Carl von Ossietzky
Sämtliche Schriften 1929 - 1930
Carl von Ossietzky

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Champions

König Gigolo

Bei uns sind die Hohenzollern abgemeldet, aber der nach der Walachei verschlagene Zweig blüht noch und macht von sich reden. Es ist zwar nicht die scheniale Linie der Hohenzollern, die sich in Bukarest niedergelassen hat, dafür aber haben sich die sigmaringer Verwandten dort so gut akklimatisiert, daß sie von alten gelernten Balkaniern nicht zu unterscheiden sind. In einer dicken Patchouliwolke von Depraviertheit und Zigeunererotik thront die Dynastie; sie lebt mehr der Sittengeschichte als der großen Historie. Immer gibt es was neues für die Skandalsucht, und alle Bettangelegenheiten werden auf öffentlichem Markt ausgekämpft. Es ist auch ein zu günstiges Vorurteil, wenn man in deutschen Darstellungen immer wieder lesen muß, die Donauhohenzollern hätten in ein verelendetes, der Türkenverlotterung verfallenes Land den ersten Hauch westlicher Zivilisation gebracht. Der wirkliche Befreier Rumäniens ist der Bojar Alexander Kuza, der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts diktatorisch regierte, die Bauern aus der alten Fron erlöste, ihnen Land gab und die Prärogative der Kirche beseitigte. Schon 1866 mußte der Diktator einer reaktionären Verschwörung weichen, Karl Hohenzollern kam ins Land, der Fortschritt versackte, die Politik trat ganz in den Dienst des Großgrundbesitzes; durch ein halbes Jahrhundert hören Judenpogrome und Bauernmetzeleien nicht auf. »Rumänische Wahlen« werden sprichwörtlich; unter einer dünnen Lackschicht von westeuropäischem Konstitutionalismus hält sich die alte Barbarei. Die Bratianus lösen die Paschas der Hohen Pforte ab.

Die Dynastien von Heute haben es nicht leicht. Zwischen ihnen und dem Volke steht entweder ein Parlament mit dem ertrotzten Redemonopol oder irgend ein großer oder kleiner Mussolini. Die rumänischen Hohenzollern der zweiten Generation hatten es schon völlig aufgegeben, politische Macht durch persönliche Qualitäten zu ersetzen, dafür beschenkten sie die Welt mit Affären. Der selige Ferdinand war zwar ein richtiger roi fainéant, ein König Schlafmütze; das Boudoir der Königin wurde das Zentrum aller royalistischen Energien, hier mischten sich Politik und Börse mit liebenswürdigeren Elementen. Als Prinz Carol, der älteste Sohn der Königin Maria, einen Konkurrenzbetrieb eröffnete, kam es zum Zerwürfnis. Vergeblich versuchten gute Menschen, die in einer prinzlichen Ausschweifung immer etwas Sublimes sehen, so etwas wie die schöne Selbstvergessenheit eines gutgelaunten Gottes, dem jungen Herrn Genie anzuhängen. Wahr ist, daß Prinz Carol mancherlei Tüchtigkeiten bewiesen hat, aber Genie – nein, das wäre zu viel gesagt.

Jetzt ist er als Carol II. in Bukarest eingezogen. »Sir John, dein zartes Lamm ist König nun.« Zurück kehrt ein plötzlich zu politischem Ehrgeiz erwachter, nicht mehr ganz frischer Lebemann, ein Gigolo mit abgestoßenen Hörnern, der die Eintänzerideale seiner bewegten Jugend auf ein gefährlicheres Parkett übertragen möchte. Im Grunde genommen waren die Ambitionen der Königin Maria weit harmloser, nicht viel mehr als die Sensationssucht einer vorurteilsfreien Gesellschaftsdame, die vor persönlicher Exhibition nicht zurückschreckte und in einem für gutes Dollarhonorar geschriebenen Buche die kindlich neugierigen Amerikaner mit dem Völkerbund ihrer Günstlinge vertraut machte. Carol jedoch bringt bösere Prinzipien nach Rumänien. Er bringt in ein Land, das eben die ersten Ansätze zu schwachen demokratischen Fortschritten gemacht hat, den Fascismus, das heute gültigste Prinzip, sie schnell wieder zunichte zu machen. Carol ist immer der Liebling jener Offizierscliquen gewesen, die für die schändlichsten Judenmassakers der letzten zehn Jahre verantwortlich sind. Die moskauer Presse behauptet zwar, Carol käme als Exponent der französischen Politik nach Rumänien zurück, mit der Verpflichtung, an der Abschnürung Rußlands aktiv teilzunehmen, aber man darf mit mehr Berechtigung vermuten, daß auch Mussolini sich seine Garantien hat geben lassen, denn auf dem Balkan geschieht heute nichts ohne den Willen der Consulta. Wie es damit auch sei, der starke Appell an die Armee in der Thronrede zeigt deutlich, daß der neue König die konstitutionellen Bemühungen des Kabinetts Maniu zwar benutzen wird, um seine Stellung zu festigen und die ihm feindlich gesinnte Bratianupartei zu zerreiben, daß er aber willens ist, mit militärischen Kräften einzugreifen, falls das bißchen Oberflächenliberalismus in die von der Mehrheit der Nation gewollte Bauerndemokratie ausarten sollte.

