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Hundertsechsunddreissigstes Kapitel.
Die Flucht des Präsidentenmörders

Während die Ereignisse, welche wir im vorigen Kapitel erzählten, vor sich gingen, ward im Norden der Vereinigten Staaten die Leichenfeier des theuren Todten mit einem Glanz und einer Theilnahme bewerkstelligt, wie sie schwerlich je einem Verblichenen zu Theil geworden ist. Die Leiche wurde über New-York nach Chicago gebracht. Als der Beschluß, daß die Leiche durch New-York kommen sollte, in dieser Stadt bekannt ward, wurde jede Vorbereitung getroffen, um das Schauspiel des Gepränges zu dem großartigsten zu machen, welches jemals in Amerika gesehen wurde.

Alle Körperschaften, alle Vereine beeilten sich, an dem Zuge Theil zu nehmen. Neunhundert deutsche Sänger vereinigten sich, um vor dem Stadthause den »Geisterchor« von Schubert und den »Pilgerchor« aus Tannhäuser zu singen. Die deutschen Arbeitervereine und die verschiedenen Gewerke ließen gleichfalls sich die Ehre nicht nehmen, sich an der Feierlichkeiten zu betheiligen. Die Turner hielten eine würdige Leichenfeier. Es entstand eine wahre Sündfluth durch den Drang der Einzelnen, dem überströmenden Gefühle einen poetischen Ausdruck zu geben. Am Montag nach der That kam die Leiche in die Stadt. Das Lieblingsregiment der New-Yorker Aristokratie, das siebente, bildete die Leichenescorte und empfing die Leiche am Fuß der Desbrossesstraße. Hierauf wurde die Leiche nach dem Stadthause gebracht, wo sich bereits eine unabsehbare Menge von Leuten versammelt hatte. Als der Sarg vorüber getragen wurde, lag über der ungeheuren Menge eine schwüle und feierliche Stille, und die Häupter entblößten sich. Der Tag war klar aber kalt und ein scharfer Nordostwind blies. Aber das machte keinen Eindruck auf die dichtgedrängte Menge.

Um Mittag zwölf Uhr wurde die Thür geöffnet. Die Leiche war im obern Stockwerk auf einen prächtigen Katafalk gestellt, und in dem Strome der Menschen, welche ihm noch einen letzten Blick zuwerfen wollten, war weder bei Tage noch bei Nacht eine Pause zu finden. Während der ganzen Zeit der Ausstellung auf dem Paradebette wechselten Generäle und hohe Stabsofficiere im Wachen ab, bis man am andern Tage um 1 Uhr die Leiche nach der Hudson River-Eisenbahn gebracht hatte.

Einen solchen Leichenzug kann kein König haben, wie er dem ersten Bürger der Vereinigten Staaten zu Theil wurde.

Die Musikcorps der Stadt waren so in Anspruch genommen, daß noch aus andern Städten Musiker geholt werden mußten, um dem Bedürfnisse zu genügen. Hinter dem Militair, welches den Anfang der Procession bildete, kam der Sarg auf eigens gebautem von sechszehn Rossen gezogenen Leichenwagen. Die Rosse wurden von freien Negern geführt. Dann folgten die Bürger je nach den verschiedenen Organisationen.

Am Nachmittag um 5 Uhr war auf dem Union-Square eine Massenversammlung anberaumt worden, bei welcher der berühmte Geschichtschreiber Bancroft die Rede hielt und Prediger aller Confessionen Gebete sprachen.

Am nächsten Morgen um 11 Uhr kam der Leichenzug in Chicago an. Hier wurde die Leiche von Hunderttausenden empfangen und nach dem großen Trauerbogen geleitet. Wir übergehen eine weitläufige Beschreibung; es genüge zu bemerken, daß man sich von der Großartigkeit jenes Zuges ungefähr einen Begriff machen kann, wenn man bedenkt, daß allein die in der ersten Abtheilung aufgestellten Kinder der öffentlichen Schulen 4450 zählten. Die Häuser der ganzen Stadt und namentlich der Straßen, durch welche der Zug kam, waren alle reich mit kostbaren Trauerbehängen geschmückt. Der ganze Zug des Leichengefolges hatte eine Länge von über zwei deutsche Meilen. Die Prozession nahm kein Ende. Amerika, ja die ganze Welt, hat bis dahin etwas Aehnliches nicht gesehen.

