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Diesmal hatte der Kommissar Escherich rasch und fehlerfrei gearbeitet. Kaum hatte ihn die telefonische Nachricht erreicht, daß zwei Postkarten in einer mit achtzig Mann besetzten Werkstatt der Möbelfabrik Krause & Co. gefunden seien, da hatte er gewußt: dies war die Stunde, auf die er so lange gewartet, jetzt hatte der Klabautermann endlich den so lange erwarteten Fehler gemacht. Jetzt würde er ihn fassen!
Fünf Minuten darauf hatte er genügend Mannschaften zur Abriegelung des ganzen Fabrikgeländes angefordert und sauste in dem vom Obergruppenführer selbst gesteuerten Mercedes zur Fabrik.
Aber während Prall dafür war, sofort die achtzig Mann aus der Werkstatt zu holen und jeden Mann einzeln so lange zu vernehmen, bis die Wahrheit ans Tageslicht gekommen war, hatte Escherich gesagt: »Ich brauche sofort eine Liste aller in der Werkstatt Arbeitenden mit ihren Wohnungen. Wie rasch kann ich die haben?«
»In fünf Minuten. Was wird mit den Leuten? Sie haben in fünf Minuten Feierabend.«
»Zum Schichtende lassen Sie ihnen sagen, daß sie weiterzuarbeiten haben. Gründe unnötig. Jede Tür zur Werkstatt ist mit Doppelposten zu besetzen. Niemand verläßt den Raum. Sorgen Sie dafür, daß dies alles möglichst unauffällig geschieht, jede Beunruhigung der Leute ist zu vermeiden!«
Und als der Kontorist mit der Liste hereinkommt: »Der Kartenschreiber muß in der Chodowiecki- oder in der Jablonski- oder in der Christburger Straße wohnen. Wer von den achtzig wohnt dort?«
Sie sehen die Liste durch: Keiner! Kein einziger!
Noch einmal schien das Glück Otto Quangel retten zu wollen. Er arbeitete in einer fremden Belegschaft, er stand nicht auf der Liste.
Der Kommissar Escherich schob die Unterlippe vor, zog sie rasch wieder zurück und biß zwei-, dreimal kräftig auf seinen Bart, den er eben noch gestreichelt hatte. Er war seiner Sache ganz sicher gewesen und war nun maßlos enttäuscht.
Aber außer der Mißhandlung des geliebten Bartes ließ er sich von einer Enttäuschung nichts merken, sondern er sagte kühl: »Wir sprechen jetzt die Personalverhältnisse eines jeden Arbeiters durch. Wer von den Herren kann genaue Angaben machen? Sie sind der Personalchef? Schön, also beginnen wir, Abeking, Hermann ... Was ist bekannt über den Mann?«
Es ging unendlich langsam voran. Nach fünfviertel Stunden waren sie erst beim Buchstaben H.
Obergruppenführer Prall rauchte Zigaretten, die er gleich wieder ausdrückte. Er begann Flüstergespräche, die nach wenigen Sätzen wieder versandeten. Er trommelte mit den Fingern Märsche auf die Fensterscheiben. Er fing plötzlich scharf an: »Ich finde das alles blöd! Viel einfacher wäre es doch ...«
Kommissar Escherich sah nicht einmal hoch. Jetzt hatte ihn die Angst vor seinem Vorgesetzten endlich verlassen. Er mußte den Mann finden, er gab sich aber zu, daß ihn der Mißerfolg mit den Straßen stark störte. Prall konnte noch so ungeduldig werden, auf eine Massenvernehmung ließ er sich nicht ein.
»Weiter bitte!«
»Kämpfer, Eugen – das ist der Werkmeister!«
»Kommt nicht in Frage, bitte um Entschuldigung. Hat sich bereits heute morgen um neun Uhr die Hand in der Hobelmaschine verletzt. Statt seiner macht Werkmeister Quangel heut Dienst ...«
»Also weiter: Krull, Otto ...«
»Ich bitte nochmals um Entschuldigung: Werkmeister Quangel steht nicht auf der Liste des Herrn Kommissars ...«
»Stören Sie doch nicht ewig! Wie lange sollen wir denn hier noch sitzen? Quangel, dieses alte Riesenroß, kommt doch nie in Frage!«
Aber Escherich, ein Fünkchen Hoffnung glimmt wieder in ihm, fragt: »Wo wohnt dieser Quangel?«
»Wir müssen erst mal nachsehen, weil er nicht zu dieser Belegschaft gehört.«
»Also lassen Sie doch nachsehen! Bißchen schnell, was? Ich hatte um eine vollständige Liste gebeten!«
»Natürlich wird nachgesehen. Aber ich sage Ihnen, Herr Kommissar, bei diesem Quangel handelt es sich um einen fast völlig vertrottelten alten Mann, der übrigens schon viele Jahre in unserm Betrieb arbeitet. Wir kennen den Mann durch und durch ...«
Der Kommissar winkte ab. Er wußte, wieviel Irrtümer sich Menschen hingeben, die ihre Mitmenschen durch und durch zu kennen glauben.
»Nun?« fragte er gespannt den wieder eintretenden Bürojüngling. »Nun!«
Nicht ohne Feierlichkeit sagte der junge Mann: »Werkmeister Quangel wohnt in der Jablonskistraße Nummer ...«
Escherich sprang auf.
Mit einer bei ihm ganz ungewohnten Erregung rief er: »Das ist er! Ich habe den Klabautermann!«
Und Obergruppenführer Prall schrie: »Nichts wie her mit dem Schwein! Und dann schleifen, schleifen, nichts wie schleifen!«
Die Erregung war allgemein.
»Der Quangel! Wer hätte das gedacht – der Quangel? Dieser alte Dussel – unmöglich! Aber er hat als erster die Karten gefunden! Kunststück, wo er sie selbst hingelegt hat! Aber wer ist denn solch ein Idiot und stellt sich selbst eine Falle? Quangel! – Unmöglich!«
Und über allen die schreiende Stimme Pralls: »Nichts wie her mit dem Schwein! Und schleifen, schleifen!«
Als erster war der Kommissar Escherich wieder ruhig geworden.
»Auf ein Wort, bitte, Herr Obergruppenführer! Ich bitte, vorschlagen zu dürfen, daß wir erst einmal in der Wohnung dieses Quangel eine kleine Haussuchung machen.«
»Aber wozu diese Umstände, Escherich? Nachher läuft uns der Kerl womöglich fort!«
»Aus diesem Bau kommt jetzt keiner mehr raus! Aber wenn wir was in der Wohnung finden, das ihn ohne weiteres überführt, das jedes Leugnen unmöglich macht? Das würde uns viel Arbeit sparen! Jetzt ist dafür der richtige Zeitpunkt! Jetzt wo der Mann und seine Familie noch nicht weiß, daß wir ihn in Verdacht haben ...«
»Viel einfacher ist es doch, dem Mann die Eingeweide langsam aus dem Leibe zu leiern, bis er gesteht. Aber meinethalben: fassen wir gleich die Frau auch! Aber das sage ich Ihnen, Escherich, wenn der Kerl hier unterdes Schweinereien macht, sich in 'ne Maschine schmeißt und so was, dann fahre ich wieder mit Ihnen Schlitten! Ich will den Kerl baumeln sehen!«
»Das werden Sie auch! Ich werde diesen Quangel ununterbrochen durch die Tür beobachten lassen. Die Arbeit geht weiter, meine Herren, bis wir zurück sind – ich denke, in etwa einer Stunde ...«