Ein Rätsel bleibt das Verhalten Julius Manius. Dieser hochbegabte siebenbürgische Politiker, der im alten ungarischen Parlament der Wortführer der rumänischen Minorität gewesen ist, hat als erster in das verrottete Staatswesen europäische Begriffe gebracht. Und wenn er auch nicht immer Linie halten konnte und dem vorgefundenen Verwaltungsapparat allzu große Konzessionen machte, so durfte man ihm doch die Energie zutrauen, das alte Bojarentum wenigstens so weit zurückzudrängen, daß es nicht mehr viel Schaden anrichtete, und es kaltzustellen, bis die ökonomische Entwicklung selbst es in die Versenkung stoßen würde. Warum hat Maniu nicht damals, als der Bauernzug von Alba Julia ihn im Triumph in die Hauptstadt trug, die Republik proklamiert und die der allgemeinen Verachtung verfallene Königsfamilie in die Wüste geschickt? Damals begnügte Maniu sich mit einem Kompromiß, das zwar geeignet war, die gutmütigen unerfahrenen Agrarheloten in ihre Dörfer zurückzuschicken, das dafür aber die großen Konflikte unbereinigt in die Zukunft schob.

In Julius Maniu wiederholt sich die Tragödie aller Radikalen, denen im Augenblick der Machtergreifung vor den radikalen Lösungen bangt. Maniu paktierte, wo er hätte ausbrennen müssen. Er konservierte die, die er hätte zum Teufel jagen müssen. Aus dem volksbeliebten Bauerncromwell, dem auch die intellektuelle Jugend zujubelte, wurde der Premierminister des Regentschaftsrates, ein loyaler Premierminister, der die landfremde, aufgepfropfte Dynastie als schweren Traditionsposten in seine demokratisch-fortschrittliche Kalkulation einbezog. Als dann der Königspalast gegen ihn zu intrigieren begann, da mag es ihm satanisch schlau vorgekommen sein, diesen Treibereien plötzlich den verstoßenen Thronfolger entgegenzusetzen. Aber so klug und so schrecklich für den Machthunger der Königin Maria diese Berechnung auch gewesen sein mag, es war die Berechnung eines Höflings, nicht die eines Volksmannes, den eine revolutionäre Woge emporgetragen hat. Im Sinne einer rein höfischen oder selbst parlamentarisch-konstitutionellen Betrachtung hat Maniu gewiß meisterhaft operiert: er hat nicht nur die lästige und kompromittierende Boudoir- und Hintertreppenpolitik der Regentschaft beseitigt sondern auch der Liberalen Partei Vintila Bratianus, dem ärgsten Hemmschuh aller bessern Entwicklung, einen Echec bereitet, der sie aufs Härteste mitnimmt und sie vielleicht ganz ruinieren wird. Aber er hat andrerseits auch einen minderjährigen König, der nicht zählte, durch einen erwachsenen ersetzt, der sich auf die feste Organisation der Armee stützen kann und der einmal zum Hort aller werden muß, denen der moderne Kurs zu wild erscheint. Maniu, der Mandant der rebellierenden Bauernmassen und die Hoffnung aller Bürger, die die im Bojarentum festgefrorenen Reste alter Türkenschlamperei fortschaffen wollen, um die Kräfte der Nation frei zu machen, hat sich die Gegenwart durch die Preisgabe der Zukunft erkauft. Hat Maniu das Schicksal des bulgarischen Bauernführers Stambuliski so ganz und gar vergessen? Damals, in Sofia, spielten die Herren von der Garde das Prävenire, als es geglückt war, kam der König und gab seinen Segen dazu.

