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9.
Nachtgespräch bei Quangels

Quangel hat kaum die Tür zum Schlafgemach aufgemacht, da ruft seine Frau Anna erschrocken: »Mach kein Licht, Vater! Die Trudel schläft hier in deinem Bett. Ich habe dir dein Bett auf dem Sofa in der Stube zurechtgemacht.«

»Ist gut, Anna«, antwortet Quangel und wundert sich über diese Neuerung, daß die Trudel durchaus in seinem Bett schlafen muß. Sonst hat sie auf dem Sofa gelegen.

Aber er sagt erst wieder was, als er sich ausgezogen hat und unter der Decke auf dem Sofa liegt. Er fragt: »Willst du schon schlafen, Anna, oder magst du noch ein Wort reden?«

Sie zögert einen Augenblick, dann antwortet sie durch die offene Tür von der Schlafstube her. »Ich bin so müde und kaputt, Otto!«

Also sie ist noch böse mit mir – warum? denkt Otto Quangel, sagt aber unverändert: »Also dann schlaf, Anna. Gute Nacht!«

Und von ihrem Bett hallt es zurück: »Gute Nacht, Otto!« Und auch die Trudel flüstert leise: »Gute Nacht, Vater!«

»Gute Nacht, Trudel!« antwortet er und legt sich auf die Seite, nur von dem Wunsche erfüllt, möglichst bald einzuschlafen, denn er ist sehr müde. Aber er ist wohl übermüdet, wie man auch überhungert sein kann. Der Schlaf will nicht zu ihm kommen. Ein langer Tag mit endlos viel Ereignissen, ein Tag, wie es ihn eigentlich noch nie in Ottos Leben gegeben hat, liegt hinter ihm.

Aber kein Tag, wie er ihn sich wünscht. Ganz abgesehen davon, daß alle Geschehnisse unangenehm waren, bis auf die Ablösung von seinem Posten in der Arbeitsfront, er haßt diese Unruhe, dieses Redenmüssen mit allen möglichen Menschen, die er insgesamt nicht ausstehen kann. Und er denkt an den Feldpostbrief mit der Nachricht vom Tode Ottochens, den ihm die Frau Kluge gegeben, er denkt an den Spitzel Borkhausen, der ihn so täppisch hat reinlegen wollen, an den Gang in der Uniformfabrik mit den im Zuge flatternden Plakaten, gegen die Trudel ihren Kopf lehnte. Er denkt an den verkappten Tischler Dollfuß, diesen ewigen Zigarettenraucher, die Medaillen und Orden klingeln wieder auf Brust des braunen Redners, nun faßt ihn aus dem Dunkel die feste, kleine Hand des Kammergerichtsrats a. D. Fromm an und schiebt ihn der Treppe zu. Da steht der junge Persicke mit seinen spiegelnden Stiefeln auf der Wäsche und wird immer käsiger, und in der Ecke röcheln und stöhnen die beiden blutigen Besoffenen.

Er fährt wieder hoch, beinahe wäre er eben wirklich eingeschlafen. Aber da ist noch etwas, das ihn an diesem Tage stört, etwas, das er genau gehört und wieder vergessen hat. Er setzt sich auf seinem Sofa hoch und lauscht lange und sorgfältig. Es ist richtig, er hat sich nicht verhört. Befehlend ruft er: »Anna!«

Sie antwortet klagend, wie es gar nicht ihre Art ist: »Was störst du mich schon wieder, Otto? Soll ich denn gar nicht zur Ruhe kommen? Ich habe dir doch gesagt, ich will nicht mehr reden!«

Er fährt fort: »Warum soll ich denn auf dem Sofa schlafen, wenn die Trudel bei dir im Bette legt? Dann ist mein Bett doch frei?«

Einen Augenblick herrscht drüben tiefe Stille, dann sagt die Frau fast flehend: »Aber Vater, die Trudel schläft wirklich in deinem Bett! Ich liege allein, ich habe auch solche Gliederschmerzen ...«

Er unterbricht sie: »Du sollst mich nicht belügen, Anna. Drüben bei euch atmen drei, ich hab's gut gehört. Wer schläft in meinem Bett?«

Stille, lange Stille. Dann sagt die Frau fest: »Frag nicht so viel. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Schweig lieber stille, Otto!«

Und er unbeugsam: »In dieser Wohnung bin ich der Herr. In dieser Wohnung gibt's keine Geheimnisse vor mir. Weil ich alles zu verantworten habe, darum. Wer schläft in meinem Bett?«

Lange Stille, lange. Dann sagt eine alte, tiefe Frauenstimme: »Ich, Herr Quangel, Frau Rosenthal. Und Ihre Frau und Sie sollen keine Schwierigkeiten durch mich haben, ich ziehe mich an. Gleich gehe ich wieder rauf!«

»Sie können jetzt nicht in Ihre Wohnung, Frau Rosenthal. Die Persickes sind oben und noch ein paar Kerls. Bleiben Sie jetzt liegen in meinem Bett. Und morgen früh, ganz zeitig, um sechs oder sieben, gehen Sie runter zum alten Rat Fromm und klingeln an seiner Tür im Hochparterre. Der wird Ihnen helfen, er hat's mir gesagt.«

»Ich danke Ihnen auch schön, Herr Quangel.«

»Sie können dem Rat danken, mir nicht. Ich setz Sie bloß aus meiner Wohnung. So, und nun kommst du dran, Trudel ...«

»Ich soll wohl auch raus, Vater?«

»Ja, du mußt. Das war dein letzter Besuch bei uns, und du weißt auch, warum. Vielleicht, daß Anna dich manchmal besucht, aber ich glaub's nicht. Wenn sie erst zur Vernunft gekommen ist und ich richtig mit ihr geredet habe ...«

Fast schreiend sagt die Frau: »Das laß ich mir nicht gefallen, dann geh ich auch. Dann kannst du allein bleiben in deiner Wohnung! Du denkst nur an deine Ruhe ...«

»Richtig!« unterbricht er sie scharf. »Ich will nichts Unsicheres haben, und vor allem will ich nicht in die unsicheren Geschichten von andern reingezogen werden. Wenn ich den Kopf hinhalten muß, will ich ihn nicht wegen irgendwelchen Dusseleien von andern hinhalten, sondern weil ich was getan habe, was ich tun wollte. Ich sage nicht, daß ich was tu. Aber wenn ich was tu, so tu ich's nur mit dir allein, mit keinem andern Menschen noch, und wenn es ein noch so nettes Mädel wie die Trudel ist oder 'ne alte, schutzlose Frau wie Sie, Frau Rosenthal. Ich sag nicht, es ist richtig, wie ich's mache. Aber anders kann ich's nicht machen. So bin ich, und ich will auch gar nicht anders sein. So, und jetzt will ich schlafen!«

Damit legte sich Otto Quangel wieder hin. Drüben tuscheln sie noch leise, aber das stört ihn nicht. Er weiß: sein Wille geschieht doch. Morgen früh ist seine Wohnung wieder sauber, und die Anna wird sich auch fügen. Keine wilden Geschichten mehr. Und er allein. Er allein. Nur er!

Er schläft ein, und wer ihn jetzt schlafen sehen könnte, der würde ihn lächeln sehen, ein grimmiges Lächeln auf diesem harten, trockenen Vogelgesicht, ein grimmiges, kämpferisches Lächeln, doch kein böses.


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