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»Der Polizeipräsident«, schreibt das beliebte Mittagsblatt, »hat einen Schritt getan, wie ihn selten der Chef einer Polizeibehörde fertig bringt.« Wieso? Hat der Herr Polizeipräsident von Berlin in deutlicher Erkenntnis seiner mangelnden Eignung für sein verantwortungsvolles Amt oder in einem Anfall von Zerknirschung über das von ihm in den ersten Maitagen angerichtete Unheil endlich seinen Abschied eingereicht? »Er hat freimütig um Entschuldigung gebeten.« Wen? Den Redakteur, dem die Polizei am Abend des dritten Kampftages in der neuköllner Hermannstraße eine Kugel ins Bein gejagt hat? Den achtunddreißig Arbeiterfamilien, die einen Toten zu beklagen haben? Was hat Genosse Z. also getan? Am Mittag besehen, beschränkt sich seine großartige Geste auf einen Brief, den er an eine bekannte Filmschauspielerin geschrieben hat, in dem er sein Bedauern ausdrückt, daß der Dame, die neulich wegen einer unbeträchtlichen Übertretung der Verkehrsordnung sistiert worden war, auf dem Polizeirevier die ortsüblichen Freundlichkeiten widerfahren sind. »Das ist in der Tat der Geist, wie er die Polizei eines Volksstaates beseelen muß.« Die Dame war mit ihrer Beschwerde im Recht, aber, mit Verlaub, kostet es denn soviel Überwindung, sich bei einer schönen und eleganten Frau zu entschuldigen? Es gibt Schlimmeres im Leben. Und ist das Anlaß, dem obersten Vogt der Polizei die Bürgerkrone aufs Haupt zu drücken?
Daß Genosse Z. noch immer amtieren darf, gehört zu den Unbegreiflichkeiten des angeblichen Volksstaates. Gewiß hat die berliner Polizei seit dem 1. Mai gelernt, sich besser zusammenzunehmen, aber ihre volle Energie entfaltet sie auch heute noch hauptsächlich gegen Links. Davon profitieren vor allem die Nationalsozialisten, die den Straßenrandal zu höchster Vollendung ausgebildet haben, und davon profitierten auch die völkischen Studenten, die neulich die Universität in einen Paukboden verwandelt haben. Wenn die Maidemonstranten am Bülowplatz oder Hermannplatz Ähnliches versucht hätten, so würde das Polizeipräsidium vom Gruppenkommando der Reichswehr wahrscheinlich ein paar Feldhaubitzen angefordert haben. Mögen die Rechtsblätter damals die Maßnahmen der Polizei bejubelt haben, die Massen der Bevölkerung, ohne Unterschied der Partei, waren von den Ereignissen mit tiefstem Entsetzen erfüllt. Das Polizeipräsidium ist für Jahre hinaus diskreditiert, und die Nachfolger des Genossen Z. werden sich bei ihm bedanken können für die Schwierigkeiten und das Mißtrauen, auf das sie von Anfang an stoßen werden. Für die Sozialdemokratie aber kann es bald verhängnisvoll werden, daß sie für den von ihr vorgeschickten Mann noch immer grade steht. Sie wird den berliner Polizeipräsidenten nicht mehr lange tragen können.
Genosse Z. selbst mag ähnlich fühlen, denn er hat plötzlich das Bedürfnis empfunden, sich öffentlich zu rechtfertigen. Während er in der ersten Zeit nach den blutigen Maitagen, als die Schläge auf ihn hageldicht fielen, sich in jenes Phlegma hüllte, mit dem alte Parteifunktionäre die Erregungen einer Geringfügigkeit, wie es in diesem pseudodemokratischen Staat die öffentliche Meinung ist, zu überstehen pflegen, ist er jetzt endlich aus sich herausgegangen. Er hat nämlich das Zentralorgan der K.P.D. verklagt, das, von einigen kräftigen Verwünschungen abgesehen, sachlich auch nichts Andres gesagt hat als einige demokratische Blätter, die an der Polizei scharfe Kritik geübt und ihre Bürgerkriegsmethoden unzweideutig abgelehnt haben. Vielleicht hofft Genosse Z., über eine kommunistische Zeitung am ehesten obsiegen zu können, um wenigstens eine Verurteilung wegen formaler Beleidigung als Trophäe nach Hause zu bringen. Er vergißt jedoch, daß dieser Prozeß, der Ende Januar zum Austrag kommen dürfte, das ganze abscheuliche Kapitel wieder aufrollen und einer Bewegung, die schon versickert zu sein schien, frischen Ansporn geben wird. Nichts kann erwünschter sein, als wenn der Polizeipräsident in öffentlicher Gerichtsverhandlung darlegt, weshalb er den 1. Mai als einen Großkampftag erster Ordnung betrachtet hat, weshalb am 3. Mai in Neukölln im Schutze eines »kleinen« Belagerungszustandes, von dem die Verfassung nichts weiß, noch immer auf friedliche Passanten geschossen wurde, und wer nun eigentlich der Feind war, gegen den sich die militärischen Anstrengungen richteten. Es gibt noch Dutzende solcher Fragen, eine Anzahl davon ist in den Prozessen gegen die Verhafteten schon beantwortet worden; in welcher Weise schildert der nachstehende Artikel. Wenn Genosse Z. im Gerichtssaal nicht andres zu sagen haben wird als seinerzeit in seinen schnell zum Kinderspott gewordenen Kriegsberichten, dann dürfte dieser Prozeß, in den er sich vorwitzig genug wagt, seinen amtlichen Exitus erheblich beschleunigen.
Die Weltbühne. 24. Dezember 1929