durchflog er die einzelnen Briefe und warf sie dann, ohne sie einer eingehenden Beachtung zu würdigen, bei Seite. Nur eins der Papiere, welches er häufiger zur Hand nahm und immer längere Zeit und mit größerem Interesse betrachtete, schien seine Aufmerksamkeit dauernder in Anspruch zu nehmen.

»Die Frist, welche ich der Quadroone gab, läuft mit dem heutigen Tage ab, murmelte er, als er wieder jenes Papier zur Hand nahm. »Ich hätte nicht geglaubt, daß sie zurückschrecken würde vor dem Opfer, daß sie ihrer Freundin Emmy vor einem Monat zu bringen beabsichtigte. – So hätte ich die Abschrift des Briefes vergeblich anfertigen lassen und nimmermehr Aussicht, diese trotzköpfige Schönheit zu bezwingen! – Verdammt! Ich hatte mit solcher Bestimmtheit darauf gerechnet, und war meiner Sache so sicher! – Oh, Miß Brown, sollte etwa Deine Empfindsamkeit die starrköpfige Quadroone mir abwendig gemacht haben, so sollst Du es mir büßen, sobald Du meine Frau bist«.

Es klopfte.

»Was giebts?« fragte Mr. Berckley den eintretenden Diener.

»Ein Brief von Mr. Breckenridge; der Neger erwartet sofort Antwort«.

Mit Berckley nahm den Brief mit derselben verdrießlichen Miene, mit welcher er alle die übrigen Briefe durchgelesen, in die Hand, riß ihn hastig auf, warf einen Blick hinein und legte dann das Papier zur Seite zu den übrigen.

»Es ist keine schriftliche Antwort nöthig. Der Neger soll Mr. Breckenridge bestellen, daß ich morgen Miß Emmy Brown heirathe.«

Der Diener verneigte sich und verließ das Zimmer.

»Das unausstehliche Drängen«, murmelte Berckley, als er wieder allein war. »Den Herren Rittern ist die Frist von vier Wochen, die ich mir erbeten hatte, zu gewähren sauer angekommen und jetzt, da sie kaum abgelaufen ist, mahnt mich der Herr Exminister bereits um die Erfüllung des Contracts. Nur gemach, Mr. Breckenridge! der Contract wird erfüllt werden, aber hol' mich der Henker, ich machte mir nichts daraus, die ganze Heirath rückgängig zu machen, wenn es kein anderes Mittel gäbe, in Besitz dieses Weibes zu gelangen, die nicht nur jeder Bestechung, sondern auch der Gewalt ihrer früheren Herren einen Widerstand geleistet hat, wie er mir bei einer Schwarzen niemals vorgekommen ist. – Wunderbar, das Mädchen hat nicht einmal einen Versuch gemacht, mich zur Herausgabe des Contractes zu erweichen. Mindestens hätte sie es noch einmal mit Bitten versuchen sollen, selbst, wenn sie nicht mehr Willens war, sich und ihre Tugend ihrer Freundin zu opferte. –«

Er erhob sich und die Hände auf dem Rücken gekreuzt durchschritt er unruhig einige Male das Zimmer. Eine unheimliche Leidenschaft prägte sich in dein unstäten Blick seiner tückischen grauen Augen aus, und seine zusammengebissenen Lippen, seine gefurchte Stirn und das Zucken, das sich oft in seinem Gesicht zeigte, deuteten auf eine heftige innere Erregung.

»Ich werde das Mädchen doch in meine Gewalt bekommen,« murmelte er. »Sie soll mir die süße Aussicht nicht vergebens vorgemalt haben; ich will die schöne Hoffnung nicht wieder in Schaum zerrinnen sehen. »Ich bin nicht der Mann, der sich von einem Mädchen äffen läßt«.

