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Weiß ist nicht nur die Farbe der Unschuld, sondern auch die der militärischen Diktaturen. Schwarz war die Hand jener Offiziersvereinigung, die Serbien vor dem Kriege und im Kriege regierte, weiß nennt heute die Generalskamarilla die Hand, die den jungen südslawischen Staat würgt und die durch freie Entscheidung geeinten Nationalitäten in die Zwangsjacke großserbischer Machtansprüche zu pressen sucht.
Als König Alexander am 6. Januar des Jahres die konstitutionellen Garantien kassierte, das Parlament versiegeln ließ und einem Gardegeneral aus dem Kreise der Regiciden von 1903 despotische Vollmachten verlieh, da war die Stimmung im Auslande zunächst nicht unfreundlich. Denn die letzten bürgerlichen Kabinette und die hinter ihnen stehenden Parlamente hatten sich unfähig gezeigt, die innern Fragen zu lösen und namentlich mit der kroatischen Opposition ein vernünftiges Übereinkommen zu treffen. Die wirklichen Ziele der Diktatur wurden vorerst geschickt verdunkelt. In den fremden Zeitungskorrespondenten wurde zunächst die Vorstellung erweckt, daß es sich nur um ein Interim handle, um ein paar Monate der Erholung von dem wüsten Treiben der Parteien und Interessencliquen. Ähnlich mögen sich auch die diplomatischen Vertreter des Königreiches geäußert haben. Die Erfahrung zeigt nämlich, daß grade die Diktaturstaaten ihre zivilisiertesten und liberalsten Männer zur Repräsentation ins Ausland schicken, während die demokratische Republik Deutschland sich ihre Vertreter mit Vorliebe aus einer abgetakelten Feudalschicht holt, eine Ungeschicklichkeit, unter der die Reputation der Republik oft leiden muß.
Seither hat das neue Regime in Jugoslawien den letzten Zweifel über seinen Charakter zerstreut. Es ist kein Fascismus, der sich da aufgetan hat, dazu bietet die überwiegend agrarische Bevölkerung keinen Boden, es ist vielmehr die gute alte Militärdiktatur, die sich tatenhungrig etabliert hat; Vormärz, aber mit der fortgeschrittenen Mordtechnik unsrer hellen Zeit. Gewiß ist Alexander kein Ré bomba, vielleicht weiß er von dem Pulverkeller unter seinem Thron, aber er ist nur eine Puppe in der Hand seiner Generale. Ohne Zweifel hat die Monarchie mehr zu riskieren als die hohen Offiziere. Denn Monarchien vergehen, Generale bestehen. Auch die Republiken können Generale gebrauchen. Sogar Rotrußland, das am radikalsten mit der Vergangenheit gebrochen und selbst den lieben Gott, arm wie er ins Land gekommen, nach Hause geschickt hat, scheute sich nicht, einige der bösartigsten Schinder aus der Zarenzeit zu übernehmen. Die Triarier wagen also nicht viel, Majestät wagt alles. Die Offiziere sind in der Weißen Hand vorbildlich organisiert, sie beherrschen nicht nur den Staat, sie räumen auch unter den Kameraden auf, die nicht aus dem gleichen Teller mit ihnen löffeln wollen. So sind erst kürzlich dreißig Generale unvermutet pensioniert worden, ein einzigartiger Vorgang. Immerhin wird den Herren Kameraden gegenüber noch die am meisten cavalière Form des Meuchelmordes gewahrt, man knüpft nur die Karrieren auf, nicht die Personen. Für das Bürgerpack werden andre Seiten aufgezogen.
