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Hundertundzehntes Kapitel.
Neue Fallstricke

Unsere Erzählung führt uns nach Washington, der Residenz Lincoln's, zurück. Wir haben es uns angelegen sein lassen, in dem vorliegenden Werke ein möglichst vollständiges Bild der ewig denkwürdigen Zeit des amerikanischen Freiheits-Krieges zu geben. Die Menge interessanter Thatsachen aber vergrößert sich, je mehr wir uns der Katastrophe nähern. Wir glauben daher bei unsern geneigten Lesern Entschuldigung zu finden, wenn wir den vorläufig bestimmten Umfang des Wertes um einige Bogen überschreiten. Nur auf Kosten der historischen Vollständigkeit wäre es uns möglich gewesen, die vorgesteckten Grenzen des Wertes innezuhalten. Anm. d. Verfassers.

Die Ovationen, welche man Abraham Lincoln brachte nach seiner glücklichen Errettung aus der Gefangenschaft, währten ununterbrochen fort.

Von früh bis spät am Nachmittage, in der glühenden Sonnenhitze des Monats August standen Deputationen vor dem weißen Hause und warteten, bis sie an die Reihe kommen würden, dem Präsidenten gratuliren zu können.

Ununterbrochen zogen Volksmassen vorüber, die Luft mit donnernden Cheers erfüllend, und wenn der Abend hereinbrach, dann nahmen die Fackelzüge, die Freudenschüsse und die Jubelhymnen der Bevölkerung kein Ende.

Abraham Lincoln hatte sich alle solche Ovationen verbeten; aber vergebens; es ließ sich der Freudenausbruch der Bevölkerung nicht dämpfen.

Es war ein Sonnabend des Monats August, der erste Tag, an welchem man dem Präsidenten nach den endlosen Gratulationsaudienzen ein wenig Athem schöpfen ließ. Lincoln saß in seinem Arbeitscabinet in dem bekannten Costüme, in welchem wir ihn schon zwei Mal dort sahen, das heißt in einem schlotternden, viel zu weiten Hausrock und in den Pantoffeln, mit welchen er von Zeit zu Zeit schlarrend das Zimmer durchschritt, als Nicolai eintrat und meldete, daß ein Mr. Bob Hugh ihn zu sprechen wünsche.

»Mr. Bob Hugh?«

»Mr. Hugh ist der Chef der großen Kleiderhandlung, welche sich seit acht Tagen in Washington am Union-Place etablirt hat. Er kommt im Aufträge der Anhänger der republikanischen Partei im Süden, um Ew. Excellenz die Gratulation derselben, und als Beweis ihrer Anhänglichkeit und Liebe ein Geschenk zu überreichen.«

»Ich mag mit den Herren des Südens nichts zu schaffen haben, auch wenn sie Geschenke bringen,« sagte Lincoln, »und die Anhänger der Union im Süden thäten besser, mir ihre Anhänglichkeit durch Thaten zu beweisen, welche dem Vaterlande mehr nützen, als ein Geschenk für meine Person. Doch lassen Sie Mr. Hugh eintreten.«

Bob Harrold, denn kein Anderer war der angebliche Hugh, erschien mit einem mächtigen Packet.

»Excellenz,« sagte er, den hämischen Ausdruck seines Gesichtes so viel wie möglich durch eine kriechende Unterwürfigkeit mäßigend, »ich bin aus Charleston hierher verzogen, weil ich als treuer Bürger der Republik nicht länger in einem Lande wohnen mag, in welchem man das Verderben auf das Haupt unseres geliebten Präsidenten zu bringen bemüht ist.«

Lincoln maß ihn mit forschendem Blicke. Er war ein guter Physiognomiker, und die Physiognomie Harrolds war durchaus nicht geeignet, einen nur einigermaßen geübten Physiognomiker zu täuschen.