Er hatte den Hut ergriffen, um hinauszugehen, und die Schelle in der Hand, um seinem Diener zu befehlen, daß ihm ein Reitpferd vorgeführt werde, als dieser eintrat und ihm ein zierliches Briefchen überreichte.

»Von wem ist der Brief?« fragte Berckley.

»Ein Lakai des Hotel Norfolkhouse brachte ihn.«

Der Brief unterschied sich auffällig von all den übrigen Briefen, welche Mr. Berckley bisher durchlesen hatte. Er trug weder die Aufschrift, welche ihn als einen Brief, der eine Ordensangelegenheit enthielt, kennzeichnete, noch hatte er die Form von Geschäftsbriefen oder Bittschriften oder der Insinuation einer Behörde, sondern er war auf feinem Seidenpapier von einer zierlichen Damenhand geschrieben.

Neugierig öffnete Mr. Berckley denselben und las. Eine schnelle Röthe zog sich über sein fahles Gesicht, und seine Augen leuchteten auf.

In dem Briefe standen nur die Worte:

»Heute Abend um 9 Uhr komme ich, um mein Wort einzulösen und den Contract in Empfang zu nehmen Esther.«

Mr. Berckley warf den Hut bei Seite und las noch einmal, um sich zu überzeugen, ob er sich auch nicht getäuscht habe.

So hatte er also das Ereigniß, das seine thierische Lüsternheit sich während dieser vier Wochen in jeder Stunde, in jeder Minute des Tages und der Nacht mit so verlockenden Farben vorgemalt, in so naher Aussicht. Das Mädchen, dessen Stolz bis dahin von Keinem gebeugt war, das Mädchen, dessen Tugend für mindestens eben so groß als ihre Schönheit galt, das Mädchen wollte sich ihm opfern und ihm einen Triumph verschaffen über alle diejenigen, welche sich mit allen Mitteln vergebens bemüht hatten, ihre Gunst zu erkaufen.

Die Stunden, welche bis zum Abend verflossen, schienen ihm Jahre zu sein. Der Flügel der Zeit schien ihm gelähmt, und träge verfolgte die Sonne ihren Lauf. Wohl hundertmal blickte Berckley nach der Uhr, deren Zeiger nicht von der Stelle zu gehen schien. Wohl hundertmal rief er seinen Diener, ohne daß er Veranlassung hatte und warf ihn zur Thür hinaus, wenn er sich selbst über der Lächerlichkeit seines Beginnens ertappte. Hundertmal ordnete er etwas an und hundertmal widerrief er seine Anordnungen, bis endlich der Abend heranrückte, die Sonne sich ins Shenandoah-Thal herabsenkte, und der westliche Himmel sich mit dem Purpur des Abendrothes übergoldete.

Ein leichter Wind fächelte in den Zweigen der Bäume, welche bis zu dem Gartenhause Mr. Berckley's, das in der Nähe des uns bekannten Ritterhauses belegen war, eine schattige Allee bildeten. In diesem Gartenhause erwartete er Miß Esther Brown.

Seine Diener waren bereits davon in Kenntniß gesetzt, daß um 9 Uhr eine Dame vorfahren werde, und daß man dieselbe unverweilt in den Park und die Allee hinab und in das Gartenhaus führen möchte.

Der Zeiger der Uhr deutete fast die bestimmte Stunde, da überkam ihm eine eigenthümliche Angst.

Das Verbrechen ist stets feige. Selbst der roheste Verbrecher hat vor der That eine gewisse Furcht. Auch über Berckley kam dieselbe.

»Wie,« dachte er, »wenn sie den Betrug entdeckte, den Du ihr spielst? Sie ist ein tollkühnes Weib. Wenn sie in ihren Gewändern irgend etwas wie ein spanisches Stilet verborgen hätte und wenn sie in dem Moment, wo Du auf dem Gipfel Deines Glückes zu sein glaubst, an Dir einen Mord beginge? Ich muß mich vorsehen.«

Er klingelte.

»Bringe mir einen Revolver,« befahl er dem Diener.

