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Neunachtzigstes Kapitel.
Semiramis

Während der Pause, welche jetzt eintrat, und während welcher die Elephanten ihre classischen Stellungen auszuführen hatten, erhielt Noddy zunächst den Besuch des Mr. Seyers, der ihn einmal über das andere umarmte, ihm die Hände schüttelte und ihn mit Thränen in den Augen küßte und seiner Freude gar keine Worte zu geben vermochte.

Dann kam Mr· Mops, der im Namen des ganzen Personals der Menagerie ihm seine Gratulation über das glückliche Gelingen abstattete und ihm von Herzen wünschte, daß es ihm bei seiner nächsten Produktion nicht schlimmer ergehen möge.

»Ich kann Ihnen sagen,« fügte Mr. Sehers hinzu, daß Seine Excellenz sich außerordentlich zufrieden erklärt. Ich habe, als ich sah, daß Alles so gut ging, mich nicht enthalten können, so ein Wort fallen zu lassen, daß dies Ihr erstes Debüt sei. Und nun wurde die Bewunderung erst groß. Ja, Miß Davis hat sich mehr als einmal nach Ihren persönlichen Verhältnissen erkundigt; natürlich habe ich gesagt, daß Sie ein Freier und ein Gentlemen von Geburt seien.«

Und noch vieles Andere erzählte er ihm, was Noddy beweisen konnte, mit wie gutem Erfolge sein erstes Debüt geendet habe.

Als sich dieser Besuch entfernt hatte, öffnete sich wieder die Thür des Wagens, und herein trat Mr. Warren, der Oberschlächter.

»Nun Mr. Noddy,« sagte er grinsend, »es ist besser abgelaufen, als ich dachte; ich gratulire Ihnen, Sir. Reichen Sie mir die Hand.«

Noddy hatte an die Stelle, an welcher Tomahuhu seine Flasche stehen gehabt, sich ein Glas Wasser hinstellen lassen, und da er in dem Augenblick, als Mr. Warren eintrat, mit der Rechten das Glas ergriffen hatte, um es an die Lippen zu setzen, so war er genöthigt, seinem ehemaligen Principal die Linke zu reichen. Er befand sich augenblicklich nicht in der Stimmung, um einem Manne, der ihm freundlich entgegen kam, unfreundlich zu begegnen, und ließ sich daher den Händedruck gefallen.

»Aber Sie haben noch keineswegs Alles hinter sich, Mr. Noddy,« fuhr Warren fort. »Das Schlimmste kommt noch. Sie werden sich bei der Semiramis verteufelt in Acht nehmen müssen.«

Noddys Lippen entfuhr wider Willen ein Fluch.

»Meinen Sie, Sie boshafter Narr,« sagte er, »ich wisse nicht, was ich zu thun habe? – Oder glauben Sie, daß jetzt der geeignete Zeitpunkt sei, mich immer an die Gefahr zu erinnern?«

Seine Stimme klang so wild und so zornig, daß Mr. Warren, dessen Feigheit in der That größer war, als die des elendesten Thieres, am ganzen Körper zu zittern begann.

»O! ich meine durchaus gar nichts«, sagte er kleinlaut. »Ich wollte Ihnen nur einen freundschaftlichen Rath geben, denn Sie sind so außerordentlich verwegen«.

»Ich wünsche weder Ihren Rath, noch Ihre Freundschaft«, gab Noddy kalt zurück. »Ich weiß, daß Ihnen Beides nicht von Herzen kommt. Ich habe Ihr Gesicht gesehen, als Smith getödtet wurde, und ich weiß, daß Sie kein Herz im Leibe haben. Scheren Sie sich in das Schlachthaus, Herr, Sie sind eine erbärmliche Memme ... Rasch, fort!«

»Ja, ja, Du Gelbschnabel«, sagte Warren höhnisch, »ich werde in mein Schlachthaus gehen, und Du gehst in Dein Schlachthaus zur Semiramis. Sie hat schon Zwei gefressen und wartet jetzt nur auf den ...«

