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Hundertachtunddreissigstes Kapitel.
Der Prozeß

Während der zuletzt erzählten Ereignisse hatte der Prozeß der Verschwörer, deren Mordwaffen Abraham Lincoln erlag, und die außer Seward den damaligen Vicepräsidenten Johnson, den Kriegsminister Stanton und den General Grant zu treffen bestimmt waren, vor einem Kriegsgericht seinen Anfang genommen. Die Sitzungen wurden in einem eigens dazu eingerichteten Zimmer des alten Penitentiary in Washington abgehalten.

Vorsitzender des Kriegsgerichts ist der General Hunter. Joseph Hooth ist Ankläger, Vertheidiger sind Reverdy Johnson und Droste.

Die Gefangenen, es sind George Arnold, Robert Lewis Payne, Bob Harrold, Doctor Mudd, Edward Spangler, Mac O'Laughlin, John Atzerott und Mistreß Surratt, wurden in den festesten Kerkern zu den Strafen aufbewahrt, welche der Gerichtshof über sie verhängen mußte. Sie waren sämmtlich in Ketten geschlossen und an ihren Füßen befanden sich schwere Eisenkugeln. Alle waren im höchsten Grade niedergeschlagen, sie wußten, was ihrer wartete: nur Payne blieb finster, brütend, schweigsam und in sich gekehrt bis zum Beginn der Verhandlungen. Um der Beschimpfung zu entgehen, die seiner wartete, machte er einen Selbstmordversuch über den andern. Zuerst verweigerte er jede Speise, allein man schloß ihm die Hände so fest, daß kein Widerstand möglich war, und flößte ihm mittelst Röhren täglich mehrere Male Fleischbrühe ein. Da versuchte er, sich zu ersticken, indem er mit den Zähnen seine Kleider zerriß und die abgerissenen Stücke in den Mund zwängte. Als man auch dagegen Vorkehrungen traf, versuchte er, sich den Kopf an der Mauer seines Gefängnisses einzurennen. Um das zu vereiteln, mußte er eine dick wattirte Kappe tragen.

Von den Angeklagten, welche täglich in den Sitzungssaal geführt wurden, sind es nur Mudd, Arnold und Mrs. Surratt, deren Physiognomie einen höhern Grad von Bildung verrathen. Der Doctor Mudd ist noch der Einzige, der sich mit einer gewissen Würde der gefährlichen Prüfung unterwirft, die sein Versuch, die Flucht von Booth zu begünstigen, ihm zugezogen. Seine Züge tragen den südlichen Typus, und seine Manieren sind die der besseren Gesellschaft. O'Laughlin verräth in seinem Gesicht nur den Wüstling und Trunkenbold. Harrold, ein noch blutjunger Mensch, hat ein nichtssagendes Aussehen, vergeblich sucht man aus seinen Zügen den wilden Muth und die Entschlossenheit, die man bei einem Menschen voraussehen durfte, dem die Aufgabe zu Theil geworden, ein vielbesuchtes Hôtel zum Schauplatz einer Mordthat zu machen. Dasselbe gilt fast von Atzerott, dessen stupides Gesicht und röthliches Haar einen widerwärtigen Eindruck machen. Diesen Beiden war es sicherlich nicht um den Ruhm ihrer Mission, sondern lediglich um das Geld zu thun. – Robert Payne fesselt am meisten die Aufmerksamkeit der Zuhörer der Gerichtsverhandlungen. Seine herkulische Gestalt und sein stierer, durchbohrender Blick machen einen gewissen imponirenden Eindruck. Während des Zeugenverhörs sitzt er theilnahmlos, den Kopf an die Wand gelehnt, und die gefesselten Fäuste auf das Bein gestützt, oder unterhält sich damit, daß er den neugierigen Blicken der Zuschauer begegnet, und manchen durch sein finsteres, wildes Auge zu Boden senkt. Nicht weit von ihm sitzt Mistreß Surratt. Sie hat schnell gealtert, aber ihre kalten und entschlossenen Züge sind unverändert. Erst im Laufe der Verhandlung, als sie sah, daß die Zeugnisse gegen sie immer gravirender wurden, sank ihr allmählig der Muth. Spangler erscheint so nervös, daß er jedesmal, wenn sein Name genannt wird, auffährt und am ganzen Körper heftig zittert.