Dieser sah seinen Herrn erstaunt an. Es hatte ihn schon Wunder genommen, daß sich sein Herr zu so ungewohnter Stunde und unter so ausfallenden Umständen in das Gartenhaus zurückzog– und nun gar einen Revolver? Was hatte das zu bedeuten?

»Geh, thue, wie ich Dir befehle,« sagte Berckley barsch, als der Diener zögerte.

Nach einer Weile kehrte derselbe zurück.

»Sind alle Läufe geladen?«

»Ja, Sir.«

»Du kannst gehen.«

Berckley legte den Revolver unter ein Kissen, das auf dem Canapé lag.

Das Zimmer des Gartenhauses, in welchem Berckley das Opfer seines Verbrechens erwartete, war in der üppigen Manier eingerichtet, wie es die Ritter des Südens zu haben pflegen, lediglich für ähnliche Zwecke, wie der des Mr. Berckley. Marmorstatuen standen an den Wänden, meist antike Gruppen darstellend: die französisch weichlichen Gemälde, wie sie die neuen Schulen des Horace hervorbringt, schmückten die Wände, Tropische Gewächse, Blumen, die einen betäubenden Duft verbreiteten, befanden sich theils in antiken Gefäßen, die von der Decke herabhängen, theils standen sie in Kübeln so geordnet, daß sie Nischen bildeten oder eins der niedrigen Sophas überschatteten. Lichte Seidenvorhänge verhüllten die zahlreichen Glasfenster, während unmittelbar vor den mächtigen Spiegeln goldne Armleuchter ihr Licht ausstrahlten, welches jeden Gegenstand des Gemaches hell beleuchtete, die Nischen und künstlichen Lauben jedoch nur schwach und magisch unbestimmt erreichte, indem es hier das Blüthengesträuch, das vor den Sophas aufgestellt war, zu durchbrechen gezwungen war.

Es fehlten nur noch einige Minuten bis 9 Uhr. Mr. Berckley hatte den Kopf sinnend gestützt auf einen der Marmortische und rückte unruhig den Fauteuil, auf dem er saß, hin und her. Jemehr sich seine Phantasie mit Esthers Bild beschäftigte, je mehr er sich jeden einzelnen Zug ihres Gesichts vergegenwärtigte und jedes Wort, das er von ihren Lippen gehört, ins Gedächtniß zurückrief, desto mehr mußte er sich sagen: Sie ist ein gefährliches Weib. Was nützt mir ein Revolver! Werde ich in jedem Augenblicke ihres Hierseins im Stande sein, mich seiner zu bedienen und kann sie nicht ein Mittel haben, etwa ein Gift oder dergleichen, das mich tödtet, ohne daß ich im Stande bin, Widerstand zu leisten und wird sie dann nicht dieses Haus verlassen können, ohne daß einer meiner Diener sie daran hindert?

Das war allerdings zu befürchten, denn Mr. Berckley hatte strengen Befehl gegeben, daß Niemand ihn bis zum Fortgang der Dame störe, daß Keiner, unter welchem Vorwande es auch sein möge, das Gartenhaus betrete.

Er zog abermals die Glocke, und abermals erschien der Diener.

»Ist Jim da?«

»Er ist da, Sir.«

»Schicke ihn her.«

Jim trat ein in dem Moment, als die Uhr, welche auf der goldenen Console zwischen zwei großen Spiegeln stand, mit silberhellem Schlage die neunte Stunde ankündigte.

»Jim,« sagte Berckley hastig, »ich weiß, man kann Dir trauen. Du hast Dich bewährt im Dienste Breckenridge's, falls Du Dich in meinem Dienste bewährst, so bin ich bereit, Dir besser zu lohnen, als es Mr. Breckenridge gethan hat.«

»Massah Breckenridge hat mir die Freiheit versprochen,« lachte der Neger verschmitzt.