Es war Mr. Warren nicht vergönnt, zu sagen, auf wen die Semiramis eigentlich warte; denn in diesem Augenblicke berührte die Spitze von Noddys großem Stiefel ziemlich unsanft den hintern Mittelpunkt seiner werthen Person, welche in Folge dessen einen Halbkreis durch die Luft beschrieb und ziemlich unsanft zu Boden fiel, und zwar unglücklicher Weise gerade auf den Rüssel des großen Elephanten, der in diesem Augenblicke zu seinem Glücke auf dem Kopfe stand, sich indessen dadurch rächte, daß er den Eindringling mit einem Strahl schmutzigen Wassers aus dem beleidigten Theil seines Körpers übergoß. Die Etonschüler glaubten natürlich, daß dies kometenhafte Erscheinen Mr. Warrens mit zur Vorstellung gehöre und brachen in endlosen Jubel aus. Mr. Warren aber mußte aus der Menagerie hinausgetragen werden.

Noddy hatte sich mehrfach umgesehen in der Menagerie, wie er es jedes Mal that; allein die Person, welche er suchte, hatte er nicht erblickt; denn, wie wir bereits erwähnten, hatte sich Mrs. Bagges mit ihren Schützlingen bis in die hinterste Reihe der Zuschauer zurückgezogen und zwar ausdrücklich auf Fanny's Wunsch.

Fanny zitterte in der Erwartung des Momentes, wo sie den Jüngling wiedersehen würde, dessen Aehnlichkeit mit ihrem Beschützer so täuschend war, daß, wenn sie ihn in einer andern Gestalt, als in der des Tierbändigers aus Centralafrika, erblickt hätte, sie ihm um den Hals gefallen sein und ausgerufen haben würde:

»Ich habe Dich wieder, Noddy, jetzt bin ich glücklich!«

Mr. Mops war mit seiner Vorstellung des Elephanten fertig.

Die classischen Stellungen desselben hattest das Publikum belustigt, und die Stille stellte sich wieder ein, welche großen Dingen in der Regel vorhergeht. Jetzt sollte nun der Haupttheil der Vorstellung, die Produktion im Käfige des Löwen und der Tigerin, stattfinden.

Unter dem athemlosen Schweigen der Menge verließ Noddy seinen Wagen.

Der Löwe lag, wie immer, den riesigen Kopf zwischen den Vorderbeinen, halb schlafend da, während die Tigerin vor dem Gitter ihres Käfigs hin und her glitt und den pausbäckigen Knaben aus der Etonschule mit so zärtlichen Blicken betrachtete, wie dieser seinerseits etwa eine saftige Kirsche betrachtet haben würde.

Noddy öffnete die Thür, welche sich zum letzten Male in ihren Angeln gedreht hatte, um die Leiche des getödteten Tomahuhu herauszuschaffen. Unerschrocken, festen Blickes trat er ein. Die Tigerin wendete sich um, ihre funkensprühenden Augen schienen ihn wie giftige Pfeile durchbohren zu wollen. Sie erhob ein unheimliches Knurren, und ihr Gang wurde ruheloser und schneller.

»Steh'!« sagte Noddy mit Donnerstimme und begleitete diesen Befehl mit einem Hiebe der Peitsche über ihre Schnauze.

Sie stand.

»Springe!« sagte er und hielt ihr den Doppelreifen vor, welcher Schuld an Mr. Smiths Tode gewesen war. Sein Anblick mußte der Tigerin in der That fürchterlich erscheinen. – Sah sie in ihm wirklich eine Person, derjenigen identisch, die gestern ihre Krallen zerrissen, oder erkannte sie in ihm den kühnen Wagehals, der mit der Eisenstange auf sie eindrang und den Leichnam aus ihren Krallen riß?

Sie wendete das gierige Auge von ihm ab; – sie sprang.

Der Löwe gehorchte, wie immer, mit majestätischer Ruhe; und mit einer Würde, die der König der Thiere nie verleugnet, unterzog er sich den Befehlen seines Bändigers. –

Den Schluß der Vorstellung sollte ein Tableau bilden, das englische Wappen darstellend, da man glaubte, daß diese Anspielung auf Britannien's Freundschaft dem Präsidenten sehr angenehm sein würde.