Die Verhandlung dauerte 6 Wochen. Es würde ermüdend sein, wollten wir einen detaillirten Bericht erfolgen lassen. Die Vernehmung von vielen hundert Zeugen brachte nicht nur die in diesem Buche erzählten Verbrechen der Angeklagten ans Licht, sondern noch vieles Andere. Der Vertheidiger Paynes bemühte sich den Beweis zu führen, daß sein Client geistig unzurechnungsfähig sei, und führte als Hauptbeweis seines Blödsinnes das Verbrechen an, was Payne im Gefängniß zu Elmira an einer Leiche begangen hatte. Der Vertheidiger der Frau Surratt appellirte an die amerikanische Courtoisie gegen Frauen und constatirt, daß in der Geschichte der Republik kein Fall der Hinrichtung einer Frau berichtet sei. Hauptzeuge in dem ganzen Prozeß war Sandford Conover, der sich zum ersten Male als ein Agent Der Union zu erkennen gab. Er, welchen die Führer der Rebellion fast sämmtlich zum Vertrauten gemacht, und den sie für den zuverlässigsten Anhänger der Conföderation gehalten, stand plötzlich als ihr gefährlichster Gegner da. Es läßt sich denken, welches Aufsehen diese Entdeckung machte. Der katholische Geistliche, welcher bei der Verhaftung von Mrs. Surratt Zeuge gewesen war, setzte alle Welt in Bewegung, um ihre Verurtheilung zu verhindern, er bekräftigte durch seinen Eid, daß sie eine äußerst fromme und gottesfürchtige Frau und eines Verbrechens nicht fähig sei. Aber es war Alles vergebens.

Lange ward das Schwert der Gerechtigkeit in der Schwebe gehalten. Wie zweifellos auch die Schuld der Angeklagten erscheinen mußte, so hat man ihnen doch jede denkbare Gelegenheit gegeben, sich zu rechtfertigen oder wenigstens Milderungsgründe vorzubringen. Rücksichtslose Strenge ist sonst das Wesen des Kriegsgerichts. Im vorliegenden Falle aber zeigte es eine Milde und Schonung, welche diesem Tribunal sonst fern zu liegen pflegt.

Als endlich die Entscheidung getroffen, als das Urtheil gefällt, vom Präsidenten Johnson sorgfältig geprüft und bestätigt war, da trat der ganze furchtbare Ernst des Drama's hervor, und die Majestät des Gesetzes ließ nicht länger mit sich tändeln.

Am 6. Juli wurde das vom Präsidenten bestätigte Urtheil den Angeklagten eröffnet, und schon am folgenden Morgen fand die Vollstreckung statt.

Frau Surratt, Payne, Atzerott, Harrold und O'Laughlin wurden zum Tore durch den Strang verurtheilt.

Der Richterspruch gegen Arnold und Mudd lautete auf lebenslängliche, gegen Spangler auf sechsjährige Einsperrung bei schwerer Arbeit.

Alle drei haben ihre Strafe im Zuchthaufe zu Albany abzubüßen.

Die Vollstreckung der Todesurtheile war schon auf den nächsten Tag angesetzt Es waren nur 24 Stunden Zeit, während derselben wurde die Festigkeit Johnsons auf eine sehr harte Probe gestellt.

Ein fast unbezwingliches Vorurtheil hegt das amerikanische Volk gegen die Hinrichtung einer Frau. Alle Mittel wurden in Bewegung gesetzt, um eine Umwandlung der Todesstrafe für Frau Surratt in lebenslängliche Gefängnißstrafe zu erwirken. Es wurde dem ersten Beamten der Republik während dieser 24 Stunden keine ruhige Minute gelassen. Man bat, man argumentirte, man drohte, aber alle diese Pfeile prallten an dem festen Herzen Andrew Johnson's ab wie der Blitz am granitnen Fels.