»Du lügst, Schurke!« brach Berckley aus, ganz vergessend, daß er von dem Neger einen Dienst verlangte.

»Gut, wenn Massah es sagen, so mag es nicht wahr sein,« antwortete der Neger mit heuchlerischer Demuth in Haltung und Stimme.

Berckley's Stirn furchte sich.

»Ich will Dir sagen, was ich fordere,« sagte er. »Ich könnte Dir befehlen, das zu thun, was ich von Dir will. Indessen ziehe ich es vor, diesen Dienst als eine freie Entschließung Deinerseits anzunehmen. Du sollst hier im Nebenzimmer, dessen Thür halb geöffnet bleiben wird, warten. Ueber Alles, was hier vorgeht, wirst Du ewiges Schweigen bewahren und wirst keinen Augenblick die Dame aus den Augen verlieren, welche in der nächsten Minute hier sein muß. Namentlich wirst Du in dem Moment, wo Du irgend eine verdächtige Bewegung etwa einen Griff nach einer verborgenen Waffe an ihr bemerkst, hinzuspringen und mir beistehen.«

Jim horchte auf. Einige Secunden maß er seinen Herrn mit einem halb teuflischen, halb schlauen Lächeln und schien zu überlegen, in welcher Weise er wohl am Besten die Furcht seines Herrn und das Vertrauen, das dieser in ihn setzte, ausbeute.

»Es ist keine Zeit zum Besinnen,« drängte Berckley. »Willst Du, oder willst Du nicht?«

»Wer ist die Dame?« fragte Jim, lediglich, um nur Zeit zu gewinnen.

»Eine Quadroone. Du kennst sie. Sie war ehemals im Dienste des Mr. Breckenridge.«

»Ah! Miß Esther! O, ja, ich kenne sie; ein sehr gefährliches Weib, Sir. Ich warne Sie, sie ist im Stande, uns alle Beide umzubringen, wenn wir nicht auf der Hut sind.«

»Feigling!« sagte Berckley mit einem Fluch, »Du wirst Dich doch nicht fürchten vor einem Weibe?«

»Nicht mehr, als Massah es thun,« antwortete Jim trocken. »Dazu kommt noch, daß ich einen heiligen Eid geschworen habe, einem Neger nicht ans Leben zu gehen.«

»Du lügst wieder. Bist Du nicht bei Breckenridge Negeraufseher gewesen, und hast Du sie nicht zu Dutzenden zu Tode geprügelt?«

Jim zuckte die Achseln.

»Ja, wäre ich das geblieben, so hätte ich wahrscheinlich auch dies Gelübde nicht gethan. Indessen, seit Mr. Breckenridge mir die Freiheit versprochen und sein Versprechen nicht gehalten hat, habe ich gelobt, keinem Neger wieder etwas zu Leid zuthun, es sei denn, daß mir Einer die Freiheit garantirt.«

»Hund, Du benutzest meine Verlegenheit!« schrie Berckley.

Jim rieb sich beilegen die Hände und senkte sehr bescheiden und demüthig sein Haupt. Aber er antwortete nicht« Berckley schien nicht übel Lust zu haben, den frechen Schwarzen, der seine prekäre Lage benutzte, von ihm seine Freilassung zu erpressen, mit dem Revolver niederzuschießen, indessen in demselben Augenblicke öffnete sich die Thür, der Kopf des Dieners schob sich hinein, und flüsterte:

»Die Dame, Sir.«

»Fort, ins Zimmer!« schrie Berckley dem Neger zu und schob ihn fast gewaltsam vorwärts.

Jim indessen wandte sich zögernd tun:

»Meine Freilassung, Sir?«

Erst, als Mr. Berckley ein »Ja meinetwegen« knirschte, gab Jim nach und schlürfte in dem Moment durch die Thür des Nebenzimmers, als Esther, welche schwarze Kleider trug, und tief verschleiert war, in den Gartensalon trat.


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