So ehrte die Amerikanische Republik die Leiche des Mannes, welcher die schwerste Ausgabe der Welt glücklich gelöst hatte, nämlich in dem Wüthen eines schrecklichen Bürgerkrieges nicht die Milde zu vergessen, welche dem Feinde gebührt, und trotz einer fast an absolute Macht grenzenden Gewalt der einfache Bürger zu bleiben, welcher nach Vollendung seiner Aufgabe bescheiden und zufrieden in dem Glück seines Landes allein sein eigenes Glück findet, und nie vergißt, daß nicht die Regierten für die Regierer, sondern die Regierer für die Regierten da sind. Friede seiner Asche! – – – –

Noch aber war es immer nicht gelungen des Verruchten habhaft zu werden, der die schnödeste That ausführte. Erst als die Leiche des gefeierten Mannes der ewigen Ruhe übergeben war, erhielt die Nation die Befriedigung, den Verbrecher der Nemesis anheimgefallen zu sehen. –

Kehren wir wieder zurück zu dem Abend des 14. April, dem Abend, da der Meuchelmord stattfand.

Die letzte Stunde des verhängnißvollen 14. April war angebrochen. Schon durchzitterte die Kunde des furchtbaren Ereignisses das ganze Land; schon war, bevor die Mitternacht eingetreten, die Nation in Trauer gehüllt, denn man wußte, daß das Herz, welches so treu für das Vaterland geschlagen, bald still stehen werde. Sanft sich dem Todesengel ergebend hauchte Abraham Lincoln seine letzten Athemzüge aus.

Zwei Reiter stoben in dieser drückenden Stunde durch Washington. Sie waren mit frischen raschen Pferden versehen und jagten wild landeinwärts.

Es waren Booth, der Präsidentenmörder, und sein Freund und Genosse George Arnold.

Die Nacht war finster, doch sonnenhell im Vergleich mit den Herzen, welche diese Männer in der Brust trugen.

Schon reitet auf weit schnellerem Rosse die Furcht hinter ihnen her, schon hören sie den Fluch von Millionen, schon klärt sich ihr Blick, und statt der ruhmvollen Unsterblichkeit, welche Booth durch seine That zu erringen gehofft, flüstert das Gewissen ihm zu, daß er Vatermord begangen, und daß Jahrhunderte seinen Namen nur aufbewahren werden, um das schändlichste aller Verbrechen zu bezeichnen.

Und, als glauben sie, der Furcht zu entgehen, die neben ihnen herras't, als glauben sie, dem Fluch entrinnen zu können, mit welchem schon die Luft geschwängert ist, jagen sie weiter und weiter in die finstere Nacht, weiter nach Maryland hinein, den Städten zu, wo in dem schon vor Jahren halbfreien Staat die Sclaverei noch tief Wurzel gefaßt.

Der Morgen bricht an und findet die Mörder viele Meilen weit von der Hauptstadt Ihre Pferde sind erschöpft, ihre eigene Kraft ist gänzlich gebrochen. Sie wissen, daß schon längst die Verfolgung begonnen, daß jeder Weg bewacht, jeder Pfad von forschenden Augen beobachtet sein wird.

Doch sie wissen sich unter Freunden. Noch ein kurzer Ritt, und sie halten vor dem Hause eines Landarztes, den sie zu ihren Gesinnungsgenossen zählen.

Es ist auch hohe Zeit, daß Booth Hülfe findet. Bei dem Sprung aus der Loge auf die Bühne hat er sein linkes Bein schwer verletzt. Er leidet an unsäglichen Schmerzen.

Doctor Mudd, vor dessen Hause er hielt, läßt ihm sofort Hülfe angedeihen. Der schwere Reiterstiefel kann aber nicht mehr über das geschwollene Bein gezogen werden, sondern muß herunter geschnitten werden. Der gebrochene Knochen wird in Schienen gelegt und in einer Bandage befestigt.

 

Der Stiefel des Mörders, welcher später hier gefunden wurde, ward Beweis für Mudd's Schuld und lieferte auch ihn auf die Anklagebank.

