Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mr. Fisher, der Wirth des Blackhouses, empfing in seinem Gala-Frack und mit seinem feinsten Hut in der Hand in eigener Person den Präsidenten.
Er öffnete den Schlag, und Abraham Lincoln stieg aus, freundlich den Wirth grüßend, reichte ihm die Hand und begab sich mit seinem Geheimsecretair, Mr. Nicolai, in das für ihn hergerichtete Zimmer, bis die Pferde gewechselt sein würden.
In seiner gewöhnlichen leutseligen Weise erkundigte er sich nach allen Privat Verhältnissen des auch in der Residenz bekannten Wirthes.
»Wie stehts mit dem Geschäfte? – Wohl wenig Besuch, seit die Herren des Südens diese Straße nicht mehr passiren!?«
Der Wirth meinte, daß er diese Einbuße seiner Einnahme noch ertragen würde; allein die Truppenverpflegung in dieser Gegend habe ihm viel Schaden bereitet.
»Nun, das ist vorüber,« tröstete ihn Lincoln; »unsere Truppen werden diese Gegend schwerlich wieder berühren, die Bürger werden nicht lange mehr nöthig haben, dem Moloch des Krieges ihre Güter zu opfern. Wenn das Glück uns günstig ist, wird Grant noch diesen Winter vor Richmond stehen.«
Der Wirth versicherte, daß er sich nicht beklage, daß er, wie alle guten Bürger, die Opfer des Krieges gern dargebracht habe, und daß er es für seine Pflicht halte, der guten Sache auch den letzten Pfennig zu opfern.
»Brav gesprochen!« antwortete Lincoln; »ein freier Bürger muß dem Vaterlande Vermögen wie das Leben zu opfern bereit sein.«
Nach einzelnen Fragen über die Gäste im Hôtel, bei welcher Gelegenheit Mr. Fisher auch dem Präsidenten die Namen Mudd's und seiner beiden Freunde nannte, sprach Lincoln den Wunsch aus, diese Herren kennen zu lernen, und der Wirth beeilte sich, den Gästen im Parlour die Auszeichnung zu hinterbringen, welche ihnen der Präsident zugedacht hatte.
Die Verschworenen hielten es nicht für gerathen, diesem Anerbieten entgegen zu treten, und die Männer, welche in diesem Augenblicke gegen die Freiheit des herrlichsten Mannes conspirirten, ja, welche sich kein Gewissen daraus gemacht hätten, selbst einen Angriff auf sein Leben zu unternehmen, hatten die Stirn, sich dem Präsidenten vorstellen zu lassen und ihm mit der vollendetsten Heuchelei ihre Hochachtung und ihre Verehrung zu versichern.
»Sie sind Arzt, höre ich?« redete der Präsident den Dr. Mudd an.
»Ja, Excellenz; in einem Flecken Marylands, zwanzig Meilen von Washington.«
»Die Herren Ihrer Gegend halten noch Sclaven; ist dem so?«
»Ich leugne es nicht, Excellenz; die Grundbesitzer ertragen den Verlust ihrer Neger schwer.«
»Ach ja! die Herren Grundbesitzer kennen keine höheren Rücksichten, als die für ihren Geldbeutel, und Menschenrechte sind ihnen weniger wichtige Dinge, als Baumwollen-Ernte. Ich hoffe, daß die Gebildeten des Staates nicht die Ansicht der Grundbesitzer theilen, und daß zum Beispiel Sie der Sclaven-Emancipation nicht widersprechen würden.«
»Ich bin weit davon entfernt, so egoistische Gesinnung zu hegen,« sagte Mudd heuchelnd, warf aber einen unruhigen Blick zur Seite, ob nicht etwa sein Neger hinter ihm stände.
»Und Sie, Sir,« wandte sich Lincoln an Booth, »was sind Sie?«
»Schauspieler.«
»Ah, in dem Falle ist mir Ihr Name nicht fremd. Der Name Booth hat in der Künstlerwelt einen guten Klang Ich habe von Ihnen gehört und namentlich von Ihrer Rolle des Brutus viel Rühmendes vernommen.«
»Ich gestehe, daß ich die Rolle des Brutus mit besonderer Vorliebe spiele,« erwiderte Booth völlig aufrichtig·
»Werden Sie nicht einmal an einer Bühne in Washington in dieser Rolle gastiren?«
»Es ist nicht unmöglich, Excellenz.«
Wer hätte bei diesem harmlosen Gespräche daran gedacht, daß John Wilkes Booth auf den Brettern des Ford-Theaters in Washington die Rolle des Brutus einst spielen werde, aber nicht in einer Comödie, sondern als furchtbare Wahrheit, und daß Abraham Lincoln in diesem blutigen Drama die Rolle des Julius Cäsar zu übernehmen haben werde?! ...
Mr. Fisher meldete, daß die Pferde gewechselt seien.
Abraham Lincoln empfahl sich den Herren und dem Wirthe aufs leutseligste; letzterer geleitete ihn zur Thür hinaus.
