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Von der äußersten nördlichen Grenze der »Vereinigten Staaten« bis zum südlichsten Theile derselben ist ein weiter Weg. Indessen erfordert das gleichmäßige Fortspinnen der verschiedenen Fäden unserer Erzählung, daß wir diesen Weg zurücklegen und die canadische Grenze verlassend uns zurück nach Charleston begeben.
Charleston war zwar in Gefahr, belagert zu werden; indessen wollte es der Flotte doch nicht gelingen, sich dem Hafen zu nähern.
Die Bevölkerung obgleich die Gefahr sichtlich näher rückte, war vergnügungssüchtig und lebte in Saus und Braus, wie immer. Man sah, wie sonst, über diechaussirten Plätze die herrlichsten Carossen fahren, in denen Damen in den kostbarsten Kleidern sich breit machten; man sah, wie sonst, zwischen den Equipagen sich Reiter tummeln; die Oper und alle übrigen Theater wurden nach wie vor besucht, und Feste und luxuriöse Gastmähler gab es jeden Tag.
Unter den Equipagen, welche wir auf dem Epsom-Platz bemerken, fällt uns besonders eine auf, sowohl wegen Eleganz des Wagens, als wegen der Schönheit der Pferde, namentlich aber erregt die Erscheinung der Insassen des Wagens unsere Aufmerksamkeit.
Es ist eine Carosse mit zwei edlen braunen Pferden bespannt, geführt von einem Kutscher in glänzender Livree, neben welchem ein Diener in reich gallonirter Kleidung Platz hat.
Im Wagen sitzen zwei junge Damen, welche eben erst auf der Grenze zwischen dem Alter des Kindes und erwachsener Damen zu stehen scheinen. Sie sind der Gegenstand der Aufmerksamkeit Aller, die dort spazieren fahren oder reiten.
Die Herren zu Pferde sprengen heran und lassen, während sie grüßen, verstohlen ein kostbares Bouquet in den Wagen fallen, und die Damen suchen Gelegenheit, längere Zeit neben diesem Wagen herfahrend zu verweilen, um mit Blicken nicht ohne Neid die beiden schönen Mädchen zu betrachten.
In der That, die beiden jungen Mädchen sind bezaubernd; die Eine durch Schönheit der Züge und der Formen, die Andere durch liebliche Anspruchslosigkeit und herzgewinnende Liebenswürdigkeit.
Vor einer schönen Villa außerhalb der Stadt, da hält die Equipage. Die beiden Damen steigen mit Hülfe des Dieners aus, der Portier öffnet zuvorkommend die Thür, sie treten in luxuriös ausgestattete Gemächer. Ein Kammermädchen beeilt sich, ihnen Shawl und Hut abzunehmen, und fragt, ob den Damen einige Erfrischungen gefällig seien.
»Nein,« antwortete in zwar gebieterischem aber keineswegs unfreundlichen Tone eine der Damen, und fügte dann die Frage hinzu: »Ist Niemand hier gewesen?«
»Allerdings, Miß Cleary« sagte das Mädchen; »Mr. Tucker schickte zwei Billets zur Oper; Mr. Alston hat seine Karte abgegeben und angefragt, wenn Miß Cleary ihm das Vergnügen erweisen werde, ihn zu empfangen.«
Fanny, keine Andere war die Gebieterin in diesem Hause, hörte den Bericht der Kammerzofe mit Interesse an. Sie nickte beistimmend mit dem Kopfe, warf sich in ein Sopha und fragte in gleichgültigem Tone:
»Sonst Nichts?«
»Sonst nichts, Miß,« erwiderte das Mädchen. »O doch!« fügte sie sich besinnend hinzu; »ich vergaß, es war jener Mulatte hier, der Thierbändiger aus der Menagerie des Mr. Seyers ...«
»So, so,« fiel Fanny ein, und ihre Stirn runzelte sich ein wenig; »was wollte er?« fragte sie in viel weniger mildem Tone als vorher.