Bei dem Wappen sollte die Semiramis die Stelle des Einhorns vertreten. Es gelang wider Erwarten. Mitten im Käfige stand Noddy, zu seiner Rechten den Löwen emporgerichtet, zu seiner Linken die Tigerin. Da mit einem Male begann die Tigerin zu schnuppern: ihre Augen begannen zu rollen, und sie gewann ein Aussehen, welches der pausbäckige Schüler der Etonschule später als ein Grinsen bezeichnete, aber ohne zu lachen. Dann küßte sie wirklich Noddys linke Hand.

In demselben Augenblicke aber bewegte Noddy seine Rechte,·der Griff der Peitsche fiel auf die Schnauze der Tigerin und das mächtige Thier sank zu Boden und blieb regungslos liegen. Noddy schob seine Linke in den Busen, verneigte sich und verließ den Käfig. Das donnernde Hurrah der Menge hörte er kaum noch, und als er in seinem Wagen ankam, sank er auf dem Sopha in Ohnmacht.

Mr. Seyers stürzte herbei. Ein Arzt, den man Vorsichts halber bereits zur Hand hatte, kam hinzu. Man untersuchte. Noddys Linke war von den Zähnen der Tigerin durchbissen, so daß sich ihre Fangzähne gegenseitig berührt hatten.

»Ich lasse diese Bestie sofort todtschießen!« rief Mr. Seyers.

»Ist nicht nöthig«, sagte Noddy erwachend, »sie ist schon todt«.

»Aber um Gotteswillen, wie kam es, da Alles so gut ging. – Ich begreife nicht ...«

»O!« sagte Noddy, »ich begreife sehr wohl. Ich hatte dem Schlächter die Hand gereicht, die linke; ich merkte es erst, als es bereits zu spät war. Der Geruch des frischen Thierblutes, das an seiner Hand geklebt hat, war Schuld daran, daß die Tigerin nach meiner Hand biß«.

»Mein Himmel, diese Unvorsichtigkeit von Mr. Warren!« rief Seyers.

»Unvorsichtigkeit?« erwiderte Noddy ironisch. »Ich sage Ihnen, daß er schon zweimal mit Menschenleben gespielt hat. Es war seine Absicht, ich weiß es nur zu wohl, und ein Mann, der zweimal versucht hat, zum Mörder zu werden, darf nicht ungestraft davon gehen. Ich verlange, daß Mr. Warren zur Rechenschaft gezogen werde«.

»Wenn es der ist«, sagte der Arzt, »der vorhin aus diesem Wagen auf den Rüssel des Elephanten fiel, so ist er gestraft genug; denn er hat zwei Rippen und das Schlüsselbein gebrochen«. – –

Während dies in der Wohnung des Thierbändigers vorging, fand in der Menagerie selbst ein Ereigniß statt, das sehr geeignet war, Aufsehen zu erregen.

Nämlich obwohl Miß Fanny gewünscht hatte, den Thieren nicht zu nahe zu stehen, so hatte sie doch vor der zweiten Produktion zur großen Verwunderung ihrer Beschützerin darauf gedrungen, sich der Stelle zu nähern, wo Mr. Tomahuhu vorüberkommen mußte. Sie hatte ihn näher ins Auge fassen wollen, und als der Thierbändiger nun aus dem Käfige zurückkam, da mit einem Male schrie sie laut auf: »Er ist es, er ist es ...! Noddy!« rief sie ihm noch nach, als er in seinem Wagen verschwand.

Mrs. Bagges indessen gab dem in der Nähe harrenden Scip sofort einen Wink. Er erfaßte sie, hob sie mit seinen riesigen Armen empor und trug sie hinaus in den Wagen.

Noddy hatte allerdings vor Schmerz und Schwäche dem Publikum nicht die Aufmerksamkeit gewidmet, die er sonst stets anwandte, um die Gesuchte zu erblicken. Indessen sein Auge hatte Mrs. Bagges gestreift, und sein Ohr hatte den Ton von Fannys Stimme vernommen.

Als sich jedoch seine Kräfte wieder soweit hergestellt hatten, daß er hinausgehen konnte, um sie wieder aufzusuchen, da war Mrs. Bagges mit ihren Schützlingen längst verschwunden.


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