Booth versucht, sein Pferd wieder zu besteigen. Es geht nicht.

Er ist in Todesangst, denn jeden Augenblick muß er seine Verfolger erwarten. Die Kunde von dem Morde hatte ihn fast überholt.«

Rathlos steht er noch, da fühlt er sich plötzlich am Arme berührt.

Er fährt zusammen, blickt um sich und erkennt das Gesicht des Negers, welchen er in Spanglers Hause getroffen und abgehalten hatte, denselben zu erwürgen.

Unwillkürlich greift er nach dem Revolver.

»Lassen Sie stecken, Mr. Booth,« sagte der Schwarze mit der Hand winkend. »Ich komme nicht als Feind, sondern um Ihnen zu helfen. Ich bin nur hier, um Mrs. Cleary die Nachricht Ihrer glücklichen Rettung bringen zu können.«

Der Name der Geliebten wirkte zauberhaft. Seine Hand zog sich von dem Pistol zurück.

»Du kennst Mrs. Cleary?«

»Ich bin in ihrem Auftrage Ihnen gefolgt. Wenn ich Sie verderben wollte, so hätte ich Sie längst festhalten können, aber das will ich nicht, ja, gegen eine gute Belohnung bin ich bereit, Ihnen zu sagen, von welcher Seite her Sie Ihre Verfolger erwarten können.«

Mudd warf ihm, ohne ein Wort zu sagen, eine Börse zu.

»Sie müssen südlich reiten, dem Potomac zu,« fuhr Scip fort. »Nördlich, kaum eine Viertelstunde von hier, sind alle Wege besetzt.«

Booth riß ein Blatt aus seinem Taschenbuche und schrieb einige Zeilen an Mrs. Cleary. Es war dasselbe Blatt, welches später Mr. Jones, der Polizeichef, auf dem Schreibtisch im Zimmer der ermordeten Mrs. Cleary fand.

»Uebergieb der Dame das, sie wird Dich belohnen.«

Noch einmal versuchte er, das Pferd zu besteigen. Es war ihm unmöglich. Der zerbrochene Fuß verursachte ihm Höllenqualen. Wie? sollte er hier wiederstandslos sich fangen lassen? –

Verzweifelnd blickte er um sich. Da tritt Scip auf ihn zu, hebt ihn auf seine herkulischen Schultern und eilt im Laufe mit ihm dem nahen Walde zu. Arnold folgt.

Eine Stunde trägt er den Verwundeten, dann setzt er ihn im dichten Gehölz ab.

»So, hier sind Sie geborgen, wenn Sie die Richtung immer gerade westlich halten, kommen Sie an den Potomac· Ich kehre um, denn Mrs. Cleary wird sicherlich auf Nachricht warten.«

Der Neger war verschwunden, und die beiden Flüchtlinge allein.

Zu Fuß setzen sie ihre Flucht fort. Am Tage liegen sie im Gehölz und entziehen sich den Landleuten, denn sie ahnen instinctmäßig, daß große Belohnungen auf ihren Fang gesetzt sind, und fortan können sie selbst ihren Freunden nicht mehr trauen. Nachts, wenn es rings umher still ist, wenn sie aus lange Strecken weit schon den Hufschlag der Cavalleriepatrouillen hören können, die zu ihrer Verfolgung ausgesandt sein mögen, dann schleichen sie geräuschlos weiter, dem Potomac zu, erschreckt durch den Nachtvogel, der über ihnen dahinschwirrt, entsetzt, wenn der Wind die Gipfel der Tannen beugt, bange vor jedem Schatten, denn jeder trägt in grellen Umrissen das Bild der That, die sie begangen, vor seinen Augen.

Der Potomac ist endlich erreicht. Drüben, den majestätischen Fluß mit grünem Ufer bekränzend, liegt Virginien, das auf seinem Wappen den Spruch trägt, der von den Lippen des Mörders fiel: »Sic semper tyrannnis!« Virginien mit seinen verrätherischen, racheglühenden Herzen. In Virginien hoffte er Ruhe, Schutz, Sicherheit zu finden.