Der Präsident trat, ehe er in den Wagen stieg, an die Pferde, streichelte sie und sagte zu dem Stallmeister, welcher neben denselben stand und seine steifste Amtsmiene ausgesetzt hatte:
»Es kommt mir vor, als ob die Schweißfüchse heute unruhiger sind, wie gewöhnlich.«
»Die Schweißfüchse sind wohl eingefahrene und fromme Pferde, Excellenz; Es hat kein Bedenken mit ihnen, Excellenz; sie sind ein wenig unruhig geworden durch die lange Ruhe.«
Die beiden edlen Rosse schüttelten mit den Köpfen, warfen sie hoch in die Luft und drückten sie hinunter an die Brust, so weit der straffe Zügel ihnen diese Bewegung erlaubte, scharrten mit den Hufen, stampften den Boden, und der Kutscher vermochte nur mit aller Anstrengung sie zu zügeln, bis der Präsident und sein Geheimsecretair im Wagen Platz genommen hatten.
»Dann sprengten sie mit der Geschwindigkeit wilder Renner davon; eine Staubwolke wirbelte auf, und von Wagen und Pferden war bald nichts mehr zu sehen. –
Mr. Conover lehnte unterdessen an einem Pfeiler des Hofthors und sah die Staubwolke vorüber fliegen.
»Du bist gerettet, guter Abraham,« murmelte er, »und Deine Rettung verdankst Du dem Mädchen, das dem Vaterlande und Deiner Person alles zu opfern bereit ist, nur nicht ihre Liebe. Und darum darf ich Dir nicht die Genugthuung gewähren, die Schurken, welche einen schimpflichen Plan gegen Dich ausgeheckt, der Gerechtigkeit zu überliefern.«
»Aber es kommt die Zeit,« fügte er nach einer Pause hinzu, »da sie dennoch der Justiz verfallen werden! Nicht durch Mary's Zuthun; ich werde ohne sie eine Gelegenheit finden, um sie für immer unschädlich zu machen!«
Während er noch so sprach, sauste ein zweiter verschlossener Wagen an ihm vorüber. Nur flüchtig konnte er die beiden Männer gewahren, die darin saßen, und in einem derselben erkannte er deutlich Wilkes Booth.
»Ha!« triumphirte er; »fahrt nur zu! Ihr hofft vergebens. – Die Pferde des Präsidenten werden nicht scheu werden; meine Wachsamkeit hat den Schurkenstreich verhindert.«
Mit diesen Worten begab er sich zurück in's Gastzimmer.
Atzerott und Arnold waren bereits fort. Durch den Wirth erfuhr er, daß sie nach einer andern Richtung davon gefahren seien.
Durch das Fenster sah er den Stallmeister über den Hof gehen. Vor ihm wurden durch einen Knecht die Pferde geführt, die eben vom Wagen des Präsidenten ausgespannt waren.
Ein Posthorn ertönte vor der Thür.
Er achtete nicht darauf, sondern seine Gedanken beschäftigten sich noch mit dem Schicksal, das heute ohne ihn Abraham Lincoln, ja die ganze Republik betroffen haben würde.
»Relais für die Baltimore-Post!« rief in diesem Augenblick ein Hausknecht einem Stallknechte zu, der soeben vorbeiging.
»Eile Dich Red!« befahl der Conducteur, »bringe die beiden Pferde, welche aufgeschirrt stehen! – in der vordern Reihe die beiden letzten!«
»In der vordern Reihe die beiden letzten?!« widerholte Conover für sich, der anfangs mit wenig Aufmerksamkeit zugehört hatte, indeß durch den letzten Befehl in bange Besorgniß versetzt ward.
Er sprang zur Thür und folgte mit keuchender Brust und angstbeklommenem Athem dem Manne, welcher nach dem Stalle gegangen war.
»Welches sind die beiden Pferde, die zum Relais der Baltimore-Post gehören?«
»Hier, diese beiden!« sagte der Stallknecht, der eben die beide krummbeinigen Jammergestalten vom hintersten Ende des Stalles hervorführte.
Diese beiden? Himmel, wo haben die Pferde des Präsidenten gestanden?«
»Ganz vorn in der Reihe, Sir.«
»Gerechter Himmel! so bin ich getäuscht! Ha! ich entsinne mich; mit den Pferden da vorn machte sich Atzerott zu schaffen. Allmächtiger Gott! Der Präsident ist verloren! ... Zwei Pferde, Mann, die besten, vor mein Cab!«
»Wollen Sie nicht mit Ihrem eigenen Pferde fahren?«
»Nein, nein! mit den besten Pferden im Stalle! Mein eigenes Pferd reicht mir nicht aus.«
»Aber Mr. Fisher wird keinem Fremden seine Pferde geben!«
»So mag er selbst mitfahren! Vorwärts Mann! Keine Sekunde versäumt, – die Baltimore-Post muß warten! – Die Freiheit, das Leben des Präsidenten stehen auf dem Spiele!«
Der Mann schien ihn nicht zu verstehen, sondern blickte ihn erstaunt an.
»Beim ewigen Gott, ich beschwöre Sie, zögern Sie nicht! Geben Sie den besten Renner her! Noch ist es nicht zu spät, noch kann ich ihn retten!«