»Er wünschte Ihnen, Miß Cleary, seine Aufwartung zu machen, und bedauerte sehr Sie nicht angetroffen zu haben. Er erkundigte sich, wie Ihnen Ihre Wohnung gefalle, der neue Wagen, wie Sie mit den neu engagirten Bedienten zufrieden seien, und dergleichen mehr.«
»Noddy sollte es doch vermeiden, mich zu besuchen, da er weiß, daß oft vornehme Herren mein Haus betreten, und seine Gegenwart ihnen anstößig ist,« murmelte Fanny, halb zu sich, halb zu Nettice gewandt, nachdem die Zofe sich entfernt hatte.
»Fanny!« antwortete Nettice sanft und nahm die Hand der Freundin in die ihrige; »wie kannst Du nur Noddy deshalb zürnen? Sieh, nur Dir zu Gefallen, und um Dich dem Einfluß der vornehmen Herren Charlestons zu entziehen, namentlich, um Mr. Tuckers Bevormundung überflüssig zu machen, umgiebt er Dich mit all' diesem Luxus, der arme Noddy, und begnügt sich dann, bescheiden anzufragen, wie Dir das Alles gefällt!«
»O ja, ja! Ich erkenne das ja Alles an und werde dafür sorgen, daß mein Vater Alles, was er ausgelegt, bis auf den Heller zurückerstattet, ja, ihm die doppelte Summe zurückzahlt!«
»Darauf rechnet Noddy nicht!«
»Mag er darauf rechnen, oder nicht; aber mein Vater wird von ihm kein Geschenk annehmen, es ist seine Pflicht, ihn vollständig zu entschädigen. Allein diese Fürsorge berechtigt Noddy noch keineswegs, mich durch seinen Besuch zu compromittiren. Du erinnerst Dich des Auftrittes, Nettice, damals, als Mr. Tucker und Mr. Alston uns zum ersten Male besuchten.«
»Freilich!« antwortete Nettice; »die Herren kennen auch das Gefühl der Dankbarkeit nicht, und ihr Herz würde nicht gerührt werden durch so viel zärtliche Aufopferung, wie Noddy sie für Dich an den Tag legt. Aber Du, Fanny, Du bist sonst so gut, so dankbar, so zärtlich, und sprichst stets von dem Freunde mit solcher Innigkeit, daß ich kaum begreife, wie Du ihm jetzt wegen seiner all' zu zärtlichen Verehrung für Dich zürnen kannst!«
»Ich zürne ihm nicht, Nettice, Du mißverstehst mich; ich werde, wenn ich erst wieder im Besitze meines Vermögens bin, ihm beweisen daß ich dankbar bin. Ich werde ihm eine Stellung sichern, daß er sorgenfrei existiren kann. Aber man muß, namentlich, wenn man eine solche Stellung in der Welt einnimmt, wie ich, nie vergessen, wie tief die Abkömmlinge der Schwarzen unter uns stehen; man kann sie belohnen, man kann sie beschenken, aber würde Einer von ihnen einen Platz so nahe dem Herzen, wie der eines Freundes, ja vielleicht noch mehr beanspruchen, das wäre Verwegenheit!«
»O, Fanny, Fanny! Wie bald hast Du Dein Unglück vergessen! Damals, im Unglück, hast Du versichert, daß Du nie aufhören würdest, Noddy wie Deinen Bruder zu lieben ...!«
»Damals war ich ein Kind, und redete wie ein Kind!« fiel Fanny ungeduldig ein. »Ich habe schon hundertmal bereut, daß ich vielleicht die erste Ursache war, die Noddy kühn genug machte, zu glauben, er stände meinem Herzen näher wie jeder Andere, und das ist ein Grund mehr, Noddy nicht zu zürnen.«
»Aber Du vergißt seine noch täglich bewiesene, liebevolle Aufopferung ...«
»Was ist's? Er giebt das Geld, um es später nebst seiner Freiheit mit Zinsen zurück zu erhalten.«
»Nein!« entgegnete Nettice bitter; »ich kenne Noddy's Herz besser. Noddy speculirt weder auf Zinsen, noch auf seine Freiheit. Ein einziger Blick Deiner schönen Augen ist ihm mehr werth, als alle die Summen, welche er bereits für uns verausgabt hat. Bedenke, welche Opfer ihm diese Summen kosten müssen!«
»Das kann ich kaum glauben; er ist Theilhaber an dem Institut des Mr. Seyers, und der Verdienst muß doch wohl so groß sein ...«
Nettice schüttelte den Kopf.