Wie er sich sehnt nach jenem grünen Gestade, das so nahe und doch so unendlich fern von ihm liegt! – Auf dem Potomac bewegen sich trägen Laufes zahlreiche Kriegsschiffe hin und her. Von Zeit zu Zeit senden sie mit bewaffneten Männern angefüllte Böte an's Ufer von Maryland und zerstören alle Kähne und Nachen, welche sie dort finden mögen, oder nehmen sie mit sich fort. Wenn es Nacht wird, erglühen auf diesen Schiffen blendende Kalziumlampen und werfen Tageshelle auf die silbernen Fluthen des Potomac.

Booth's Herz pochte hörbar bei dem Anblick dieser Maßregeln, welche täglich viele tausende Dollars kosteten, und welche, wie er sich sagen mußte, nur ihm galten.

Zwei Tage irrten die Beiden am Ufer umher, während sich die Schrecken ihrer Lage mit jedem Moment vergrößerten. Die Angst gräbt sich jetzt mit eisernem Griffel in ihre Züge hinein. Sie können diesseits des Potomac keinem Menschen trauen.

Booth leidet an Schmerzen, die jeden gewöhnlichen starken Menschen überwältigt haben würden, und dazu gesellt sich die Angst und die Schlaflosigkeit, die ihn und seinen Gefährten fast von Sinnen bringt Es ist die Nemesis, welche sie den Vorgeschmack der Strafe fühlen läßt, die ihnen bevorsteht. Sie hätten längst selbst Hand an ihr Leben gelegt, wenn ihnen nicht das rettende jenseitige Ufer so nahe winkte.

Auf einen Baumzweig gestützt geht Booth noch einmal mit seinem Gefährten aus dem Gehölz heraus, um vorsichtig am Ufer zu suchen, ob nicht irgendwo ein Boot vorhanden ist.

Erst wenige Schritte sind sie aus dem Gebüsch heraus, da hört Booth seinen Namen rufen.

Erschrocken blickt er um sich. Sein Auge späht mit doppelter Schärfe umher, die Angst öffnet es weit.

Der Ruf wiederholt sich lauter. – Da, wer ist das? Der Kopf eines Schwarzen reckt sich über das Ufer empor. Es ist Scip. Er winkt.

»Hier habe ich ein kleines Kanoe verborgen,« flüsterte er. »Ich will Sie hinüber fahren.«

Wie ein Engel vom Himmel erschien den Flüchtlingen der Schwarze, und trotz seiner widerwärtigen Physignomie, welche heute teuflischer als jemals aussah, hätte Booth ihn umarmen mögen.

Scip setzte das Ruder ein. Glücklich bringt er sie an's andere Ufer. Keines der Späheraugen auf den Kriegsschiffen hatte sie bemerkt. Was wäre wohl der List eines Negers unmöglich?!

In der Stunde, als der Aufruf des Kriegsministers an die Bewohner der Flußdistricte von Maryland erging, worin die Belohnung von 100,000 Dollars dem gesichert wird, der die Ergreifung des Mörders bewirkt, und Jeder mit der Strafe der Theilnahme an dem Morde bedroht wird, der die Flucht Booth's unterstützt, da steht der Mörder bereits drüben auf dem reichen Ufer Virginiens, triumphirend, die geballte Faust nach der Richtung ausstreckend, wo die Bundeshauptstadt liegt, und noch einmal murmelt er:

»Sic semper tyrannis!«

Er will sich landeinwärts begeben und ruft dem Neger einen flüchtigen Dank zu, da winkt ihn dieser zurück.

»Ich habe Ihnen ein Andenken von Mrs. Cleary zu überbringen,« flüsterte er, indem er dem überraschten und entzückten Jüngling ein Kästchen überreichte.

Booth drückte das Kästchen an seine Lippen. Das Kanoe Scip's war bereits wieder weit hinaus in den Fluß.

Begierig öffnet er – da – sein Auge ist starr – der Baumzweig, auf dem er sich stützt, entsinkt seinen Händen. – Todtenblässe bedeckt sein Antlitz, – mit einem Schrei stürzt er zu Boden.