Die Diktatur hat prima gearbeitet. Die Parteien sind aufgelöst. Die Gewerkschaften, soweit sie sich nicht auf den Boden der Tatsachen stellen wollen, verboten. Es gibt keine oppositionelle Presse mehr. Die Parteien Kroatiens, die Bauernpartei des Stefan Raditsch und die Unabhängige Demokratische Partei des Svetosar Pribitschewitsch, sind ekrasiert. Über Agram gebietet ein altserbischer Vogt. Die Kroatenführer werden nacheinander in Altserbien interniert. Männer, die im Kampfe gegen Habsburg für die Idee Südslawiens oft und oft das Leben eingesetzt haben, werden von einem größenwahnsinnigen Allserbentum in Ketten gelegt. Kroatien wird wie ein erobertes Land behandelt, ärger als früher unter der Peitsche der magyarischen Statthalter. Der Dank vom Hause Karageorgewitsch gleicht aufs Haar dem vom Hause Habsburg.
Demnächst soll in Belgrad der Prozeß gegen jenen Punitscha Raschitsch stattfinden, der am 20. Juni vorigen Jahres Stefan Raditsch während der Parlamentssitzung ermordete. Kroatien sieht in diesem Prozeß nur eine lächerliche Farce. Schon im vergangenen Jahre erbrachten agramer Blätter den schlüssigen Beweis, daß Raditsch nicht einer Affekthandlung, sondern einem Komplott erlegen sei, dem zahlreiche Abgeordnete und auch der Präsident des Parlaments angehörten. Raditsch war gewarnt worden, an diesem Tag nicht das Wort zu nehmen, da jede kleinste Silbe von ihm das Stichwort für die Verschworenen sein würde. Raditsch sagte es zu, aber es gelang den Mördern, ihn durch Zurufe herauszufordern, so daß mit Mühe und Not eine in leidenschaftlicher Erregung geschehene Tat konstruiert werden kann. So betrat der große Bauernführer als Totgeweihter die Skupschtina, und so erinnert diese Sitzung an jenen historischen Abend im Palais Jussupoff, wo unter Geigenklang und Gläserklirren ein gefährlicher sibirischer Bauer ermordet wurde. Schrieb doch die belgrader ›Politica‹ in ihrem Nekrolog mit zynischer Offenherzigkeit, Raditsch habe einen Kampf mit dem Staate geführt und in diesem Kampf sei der Staat der Stärkere gewesen. Das führende Blatt der altserbischen Radikalen bestätigt also, daß der wirkliche Mörder der Staat selbst war, der einem elenden Bravo des Nationalismus die Pistole in die Hand gedrückt hat.
Die Sozialistische Partei ist vollkommen ausgeschaltet und von ihr sind auch nur geringe Anstrengungen zur Erschütterung des gegenwärtigen Zustands zu erwarten. Eine ihrer Leuchten ist sogar Gesandter in Berlin. Die Kommunistische Partei arbeitet seit 1921 illegal. Sie ist nicht sehr stark und, wie in den meisten Balkanländern, bis auf weiteres nur ein Annex radikaler Bauerngruppen. Aber grade das macht sie gefürchtet und zieht ihr Verfolgungen zu, deren Methoden aus dem benachbarten Bulgarien geholt werden, das den serbischen Blutpatrioten sonst als der Erzfeind gilt. Besonders erschreckend ist die Ermordung von Hetschimowitsch und Gjakowitsch, zwei Kommunisten aus Agram, die am 27. April an der österreichisch-jugoslawischen Grenze an einer schwer betretbaren Stelle eines Grenzbaches erschossen aufgefunden wurden. Amtliche Erklärung: auf der Flucht erschossen! Wir kennen das und staunen nur, wie wenig variabel doch die Praxis der Militärdiktatur ist. Wie intelligent und erfindungsreich ist daneben doch die zivile Justiz! Es würde zu weit führen, hier zu schildern, wie die beiden Opfer durch Spitzelarbeit verhaftungsreif gemacht wurden. Jedenfalls wurden sie von Gendarmen von Agram nach der österreichischen Grenze gebracht. Warum –? Wahrscheinlich gab man ihnen entweder eine Chance zu fliehen, um sie nach ein paar Schritten zu erlegen, oder man schoß sie kaltblütig ab, um die Leichen dann ruhig an der Grenze liegen zu lassen. Gegen den Fluchtversuch spricht, daß beide aus unmittelbarer Nähe mit Herzschüssen getötet wurden, dagegen spricht aber auch, daß mindestens Gjakowitsch im Gefängnis derartig maltraitiert worden war, daß er kaum transportfähig gewesen ist, geschweige denn imstande gewesen sein konnte, eine Flucht durch unwegsames Gelände zu versuchen. Die Leichen sind nach Agram zurückgeschafft worden. Obduktion wurde verweigert.