»Fanny, ich fürchte, daß Noddy täglich sein Leben dreifacher, hundertfacher Gefahr aussetzt, um diese Summen zu verdienen. Hast Du die letzten Anschlagzettel des Mr. Seyers gelesen?«
»Nein!« antwortete Fanny kurz und verdrießlich »Ich kümmre mich darum nicht, ich besuche die Menagerie nicht, und sehe auch ihre Anschlagzettel nicht an.«
»Aber ich habe sie jeden Tag gelesen,« versetzte Nettice ernst und im Tone des Vorwurfs.
Fanny rümpfte das hübsche Näschen.
»Nettice, es haftet Dir immer noch etwas Plebejisches an! Hättest Du, wie ich, von Jugend auf in der vornehmen Gesellschaft gelebt, so würdest Du Dich um solche Dinge nicht kümmern Eine Dame von Stande liest kaum eine andere Anzeige, als die der Oper.
»Ohne auf diesen Vorwurf zu achten, fuhr Nettice fort:
»Weißt Du, was ich in letzter Zeit aus den Anschlagzetteln des Mr. Seyers erfahren habe?«
»Nein: ich bin auch kaum neugierig darauf.«
»Ich habe erfahren, auf welche Weise Noddy das Geld erwirbt, das er für Dich ausgiebt!«
»Durch seine barbarischen Produktionen im Käfig der wilden Thiere vermuthlich.«
»Ja, aber noch mehr als das. Ein gewisser Mr. Johnston bietet aller Welt eine Wette an, es werden täglich in der Menagerie ungeheure Summen gewettet ...«
»Nettice, Du langweilst mich!«
»Höre nur weiter! Ich versichere Dir, daß das, was ich erzähle, im Verlauf für Dich Interesse haben wird.«
»So fahre fort, mich mit den plebejischen und rohen Vergnügungen in der Menagerie zu unterhalten, aber fasse Dich nur kurz.«
»Auf den Zetteln steht,« fuhr Nettice, unbekümmert um Fanny's verdrießliche Laune, fort, »daß Noddo Noddini, der Unüberwindliche, an dem und dem Abend irgend ein haarsträubendes Kunststück ausführen werde. Bald macht er sich anheischig, den Löwen nach der Fütterung die Fleischstücke, die sie schon im Rachen haben, wieder fort zu nehmen, bald will er einen Löwen, einen Panther und eine Hyäne in einen Käfig zusammen lassen und die drei wüthenden Bestien hindern, auf einander loszustürzen, und heute beispielsweise kündigt er an, daß er in den Käfig des aus dem zoologischen Garten von Raleigh angekauften und noch vollständig ungezähmten Königstigers gehen, und vor den Augen des Publikums die Dressur desselben beginnen werde.«
»Noddy war von jeher muthig und verwegen,« entgegnete Fanny.