Arnold springt bestürzt hinzu. Der Leblose hält das geöffnete Kästchen in der Hand. Was erblickt Arnold in demselben? – Eine Hand, eine Todtenhand, klein und schön, die Finger sind mit Ringen geschmückt. Hart am Knöchel ist die Hand vom Arm abgetrennt. –

Daneben liegt ein Stück Papier und darauf stehen die Worte:

»Wilkes Booth will die Hand von Mrs. Cleary als Lohn

        für seine That – er empfange sie. Cleary.«

*

Die Tage düsterer Trauer um den gemordeten Präsidenten hatte die Nation nicht unbenutzt gelassen; es waren die umfassendsten Anstalten getroffen, sich des Mörders zu bemächtigen. Tausende und aber Tausende betheiligten sich an der Verfolgung. Jede Stadt sandte ihr Contingent Bürger und Polizisten. Aber lange blieb Alles vergeblich.

Von Washington aus war jetzt die Verfolgung den vertrauenswerthesten Händen überlassen. Oberst Conger, ein Mann von eiserner Ausdauer und erprobtem Muth, sollte sie mit Hülfe des Lieutenants Baker und des Polizeichefs Mr. Jones leiten. Zugetheilt wurden ihnen 25 Mann vom 11. New-Yorker Cavallerie-Regiment.

Sechsunddreißig Stunden sind vergangen, ohne daß diese Leute diese Jünger der Nemesis, einen Moment der Ruhe gepflegt, da erhalten sie die erste Spur. Sie führt nach Mudd's Hause. Der Stiefel wurde gefunden, darin stand Booth's Name. Leute des Dorfes hatten gesehen, daß in aller Frühe zwei Männer, die nach der Beschreibung Booth und Arnold waren, bei ihm eingetreten seien. –

Der Doctor Mudd wurde sofort verhaftet.

Die müden Reiter warfen sich wieder auf ihre Pferde Es ist klar, daß die Flüchtlinge den Potomac überschritten haben. Auf einer Fähre setzten sie über den Fluß. Ein Fischer hat sie am jenseitigen Ufer gesehen. Wo sind sie? – Ein Rebellenoffizier hat sich zu ihrem Führer gemacht und sie mitgenommen – Wo ist der Rebellenoffizier? – In Bowling, wo er ein Liebchen hat, bei der er sich nach den Strapazen des Krieges erholt.

Vorwärts stürmen wieder die Reiter über die Wege, welche Grant vor einem Jahre mit Blut gedüngt; vorwärts über Stock und Stein, querfeldein, wo dadurch nur ein Schritt erspart werden kamt. Es sind funfzehn Meilen bis nach Bowling. Das Haus, in welchem sich der Rebellenoffizier aufhält, ist leicht gefunden. Es wird umzingelt, dann stört ein lautes Pochen den Schlaf der Bewohner. Nebenan auf dem Flur hört man leises Flüstern mit der alten Frau, welche die Thür geöffnet hat, und von Baker gefolgt, stürmt Conger die Treppe hinauf in das Zimmer, wo der Offizier schläft.

Er schläft so süß! Erst als man ihn rüttelt, als man seine Arme emporreißt und sie im Nu mit Schellen versieht, da öffnet er die Augen und erblickt über sich gebeugt zwei Gesichter, so grimmig und entschlossen, daß sein erstes Wort ein Flehen für sein Leben ist·

»Wo sind die Männer welche Sie vorgestern am Ufer des Potomac angetroffen und in's Innere des Landes geleitet haben?« fragt Conger drohend.

Das Geständniß ist schon auf seinen zitternden Lippen »Der mit der Krücke,« erzählt er, »habe weder weiter reiten noch gehen können, nachdem er eine kurze Strecke zurückgelegt, und sei auf dem Pachthof von John Garrett geblieben. Sein Gefährte befinde sich ebenfalls dort.«

Das war eine bittere Täuschung. Vier Tage hatten sie unermüdlich gesucht, waren vielleicht kaum von ihren Pferden gekommen, und jetzt sind sie dem Wild um zwölf lange Meilen vorausgeritten.

Man muß zurück. Sie besteigen wieder die Pferde und führen den Rebellen gebunden mit sich. Finster wie der Acheron ist die Nacht; nur im Nordwesten steigt leichtes Gewölk empor und dorthin wendet sich der Trupp. – –

Ein altes virginisches Farmhaus zeichnet sein Giebeldach und seinen hohen Schornstein an dem düsteren Horizont ab. Bald sind sie da. Sie steigen ab.