Ein andres Kapitel. In Tirana in Albanien erwartet Hacki Stermili, einst ein Anhänger des geflüchteten Fan Noli, sein Gericht und damit den sichern Tod. Denn Ahmet Zogus Justiz kennt für die Gegner des Systems nur den Galgen. Hacki Stermili ging 1924 nach dem Sturze der Regierung Fan Noli mit vielen Albaniern in die Emigration. Seit einigen Jahren lebt er in Jugoslawien als Handwerker bei seinem Bruder, der Politik fern. Eines Tags war er verschwunden; die Polizei erklärte, daß sie von ihm nichts wisse. Erst nach einem Monat erfuhr die Familie, daß er bei Nacht und Nebel verhaftet und an die albanischen Behörden ausgeliefert worden sei. Was gab der jugoslawischen Polizei den Anlaß zu diesem namenlos schändlichen Bruch des Asylrechts? Hacki Stermili hat friedlich gelebt und sich gegen kein Gesetz vergangen. Aber er hatte der großserbischen Propaganda einen Dienst verweigert. Die albanischen Emigranten, die sich mit Mühe nach Jugoslawien gerettet haben, werden nämlich gesammelt und zu Diensten gegen ihr eignes Land gezwungen. Diesen Dienst hat Hacki Stermili verweigert und deshalb wurde er an seine Heimatsbehörde ausgeliefert. Albanische Flüchtlinge versichern, daß schon etwa vierzig Fälle dieser Art vorgekommen sind. Ahmet Zogu ist so bekannt, daß sich jedes erläuternde Wort erübrigt. Aber er legt auch keinen Wert auf die sonst in Europa üblichen Formen. Doch sei trotzdem die Frage erlaubt, ob selbst dieser Gewaltherr ein Urteil wird vollstrecken lassen, dessen Vorgeschichte aus einer so grauenhaften Verletzung des Asylrechtes besteht, verübt von einem Staat, der offiziell wenigstens albanische Formen ablehnt und sich im Auslande durch Diplomaten vertreten läßt, die auch mit den schwierigsten Begriffen der westlichen Kultur auf Du stehen. Es ist vielleicht ein verwegener Wunsch, daß dieser König aus dem Recht der eignen Faust den benachbarten Staat, der sich noch immer als geordneter Rechtsstaat aufspielt, durch die Begnadigung des unseligen Hacki Stermili beschämen möge, denn schließlich hat Stermili selbst unter Zwang keinen Hochverrat begehen wollen.
Zu wünschen wäre aber auch, daß sich die Französische Liga für Menschenrechte, deren Einfluß weit reicht, mit der letzten Entwicklung in Jugoslawien befaßte. Wenn das, was sich dort ein wenig abseits von der Heerstraße der großen Ereignisse abspielte, in seinem schrecklichen Umfange endlich bekannt wird, so kann der Welt nicht länger ein schlechtes demokratisches Theater vorgegaukelt werden. Rechtsbruch und Meuchelmord, Niederbüttelung des hochzivilisierten kroatischen Volkes und des unglücklichen Mazedoniens, das ist das bisherige Pensum der belgrader Diktatur, der jüngsten Diktatur Europas.
Die Weltbühne, 28. Mai 1929