Dem Staate Rumänien wird ebensowenig wie Bulgarien und Jugoslawien die Agrarrevolution erspart bleiben. Riesige landhungrige Bauernscharen, die in unbeschreiblichem Elend leben, ihnen gegenüber eine kleine Schar von Bodenbesitzern, und kein erwerbstätiges Bürgertum sondern nur eine dünne Parasitärschicht von Händlern und frühern Beamten, die sich am Staat und seinen Geschäften vollgesogen haben – das ist eine unmögliche ökonomische Struktur. Es fehlt an Industrie und Industriearbeitern, überganglos stehen sich die Elemente gegenüber; Verwaltung und Justiz sind von den Interessen der schwachen herrschenden Klasse verschmutzt, und sie wären lange weggefegt ohne den hiebfesten Machtblock der Armee. In Sofia und in Belgrad regieren Offizierscliquen, und wenn auch der römische Fascismus ein paar volkstümliche Parolen beigesteuert hat, es ist das doch nur die alte vormärzliche Bajonettdiktatur, um die »Begehrlichkeit« der Untertanen niederzuhalten und einen abscheulich ungerechten und praktisch lange überholten Gesellschaftsvertrag gegen die Geister der Umwälzung zu verteidigen. In diesen letzten Jahren war die rumänische Armee ohne zentrale Gestalt – der früher einflußreiche General Averescu hatte seine Zugkraft eingebüßt – jetzt aber erhält sie in der Person eines von romantischen Geschichten umwobenen Monarchen einen legitimen Mittelpunkt. Die tapfern Pogromoffiziere, die vor wehrlosen Judenmädchen besser abgeschnitten haben als im Felde, begrüßen ihren alten Kameraden wieder und verfügen über einen König, dessen exzessereiche Vergangenheit volkstümliche Irrtümer erleichtert. Und was wäre für ein reaktionäres Regiment auch günstiger als ein »guter König«, den die Frauen gern haben, dessen ungebundener Lebensstil auch auf einen politischen Liberalismus zu schließen verleitet und dessen weltmännische Haltung vergessen macht, daß er dem Bauern jeden Sonntag sein Huhn aus dem Topfe holt.

Julius Maniu hat seinem Volke die Revolution ersparen wollen, aber er hat sie nur aufgeschoben. Und er glaubte ganz sicher zu gehen, indem er für seine Pläne eine wirkungsvolle Königskulisse schaffen wollte. Maniu, und mit ihm Rumänien, wird den Irrtum schrecklich bezahlen müssen, denn diese Kulisse wird sich bald als die Mauer erweisen, an der er sich die Stirn einrennen wird. Welcher der Großmächte König Carol für seine Thronbesteigung besonders verpflichtet ist, wird bald durch die außenpolitische Linie klar zutage kommen, aber man braucht kein großer Astrolog zu sein, um die Konstellation für dieses Ereignis zu erraten. Als Carol vor vier Jahren von Rumänien fortmachte, geschah es im Zeichen der Venus, doch jetzt, bei seiner Rückkunft, wird auf dem Mars illuminiert.

Endlich ein Sieger!

Zunächst: keep smiling! Lieber deutscher Landsmann, bewahren Sie Ihre Haltung, Ihr Lächeln. Ihr letztes bißchen Verstand, soweit es Ihnen nicht Adolf Hitler fortgepustet hat. Nein, es ist übertrieben, daß in New York der deutsche Gott, die deutsche Kraft und noch einiges andre Deutsche mehr gesiegt hat, daß in Max Schmelings Boxhandschuhen die Geister Luthers, Kants und Goethes gesteckt haben, um einem Sohn Deutschlands zum Siege über die Mächte der Finsternis zu führen. Wahr ist nur, daß zwei zu diesem Zwecke hochbezahlte Schlächtergesellen übereinander hergefallen sind und sich mit fürchterlichen Argumenten bearbeitet haben. Die Fäuste der beiden Herren in allen Ehren, aber, gesetzt den Fall, die beiden hätten sich nicht im Ring getroffen, sondern irgendwo auf der Straße, so wären nicht gleich die Botschafter der betroffenen Nationen herbeigeeilt, die Zuschauer dagegen entsetzt und angewidert davongelaufen, und ein paar Schutzleute hätten dem Ereignis ein schnelles Ende bereitet, ohne die technischen Finessen der Prügelei fachmännisch zu begutachten. Doch solche unheroischen Erwägungen stören die deutsche Seele nicht, und so ist die Einheitsfront um Max Schmeling perfekt. Wir lieben vereint, wir hassen vereint, wir kennen alle nur einen Feind: – Jack Sharkey.