Vorsichtig, geräuschlos treten aus dem Schatten der Schwarztannen, die das Gehöft umgeben, bewaffnete Männer hervor. Sie schleichen nahe an das Haus, prüfen jeden Eingang, jedes Fenster, drücken leise an den Thürklinken, finden aber Alles fest und verschlossen. Noch ein Moment, und man hört leise Schläge gegen die Vorderthür ertönen. Eine Ueberraschung ist nicht möglich, und so muß man denn die Bewohner dieses Hauses wecken.

Bald hört man einen schleppenden Schritt auf dem Flur. Ein Schlüssel wird herumgedreht, ein Riegel fortgezogen, und ein bejahrter Mann, ein Licht in der Hand haltend, zeigt sich unter der Thür. Kaum dort, fühlt er schon einen eisernen Griff an seiner Kehle, und eine Stimme raunt ihm zu, daß sein Leben verwirkt sei, wenn er das Haus alarmire.

Er verspricht zu schweigen, und Conger und Baker richten alsbald flüsternd Fragen an ihn über die Männer, die er beherbergen soll.

Der Alte betheuert bebend seine Unschuld; er weiß nichts von zwei Wanderern; er ist ganz sicher, daß Niemand bei ihm angesprochen hat, der auf Krücken ging.

Die Todesdrohung vermag ihm nichts zu entlocken, und es ist unnöthig, weiter in ihn zu dringen. Während man ihn fesselt, regt es sich im Innern des Hauses. Conger stürzt hinein und befindet sich unter den weiblichen Bewohnern, welche, durch das Geräusch erschreckt, sich hastig ankleideten.

Indem sein argwöhnisches Auge diese Frauen mustert, tritt ein junger Mann in's Zimmer, hört die drohende Forderung der Bundesofficiere, sieht den alten Garrett mit Stricken gebunden, und legt sich sofort ins Mittel.

»Es lohnt sich ja nicht« rief er, »sich wegen der beiden Kriegsgefangenen in eine solche Lage zu begeben. Die beiden Männer, die Sie suchen, Sir, sind in der Scheune.«

In der Scheune! Hinter dem Hause John Garrett's steht ein großes viereckiges Gebäude, dessen verwitterter Giebel den des Wohnhauses weit überragt. Die Bretterwände zeugen nicht weniger von dem Wirken der Zeit, als das verfallene Strohdach. Nicht Glück und Frieden barg das friedliche Gebäude setzt, der Odem eines Mörders füllt es mit dein Hauch der Pest. Männer hausen in ihr, deren Herz selbst im Schlaf vor den entsetzlichen Bildern erstarrt, die eine verruchte That immer aufs Neue beschwören. Der Fluch von Millionen umweht das alte Gebäude, das dem Präsidentenmörder Obdach giebt. – Hört sie nur ächzen im Schlaf:

»Frei, frei, denn wir sind ja in Virginien! – Sic semper tyrannis!«

Frei und doch ächzen sie!

Die Scheune wird umstellt, es umgiebt sie ein Kreis von drohenden Karabinern, dann läßt Couger drohende Schläge gegen die Pforte fallen.

»Ihr, die Ihr da drinnen seid,« ruft er, »kommt heraus und ergebt Euch als unsere Gefangene.«

Todesstille herrscht rings umher, Spähende Augen sind auf die löcherige Bretterwand gerichtet. Jetzt regt es sich drinnen. Es ist als ob ein unsicherer Fuß auf den losen Brettern, die den Flur der Scheune bedecken, daher schleicht. Aber Niemand antwortet dem energischen Obersten, und noch einmal erklingt dessen Stimme hell und laut durch die Nacht, dann endlich erfolgt laut die Antwort.