»Vom Weibe erwartet man noch mehr als vom Manne, daß es die edlen Regungen der Menschennatur heilig halte,« sagte er; »und tiefer als das Verbrechen eines Mannes, entwürdigt die Entartung eine Frau.« –

Eine Beschreibung der Execution selbst wird unser Leser kaum erwarten. Die Arrangements waren der Oberleitung des Generals Sigl anvertraut, und es wurde dabei der tiefe, ruhige Ernst beobachtet, welcher der Würde des Gesetzes entspricht. Fünf Schaffots waren neben einander aufgerichtet. Die Verurtheilten starben zugleich und ohne langen Todeskampf.

Gleich nachdem gegen das Mordcomplott den Anforderungen des Rechtes Genüge geschehen, wurden diejenigen der Rebellenführer, welche man von der Wohlthat des Treueides ausgeschlossen hatte, vor Gericht gestellt; der erste von diesen war Mr. Wirtz, der Commandant des berüchtigten Gefängnisses zu Millen.

Alle Scheußlichkeiten, welche dieser Mensch begangen, wurden durch Zeugenverhöre zur Evidenz erwiesen. Man kann sich keine Vorstellung machen, mit welcher Indignation das athemlos lauschende Publikum von den Gräueln, die zu Millen sich ereigneten, hörte. Nur die strengste Sorge der Gerichtsbeamten konnte Wirtz vor der Wuth des Publikums schützen. Selbst die enragirtesten Anhänger des Südens wandten sich voll Abscheu von diesem Scheusal. Mehr als zweihundert Zeugen wurden vernommen, und ihre Aussagen stimmten so merkwürdig überein, daß auch nicht der geringste Zweifel an der Wahrheit aller der Dinge, deren man ihn beschuldigte, obwalten konnte.

Um ihn zum Tode verurtheilen zu können, dazu hätte es so vieler Zeugen nicht bedurft, schon die eine Thatsache, daß er einen Gefangenen, den Sohn eines Fabrikanten aus Illinois niederschoß, aus keinem andern Grunde, als weil dieser ihn in deutscher Sprache anredete, hätte genügt, ihn dem Henker zu überliefern, aber um der Geschichte für alle Zeiten ein Bild aufzubewahren, bis zu welchem Grade der Unmenschlichkeit und Grausamkeit der Haß die Führer der Rebellion getrieben, bemühte man sich alle jene grauenerregenden Thatsachen ans Licht zu bringen, welche wir im Laufe unserer Geschichte erzählt haben. Das Gefängniß zu Millen wird bis in die spätesten Jahrhunderte Grund genug sein, mit Abscheu die Namen der Leute zu nennen, welche Führer dieser Junkerrebellion gewesen sind.

Am 12. Juli 1865 starb Wirtz am Galgen. –

Der Prozeß gegen Breckenridge ist nicht zu Ende geführt; der ehemalige Kriegsminister starb im Gefängniß, noch ehe der Urtheilsspruch gefällt war.

Jefferson Davis wird noch heute im Fort Monroe gefangen gehalten. Daß ihm nicht schon längst der Prozeß gemacht worden ist, hat Veranlassung zu den lustigsten Anschuldigungen gegen Johnson gegeben, indessen ist der Grund der Verschiebung der, daß man immer noch nicht einig ist, ob man den ehemaligen Rebellenpräsidenten vor ein Kriegsgericht stellen soll oder vor ein Civilgericht. Es ist das eine Frage von höchster Wichtigkeit. Die Freunde des Angeklagten verlangen das Letztere, die Republikaner das Erstere. Das kommt daher: Um Jemanden zum Tode zu verurtheilen ist in Amerika beim Kriegsgericht die einfache Majorität genügend, beim Civilgericht aber muß Einstimmigkeit der Geschworenen vorhanden sein. Daraus ist ersichtlich, daß von der Frage nach der Competenz des einen oder des anderen Gerichtshofes für Jefferson Davis Leben und Tod abhängt.

Die meisten der übrigen Führer der Rebellion haben den Treueid geleistet, die dies nicht gethan haben, sind entflohen, nur wenige sind zu Festungsstrafen verurtheilt.

Den Mitgliedern des Gerichtshofes gebührt der Dank des Landes für die unüberwindliche Ausdauer und Gewissenhaftigkeit, mit welcher sie ihre schwere Aufgabe lösten, die ganze Menschheit wurde durch das Verbrechen des Charfreitags 1865 beleidigt, und die Welt sitzt darüber zu Gericht.


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