Selbstverständlich ist die Schwellung der deutschen patriotischen Hochgefühle nicht unbegreiflich. Wir haben endlich mal wieder einen Sieger. Von Ludendorff bis Schacht gab es nach jedem großen Aufschwung am Ende immer wieder eine ausgedehnte Pleite. Und wie herrlich einfach ist dieser Sieg durch Disqualifikation des Gegners, dieser Sieg nur aus dem Grunde, weil der Andre nicht commentmäßig gedroschen hat. So hätte es von Rechts wegen 1918 sein müssen, als die Franzosen mit den verwerflichsten Mitteln zu siegen anfingen und der berühmte Tiefschlag von hinten ihre schoflen und unsportlichen Erfolge vollendete. Da hätte der Ringrichter eingreifen, den Marschall Foch vor ein Kriegsgericht schicken und den Deutschen den verdienten Sieg zusprechen müssen. Das wäre nur gerecht und sportlich gewesen. Dieser Sieg, weil der Feind regelwidrig geschlagen hat und dem Zusammengehauenen trotzdem der Titel zuerkannt wird, das ist der deutsche Wunschtraum seit zehn Jahren. Doch hat sich noch kein Ringrichter gefunden, der den Versailler Vertrag außer Kraft gesetzt, die Franzosen aus Straßburg, die Polen aus dem Korridor und, als köstliche Zugabe, die Juden auch noch aus Deutschland verjagt hätte. Es ist die kleine Komik des Zufalls, daß dieser Wunschtraum weder in einem Politiker noch einem Militär in Erfüllung gegangen ist, sondern in einem langen schlacksigen Gladiator von negroidem Einschlag, um auch für die Anhänger des Herrn Günther gemeinverständlich zu reden.

Bei Licht besehen ist es allerdings auch mit diesem Siege nicht so herrlich bestellt. Die deutsche Presse hatte, um ganz sicher zu gehen, im vorhinein die amerikanischen Ringrichter beleidigt, indem sie generell deren Objektivität bezweifelte. Nun haben die Amerikaner sich musterhaft verhalten. Der Ringrichter ist ungewöhnlich rigoros vorgegangen: er hat für einen unerlaubten Schlag den Landsmann disqualifiziert und Schmeling als Sieger ausgerufen. Es ist da die merkwürdige Unstimmigkeit, daß der Besiegte auf seinen eignen Beinen fortging, während der Sieger, dem es auch in den vier Runden nicht gut gegangen war, halb ohnmächtig auf der Bahre abgeschleppt werden mußte. Auch den Freunden des Boxsports dürfte das auffallen, wenn sie sich erst die Schlagzeilen der ›B.Z.‹ aus den Augen gewischt haben. Vielleicht wäre es sogar eine wirksame Geste gewesen, wenn Schmelings Freunde ihm geraten hätten, unter diesen nicht sehr rühmlichen Umständen auf den hochtrabenden Titel zu verzichten. Auf diese naheliegende Idee ist keiner gekommen. Schmeling genug! würde Pallenberg sagen.

Wir fühlen uns weder interessiert noch sachkundig genug, um die Frage zu beantworten, ob es bei diesem weltgeschichtlichen Treffen Schiebung gegeben hat. Boxen ist nicht nur eine etwas rüde Kunst, sondern auch ein sehr rüdes Geldgeschäft. Wie solche Schiebungen gemacht werden, erzählt mit soliden Spezialkenntnissen der junge amerikanische Schriftsteller Hemingway in einem Stück seines ausgezeichneten Novellenbandes »Männer« (deutsch bei Ernst Rowohlt); das ist eine wirklich klassische Gaunergeschichte, wie der irische Weltmeister, der sich nicht mehr ganz sicher fühlt, eine Viertelmillion auf seinen Gegner setzt und diesen durch einen fürchterlichen Schlag in den Unterleib »foul« macht, wofür er zwar den Titel verliert aber das Geld gewinnt. Aber so etwas gehört zu den Geheimnissen der Branche, und wir wollen gern annehmen, daß im amerikanischen Ring zu New York die deutsche Treue, flankiert von zwei jüdischen Managern, auf gradem Wege gesiegt hat. Wir möchten auch bescheidentlich darauf aufmerksam machen, daß es zurzeit noch Dringenderes gibt als den Radau um Schmeling. Wenn in der französischen Kammer während der letzten Kriegsphase allzu überflüssiges Zeug geredet wurde, pflegte Clemenceau dazwischenzurufen: »Die Deutschen stehen vor Compiègne!« Das deutsche Weckwort unsrer Tage müßte heißen: »Wir haben drei Millionen Arbeitslose!« Ja, wir haben drei Millionen Arbeitslose, und wir haben kein Geld für Spiele, nicht einmal für Brot. Dagegen sind wir gegenwärtig, was die Abwehr der bittersten sozialen Übel anlangt, an Trägheit und Ideenlosigkeit andern Nationen weit voraus, überhaupt auf dem günstigsten Wege, auch auf diesem traurigen Gebiet die Championschaft zu erringen.

Die Weltbühne, 17. Juni 1930


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