»Wer seid Ihr, und was wollt Ihr von uns?«

»Wir kommen Euch gefangen zu nehmen, – streckt die Waffen!«

»Sagt uns, wer Ihr seid. Vielleicht seid Ihr Freunde, und wir werden uns dann bald einigen, vielleicht seid Ihr Feinde, und dann ist's immer noch Zeit, vom Ergeben zu sprechen.«

»Ich habe keine Erklärungen für Euch,« antwortete Conger fest. »Die Scheune ist umzingelt, Ihr könnt nicht entwischen. Wäre es nicht besser, Ihr erspart uns die Mühe, Euch todtzuschießen?«

»Wollen uns die Sache überlegen.«

» Verrathen!« knirschte Booth, denn er war es, der soeben gesprochen. Er weiß nur zu gut, was man von ihm will. Der erste Schlag an die Scheunenthür vernichtet das trügerische Sicherheitsgefühl, dem er sich hingegeben, sagt ihm, daß auch in Virginien der Meuchelmörder eines Präsidenten kein Asyl finde, und dunkel wie die Nacht ist, sieht er doch in bestimmten Umrissen das Schaffot, welches seiner harrt. Die Stunde der Vergeltung ist gekommen, aber John Wilkes Booth ist sich noch nicht einig, wie er ihr begegnen soll.

Eine lange Pause stellt sich ein. Von innen hört matt flüsternde Stimmen der sich berathenden Mörder Endlich unterbricht sie Conger. Er will nicht warten und befiehlt in herrischem Ton, daß die Männer hervorkommen und sich ergeben sollen. Und als habe er auf diese Wendung gewartet, spielt Booth setzt den Theaterhelden:

»Ich bin krank und verkrüppelt,« ruft er, »aber, beim Himmel, ich nehme es mit der ganzen Mannschaft auf, wenn man mir nur funfzig Ellen Spielraum gewährt. – Preisen Sie meine Großmuth, Herr Oberst, ich sehe Sie durch die Fugen der Bretterwand und könnte Sie in jedem Augenblick niederschießen.«

Seine Worte trafen taube Ohren. Von neuem erging die dringende Aufforderung, sich zu ergeben. Wieder hörte man drinnen flüsternde Stimmen, es schien, als ob der Gefährte Booths diesem den Vorschlag machte, sich zu ergeben, denn plötzlich hörte man den Mörder zu seinem Gefährten laut sagen:

»Feigling, in der Stunde der Gefahr willst Du mir untreu werden – ich will Dich nicht länger in meiner Nähe – geh fort – laß mich allein!«

Und dann öffnet sich plötzlich die Thür, und ein Schatten zeigt, daß ein Mann hinausgestoßen wird. Noch einen Augenblick, kräftige Arme umschlingen ihn und legen ihm Eisen an.

George Arnold, der Mitschuldige des Mörders ist ein Gefangener.

»Ich werde den Kerl ausräuchern lassen wie eine Ratte aus ihrem Loch,« sagte Conger und führte sogleich sein Vorhaben aus.

Man sieht ein Zündhölzchen erglimmen, und die kleine winzige Flamme wird an die Heubüschel gehalten, die sich überall durch die lückenhafte Wand hervordrängen.

Nur ein kurzer Moment, und die Flamme züngelt empor, schlängelt sich hinauf von Büschel zu Büschel, erklimmt das Dach und nährt sich von dessen morschem Stroh.

Langsam erhellt sich das nächtliche Bild. An dem schwarzen Hintergrund treten die Formen der alten Scheune, von den rasch sie umlaufenden Flämmchen beleuchtet, grell hervor.

Durch die Löcher der Bretterwand sieht man auch in das Innere, in das gleichfalls schon das Feuer sich gedrängt, indem es emporleckt am Gebälk, wo Stroh und Aehren ihm immer neue Nahrung geben.«

Und heller wird es mit jeder Secunde in diesem feurigen Hause. Schon suchen spähende Augen den Mann, welchen hier das Schicksal ereilen soll. – Dort steht er in der Mitte der Scheune, auf seine Krücke gelehnt und mit der Rechten ein Pistol umklammernd, den Blick nach Oben gerichtet, von wo brennende Strohhalme wie in einem Feuerregen aus ihn herabfallen.

Er ist allein. Geächtet, mit Fluch beladen, mit nagendem Gewissen, mit dem richtenden Gefühl, auch den Tod der Geliebten verschuldet zu haben, hinter ihm die dunkelste Nacht der Verzweiflung, vor ihm der gräßlichste Tod, steht er noch unschlüssig da. Sein abgehärmtes Gesicht trägt den Ausdruck des Entsetzens. Ringsum wirft er den hilflosen Blick. Dem Mörder steht der Feuertod bevor.