»Mag sein,« fuhr Nettice fort; »indessen sich tagtäglich in so augenscheinliche Todesgefahr zu begeben, dazu gehören andere Motive, als bloßer verwegener Muth.«
»Welche?«
»Die Liebe, Fanny!«
»Wie meinst Du das?«
»Du begreifst das nicht? Ich sagte Dir schon, daß durch einen Mr. Johnston täglich hohe Welten in der Menagerie veranstaltet werden; Mr. Johnston wettet auf das Gelingen des Kunststückes, und die Herren vom Sport wetten, daß der Thierbändiger aus Centralafrika von den Bestien werde zerrissen werden. Bis jetzt hat Noddy jeden Abend gewonnen. In seinem Auftrage, vermuthe ich, wettet dieser Mr. Johnston.«
»Du meinst also, Noddy thäte es aus Gewinnsucht?«
»Er thut es, um das Geld zu beschaffen, das er für Dich ausgiebt.«
Fanny wurde nachdenklich. Sie gefiel sich in dem Gedanken, daß Noddy weiter nichts für sie thäte, als vorschußweise ihren Unterhalt zu bestreiten. Es berührte sie unangenehm, dem jungen Manne mehr zu schulden, als blos Geld und allenfalls ein wenig Dankbarkeit; ein bitteres Gefühl überkam sie bei dem Gedanken, daß sie, die Tochter eines Cleary, vielleicht beschämt werde durch die Großmuth, durch den Edelsinn eines Mannes schwarzer Race.
Die Erziehung Mr. Paynes und der Einfluß ihrer Mutter waren nicht wirksam genug gewesen, um das bessere Gefühl in ihrem Herzen ganz zu ersticken; doch aber waren sie auch nicht ganz ohne Wirkung geblieben. Denn je mehr Fanny heranwuchs', desto mehr vergegenwärtigte sie sich in jedem Augenblicke, wie hoch sie selbst über den unglücklichen Schwarzen stünde, und eine wie unübersteigliche Kluft sie von Noddy trenne.
»Laß uns abbrechen,« sagte sie, plötzlich aufstehend, um sich von dem peinlichen Gefühl, das sie beschlich, los zu machen; »von etwas Anderem! Mr. Tucker hat Billets zur Oper geschickt; willst Du mitfahren in die Oper?«
»Nein, Fanny.«
»Warum nicht?«
»Ich hatte vor, diesen Nachmittag die Menagerie zu besuchen.«
»Du? Die Menagerie!?«
»Ja,« antwortete Nettice, dem erstaunten Blick Fanny's mit Festigkeit begegnend.
»Wie kommst Du dazu?«
»Ich will mich überzeugen, ob meine Vermuthung sich bestätigt, und will, so viel ich kann, mich bemühen, den edlen Jüngling von seinem gefährlichen Beginnen zurück zu halten.«
»Aber Nettice, bedenke ...!«
»Ich habe Alles bedacht,« fiel Nettice ein; »ich weiß, es ist auffällig, daß eine junge Dame allein einem solchen Vergnügen beiwohnt. Ich werde auch nicht allein gehen, sondern entweder in Begleitung unseres Kammermädchens, oder Belle-Boyd's. Wünschest Du Gesellschaft für die Oper, so wird ohne Zweifel die schöne junge Dame, welche wir kürzlich auf dem Corso kennen lernten, Mrs. Berckley aus Richmond, Dir nicht abschlagen, Dich zu begleiten.«
Sie warf bei diesen Worten einen Blick auf die Pendüle über dem Camin und fügte hinzu:
»Wenn Du erlaubst, kleide ich mich sofort an.«
»Wie Du willst,« antwortete Fanny, welche in der That nicht ungern sah, daß sie dieser Mahnerin ihres Gewissens los wurde.
Nettice begab sich auf ihr Zimmer, befahl dann dem Bedienten, ihr ein Cab zu holen, denn die Karosse mußte ja zur Disposition Miß Cleary's bleiben, und begann sich anzukleiden.
Nach einer halben Stunde verabschiedete sie sich von Fanny, setzte sich in das Cab und begab sich nach Belle-Boyd's Wohnung.
Belle-Boyd, die schlaue Spionin, die liebenswürdige Coquette und das immer heitere, lustige Mädchen lachte anfangs laut. auf, ihr als Nettice ihren Entschluß, die Menagerie zu besuchen, mittheilte. Da sie aber sah, daß die Sache dem jungen Mädchen völlig Ernst war, und Netticens Erzählung von der Ankündigung·auf dem Anschlagzettel ihr einen unterhaltenden Abend versprach, so hatte sie durchaus nichts dawider, Nettice zu begleiten.