»Wenn Sie bis jetzt in Charleston wohnten,« antwortete Abraham Lincoln »so hätten Sie nicht nöthig gehabt, von dort wegzuziehen; denn Charleston wird sich hoffentlich nicht mehr lange in den Händen der Conföderation befinden. Indessen will ich es wünschen, daß Ihre pecuniären Verhältnisse unter diesem patriotischen Aufenthaltswechsel nicht leiden mögen.«

»Ich bin nicht interessirt, Excellenz, und will mir einen Nachhielt an meinem Vermögen gern gefallen lassen, wenn ich nur meinem patriotischen Gefühl folgen kann.«

»Sie kommen im Auftrage Ihrer Gesinnungsgenossen?«

»Ja, Excellenz, und meine Gesinnungsgenossen in Charleston erlauben sich, Ihnen dies hier« – er legte das große Paquet, welches er unter dem Arm trug, auf einen Stuhl, »als Präsent zu überreichen.«

»Ich danke Ihnen, Mr. Hugh; wer sind Ihre Gesinnungsgenossen?«

»Da ist ein Master – Master ...« – Harrold war auf diese Frage nicht gefaßt, und hatte sich nicht darauf vorbereitet, sich einige bekannte Persönlichkeiten in Charleston zu merken, die er hätte als Auftraggeber nennen können.

»Sie wissen die Namen Ihrer Auftraggeber nicht?«

»In der That, Sir,« antwortete Harrold, der sich unterdeß ein wenig gesammelt hatte, »ich bin nicht in der Lage, Ihnen meine Auftraggeber zu nennen; nicht, weil ich sie nicht wüßte, sondern weil sie nicht genannt sein wollen.«

»Nun, so kann ich auch meinen Dank nur an Sie allein richten,« antwortete Lincoln lächelnd; »was enthält denn Ihr Geschenk?«

Harrold schlug die Decke, in welche das Geschenk eingewickelt war, auseinander, und präsentirte dem Präsidenten einen vollständigen äußerst eleganten Anzug.

»Ha, ha!« lachte Lincoln, »man schickt mir einen Anzug, wahrscheinlich, damit ich, wenn ich nach Charleston komme, mit meinem gewöhnlichen Aufzuge nicht gegen die dort herrschende feine Etiquette verstoße. Sagen Sie Ihren Auftraggebern in Charleston, daß ich mich bemühen werde, nach der Einnahme der Stadt bei meinem Besuche dort so comfortable, wie sie es nur von ihren Rittern gewöhnt sind, die Salons der Haute volée zu betreten.«

»Es ist nicht das, Excellenz,« antwortete Harrold ein wenig verlegen; »es soll nur ein Beweis der Anhänglichkeit sein. Meine Auftraggeber senden auch den Herren Ministern je einen Gala-Anzug, die sämmtlich in meinem Magazin gefertigt sind und zugleich zu meiner Empfehlung dienen dürften.«

»Das gestehe ich!« rief Lincoln, »der Süden will nicht allein die Regierung der Union nach seinem Belieben reformiren, sondern auch den Präsidenten und die Minister der Union nach seinem Geschmack zustutzen! Ich danke Ihnen, Mr. Hugh; meine Minister und ich werden uns im Charlestoner Geschmack herausstaffiren, wenn wir einmal Charleston besuchen, oder wenn einmal der Rebellenpräsident und seine Minister uns besuchen sollten. Bis dahin aber denken wir uns in unserer alten Façon zu behelfen.«

Als Harrold sich entfernt hatte, rief der Präsident seinen Geheimsecretair.

»Sehen Sie, Mr. Nicolai, das Geschenk, welches mir meine Freunde im Süden machen!«

Mr. Nicolai konnte sich eines Lächelns nicht enthalten. Er erzählte, daß das reich ausgestattete Magazin des Herrn Hugh etwa seit acht Tagen etablirt sei, daß es die elegantesten Kleider zu verhältnißmäßig sehr billigen Preisen liefere, und sprach die Vermuthung aus, daß Mr. Hugh mit dem Geschenk möglicherweise keinen andern Zweck verbinde, als sich die Kundschaft des Präsidenten und der Minister zu verschaffen.

»Da hat er sich getäuscht!« antwortete Lincoln lachend; »Mr. Wells zum Beispiel wird in seinem Leben kaum je so viel Geld für Kleider ausgeben, als der ihm überreichte Gala-Anzug gekostet haben wird.«

Lincoln sprach noch, als einer der Secretaire meldete, das; ein Arzt, Namens Blackburn, seine Excellenz zu sprechen wünsche.

Es hielt bekanntlich nicht schwer, bei Lincoln Audienz zu erlangen, und so nahm denn Old Abem auch durchaus nicht Anstand, jenen Mr. Blackburn vorzulassen.

»Excellenz,« sagte Blackburn, dessen sicheres Wesen Lincoln gefiel, »ich war im Süden stationirt.«

»Schon wieder ein Besuch aus dem Süden!« rief der Präsident.