Noch ein kurzes Bedenken, und sein Entschluß ist gefaßt. Er ergreift den Karabiner, den Arnold zurückgelassen und nähert sich der Thür, doch bevor er sie erreicht, fällt ein Schuß, und John Wilkes Booth taumelt zurück.

»Er hat sich erschossen!« heißt es, und Conger und Baker stürzen hinein in die brennende Scheune, ihn zu bewahren für das Schaffot.

Doch nein! Nicht durch seine eigene Hand ist er gefallen. Der Sergeant Corbett hat auf den Mörder geschossen, aus Furcht, daß, wenn er das Dunkel der Nacht erreichte, er entfliehen möchte. Er hatte nur auf die Schulter gezielt, um ihn zur Flucht unfähig zu machen, aber die Kugel hatte den Kopf getroffen, und fast mit derselben Wunde, die Abraham Lincoln den Tod im Theater gab, zuckte sterbend jetzt sein Mörder in der Scheune.

Er liegt auf dem Rücken. Seine Brust bewegt sich krampfhaft. Seine Augen stehen weit hervor aus ihren Höhlen. Ist es der Schmerz, der ihn durchwüthet? Oder sind es die gespenstischen Visionen, die vor ihn treten und ihn die Hand erheben machen, daß er sich diese gräßlichen Bilder, die ihn in der letzten Stunde martern, verberge? –

Er wird hinausgezogen in die freie Luft, unter den dunklen Himmel, den er jetzt zum letzten Male sieht. Still – er will sprechen. Corbett beugt sich über ihn, hält das Ohr an seine bleichen Lippen und lauscht. Die Gedanken eines Mörders beschlichen den Sterbenden, die letzten fürchterlichen Gedanken an die That, die er vollbracht, aber sie werden erstickt durch die stärkere Erinnerung an die Bühne, für die er erzogen.

»Ich sterbe für mein Vaterland, ich habe das Beste gewollt!« flüstert der mit ewigem Fluch Beladene, dessen Namen Jahrtausende noch mit Abscheu nennen werden. Es spricht hier nicht der vom Wahnsinn erfaßte Patriot – es ist der Komödiant, der mit einer Phrase auf den Lippen das Leben verläßt. Noch einmal hörte man von seinen Lippen den Namen von Mrs. Cleary.

Lange steht man schweigend um ihn her. Die brennende Scheune wirft grelles Licht auf den Sterbenden, der Himmel blickt düster drohend auf ihn herab. Noch einmal will er sprechen. Er bewegt die Hand, er versucht, sie zu erheben. Aber er vermag es nicht.

»Ich kann nicht – ich kann nicht!« haucht er, und sein stierer Blick sieht unverhüllt die gräßlichen Bilder, welche zwischen dem Hier und Jenseits vor seine Seele treten. – Noch ein letzter Athemzug, ein leises Stöhnen, und es ist vorüber.

Er ist todt. Nicht mit dem dramatischen Effect, nach dem er gehascht, nicht in der Heldenrolle, die er gesucht. ist er gestorben – er stirbt den Tod eines tollen Hundes, er verendet an der Wunde, welche die erste Hand ihm beigebracht, die ihn erreichen konnte. –

Noch brennt die Scheune in lichter Lohe, noch zeichnet sich das Haus der Garretts am dunklen Firmament, noch winken die Schwarztannen im Nachtwinde, als der Kadaver des Mörders auf einen elenden Karren geworfen wird, und von bewaffneten Männern umgeben dem Potomac zuzieht – dem Potomac, über welchen der Mörder zum letzten Male rief sein: »Sic semper tyrannis!«

Der Leichnam wird in einen Sack gesteckt, auf ein Brett gebunden und dasselbe mit Steinen beschwert. Ein Boot stößt vom Ufer, Conger, Baker und Corbett sind darin. In der Mitte des Stromes da stoßen sie das Brett über Bord. Leicht kräuselt sich die Welle des Potomac, dann fließt das Wasser ruhig dahin und Nichts deutet die Stelle an, wo der Leichnam von John Wilkes Booth im Grunde des Stromes fault.


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