»Ich war Arzt im Gelbenfieberlazareth zu Leesbourg.«

»Eine traurige Praxis, Sir.«

»Eure traurige Praxis, Excellenz.«

»Es erfordert entweder großen Patriotismus oder große Menschenliebe, sich einem solchen Berufe zu widmen!«

»Unter Patriotismus könnte in diesem Falle nur der Fanatismus der Conföderirten gemeint sein,« versetzte Blackburn mit ruhigem Ernst. »Ich bin aber niemals ein Anhänger der Partei gewesen: auch die Menschenliebe hätte mich niemals zu solchen Opfern getrieben.«

»Sehr aufrichtig,« sagte Lincoln, der jedoch etwas unangenehm berührt ward durch diese Offenherzigkeit.

»Ich lüge nicht, Excellenz, und verschmähe es, eine Lüge auszusprechen, selbst da, wo ich mit derselben meinem Charakter ein angenehmeres Colorit verleihen könnte.«

»Was war's demnach, daß Sie bewog, einem so gefährlichen Posten vorzustehen?«

»Der Gewinn, Excellenz!«

»Und was ist's, was Sie zu mir führt? – Auch der Gewinn?«

»Vielleicht; vielleicht auch etwas Anderes,« antwortete Blackburn, durchaus nicht außer Fassung gebracht, mit dem seinen Mienen stereotypen Ernst und mit der Bestimmtheit, die stets seine Ausdrucksweise charakterisirte; »ich will Ihnen den Zweck meines Hierseins sagen, Excellenz; meine Motive aber wünsche ich Ihnen nicht bloßzulegen. Wir haben gegenwärtig die Jahreszeit, in welcher auch in dieser Gegend das gelbe Fieber auszubrechen pflegt; es sind bereits Erkrankungen vorgekommen. Es wäre nun möglich, daß die Seuche einen verheerenden Umfang annähme.«

»Was Gott verhüten wolle.«

»Wenn Gott es verhütet, so bin ich überflüssig.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich kam her, Excellenz, Sie zu bitten, mir während der Gelbenfieberepidemie die Praxis in den Hospitälern zu überlassen, und vielleicht durch eine amtliche Bekanntmachung den Bewohnern von Washington die Mittheilung zukommen zu lassen, daß ein Arzt, der bereits seit fünf Jahren in den Hospitälern des gelben Fiebers practicirt, und in der Behandlung dieser Krankheit mehr Erfahrung hat, als irgend ein Arzt in den vereinigten Staaten, in Washington ansäßig ist und Blackburn heißt.«

»Welchen Zweck hätte eine solche amtliche Bekanntmachung?«

»Excellenz, ich hatte mir ausbedungen, die Motive verschweigen zu dürfen.«

»Sie tragen mir eine Bitte vor, und stellen mir Bedingungen!?«

»Ich will verdienen, Excellenz, Sie mögen selbst abnehmen, wie weit eine solche Bekanntmachung geeignet wäre, mir die Kundschaft der reichsten Leute des Landes zuzuführen.«

»Das Motiv ist also ein geschäftliches?«

Blackburn zuckte die Achsel.

»Ich weiß nicht, Excellenz, wer den größten Vortheil hat; der Mann, welcher mich für seine Behandlung bezahlt und genes't, oder ich, der das Geld empfängt? – Wer kann garantiren, Excellenz, ob Sie nicht selber am gelben Fieber erkranken?«

Kein Zug im Antlitz des Arztes veränderte sich, als er die Worte aussprach; sein Blick aber streifte flüchtig den Anzug, welcher auf der Stuhllehne lag.

»Die Nation würde tausend Millionen zahlen für Ihre Genesung. Sie sehen, das Leben einzelner Personen ist viel Geld werth, und ich bin im Stande, so Manchem dies Gut für einen verhältnismäßig billigen Preis zu erhalten, den ich für meine Behandlung als Honorar fordere.«

Obwohl die Person des Arztes auf Lincoln einen unheimlichen Eindruck machte, so bewirkte doch das sichere Auftreten desselben, seine Ruhe, sein Ernst, die kalte Besonnenheit, daß der Präsident ein günstiges Vorurtheil in Bezug auf seine Wissenschaft für ihn faßte.

Mr. Blackburn wurde also von ihm verabschiedet mit der Versicherung, daß seinem Wunsche gewillfahrt werden solle, falls wirklich die Stadt von der Gelbfieber-Epidemie heimgesucht werden würde.


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